E. Skiera u.a. (Hrsg.): Lehrerbildung in Europa

Cover
Titel
Lehrerbildung in Europa. Geschichte, Struktur und Reform


Herausgeber
Skiera, Ehrenhard; Németh, András
Reihe
Erziehung in Wissenschaft und Praxis 9
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 51,95
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Lukas Lehmann, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Ein Buch mit einem Allerweltstitel wie „Lehrerbildung in Europa“ herauszugeben, birgt ein gewisses Risiko. Welches Europa ist damit gemeint? Das politische, das historische oder das ökonomische? Und unter welchem Blickwinkel wäre die europäische Dimension zu integrieren? Wenig eingrenzenden oder präzisierenden Aufschluss ergibt auch der Untertitel, im Gegenteil: Beschrieben und analysiert werden sollen nicht weniger als die „Geschichte, Struktur und Reform“ dieser wie auch immer gearteten Lehrkräftebildung.

Im einführenden Kapitel (S. 7–20) erklären die Herausgeber Skiera und Németh, dass mit dem vorliegenden Projektbericht mehrere Ziele bedient werden sollen: Er versammelt die Referate zweier Tagungen, an welchen „Experten aus verschiedenen Ländern Europas“ (S. 7) ihre Befunde zusammengetragen haben; er dokumentiert den gemeinsamen Lernprozess „hinsichtlich allgemeiner und länderspezifischer Fragen“ (S. 7) und hofft einen ebensolchen bei den Lesenden anzuregen. Konzeptioneller Leitfaden für die in den nachfolgenden Kapiteln festgehaltenen Länderdarstellungen bieten gemäß Skiera und Németh historische Aspekte des Schulwesens allgemein, die historische Entwicklung von nationalen Lehrpersonenbildungssystemen (systematisch oder beispielhaft) sowie die für den Bereich zentralen Transformationen und Probleme der Gegenwart. Als wäre diese Aufgabe nicht schon schwierig genug, sollen die Einzelbeiträge zudem die „fachlichen, didaktischen, pädagogischen und schulpraktischen Studien, sowie […] Aspekte ihrer horizontalen Differenzierung […]“ (S. 7) berücksichtigen und gar einen Ausblick auf Künftiges wagen (S. 8).

Auftragsgemäß beginnt der einleitende Text dann auch mit historischen Bezügen, nämlich mit einer kurzen Analyse einer Quelle aus sumerischer Zeit, ca. 2000 v.Chr – wobei ‚das Europäische‘ dabei natürlich vorerst schwierig in Zusammenhang zu bringen ist. Die Autoren springen dann rasch ins 18. Jahrhundert, um nach wenigen Seiten in einer Gegenwartsdeutung zu landen. Beleuchtet werden in dieser sprunghaften Rundschau das Bild des guten Lehrers (sic!), die Strukturreformen der Universität, die Auswahlverfahren und Zulassungsvoraussetzungen gegenwärtiger Lehramtsstudiengänge sowie Fragen der Wirkungsforschung.

Entsprechend dieser wenig stringenten Vorgabe fallen die Beiträge des ersten Teils (S. 21–280) denn auch aus: Németh, Szabolcs und Vincze (S. 21–39) beispielsweise unterbreiten einen in sich durchaus informativen Abriss der historischen Entwicklung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Ungarn, zwischen dem 18. Jahrhundert bis in die nähere Gegenwart (1990). Der zweite Beitrag zu Ungarn von Beáta Kotschy beleuchtet die zeitgenössischen Reformen. Leider schafft sie es dabei aber nicht, die politischen und sozialen Umbrüche der jüngsten Vergangenheit für die Deutung der Reformen in der Lehrpersonenbildung zu nutzen. Ähnlich verhält es sich mit dem Bericht aus Rumänien. Sebestyén, Szarvas und Tordai-Soós erzählen eine durchaus aufschlussreiche Geschichte des Bildungswesens, entlang der territorialen Einheiten der Republik. Die Erzählung verliert sich jedoch in einer Faktendarstellung und bietet wenig Bezüge der Vorgeschichte zur Gegenwart. Einen etwas anders gearteten Einstieg wählt Polenghi (S. 139–156), indem sie die Geschichte der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Italien des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart entlang der jeweiligen Stufenausbildungen nachzeichnet. Aber auch hier bleibt der Text weitgehend deskriptiver Natur und Polenghi verzichtet größtenteils auf analytisch gehaltvollere Kommentare. Der Beitrag von Grundig de Vazquez (S. 123–138) wiederum bezieht sich in einem ersten Teil relativ ausführlich auf die allgemeinen Strukturen des französischen Bildungssystems, in einem zweiten Teil auf die Entwicklung und Ausgestaltung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Interessant dabei sind dann aber vor allem die (leider zu kurz gehaltenen) zusammenführenden Schlussbetrachtungen, wo klar wird, wie staatszentriert die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Frankreich organisiert ist. Der Länderbericht aus Schweden (Beitrag von Hakala, S. 191–200) begnügt sich damit, aktuelle „Sorgen und Entwicklungsziele der Lehrerausbildung“ (S. 196) zu umreißen – ohne jedoch zu bemerken, dass diese ‚schwedischen‘ Probleme (Lehrermangel, Feminisierung, geringer Verbleib im Beruf etc.) die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in ganz Europa betreffen und kaum eine spezifisch schwedische Situation bezeichnen. Weitaus besser gelungen ist der zweite Beitrag derselben Autorin, zur Situation in Finnland. Hakala erzählt darin die Geschichte der nationalen Lehrpersonenbildung entlang curricularer Streitigkeiten, ausgetragen in der Politik und im wissenschaftlichen Feld. Und es gelingt ihr dabei, große Umbrüche mit jeweils vorherrschenden wissenschaftlichen Denktraditionen in Verbindung zu bringen.

