W. Mühl-Benninghaus u.a.: Geschichte der Medienökonomie

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Titel
Geschichte der Medienökonomie. Eine Einführung in die traditionelle Medienwirtschaft von 1750 bis 2000


Autor(en)
Mühl-Benninghaus, Wolfgang; Friedrichsen, Mike
Erschienen
Baden-Baden 2012: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
371 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Knut Hickethier, Institut für Medien und Kommunikation, Universität Hamburg

Wirtschaftsgeschichten gibt es vielfach, doch eine umfassende oder doch zumindest in Überblicken zusammenfassende Darstellung der Medienökonomie fehlt bislang. Medienwirtschaft wird zumeist im Rahmen einer allgemeinen Darstellung der Mediengeschichte miterörtert, denn zu eng sind die Beziehungen zwischen der allgemeinen Entwicklung der Medien und der ihrer Ökonomie. Dementsprechend müssen umgekehrt bei der Geschichte der Medienökonomie viele allgemeine mediengeschichtliche Aspekte angesprochen werden, um die ökonomischen Prozesse verstehbar zu machen. „Die Geschichte der Medienökonomie“ von Wolfgang Mühl-Benninghaus und Mike Friedrichsen ist auf zwei Bände angelegt, der erste, hier anzuzeigende Band beschäftigt sich mit der als „traditionell“ beschriebenen Medienwirtschaft vor der Digitalisierung.1 Der Band konzentriert sich auf die deutsche Medienökonomie, was nicht ganz unwichtig ist, da es zwar immer auch internationale Beziehungen und Verflechtungen der deutschen Medien gegeben hat, die Medienentwicklung jedoch bis in die Gegenwart hinein vor allem von den nationalen Rahmenbedingungen geprägt wurde.

Wolfgang Mühl-Benninghaus und Mike Friedrichsen gliedern ihre Darstellung nach einleitenden Bemerkungen in vier Kapitel, die jeweils querschnittartig historische Zustände der Medien und ihrer wirtschaftlichen Verfasstheit beleuchten: den deutschen Medienmarkt vor 1900, um 1900, nach 1945 und den Medienmarkt von 1970 bis 2000. Diese Anlage erlaubt es, stärker den systematischen Zusammenhang des jeweiligen Mediensystems herauszuarbeiten und verhindert, sich zu detailliert in einzelnen zwischenzeitlichen Veränderungen zu verlieren. Dabei wird in den ersten beiden Kapiteln zunächst der Rahmen abgesteckt. Dies geschieht einerseits durch eine Beschreibung der sozialhistorischen Bedingungen, andererseits durch eine Beleuchtung des Öffentlichkeitskonstrukts. Danach werden dann einzelne Aspekte des jeweiligen Systems der Medien und ihrer Wirtschaft erörtert.

Die Autoren setzen mit ihrer Darstellung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein und konzentrieren sich dabei auf den Buchhandel, weil sich dort vor allem der Wandel von einer tauschorientierten zu einer geldorientierten Ökonomie am deutlichsten nachvollziehen lässt. In dieser Zeit wächst ein lesefähiges Publikum heran, das als Käufer für Bücher in Frage kam. Zudem haben sich in der Zeit der Aufklärung und der deutschen Klassik zahlreiche Autoren immer wieder zu den ökonomischen Aspekten ihres Schreibens geäußert und über die Frage des Urheberrechts auch ihre wirtschaftlichen Interessen in die Diskussion eingebracht. Mühl-Benninghaus und Friedrichsen fokussieren ihre Darstellung dabei in Teilen auf die Weidmannsche Buchhandlung in Leipzig, die vor allem für zahlreiche Autoren der Aufklärung wichtig geworden sei. Denkbar wären hier zumindest auch einige Ausführungen zur Cottaschen Verlagsbuchhandlung gewesen, deren Einfluss damals vielleicht noch größer gewesen ist, wie Bernhard Fischer in einer Biografie des Verlegers Cotta schreibt.2 Gleichwohl wird deutlich herausgearbeitet, wie zu der neuen Marktverfasstheit auch eine wachsende Vernetzung des Buchgewerbes und die Etablierung zahlreicher, den Buchabsatz fördernder Zeitschriften und Zeitungen gehörte.

Das zweite Kapitel widmet sich dem Medienmarkt um 1900. Wieder werden zunächst sowohl knapp die soziale Situation mit der Industrialisierung und deren Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben, die Urbanisierung sowie die Alphabetisierung skizziert und das Konstrukt der neu entstehenden Massenöffentlichkeit dargestellt. Eine zentrale Rolle spielt die Entstehung der Massenpresse durch eine Reihe technischer Entwicklungen (Rotationsdruck, Setzmaschinen, Holzschliffpapier, telegrafische Nachrichtenübermittlung u.a.). Die Verfasser zeigen hier überzeugend das Zusammenspiel von Medienökonomie und Medieninnovation auf und erklären die Herausbildung der Berliner Konzerne Mosse, Scherl und Ullstein neben den regionalen Zeitungsmärkten. Herausgearbeitet werden dabei zum einen die Bedeutung des Anzeigenwesens und mit ihm die Verkoppelung von Medienentwicklung und allgemeiner konsumorientierter Wirtschaftsentwicklung, zum anderen die regulierenden Eingriffe des Staates durch die Pressegesetzgebung, Post etc., die die Herausbildung neuer Massenmärkte förderten.

