Das europäische Mittelalter kennt aus vielen seiner Reiche einen oder mehrere Königsheilige. Am bekanntesten sind in der deutschen Forschung sicherlich Kaiser Heinrich II. (Heiligsprechung 1146) und seine Frau Kunigunde (1200) sowie Karl der Große, der auf Betreiben Friedrich Barbarossas im Jahr 1165 heiliggesprochen wurde. Auch England und Frankreich erhielten mit Edward dem Bekenner (1161) und Ludwig dem Heiligen (1297) ihre heiligen Könige. Während in Zentraleuropa das 12. und 13. Jahrhundert als die intensivste Zeit der Verehrung heiliger Könige angesehen werden kann, begann man in der nördlichen und östlichen Peripherie des mittelalterlichen Europas schon deutlich früher damit, verstorbene Monarchen als Heilige zu verehren, auch wenn hier dem praktizierten Kult nicht immer päpstliche Kanonisationen folgten. In Skandinavien war Olaf Haraldsson von Norwegen der erste dieser Heiligen, dessen Kult direkt nach seinem Tod 1030 einsetzte. Während in Dänemark König Knut IV. († 1086), Herzog Knut Lavard († 1131) und König Erik Plovpenning († 1250) um den Titel des Reichsheiligen stritten, wuchs in Schweden Erik Jedvardsson († um 1160) im Laufe des 14. Jahrhunderts unangefochten in diese Rolle hinein. In Mittelosteuropa sind vor allem die Beispiele des Heiligen Wenzel von Böhmen († wahrscheinlich 929) und die der erstaunlich zahlreichen Heiligen des ungarischen Königshauses der Árpáden zu nennen. Letztere der internationalen Forschung näher zu bringen, ist die Absicht Zoltán Magyars in dem zu rezensierenden Band.
Seinem wissenschaftlichen Hintergrund entsprechend – Magyar ist Ethnologe an der ungarischen Akademie der Wissenschaften – beruhen seine Berichte über die Heiligen Stephan, Emmerich und Ladislaus nicht nur auf den Zeugnissen klassischer historischer, hagiographischer und kunstgeschichtlicher Quellen, sondern er versucht darüber hinaus auch Volkstraditionen aufzuspüren. Die deutlich knapperen Kapitel zu den weiblichen Heiligen Elisabeth von Thüringen und Margareta von Ungarn enthalten dagegen lediglich kurze Lebensbilder sowie Abschnitte über ihre Darstellungen in Legende und Kunst. Weitere Heilige der Dynastie (Margareta von Schottland, Irene, Sophia, Kunigunde, Yolanda, Elisabeth von Portugal und Elisabeth von Töss) erhalten nur lexikonartige Artikel am Ende des Buches.
Der sich bereits in dieser sehr unterschiedlichen quantitativen Behandlung der einzelnen Heiligen andeutende Eindruck der Inhomogenität des Bandes verfestigt sich bei näherer Betrachtung des Inhalts der einzelnen Kapitel. Während etwa die Kapitel „King Saint Stephen’s historical figure“, „The medieval cult of St. Stephen” und „The representations of St. Stephen in art” nahezu hagiographische Züge tragen, weicht diese Darstellungsweise in „Saint Stephen in folk tradition“ und „Literary adaptions“ einer ausgewogeneren Betrachtung. Diese setzt sich über das Kapitel zu Emmerich fort, um im Kapitel zu Ladislaus wieder umzuschlagen, nun noch gesteigert dadurch, dass in diesem Kapitel kaum Quellen für historische Ereignisse und Beschreibungen des heiligen Königs genannt werden. Kurz gesagt, stellt Zoltán Magyar in seinem Buch Darstellungen sehr unterschiedlicher Qualität zu den verschiedenen Heiligen der Árpáden-Dynastie nebeneinander, verknüpft sie aber untereinander kaum. Darüber hinaus wird nicht der Versuch unternommen, in einem zusammenfassenden Kapitel die Heiligen der Dynastie gemeinsam in den Blick zu nehmen und nach ihrer gemeinsamen Bedeutung für das mittelalterliche Ungarn und/oder Europa zu fragen.
