B. Schwarz: Kurienuniversität und stadtrömische Universität bis 1471

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Titel
Kurienuniversität und stadtrömische Universität von ca. 1300 bis 1471. (mit prosopographischen Anhängen)


Autor(en)
Schwarz, Brigide
Reihe
Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 46
Erschienen
Anzahl Seiten
XXII, 923 S.
Preis
€ 226,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Gramsch, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Bedenken wir die immense Bedeutung, welche die Päpste im Mittelalter als Förderer der Universitäten und Gelehrten hatten, so erscheint es paradox, dass wir ausgerechnet über jene beiden Universitäten, die mit der römischen Kurie am engsten und unmittelbarsten verbunden waren, fast am wenigsten wissen: die Kurienuniversität und die Universität der Stadt Rom. Für dieses Nichtwissen gibt es Gründe. Doch wäre es ein Fehlschluss, hieraus auf die mangelnde Bedeutung dieser Bildungseinrichtungen zu schließen. Ihre Geschichte ist voller Brüche, die offenbar einschneidender waren als andernorts. Aber es wirkten bedeutende Lehrer an ihnen – Juristen, Theologen, Humanisten –, und ihre Nähe zur Kurie sicherte ihnen einen beträchtlichen Zustrom an Studenten, den wir heute freilich nur noch in sehr eingeschränktem Maße rekonstruieren können. Und so ist es ein längst überfälliges Unternehmen, wenn Brigide Schwarz in monographischer Form die Geschichte dieser beiden Universitäten systematisch aufarbeitet. Es ist dies, soviel gleich vorweg, eine Aufgabe, der sich wirklich nur eine so exzellente Kennerin der vatikanischen Überlieferung annehmen konnte, denn die quellenkritischen Probleme, die sich ihr entgegenstellten, sind immens. Entsprechend disparat fallen auch die Urteile der älteren Forschung über diese Institutionen aus, was das Schreiben einer Gesamtdarstellung zusätzlich erschwerte.

Schwarz’ voluminöse Darstellung zerfällt in sechs Teile. Nach einer die Forschungs- und Quellenlage vorstellenden Einleitung (S. 1–28) folgt ein historischer Abriss zur Geschichte beider Universitäten zwischen 1300 und 1471 (Teil A: S. 31–183), dann eine detaillierte Darstellung ihrer Institutionen, soweit sie rekonstruierbar sind (Teil B: S. 187–287). Teil C (S. 291–417) bilden acht längere Exkurse, worauf eine etwa 30 Seiten lange englische Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte des Buches folgt (Teil D). Teil E schließlich beinhaltet mehrere Anhänge, darunter die Edition einiger wichtiger Dokumente (S. 453–480) sowie Listen von Dozenten und Studenten beider Universitäten (S. 481–762). Angereichert durch zahlreiche biographische Angaben, stellen diese eine wertvolle personengeschichtliche Materialsammlung dar, können aber natürlich – quellenbedingt – keineswegs Vollständigkeit beanspruchen. Denn es fehlt im Falle Roms und der Kurie vollständig an seriellen Quellen zur Universitätsgeschichte. Zwar muss es einiges gegeben haben – Matrikel z.B. werden in den 1430er-Jahren mehrmals erwähnt (S. 155f., 188f.) –, doch ist all dies, sowie auch gegebenenfalls aussagekräftige städtische Akten, verloren (S. 16). Umfassende Aufstellungen von Quellen und Literatur sowie fast 100 Seiten Personen-, Orts- und Sachregister beschließen das Werk.

Die Geschichte des Kurienstudiums reicht bis weit ins 13. Jahrhundert zurück, sie bleibt angesichts der Vorarbeiten Paravicini Baglianis von Schwarz jedoch unberücksichtigt (dazu S. 2, 11f.). Schwarz’ Darstellung setzt vielmehr im Jahre 1303 ein, als Papst Bonifaz VIII. ein Gründungsprivileg für die Universität Rom ausstellte (S. 31ff., dazu auch Exkurs I, S. 291ff.). Bonifaz’ römisches Projekt war durchaus ambitioniert, es ordnet sich in seine Bemühungen ein, Rom zu einer anderen großen Zentren vergleichbaren Herrscherresidenz und zu einer Art „Welt-Kulturhauptstadt“ (S. 38) auszubauen. Sein baldiger Tod und der Umzug der Kurie nach Avignon aber bremsten die weitere Entwicklung. So haben wir zwar noch vereinzelte Belege für den Fortbestand des Studiums, doch dünnen diese für die Zeit zwischen 1325 und 1367 sehr stark aus. 1368 erfolgte durch Urban V. (der selbst einst Lehrer an der Kurienuniversität gewesen war, siehe S. 96ff.) eine Wiederbelebung. Damals zog die Universität von Trastevere nach S. Eustachio um, wo die Universitätskirche S. Ivo noch heute steht (siehe die Karte auf S. 211). Ein Rotulus von 1378/79 nennt immerhin 55 Angehörige der römischen Universität (dazu S. 71ff., den Exkurs II, S. 311ff., und die Edition auf S. 490ff.)! Das avignonesische Schisma bewirkte jedoch rasch einen erneuten Niedergang, auch wenn es mit dem Versuch zur Neuorganisation unter Mitwirkung Leonardo Brunis (1406, dazu S. 77ff.) ein kurzes Aufleuchten im Zeichen des Frühhumanismus gab. Eine Blütezeit erlebte die stadtrömische Universität hingegen nach 1420 – zeitweise in Assoziation mit der Kurienuniversität – und so gibt es insbesondere ab der Zeit Eugens IV. eine Reihe sehr schöner, zum Teil auch Details des studentischen Lebens und der Studienorganisation beleuchtende Quellenbefunde zu referieren (S. 172ff.).

