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Titel
Marc Aurel. Philosophie und politische Macht zur Zeit der Zweiten Sophistik


Autor(en)
Horst, Claudia
Reihe
Historia-Einzelschriften 225
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dennis Pausch, Institut für Klassische Philologie, Universität Regensburg

Die römischen Kaiser und ihre persönlichen Vorlieben und Merkwürdigkeiten waren stets Gegenstand eines regen wissenschaftlichen wie außerfachlichen Interesses. Im Gegensatz etwa zu Neros Ambitionen als Musiker gehört Marc Aurels ‚Schwäche‘ für die Philosophie dabei zu den in der Regel nachsichtiger bewerteten Abweichungen von den traditionellen Vorstellungen, was ein vir vere Romanus tun und lassen sollte. Es hat sogar aus Mit- und Nachwelt nicht an Stimmen gefehlt, die diese Entwicklung ausdrücklich begrüßten und in Marc Aurel den – von Platon gleichsam verheißenen – Philosophen auf dem Kaiserthron erblicken wollten. Dennoch bleibt seine Entscheidung, die traditionell andere Schwerpunkte setzende Selbstdarstellung der römischen Monarchen um das Element der Philosophie zu erweitern, bemerkenswert und damit erklärungsbedürftig.

Genau dies ist das Anliegen des hier zu besprechenden Buches, bei dem es sich um die überarbeitete Fassung einer von Claudia Horst 2008 an der Universität Bremen eingereichten Dissertation handelt. Die Autorin möchte bei der Beantwortung dieser Frage weder eine rein biographisch-geistesgeschichtliche, noch eine rein machtpolitische Perspektive einnehmen, sondern das Phänomen aus einer ganzheitlichen kulturwissenschaftlichen Sicht in den Blick nehmen. Dieser ambitionierte interdisziplinäre Ansatz ist mehr als ein modisches Lippenbekenntnis und hat sich in der Arbeit vielfach niedergeschlagen. Dennoch ist unschwer zu erkennen, dass die Verfasserin ihren Schwerpunkt in der Alten Geschichte hat und sich daher auch über weite Strecken einer historischen, vor allem strukturgeschichtlichen Methode bedient. Die auf diese Weise erzielten Ergebnisse lassen sich im Wesentlichen so zusammenfassen: Gerade im Kontext der sogenannten Zweiten Sophistik und ihrem ausgeprägten Interesse an Kultur und Bildung bietet die Beschäftigung mit der Philosophie ein Feld der wechselseitigen Kommunikation zwischen dem Kaiser und der Senatsaristokratie als den entscheidenden gesellschaftlichen Faktoren, auf dem es Marc Aurel gelingt, erfolgreich zu agieren und damit die erforderliche Akzeptanz seiner Herrschaft signifikant zu erhöhen.

Nach einer knappen, aber präzise über die Ziele der Arbeit informierenden Einleitung (S. 11–17) und einem ausführlichen Überblick über die Forschung zu einigen für die weitere Untersuchung grundlegenden Fragestellungen – wie die Akzeptanz der Monarchie oder die Kultur der Zweiten Sophistik – (S. 18–49) wird die eigentliche Argumentation in vier, jeweils 30 bis 60 Seiten umfassenden Kapiteln entfaltet. Dabei schreitet Horst gleichsam von innen nach außen, indem sie im ersten Kapitel, „Das ‚Eigene‘ und das ‚Fremde‘ – Lebenskunst und politische Macht“ (S. 50–108), damit beginnt, diejenigen Diskurse einer näheren Prüfung zu unterziehen, die im 2. Jahrhundert n.Chr. zu einer besonders intensiven Form der medizinischen und philosophischen Introspektion geführt haben und die oft den Eindruck von Rückzug und Weltabgewandtheit vermitteln. Dabei kann sie mit dem Rekurs auf die stoische Oikeiosislehre einerseits und einer eingehenden Interpretation von Marc Aurels Selbstbetrachtungen andererseits zeigen, dass schon hier ein direkter Bezug zur politischen Realität möglich und erkennbar ist.

