Cover
Titel
Culture and History in Postrevolutionary China. The Perspective of Global Modernity


Autor(en)
Dirlik, Arif
Erschienen
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
€ 33,59
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Nicola Spakowski, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Arif Dirlik ist China-Historiker, der seit Mitte der 1990er Jahre in das Feld der Global- bzw. Globalisierungsgeschichte vorgestoßen ist und in der Zusammenführung von (außereuropäischer) Regionalexpertise und Bemühungen um die allgemeine Bestimmung des Charakters der globalisierten Gegenwart (sowie ihrer Vorstufen) wichtige Diskussionsbeiträge vorgelegt hat. Schlüsselbegriff ist bei Dirlik die „globale Moderne“, die auch im vorliegenden Band den theoretischen Rahmen abgibt für intellektuelle und ideologische Entwicklungen in China als empirischer Fokus der Diskussion. Der Band vereinigt acht Essays, die fast alle an anderer Stelle bereits identisch aufgelegt wurden – eine Publikationsstrategie, die dem Leser extrem viel Geduld abverlangt angesichts der vielfachen Wiederholungen von Kapitel zu Kapitel sowie gegenüber früheren Publikationen. (Dass der Verfasser besonders gerne sich selbst zitiert, macht die Sache nicht besser.) Die in drei allgemeinen Kapiteln präsentierten Grundideen des vorliegenden Bandes finden sich bereits in dem 2007 publizierten Buch „Global Modernity. Modernity in the Age of Global Capitalism“.1 Fünf Kapitel zu chinesischen Kultur- und Geschichtsdebatten des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart illustrieren in dem neuen Band, was in den drei allgemeinen Kapiteln proklamiert wird. Von dem repetitiven Charakter abgesehen, ist „Culture and History“ ein wichtiger Band, der sowohl für die Globalgeschichte als auch die China-Wissenschaft von Interesse ist. Erstere dürfte vor allem von Dirliks Reflexionen zur Problematik des Eurozentrismus profitieren; letztere wird mit der Aufforderung angesprochen, China in globaler Perspektive zu verstehen und in globale Debatten einzubringen („‘wordling‘ China: bringing China into the world, and the world into China“, S. X) – eine Strategie, die unten noch kritisch zu kommentieren ist.

Dirlik charakterisiert über den gesamten Band verteilt die „globale Moderne“ in mehrfacher Abgrenzung.Es ist zunächst eine Moderne, die den globalen Kapitalismus zur Grundlage hat – ein Aspekt, auf den leider nur das Kapitel zur Renaissance des Konfuzianismus näher eingeht. Da der Kapitalismus die globale Klammer abgibt, kann es sich für Dirlik auch nur um eine einzige globale Moderne handeln. Er distanziert sich folgerichtig von Konzepten wie Multikulturalismus oder „alternative“ bzw. „multiple modernities“, die für ihn lediglich „variations on a theme that is global thanks to the globalization of capitalism” (S. 23) darstellen. In historischer Perspektive handelt es sich für Dirlikbei der globalen Moderne um eine globalisierte Moderne: „Simply put, Global Modernity is modernity globalized.“ (S. 242) Die heutige „globale“ Moderne unterscheidet sich bei ihm speziell von der „kolonialen“ und eurozentrisch strukturierten Moderne um 1900 durch „a proliferation of challenges to Eurocentrism.“ (S. 48)

Diese Herausforderung einer eurozentrischen Moderne, die sich v.a. in den Bereichen von Kultur und Wissensproduktion abspielt, steht im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes. Er zeichnet die globale Moderne insgesamt als konflikthaftig, insofern sie universalistische und partikularistische Tendenzen vereinigt: „The contradictory forces of hegemonic universalism and counter-hegemonic particularism are fundamental to the dynamics of what I have described elsewhere as Global Modernity, or modernity globalized.“ (S. 239) Mit „antihegemonialem Partikularismus“ ist konkret die Artikulierung lokaler und von der westlichen Moderne bislang unterdrückter Traditionen, Wissensbestände, Epistemologien und Nationalismen gemeint.