Ist die Presseökonomie zumindest in ihren großen Umrissen aus der allgemeinen Pressegeschichtsschreibung bekannt3, so besteht das Verdienst des Buches darin, auch die Ökonomien der anderen, gerade um 1900 erst hervortretenden oder expandierenden Medien wie Kino, Theater und Unterhaltungsbühnen darzustellen. Das gelingt besonders gut beim Theater, wobei die Verfasser hier nicht nur die Folgen der 1874 verkündeten Gewerbefreiheit mit dem Entstehen der Geschäftstheater darstellen, sondern auch die anderen Konsequenzen des entstehenden Unterhaltungsbetriebs im sozialen und kulturellen Bereich untersuchen. Hier hätte ein Beispiel (wie im Falle der Darstellung der Weidmannschen Buchhandlung) der Anschaulichkeit gedient; etwa wenn man sich das Bühnenimperium von Max Reinhardt genauer angeschaut hätte, denn hier ist das Zusammenwirken von Ökonomie und Innovation besonders greifbar. Mit der Ausweitung der Darstellung auf verschiedene Medien wird gleichzeitig ein breiterer Ökonomiebegriff erkennbar, der über das bloße Finanzgebaren von Medienunternehmen hinausgeht. Neben dem Theater und dem Kino geraten auch die Tonträger (Grammophon) in den Blick.

Für die Zeit nach 1945 bis Mitte der 1960er-Jahre steht die dritte Querschnittsdarstellung, die zweigeteilt ist: zum einen geht es um die alliierte Medienpolitik zwischen 1945 und 1949 mit ihrer Lizenzierung neuer Unternehmen. Der Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt sowie das Kino stehen dabei im Zentrum. Der zweite Teil behandelt dann ausführlicher die Zeit nach 1949/50, also nach dem Ende der Lizenzzeit. Hinzu kommen Radio und Fernsehen als neue Medien, auch wird der Tonträgermarkt hier erneut beschrieben. Insgesamt ist der medienökonomische Aspekt geringer sichtbar als in den vorangegangenen Kapiteln. Dabei wäre gerade bei Radio und Fernsehen als öffentlichrechtliche Konstruktion interessant, deren komplexe ökonomische Struktur genauer zu beleuchten: einerseits über die Gebühren eine etatistische Ökonomie zu entwickeln, andererseits über die Produktion von Sendungen, deren Materialbeschaffung, Immobilienverwaltung, Studiobetrieb und Personalfinanzierung auch Teil von Medienmärkten zu sein, die von konkurrenzwirtschaftlichen Bedingungen geprägt sind. Ausführlich gehen die Autoren auf das Zusammenwirken von Film (Kinofilm) und Fernsehen ein. Hier steht die Filmförderung im Zentrum. Ein Blick auf die frühe Bürgschaftspolitik des Bundes und der Länder, als Vorläufer der Filmförderung der 1960er- und 1970er-Jahre hätte die Wahrnehmung auch auf die Finanzierungsprobleme der deutschen Filmproduktion lenken können. Denn schon in den 1950er-Jahren war das Kinoeinspiel vieler Filme nicht kostendeckend, und es fragt sich, wie es dazu kam, dass trotzdem immer weiter Kinofilme produziert wurden. Hier wäre dann die Filmproduktion für andere, oft nichtöffentliche Bereiche zu untersuchen gewesen, die ebenso wie die Betriebswirtschaft der Atelierbetriebe zur einer Mischfinanzierung führte.

Wichtiger ist den Verfassern der Zeitraum von 1970 bis 2000, weil sich in dieser Zeit eine neue Stufe der medienwirtschaftlichen Entwicklung abzeichne. Sie stellen die beginnende Digitalisierung als treibenden Faktor der Veränderung heraus. Hinzu kommen verstärkt Crossmedia-Vernetzungen. Wieder werden sowohl die einzelnen Teilmärkte des Buches, der Zeitungen und Zeitschriften, der Tonträger, des Films und von Radio und Fernsehen sowie als neues Segment der Markt der Computerspiele dargestellt. Deutlicher als in den Kapiteln zuvor zeigt sich, dass einzelne Märkte nicht mehr getrennt von den anderen beschrieben werden können. So wird bei den Printmedien auch auf Radio und Fernsehen eingegangen, weil es hier zahlreiche Überschneidungen und Durchdringungen gab, beim Film die verstärkte Kooperation mit dem Fernsehen und den neuen Speichermedien, bei Fernsehen und Hörfunk die Etablierung der privaten Anbieter.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Buch eine auf die Ökonomie ausgerichtete Mediengeschichte Deutschlands liefert, die vor allem für die letzten Jahrzehnte stärker zu einer allgemeinen Mediengeschichte wird und den Ökonomieaspekt etwas in den Hintergrund treten lässt. Die Darstellung der Fernsehökonomie ist etwas kurz geraten. Ganz fehlt auch ein Abschnitt über die Ökonomie der DDR-Medien, die ja auch mit zur deutschen Mediengeschichte gehören. Hier hätte besonders Mühl-Benninghaus als Kenner der DDR-Mediengeschichte spannende Informationen liefern können.

Insgesamt ist trotz einiger kritischer Anmerkungen die Leistung des Buches erstaunlich, liefert es doch einen faktenreichen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung der deutschen Medien seit dem 18. Jahrhundert. Die Darstellung ist trotz einer Vielzahl von Tabellen eher beschreibend gehalten, Ziel ist es, die Vielfalt der die Entwicklung bestimmenden Faktoren herauszuarbeiten. Das ist den Autoren in überzeugender Weise gelungen.

Anmerkungen:
1 Ein zweiter Band unter dem Titel „Neue Medienökonomie“ ist der digitalen Medienwirtschaft gewidmet und seit längerem angekündigt, bisher aber nicht erschienen.
2 Bernhard Fischer, Johann Friedrich Cotta. Verleger – Entrepreneur – Politiker, Göttingen 2014.
3 Vgl. unter anderem Otto Groth, Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik), 4. Bde., Mannheim 1928ff.

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