Die Merowingerzeit ist für Mediävisten das Vorspiel, für Althistoriker die Nachwehen ihrer eigentlichen Forschung. In der Herangehensweise unterscheiden sie sich dabei hinsichtlich der Perspektive, der Terminologie und der Methodik. Umso begrüßenswerter sind gemeinsame Diskussionen und Darstellungen, wie das zu besprechende Werk. Der 1500. Todestag Chlodwigs I. war der willkommene Anlass zu einer interdisziplinären Tagung vom 30. September bis 2. Oktober 2011 in der ehemaligen Benediktinerabtei Weingarten. Dass die wissenschaftlichen Untersuchungen dabei thematisch über Chlodwigs kleine Welt hinausgehen, wird bereits im Untertitel „Organisation von Herrschaft um 500“ angedeutet. Das Ergebnis der Vorträge und Diskussionen ist in dem vorliegenden Tagungsband festgehalten, er umfasst 20 Aufsätze, die in fünf Kapitel gegliedert sind.
Die Person Chlodwigs steht im Mittelpunkt der Betrachtungen des ersten Kapitels. Einen dezidiert strukturgeschichtlichen Ansatz wählte dabei Bernhard Jussen, der auf der Grundlage der Theorien Herfried Münklers zu imperialen und postimperialen Räumen den Rückzug der römischen Kaiserherrschaft aus Gallien nachzeichnet.1 Die gallische Elite habe rund hundert Jahre weitgehend ungestört vom Kaiser ein politisches System etabliert, wodurch neue militärische, ökonomische, ideologische und politische Machtstrukturen geschaffen worden seien. Chlodwig sei anders als etwa Theoderich der Große deshalb erfolgreich gewesen, weil er in diese Machtstrukturen eingestiegen sei. Eine biographisch-ereignisgeschichtliche Perspektive hat hingegen Matthias Becher auf Wunsch der beiden Herausgeber eingenommen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die fränkische Expansion durch das Machtvakuum, welches das Imperium hinterlassen habe, begünstigt worden sei, wobei aber die Religion, konkret die Konversion zum katholischen Glaubensbekenntnis, ein wichtiger Faktor gewesen sei. Es bildeten sich Strukturen der Vasallität, Grundherrschaft und die enge Verbindung von weltlicher und geistlicher Gewalt heraus. Das erschaffene Konstrukt habe sodann die europäische Geschichte maßgeblich bestimmt. Diese grundlegenden Ergebnisse werden zum Abschluss des Kapitels durch Überlegungen von Uta Heil zu den „Ansichten des Bischofs Avitus von Vienne“ ergänzt. Der Titel lässt zwei Deutungen zu, zum einen: Avitus äußert seine Ansichten und Meinungen; zum anderen: ein burgundischer Bischof wird von verschiedenen Seiten betrachtet. Dieser Doppelsinn scheint gewollt zu sein, da wir aus dem Brief des Avitus mehr über ihn als über Chlodwig erfahren. Stilisiert sei das Schreiben nach dem Vorbild der Kommunikation zwischen Ambrosius an Theodosius I. Der Bischof messe der Taufe des Frankenkönigs damit eine über dessen Herrschaftsanspruch hinausgehende Bedeutung zu, eine Erkenntnis, die sicher nicht zu bestreiten ist.
Der Blickwinkel wird im zweiten Kapitel deutlich ausgeweitet, und in fünf Beiträgen werden die Ansprüche und Ausgestaltungsmöglichkeiten universaler Herrschaft untersucht. Die Überlegungen Hartmut Leppins zur Panegyrik auf Kaiser Anastasios tragen allerdings, wie er auch selbst feststellt, nichts zum Thema bei. Seine Analyse bietet aber mit Prokopius von Gaza und Priscian den Vergleich von regionaler und hauptstädtischer Perspektive. Ein solcher Vergleich spielt auch im Beitrag von Rene Pfeilschifter eine Rolle, welcher der Konzentration der soziopolitischen Ordnung auf die Hauptstadt Konstantinopel gewidmet ist. Er bedient sich dabei des Zentrum-Peripherie-Modells und zeigt, dass die Ausgestaltung einer universalen Herrschaft zunächst auf den engbegrenzten Raum des zweiten Roms beschränkt gewesen sei; dabei habe es eine scharfe Trennung zwischen drinnen und draußen gegeben, sodass außerhalb der Kapitale keine Bindung zur Reichsidee bestanden habe. Der Mitherausgeber Mischa Meier stellt in seinem darauffolgenden Beitrag grundlegende Überlegungen zur Herrschaft und zur Bedeutung des Jahres 476 an. Aus den mannigfaltigen Ergebnissen der Studien sei nur erwähnt, dass Meier betont, die Relevanz des Jahres 476 dürfe in Hinblick auf die Frage nach künftigen Konzeptionen von Herrschaft nicht unterschätzt werden. Die angestellten Überlegungen zur Herrschaftsgestaltung nach der Absetzung des Romulus könnten zur Illustration des Auseinanderdriftens von griechischem Osten und lateinischem Westen dienen. Diesem Gegensatz geht auch Hanns Christof Brennecke nach, indem er das Papsttum an der Wende zum 6. Jahrhundert erörtert. Die „Bekehrung“ Chlodwigs habe der Kirche keinen Einfluss auf das Frankenreich eröffnet. Um 500 liege auch ein Papsttum noch in weiter Ferne. Dennoch seien die Texte in dieser Zeit sehr wichtig für die Ausformulierung desselben gewesen. Der Höhepunkt sei sicher mit der Zweigewaltenlehre des Gelasius erreicht worden, die indes von dessen Nachfolgern nicht weiter verfolgt worden sei. Abschließend analysiert Wolfram Brandes das Bauprogramm Justinians und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass infolge des Nika-Aufstandes zahlreiche senatorische Familien enteignet und so die nötigen Finanzierungsmittel generiert worden seien. Federführend hierbei könne der Prätorianerpräfekt Johannes der Kappadoker gewesen sein.