Die Kurienuniversität ist während des Aufenthaltes des Papsttums in Avignon nur schlecht von der dortigen Stadtuniversität, während des Aufenthalts der Päpste in Rom nur schlecht vom studium Urbis zu trennen. Überhaupt stellte diese Institution eine „Universität sui generis“ (S. 233) dar, die sich nur schwer fassen lässt. Päpstlicher Hof, kuriale Verwaltung und universitäre Organisation durchdringen sich hier in kaum zu durchschauender Weise, zudem ist die Quellenlage disparat. Dennoch zeigt eine genauere Analyse, dass die Kurienuniversität, wissenschaftlich gesehen, oft ein hohes Niveau aufwies, insbesondere auf dem Gebiet der Theologie (etwa S. 89–92), aber auch der Rechtswissenschaft. Ein großer Vorteil muss es gewesen sein, dass die Kurienuniversität den zahlreichen Kurialen aus aller Herren Länder (darunter vielen Deutschen) die Möglichkeit zur Weiterqualifikation bot – eine karrieretechnisch ideale Kombination von Berufstätigkeit, Studium und ‚Beziehungspflege‘. Die vatikanischen Quellen, die ja primär Pfründenangelegenheiten dokumentieren, erweisen sich somit auch in Hinsicht auf die Besucherschaft der Kurienuniversität als recht aussagekräftig. Dass die Darstellung beider Universitätsgeschichten nicht über 1471 hinausgeht, ist sowohl in der Quellen- als auch der verbesserten Literaturlage begründet (S. 2f.), denn bekanntlich blühte die nunmehrige Doppeluniversität in den folgenden Jahrzehnten im Zeichen des Humanismus durchaus auf.

Die institutionellen Gegebenheiten an beiden Universitäten untersucht Schwarz in aller wünschenswerten Ausführlichkeit im Teil B ihrer Untersuchung. Freilich: Vieles, was im Sinne des mittelalterlichen Universitätsmodells selbstverständlich ist, lässt sich nicht oder nur in vagen Spuren greifen. Umso wichtiger ist, dass Schwarz eine systematische Übersicht über all diese verstreuten Belege liefert und dieselben zugleich, soweit möglich, quellenkritisch und sachlich einordnet. Ein stringentes Gesamtbild, das sich in wenigen Sätzen nachzeichnen ließe, ist hieraus aber nicht zu gewinnen. Privilegien und Statuten, das (Leitungs-)Personal und die Professoren, die räumlichen Gegebenheiten, die Finanzierung, das Lehrprogramm und die Graduierungen werden für jede der beiden Universitäten auf jeweils etwa 50 Seiten behandelt, wozu noch mehrere Exkurse zu spezifischen Fragen kommen. Weiterführend ist in diesem Zusammenhang auch der Exkurs VI (ab S. 389), der sich mit der Basler Konzilsuniversität beschäftigt, die ein Imitat des Kurienstudiums gewesen ist.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass es sich bei dem Werk „Kurienuniversität und stadtrömische Universität“ um ein sehr gelehrtes Werk handelt, das die Forschung zu diesen beiden, im Rahmen der römischen Stadtgeschichte, der Geschichte der Kurie und der Universitätsgeschichte, allgemein wichtigen Universitäten auf eine völlig neue Grundlage stellt. Den Materialreichtum und die quellenkritische Akribie dieser Studie werden nur Experten wirklich angemessen zu würdigen wissen. Mit diesem uneingeschränkten Lob muss sich freilich auch eine Warnung verbinden: Ein reiner Lesegenuss ist das Werk nicht. Man wird mit einer stilistisch eher schmucklosen, oft etwas ‚abgehackt‘ klingenden (z.B. S. 182) Darstellung konfrontiert, die oft eher um quellenkritische Erwägungen kreist, als dass sie eine abgerundete Erzählung bietet. Die immensen Schwierigkeiten, die aus der disparaten Quellen- und Literaturlage resultieren, fordern hier erkennbar ihren Tribut. Mit universitätsgeschichtlichen ‚Meistererzählungen‘, wie wir sie andernorts vorfinden, hat dieses Buch also nichts zu tun – und ob hier eine überhaupt zu schreiben wäre, bleibt fraglich. Dennoch wird ein jeder, der sich mit der Geschichte der römischen und der kurialen Universität beschäftigt, sich künftig intensiv mit diesem Werk auseinanderzusetzen haben.