Das große Verdienst des Buches ist es freilich, der nicht ungarisch-sprachigen wissenschaftlichen Öffentlichkeit den Zugang zu den heiligen Herrschern des ungarischen Mittelalters zu erleichtern. Auf diesem Gebiet der hagiographischen Forschung sind in den letzten zehn Jahren – seit dem (hervorragenden) Buch Gábor Klaniczays „Holy Rulers and Blessed Princesses. Dynastic Cults in Medieval Central Europe“ aus dem Jahr 2002 – nur eine Reihe von Spezialartikeln erschienen. Ein generelles Problem des Buches stellt hingegen die Entscheidung des Autors dar, auf einen Anmerkungsapparat zu verzichten, denn er zitiert extensiv besonders aus Quellen, aber auch aus der Sekundärliteratur. Während an vielen Stellen die zitierte Quelle im Text genannt wird (wenn auch ohne Angabe der genauen Stelle), treten fast ebenso häufig Formulierungen wie „According to other accounts“ (S. 198), „according to contemporary sources“ (S. 200), „as chronicles record“ (S. 217), „according to sources“ (S. 218) oder „as records claim“ (S. 222) an die Stelle von genauen Nachweisen. Diese Praxis macht es dem Leser unmöglich, sich tiefer in die Materie einzuarbeiten und sie schmälert damit das Hauptverdienst des Buches, die ungarischen Königsheiligen der internationalen Forschung besser zugänglich zu machen.
Eine weitere fragwürdige Vorgehensweise ist die unkritische, stellenweise nahezu hagiographische Darstellung der Heiligen, besonders der Könige Stephan und Ladislaus, die zum Teil in verschiedenen Kapiteln zu verschiedenen Darstellungen der Heiligen führt. Während etwa im Kapitel zum Hl. Stephan fast ausschließlich positive Eigenschaften des Königs aus den Quellen herausgelesen werden („sincerely devout, deeply religious“ (S. 17), „most merciful to the righteous“ (S. 18f.) usw.), erfahren wir erst in einem späteren Kapitel, dass er auch grausame Seiten hatte und einen unbequemen Thronanwärter (seinen Vetter Vazul) regierungsunfähig machte, indem er ihn blenden und ihm die Ohren mit heißem Blei ausgießen ließ. Der Enkel Vazuls, der Hl. Ladislaus, wird wieder nur im besten Licht gezeigt und mit folgenden preisenden Worten in die Geschichte eingeführt: „The fact that in this age and dramatic historical situation there emerged a person of rare virtues and qualities, the sovereign-to-be, may well have been fateful“ (S. 109). Schließlich sei noch auf die Abbildungen hingewiesen, die am Ende jedes Kapitels angefügt sind. Sie zeigen (repräsentative?) Bilder des jeweiligen Heiligen, sind allerdings leider im Text nicht referenziert und entsprechen auch häufig nicht den dort behandelten Bildquellen. Ihre Größe und Qualität lässt bei komplexeren Darstellungen meist keine Detailbetrachtung zu und die Bildunterschriften befinden sich nicht unter den Bildern, sondern auf den letzten Seiten des Buches (S. 237–239).
Zusammenfassend kann leider kein positives Urteil über „Hungarian Royal Saints“ abgegeben werden. Die lobenswerte Absicht, die Heiligen des ungarischen Königsgeschlechts der Árpáden in interdisziplinärem Zugang vorzustellen, wurde insofern erreicht, als (zumindest in den Hauptkapiteln) Quellen, die Gegenstand unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen sind, befragt wurden. Die Darstellungsweise genügt aber über lange Passagen wissenschaftlich-kritischen Anforderungen nicht. Das Buch kann als erste Information über die behandelten Heiligen benutzt werden; ein umfassendes Bild über sie liefert es nicht.