Die neu entstehenden Herrschaftsräume, die sich durch das Ende des weströmischen Kaisertums ergaben, werden im dritten und vierten Kapitel diskutiert. Den Auftakt des Reigens macht aber Julia Hoffmann-Salz mit einer Untersuchung zu Roms „arabischer“ Grenze. Die Araber seien vor allem von den Kaisern Anastasios und Justinian eingesetzt worden, um die schwer zu verteidigende Ostflanke des Reiches zu sichern. Die dadurch initiierten gesellschaftlichen Prozesse entwickelten im arabischen Raum des 7. Jahrhunderts eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik. Auf der Grundlage einer intensiven Quellenanalyse zum Verhältnis von Odovacar und Theoderich dem Großen resümiert Hans-Ulrich Wiemer, dass die Heerführer dem Ostgotenkönig das Feld bereitet hätten. Dabei habe nicht zuletzt das Erlebnis eines vier Jahre andauernden Krieges den Senatoren ihre Machtlosigkeit offenbart und die Herrschaft Theoderichs begünstigt. Eine grundlegende Monographie zu Odovacar, auch das ist in diesem Beitrag klar geworden, bleibt ein Desiderat der Forschung. Den Franken wiederum wendet sich Stefan Esders zu, der feststellt, dass die fränkische Inbesitznahme Nordwestgalliens ohne eine gewisse Militarisierung der spätrömischen Gesellschaft unverständlich sei. Es habe keine bruchlose Fortführung der spätrömischen Provinzverwaltung gegeben, der fränkische Erfolg resultiere vielmehr aus der Nutzung lokaler römischer „Substrukturen“. Diesem Ansatz ist durchaus zuzustimmen, er wäre aber zu ergänzen um die Feststellung, dass im Frankenreich Chlodwigs nun auch die abhängige Landbevölkerung zum Militärdienst herangezogen wurde – im Gegensatz zur Zeit der spätrömischen Herrschaft – und die Bodenbindung der Kolonen aufgehoben war, wodurch sich die legale Mobilität und Einsatzfähigkeit dieser sozialen Gruppe erhöhte.
Weitere Überlegungen zur Herrschafts- und Gesellschaftsorganisation der Franken stellt Stefanie Dick zu Beginn des vierten Kapitels an. Das Königtum Childerichs und Chlodwigs sei aus der römischen Beschreibung ihrer Funktion entstanden, wie Dick entgegen der älteren Forschungsmeinung feststellt, die von einem fränkischen Königtum ausging. Diese römische Institution habe sich sodann in der Phase der Transformation aus der römischen Tradition gelöst. Dabei berührt sich die Argumentation von Dick mit dem eingangs referierten Ansatz von Jussen. Anders akzentuiert dies im anschließenden Beitrag Ian Wood, welcher die Herrschaftsstrukturen im Burgunderreich untersucht. Er ist der Ansicht, dass die Burgunderkönige Gundobad und Sigismund immer dem „senior general“ Chlodwig nachgeordnet gewesen seien, obwohl sie jeweils als magister militum das höchste Amt bekleideten. Diesem Amt misst Wood im Gegensatz zu Jussen weiterhin eine gewisse Bedeutung zu. Folgt man dieser Deutung, dann scheint Anastasios durch die Ehrungen im Jahre 508 – welcher Titel Chlodwig auch immer verliehen wurde – die Suprematie des Frankenkönigs in Gallien auszudrücken. Diese Überlegungen zum magister militum werden im Beitrag von Anne Poguntke noch vertieft. Dabei präsentiert sie einen Teilaspekt ihrer Dissertation. Nachdem die Heermeister, wie exemplarisch gezeigt wird, ihre Positionen ausgebaut hätten, sei es den Kaisern um 500 wieder gelungen, deren Handlungsspielräume im Osten einzuengen. Karl Ubl geht in seinem Beitrag der Frage nach der Charakteristik der lex Salica im Bann der Traditionen nach und kommt zu dem ansprechenden Ergebnis, dass das salfränkische Recht in der chlodoweischen Fassung nicht zur Repräsentation taugte, sondern dazu bestimmt gewesen sei, die Rechtskonflikte in einem eng begrenzten Gebiet zu regeln. Damit widerspricht er einem Teil der rechtshistorischen Forschung, die vom Gegenteil ausgeht. Leider werden die Rechtsquellen der Zeit um 500 nur in diesem Beitrag explizit untersucht. Dies erstaunt, waren Rechtssetzung und Rechtsausübung doch wichtige Herrschaftsinstrumente und dienten der Organisation von Herrschaft.