Dieser Bezug wird im zweiten Kapitel, „Soziale und politische Funktionen der Paideia“ (S. 109–138), mit Blick auf die mit philosophischer Bildung einhergehenden Aufstiegschancen konkretisiert. Hier unterscheidet die Verfasserin zwischen der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit auf der einen und dem kaiserlichen Hof auf der anderen Seite. Während sie die Rolle der Philosophie als Kriterium der Zugehörigkeit zur Oberschicht im allgemeinen eher skeptisch beurteilt und auf die unverändert große Bedeutung ‚harter‘ Faktoren wie materielle Ressourcen und die Erfolge im traditionellen cursus honorum verweist, beobachtet sie in der Mikrogesellschaft des kaiserlichen Hofes gerade unter Marc Aurel einen entscheidenden Wandel, in dem die Karrierechancen durch philosophische Kompetenz entscheidend beeinflusst werden konnten.

Das nächste Kapitel, „Politische Theorie der Zweiten Sophistik – Über die Wiederaufnahme eines klassischen Herrscherideals“ (S. 139–170), nimmt über den Kaiserhof hinaus die Gesellschaft als Ganze in den Blick, und zwar indem das kulturelle Phänomen der Zweiten Sophistik vorgestellt und auf seine Eignung zur politischen Kommunikation hin interpretiert wird. Dies geschieht nach einer kurzen allgemeinen Einleitung in Form von vier Fallstudien zu zentralen Autoren dieser Zeit (Dion Chrysostomos, Plutarch, Aelius Aristides und Philostrat), in denen vor allem gezeigt wird, wie diese Schriftsteller im Medium der Erinnerung an die Vergangenheit versucht haben, Einfluss auf die Wahrnehmung und damit auch auf die politische Gestaltung der Gegenwart zu nehmen (etwa durch die Etablierung eines auch für die Wahrnehmung und Selbstdarstellung der Kaiser wichtigen Diskurses über die Tyrannis).

Im letzten Kapitel, „Marc Aurel und die gesellschaftliche Wirklichkeit der Zweiten Sophistik“ (S. 171–202), wird die Perspektive noch einmal geändert und die Reaktion Marc Aurels auf diese Erwartungen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Hierbei betont Horst ganz im Sinne ihrer generellen These einer stabilisierenden Funktion der Hinwendung zur Philosophie, dass es Marc Aurel in überzeugender Weise gelungen sei, sich diese zunächst von zeitgenössischen ‚Intellektuellen‘ entwickelten Vorstellungen anzueignen und zur Steigerung der Akzeptanz seiner Herrschaft einzusetzen. Die Arbeit endet mit einem „Macht und Vertrauen“ betitelten Fazit (S. 203–205) und wird nach dem Literaturverzeichnis (S. 206–217) von einem ausführlichen Registerteil gut erschlossen (S. 218–232).

Auch wenn sicherlich gute Gründe dafür sprechen, sich in einer solchen Untersuchung auf die Regierungszeit Marc Aurels selbst und die zeitgenössischen Stimmen zu konzentrieren, wäre es doch reizvoll gewesen, die Beurteilung des Experimentes einer philosophisch legitimierten Monarchie auch außerhalb des Sonderfalls der Bildungskultur der Zweiten Sophistik noch ausführlicher in den Blick zu nehmen und dabei stärker auf mögliche Differenzen in der Wahrnehmung einzugehen. Auf diese Weise hätte sich der positiven Sichtweise Herodians, die von der Verfasserin zu Recht angeführt wird (S. 199–202), vielleicht das kritischere oder zumindest sehr ambivalente Bild vom ‚Philosophen auf dem Kaiserthron‘ entgegensetzen lassen, das sich aus den einschlägigen Biographien in der sogenannten Historia Augusta ergibt, zu denen neben der doppelbödig-ironischen vita Marci Antonini philosophi selbst auch die wegen ihrer Unzuverlässigkeit besonders berüchtigte vita Avidii Casii gehören, die hier zwar beide als historische Quellen herangezogen, aber nicht immer in ihrer literarischen Komplexität berücksichtigt werden.

Dieser Einwand soll aber in keiner Weise von den großen Verdiensten der Studie ablenken, in der die zur Diskussion gestellte Frage, welche Rolle die Philosophie für die große Akzeptanz der Herrschaft Marc Aurels gespielt hat, in einer ebenso kenntnisreichen wie überzeugenden Argumentation beantwortet wird. Darüber hinaus eröffnet Claudia Horst aber zugleich ein breiteres Panorama auf die Kultur der Zweiten Sophistik, das nicht zuletzt deswegen eine wichtige Ergänzung der Forschungslandschaft bietet, als sie über weite Strecken nicht die Perspektive der Autoren, sondern des Kaisers als Akteur auf dem Feld der Bildung einnimmt.

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