Die fünf Kapitel zu China exemplifizieren die in den allgemeinen Teilen angerissenen Gedanken auf verschiedene Weise (halten dabei aber den im Titel angekündigten zeitlichen Rahmen des „postrevolutionären“ China nicht immer ein). Unter der Überschrift „The triumph of the modern“ geht es um die Geschichte der marxistischen Geschichtsschreibung in China – ein früheres Forschungsgebiet Dirliks – von den 1920er-Jahren bis zum Vorabend der Kulturrevolution. Gerade die frühe marxistische Geschichtsschreibung zeichnet sich dabei für den Verfasser durch ihr „uncompromising commitment to the historical consciousness of modernity“ (S. 64) aus – eine Einschätzung, die in dieser Zuspitzung allerdings kaum gerechtfertigt ist, denn die „Moderne“ wurde damals auf breiter intellektueller und politischer Front begrüßt. Das Kapitel „Confucius in the Borderlands“, das bereits 1995 veröffentlicht wurde, widmet sich der Wiederbelebung des Konfuzianismus innerhalb und außerhalb Chinas seit den 1980er-Jahren. Hier legt der Verfasser dar, wie der Konfuzianismus – einstmals betrachtet als Hindernis einer Modernisierung Chinas – vor dem Hintergrund des asiatischen Wirtschaftswunders (einschließlich der erfolgreichen Reformpolitik Chinas) zum positiven Modernisierungsfaktor umgewertet und damit auch ein Ausweg aus der Krise des globalen Kapitalismus aufgezeigt wurde. Es ist dies das stärkste Kapitel des gesamten Bandes, denn hier werden nicht bloß intellektuelle oder ideologische Positionen referiert, sondern auf die politischen bzw. ökonomischen Absichten der diversen internationalen Akteure sowie die verschiedenen nationalen Kontexte, in denen sie artikuliert wurden, zurückgeführt. Die Forschungsprogrammatik des „‘worldling‘ China“ ist in diesem Kapitel am überzeugendsten umgesetzt.„Time space, Social Space, and the Question of Chinese Culture“ differenziert und historisiert vergangene und aktuelle Bemühungen, China als Kulturraum und Nation zu definieren. „Zhongguohua“ befasst sich mit der in China seit jeher virulenten Frage, wie aus dem Westen eingeführte Disziplinen und ihre Wissensgrundlagen „sinisiert“ (Zhongguohua) bzw. „indigenisiert“ (bentuhua) werden könnten. Der Fokus hier liegt bei der Soziologie und der Anthropologie, die gleichzeitig in ihren (teilweise vordisziplinären) Ursprüngen seit dem späten 19. Jahrhundert und der weiteren historischen Entwicklung nachgezeichnet werden. Und “Guoxue“(wörtlich: „nationale Studien“) schließlich – eine ins frühe 20. Jahrhundert zurückreichende und seit den 1990er-Jahrenwieder aufgenommene Bemühung chinesischer Intellektueller, eine nationale Essenz oder (hierin liegt die Mehrdeutigkeit des Begriffs) national spezifische Zugänge zu Wissen zu konstruieren – wird als Beispiel eines „epistemological nativism“ bzw. „ethnoepistemology“ (S. 241) untersucht und ebenfalls in seiner historischen Genese und aktuellen Ausprägungen dargestellt. Alle Kapitel zeichnet aus, dass am Ende die diversen Essentialisierungen und Homogenisierungen, wie sie sich in den verschiedenen Ausdrucksformen von kulturellem Partikularismus niederschlagen, dekonstruiert werden und die Komplexität Chinas in seiner politischen Vielfalt (Volksrepublik, Hongkong, Taiwan, Singapur, chinesische Gemeinschaften außerhalb Asiens), multiethnischen Verfassung und transnationalen Bezügen herausgestellt wird.

Alle fünf Beiträge bieten wichtige Einblicke in bestimmte Geschichts- und Kulturdebatten der jüngeren chinesischen Geschichte – nicht aber in die große Bandbreite an Diskussionen. Warum behandelt Dirlik ausschließlich kulturelle und historiographische Diskurse, wo er doch selbst den „cultural turn“ diffamiert (S. 245) und die Marginalisierung von Kategorien, die kulturelle Grenzen überschreiten (Klasse, gender, Ethnizität), beklagt (S. 61)? Warum schließt er insbesondere die Neue Linke Chinas aus seiner Untersuchungaus, die auf Globalisierung gerade nicht mit kulturalistischen und nationalistischen Reflexen reagiert, sondern sozial und ökonomisch argumentiert?

Ein zweiter fragwürdiger Punkt des Bandes ist die Strategie des „‘worldling‘ China“: Dirlik wirft der China-Forschung – in dieser Pauschalität sicher nicht zu Recht – Parochialismus vor und zeigt, wie China sinnvoll in globalen Kontexten verortet und parallelen Phänomenen anderer Gesellschaften zugeordnet werden kann. Vergleichbarkeit geht in den hier vorgelegten China-Kapiteln (von „Confucius in the borderlands“ abgesehen) aber deutlich auf Kosten der Spezifik. Wo ist in Dirliks Darstellung insbesondere der chinesische Staat, der eine hegemoniale Stimme in allen von ihm untersuchten kulturellen und intellektuellen Feldern darstellt? Und verstehen wir die Gegenwart richtig, wenn wir China pauschal dem Konzept einer globalen Moderne unterordnen, anstatt seine spezifische Funktion und Stellung im Prozess der Globalisierung zu bestimmen? Die am Ende doch sehr vagen Konturen, die Dirlik der globalen Moderne allgemein und speziell China verleiht, werden durch die vielen „post“-Attribute (postkolonial, postmodern, postrevolutionär, postkonfuzianisch, posteurozentrisch, postnational, postsozialistisch, postkapitalistisch, „post-Cold War“), welche den gesamten Band durchziehen, aber unerklärt bleiben, weiter verwischt. Eine Präzisierung des Konzepts der „globalen Moderne“, wie es von Dirlik skizziert wurde, könnte einen wesentlichen Beitrag zum Programm des „‘worldling‘ China“ darstellen.

Anmerkungen:
1 Arif Dirlik, Gobal Modernity. Modernity in the Age of Global Capitalism, Boulder, CO 2007.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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