Im fünften und letzten Kapitel werden Untersuchungen zu den lokalen Einheiten (civitates) gesammelt. Auf einer breiten Quellenbasis stellt Sabine Panzram die Veränderungen auf der iberischen Halbinsel dar, die durch die Herrschaftsübernahme der Westgoten eingeleitet wurden. Sie beschreibt einen sich in Stufen entwickelnden Prozess von Eurich (466–484), der noch unsicher agierte, über Leovigild (569–586), der die iberogallischen Eliten gewaltsam gefügig machte und eine Herrschaftsrepräsentation im Stile des oströmischen Kaisers einführte, bis Rekkared (586–601), der schließlich zum Katholizismus konvertierte. Der letzte Schritt sei besonders zukunftsweisend gewesen, da die Bischöfe in den Städten die Administration übernommen hätten. Das Defensorenamt, besonders im Ostgotenreich, steht im Mittelpunkt der Analyse von Sebastian Schmidt-Hofner. Das Amt des defensor civitatis habe dort, wo die römischen Institutionen fortbestanden, seine Machtfülle entfalten können. Sobald aber die kaiserliche Legitimation und die Garantie seines patronalen Schutzauftrages weggefallen sei, sei auch dieses Amt verschwunden. Die Notabelnversammlungen hätten dann dieses Machtvakuum ausgefüllt und das Machtpotential der Defensoren absorbiert.
Ein Beitrag zu den Bischöfen in Gallien darf in einem solchen Sammelband nicht fehlen, wie Steffen Patzold zu Recht feststellt. Seine Untersuchung zeigt eindrücklich, dass einige Positionen der älteren Forschung aufgegeben werden müssen. Künftige Studien sind regionalgeschichtlich auszulegen, um der differenten Sozialstruktur im Frankenreich der Merowinger Rechnung zu tragen. Selbst die Interessen der alten Reichsaristokratie an einem lokalen Bischofsamt konnten sich stark unterscheiden und sind daher fallweise zu untersuchen. Der Byzantinist Avshalom Laniado lenkt die Aufmerksamkeit auf die Entwicklung der Eliten in den östlichen Provinzen. Er argumentiert dabei wie schon Sebastian Schmidt-Hofner gegen die Niedergangsszenarien, die sonst an dieser Stelle gerne bemüht werden. Die Grundherren (ktetor bzw. possessor) hätten, so seine Schlussfolgerung, in einem lokalen Kontext die Funktion von Notabeln übernommen. Last but not least schließt der Archäologe Sebastian Brather den Tagungsband mit einem Aufsatz zu den lokalen Herren um 500 anhand der Bestattungsriten ab. Die Identifizierung von lokalen Herren gestaltet sich zwar als schwierig, dennoch gelingt es Brather, aus den Funden und Befunden lokale Chefs herauszulesen. Dazu sind ein Perspektivwechsel und eine kontextuelle Analyse nötig, bei der Herrschaftsstrukturen zu einem bestimmten Zeitpunkt an verschiedenen Orten in unterschiedliche Regionen untersucht werden.
Dass in dieser Rezension nur wenig Kritik geäußert wurde, darf keinesfalls als Zustimmung zu den einzelnen Thesen interpretiert werden; eine dezidierte Auseinandersetzung mit den vielfältigen Themen hätte aber zu großen Raum in Anspruch genommen. Zudem werden die Forschungskontroversen bereits durch die zum Teil konträren Ansätze der Tagungsteilnehmer deutlich. Die Güte der einzelnen Aufsätze ist ausgesprochen hoch, und die langjährige Beschäftigung vieler Beiträger mit dem vorgetragenen Untersuchungsgegenstand nicht zu übersehen. Der Tagungsband bietet einen breitgefächerten Überblick zu verschiedenen, teils gegensätzlichen Forschungsansätzen zur Herrschaftsorganisation in der Übergangszeit von der Spätantike zum Frühmittelalter. Die Komplexität dieses Forschungsfeldes wird dabei mehr als deutlich. Etwas bedauern darf man, dass Archäologie und Rechtsgeschichte unterrepräsentiert sind. Insgesamt gesehen bleibt aber, der Forschung die Lektüre dieses inspirierenden Tagungsbandes zu empfehlen.
Anmerkung:
1 Herfried Münkler, Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005.