Die mediale Transformation des Holocausts wird seit Ende der 1970er- bzw. Anfang der 1980er-Jahre interdisziplinär intensiv diskutiert. Den Hintergrund bildeten unter anderem die Resonanz der Fernsehserie „Holocaust“ (1978) und die Erstausstrahlung von Claude Lanzmanns „Shoah“ (1985). Beide Medienprodukte und Medienereignisse haben auf je spezifische Weise prägend in Erinnerungsdiskurse eingegriffen. Vor allem Filme wie Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ (1993), Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ (1997) oder Roman Polanskis „Der Pianist“ (2002) markierten spätere Diskurshöhepunkte. Die mediale Gebundenheit wissenschaftlicher Forschung und erinnerungskultureller Praxis hat James E. Young bereits 1988 reflektiert, als er formulierte „that none of us coming to the Holocaust afterwards can know these events outside the ways they are passed down to us“1.
Der hier besprochene Band fügt sich damit in ein bereits etabliertes Diskursfeld ein, sticht aber durch seinen Anspruch, diverse Medien abzubilden, heraus. Anstoß gaben wissenschaftliche Diskussionen um Georges Didi-Hubermans Analyse der einzigen vier bekannten Aufnahmen, die Häftlinge des Sonderkommandos von Birkenau von der Vernichtung, genauer von der Verbrennung der Leichen der Ermordeten, machten.2 Aus diesen Debatten resultierte eine Ringvorlesung, die Ursula von Keitz und Thomas Weber im Sommersemester 2010 an der Universität Bonn ausrichteten. Die Vorträge der Ringvorlesung haben beide nun ergänzt um weitere Beiträge in diesem Sammelband publiziert. Wenngleich gerade die Fotografienanalyse Didi-Hubermans dabei den Ausgangspunkt bildet, so dominieren doch Beiträge zu Film und Fernsehen. Weiterhin thematisieren die einzelnen Aufsätze mediale Transformationen des Holocausts in darstellender Kunst, Comics, Museen und dem Internet, wobei der Schwerpunkt auf audiovisuellen und digitalen Medien liegt.
Einleitend konstatieren von Keitz und Weber, dass die Geschichte des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und der Shoah anhaltend medial thematisiert und mediatisiert wird. Angesichts dessen stellen sie die Leitfrage, „ob sich nicht darüber hinaus ein (medien-)kultureller Paradigmenwechsel abzeichnet, der durch die Eigendynamik der Medien selbst charakterisiert ist“ (S. 10). Sie konkretisieren diese Leitfrage mit weiteren Fragen nach dem Zusammenspiel zwischen Medien und Gedenkkultur. „Stehen wir vor einem epochalen Wandel der Gedenkkultur? […] Müssen den Fragen nach Erinnerung und kulturellem Gedächtnis nicht elementar Fragen nach der Medialität von kulturellen Übermittlungsprozessen, und d.h. auch nach der medialen Verfasstheit von Gedenken an die Seite treten?“ (S. 11) Dieser Verweis auf die Gedenkkultur erklärt auch die Verortung der Thematik des Sammelbands als „keine historische“ (S. 12). „Es geht nicht um die Auseinandersetzung mit Geschichte, sondern um die Repräsentation von Geschichte in unserer jeweiligen Gegenwart.“ (S. 12)
Formal ist der Band in zwei große Themenkomplexe oder Überschriften gegliedert: „Historische Phasen der Mediatisierung“ und „Mediale Vermittlung von Erinnerung“, wobei der zweite Punkt explizit die Frage nach der Angemessenheit der medialen Repräsentationen aufwirft. Die Gliederung wird in den einzelnen Beiträgen nicht konsequent eingehalten. So sind beide Aufsätze zu Comics oder sequentieller Kunst dem Aspekt der „medialen Vermittlung“ zugeordnet, es ist aber zum Beispiel in Anne Hélène Hoogs Beitrag sehr interessant zu lesen, wie sich die Mediatisierung der Shoah in der sequentiellen Kunst entwickelt hat. Mit wenigen Ausnahmen analysieren die Beiträge entweder fiktionale/fiktionalisierte Mediatisierungen der Shoah oder aber die mediale Transformation des Zeugnisberichts der Überlebenden respektive Interviews mit Zeitzeug/innen. Diese sehr unterschiedlichen Zugänge und Perspektiven hätten ausgeprägter reflektiert und miteinander in Dialog gebracht werden können. Eine der anregenden Thesen des Bandes ist – wie es auch andere aktuelle Forschungen andeuten –, dass es bereits vor den genannten bekannten Filmen und Fernsehserien mediale Transformationen des Holocausts gegeben hat. Dies ist auf der Ebene der Quellen ebenso wie anhand fiktionaler Repräsentationen en zu beobachten. „Holocaust“ und „Shoah“ sind damit zwar markante Eckpfeiler zu Beginn jener Phase, die Annette Wieviorka als ‚Ära des Zeugen‘ bezeichnet hat, aber sie sollten nicht den Blick auf die Vorgeschichte verstellen.3
