M. P. Friedman: Rethinking Anti-Americanism

Titel
Rethinking Anti-Americanism. The History of an Exceptional Concept in American Foreign Relations


Autor(en)
Friedman, Max Paul
Erschienen
Cambridge, MA 2012: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
369 S.
Preis
£ 21.99 / € 26,38
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kiran Klaus Patel, Department of History, Maastricht University

Dies ist ein schwieriges Buch. Max Paul Friedman hat sich die Aufgabe gestellt, das antiamerikanische Denken neu zu beleuchten. Erstmals, so der Autor, werde hier untersucht, „how the term ‚anti-Americanism‘“ in den USA selbst genutzt wurde und „how it has come to have a specific, and, in my view, pernicious form of discursive power“ (S. 7). Friedman zeigt, dass die Frage „Why do they dislike us?“ bereits seit dem 19. Jahrhundert in Amerika häufig gestellt wurde, und er vertritt die These, dass inneramerikanischen Debatten über die Art, in der die Welt die USA wahrnehmen, oft Verzerrungen und selbstgerechte Annahmen zu Grunde liegen. Er geht so weit, dies den „myth of anti-Americanism“ zu nennen (S. 3): Was als antiamerikanisch diffamiert wird, wird demnach mit unpatriotischen Kreisen im Inland und für das Ausland mit einer antidemokratischen Haltung identifiziert und somit pathologisiert. Antiamerikanismus, so könnte man Friedman zusammenfassen, ist eine Exkulpations- und Exklusionsstrategie interessierter Kreise in den USA mit problematischen Folgen für Außen- wie Innenpolitik der Vereinigten Staaten sowie für die jeweils betroffenen, anderen Länder. Statt Gegenargumente ernst zu nehmen, werden diese einfach als antiamerikanisch gebrandmarkt. Besonders gut zeigt Friedman dies am Beispiel Lateinamerikas im 19. und 20. Jahrhundert: Kritik an den Vereinigten Staaten werteten US-Amerikaner allzu oft als „antiamerikanisch“ ab – und unterstützten in Nicaragua und anderswo oft lieber hörige Diktatoren als Basisbewegungen.

Hätte es Friedman bei diesem Fokus belassen, wäre ein spannendes Buch entstanden, welches die Debatte bereichert hätte. Statt jedoch – wie es die Perzeptionsforschung normalerweise tut – sich primär für die Gründe und Wirkung spezifischer (Anti-)Amerikabilder zu interessieren, will er auch zeigen, dass das US-amerikanische Bild vom Antiamerikanismus „falsch“ war; dass die Welt Amerika häufig viel positiver gesehen hat, als man es bisher meinte. Diejenigen, die die USA kritisierten, hätten häufig mit lauteren Absichten gehandelt, und sie sollten keineswegs als antiamerikanisch abgetan werden. Diese These Friedmans kommt nicht nur einer fragwürdigen Generalisierung gleich, sie verweist zugleich auf eine grundsätzlich andere Frage. Friedman weicht somit seinen analytischen Fokus stark auf und gibt dem Buch einen moralisierenden Ton, der der Analyse schadet. Über weite Strecken ist nicht von einem „Exceptional Concept in American Foreign Relations“, wie es im Untertitel heißt, zu lesen, sondern davon, was ausländische Denker und Spitzenpolitiker von den USA hielten. Das hat man, vor allem in den Ausführungen für das 19. und das frühe 20. Jahrhundert, häufig bereits anderswo gelesen; interessant ist lediglich, dass Friedman sowohl europäischen als auch lateinamerikanischen Debatten nachgeht. Dass manche Amerikakritik während des Kalten Krieges (um die der Hauptteil des Buches kreist) durchaus berechtigt und von demokratischen Idealen getragen war, dürfte ebenfalls nicht überraschen. Was Friedman etwa über die Anti-Vietnamkrieg-Proteste in Deutschland schreibt, bestätigt im Wesentlichen die Thesen von Wilfried Mausbach, Martin Klimke und anderen.

Weiterhin fragwürdig ist die Exzeptionalisierung von Antiamerikanismus. Friedman vertritt die These, dass das amerikanische Verständnis von Antiamerikanismus an sich „so unusual, so exceptional“ sei (S. 2) – schließlich gäbe es kaum ähnliche Ausdrücke zur Beschreibung der Ablehnung anderer Länder. Natürlich kommt er im Verlauf seiner Debatte nicht darum herum, diese These einzuschränken. Er konzediert etwa, dass der Begriff „undeutsch“ phasenweise ähnlich eingesetzt wurde. Statt einer Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser verschiedenen „Anti“-Begriffe springt Friedman schnell auf eine normative Ebene. Er verweist darauf, dass Länder wie Deutschland oder Russland durch eine „totalitarian or imperialist ideology“ geprägt gewesen seien, „giving Americans some strange linguistic bedfellows“ (S. 2). Was heißt das nun aber? Für Friedman letztlich nur, dass Amerika exzeptionell ist, da es als Demokratie eben anders sein muss. Wäre es Friedman dagegen tatsächlich um eine Historisierung der amerikanischen Antiamerikanismus-Debatte gegangen, wie er in seinem Buch häufig betont, hätte er untersuchen müssen, wie diese Diskussion zu einem exzeptionalistischen Weltbild beigetragen hat. Stattdessen verwischt das Buch wiederum verschiedene analytische Ebenen.

Solche konzeptionellen Unschärfen und Inkonsistenzen spiegeln sich auch in der Einleitung wider. Hier werden als Referenzpunkte Skinner, Pocock und Koselleck aufgerufen. Es bleibt jedoch bei einem reinen „name dropping“, ohne der Frage nachzugehen, inwieweit sich deren Ansätze vereinbaren lassen. Empirisch wäre in diesem Zusammenhang unter anderem interessant gewesen, das Verhältnis der Begriffe „anti-American“ und „un-American“ genauer auszuloten (Friedman geht etwa auf den McCarthyism ein, unterschlägt jedoch, dass etwa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig auch von „un-American“ die Rede war). Der Verweis auf die Cambridge School und die Bielefelder Begriffsgeschichte bleibt somit lediglich Dekor.

Friedman hat somit mehrere Bücher in einem geschrieben. Manches hätte mehr Raum verdient, anderes mehr konzeptionelle Schärfe. Sein Ansatz ist eigentlich originell und streckenweise arbeitet das Buch quellennah mit interessantem Material. Überzeugt hat es mich nicht. Und dennoch ist die Lektüre aufschlussreich: Im Jahr 2113 wird das Werk der Wissenschaft dienen, um die amerikanischen Debatten der 2010er-Jahre über das Verhältnis der USA zu anderen Gesellschaften zu verstehen.1 Friedmans Ehrrettung der Welt ist somit nicht zuletzt im Kontext tagespolitischer Auseinandersetzungen zu sehen. Man mag ihm dafür dankbar sein, dass er selbstgerechten Positionen in den USA einen Spiegel vorhält – schade eben nur, dass er dies nicht überzeugender getan hat.

Anmerkung:
1 Vgl. in diesem Lichte z.B. die positive Rezension des Buchs von Jeremi Suri, in: H-Diplo, H-Net Reviews, Juni 2013: <http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=37406> (08.08.2013).

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