Raum für Vergleiche würden schließlich die Beiträge zu Deutschland (von Sandfuchs), zur ehemaligen DDR (von Coriand), zu Österreich (Grimm, Bali und Pirka) sowie zur Schweiz (Biederman) eröffnen, da sie alle, mehr oder weniger konsequent einer Makroperspektive folgend, die wesentlichen Entwicklungsstränge sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch bezogen auf die auftretenden bildungspolitischen Verschiebungen und die damit auftretenden Problemfelder zu beleuchten vermögen.

Für das Jahr 2004 zählte die Europäische Kommission über sechs Millionen Lehrpersonen in Europa. Die Verbesserung der Qualität der Aus- und Weiterbildungssysteme und somit auch die Qualität der Lehrerinnen- und Lehrerbildung stehen in allen Ländern der Europäischen Union auf der politischen Agenda. Zur Einordnung solcher Bestrebungen entlang historischer Entwicklungslinien als auch im Hinblick auf bildungspolitisch relevante Themen der Vergangenheit und der Zukunft trägt der Band aber wenig bei – eine komparative Analyse europäischer Bildungsentwicklungen im Bereich Lehrerinnen- und Lehrerbildung fehlt gänzlich. Vielmehr enthält der Band eine stattliche Anzahl mehr oder weniger detaillierter und mehr oder weniger gelungener Länderstudien, teils als essayartige, teils als lexikalische Texte – allesamt jedoch mit wenig gemeinsamem Fokus. Das Thema ‚Europa‘ taucht bezeichnenderweise in keinem Aufsatz auf, die Zusammenführung im Teil II (S. 283ff.) entspricht eher zufällig gewählten Topoi. Leider haben es die Herausgeber damit verpasst, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Bezug auf die im Untertitel vorgegebenen Thematiken – Geschichte, Struktur und Reform – herauszuarbeiten.

Angesichts der in der Einleitung umschriebenen Rahmenstruktur der diesem Band zugrunde liegenden Forschungsarbeit kann dies nicht wirklich überraschen: Zu diffus und zu vielfältig sind die Ansprüche, in einem wissenschaftlichen Projekt sowohl politische, praktische wie wissenschaftliche Akteure bedienen zu wollen. Alles in allem fehlt es wesentlich an einer Verknüpfung von einerseits deskriptiver und andererseits problemorientierter Darstellung. Die einzelnen Länderbeiträge sind im Vergleich zueinander meist uneinheitlich, sowohl im Bezug auf behandelte Thematiken, beschriebene Zeiträume, fokussierte Gegenstandsbereiche als auch Kontextbedingungen. Und dass letztlich auch auf der formalen Seite einige Unzulänglichkeiten bestehen (ausführliche Wikipedia-Zitate, die konsequente Missachtung geschlechtergerechter Formulierungen), macht die Sache nicht erfreulicher.

Nun ist der Vorwurf eines ausbleibenden gemeinsamen Bezugs für Sammelwerke nicht neu, und die Aufgabe gestaltet sich sicherlich umso schwieriger, wenn es sich dabei eigentlich um einen Tagungsband handelt. Aufgrund dieser allgemeinen Schwierigkeit auf eine Rahmengebung zu verzichten, ist aber auch keine Lösung. Denn schließlich würde eine solche Syntheseleistung vor allem denjenigen Beiträgen zu Gute kommen, die sich der Aufgabe ernsthaft angenommen haben und für sich genommen durchaus lesenswert sind.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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