Hervorzuheben ist, dass sich der Band neben audiovisuellen auch den digitalen Medien zuwendet und hier unterschiedliche Forschungszugänge beschreibt. Hier sind erstens die Informationsbeschaffung bzw. die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein im Internet zu nennen, die in den Beiträgen von Thomas Weber, „Erinnerungskulturen in medialer Transformation. Zum fortgesetzten Wandel der Medialität des Holocaust-Diskurses“, und Michael J. Eble, „Content in Context: Perspektiven vernetzter Multimediainhalte zur Vermittlung historischer Erinnerungen“, thematisiert werden. Zweitens lokalisiert Kirstin Frieden in den Social Media den Raum der Aushandlung von eigener Identität und Gedenkkultur der „Postmemory-Generation“. Und drittens werden digitalisierte Quellenbestände und Editionen analysiert. Allerdings bezieht sich Andree Michaelis in seinem Beitrag zum digital zugänglichen Visual History Archive der USC Shoah Foundation vor allem auf die Subjektposition der Zeuginnen und Zeugen im Medium des Video-Interviews. Marcus Burkhardt, Andreas Grünes und Markus Roth hingegen beschreiben „[d]ie Edition der Lodzer Getto-Chronik und ihre Multimedialisierung im Spiegel medialer Transformationen des Holocausts“. Diese differenten Stränge werden nicht als solche benannt, dennoch zeigen sie die Bedeutung des Themenfelds und des differenzierenden Blicks auf die sich entwickelnden, unterschiedlichen medialen Praxen sowie Materialitäten. – Wobei insbesondere hier der Begriff der Transformation mit Vorsicht zu verwenden ist, denn Facebook-Einträge oder Forendiskussionen sind als mediale Praktiken dem Internet verhaftet. So wichtig die einzelnen Beiträge in diesem Themenfeld sind, so hilfreich wäre es gewesen, die Forschungsergebnisse der digital history und der englischsprachigen thematischen Diskussion mit einzubeziehen.4 Ein Beitrag zu Computer- und Onlinespielen hätte das Feld thematisch abgerundet. Es wäre auch noch anzuregen, die Beiträge durch eine Historisierung der medialen Praxen des Internets und der entsprechenden Repräsentationsformen zu schärfen. Auf der einen Seite ist der Blick auf die verschiedenen Genres im Internet – Blogs, interaktive Online-Ausstellungen, Social Media, Videosharing – zu richten, auf der anderen Seite können bereits jetzt Entwicklungsprozesse der medialen Transformation des Holocausts im Internet ausgemacht werden.5
Das Ausgangsthema Fotografie wird in künstlerischer Weise wieder aufgenommen. An verschiedenen Stellen sind den Band rahmende Fotografien von Eric Mayen abgedruckt, die dieser im Wechsel der Jahreszeiten in der Gedenkstätte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau aufgenommen hat. Einerseits irritieren die ruhigen, ästhetischen Bilder, andererseits bilden sie einen anregenden Kontrapunkt zur wissenschaftlichen Debatte. Es liegt hier nahe, auf Didi-Hubermans kürzlich erschienenen Bildbericht „Borken“ über sein „Umherwandern in Auschwitz-Birkenau“ im August 2011 zu verweisen.6 Fotografien der materialen Spuren des einstigen Ortes der Vernichtung und der heutigen Gedenkstätte sind eigenwillige mediale Transformationen, die zu genauerer Reflexion auffordern.
Der Band hat sich vielen Fragestellungen angenommen und er versammelt zu diesen höchst unterschiedliche Antworten. Gerade hinsichtlich der Leitfrage nach der medialen Transformation und des Fokus auf den Medienbegriff fallen diese Antworten in der Gesamtschau disparat aus – ein Problem vieler Sammelbände. Die Diversität der betrachteten Quellen und Grundlagen der einzelnen Beiträge legt es nahe, die Begriffe noch weiter zu schärfen. Die besonderen Qualitäten des Buches liegen zum einen in der historiografischen Erschließung der medialen Transformationsprozesse, zum anderen in seiner Erfassung different medialer gedenkkultureller Praxen. Es zeigt ein spannungsreiches Gesamtbild, dem ein stärkerer strukturierender Eingriff hinsichtlich des Medienbegriffs gut getan hätte. Dennoch handelt es sich mit wenigen Abstrichen um einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion.
Anmerkungen:
1 James Edward Young, Writing and Rewriting the Holocaust. Narrative and the Consequences of Interpretation, Bloomington 1988, S. vii.
2 Georges Didi-Huberman, Bilder trotz allem, München 2007; vgl. die Rezension von Ute Wrocklage, in: H-Soz-u-Kult, 27.05.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-134> (08.08.2013).
3 Annette Wieviorka, The Era of the Witness, Ithaca 2006.
4 Siehe u.a. Peter Haber, Digital Past. Geschichtswissenschaften im digitalen Zeitalter, München 2011; vgl. die Rezension von Ingrid Böhler, in: H-Soz-u-Kult, 11.09.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-145> (03.07.2013); Roy Rosenzweig / Daniel J. Cohen, Digital History. A Guide to Gathering, Preserving and Presenting the Past on the Web, Philadelphia 2006.
5 Ansgar Nünning u.a. (Hrsg), Narrative Genres im Internet. Theoretische Bezugsrahmen, Mediengattungstypologie und Funktionen, Trier 2012.
6 Georges Didi-Huberman, Borken, Konstanz 2012; vgl. die Rezension von Ralph Buchenhorst, in: H-Soz-u-Kult, 21.03.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-1-194> (03.07.2013).