P. Armstrong (Hrsg.): Authority in Byzantium

Cover
Titel
Authority in Byzantium.


Herausgeber
Armstrong, Pamela
Reihe
Publications of the Centre for Hellenic Studies, King's College London 14
Erschienen
Farnham 2013: Ashgate
Anzahl Seiten
366 S.
Preis
£ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Grünbart, Institut für Byzantinistik und Neogräzistik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

In diesem Judith Herrin gewidmeten Band stehen Beiträge zu den Themen Autorität, Macht und Einfluss im Byzantinischen Reich im Mittelpunkt. Die 20 Artikel sind in neun Kapitel gruppiert, denen teilweise unterschiedlich lange „responses“ beigegeben sind.

In der „Preface“ (S. XXI) wird auf den Anlass Bezug genommen, gefolgt von einem biographischen Einleitungskapitel aus der Feder der Gefeierten, das man auch auf Deutsch in ihrem jüngst erschienenen Buch nachlesen kann.1 Eine Definition oder kulturgeschichtliche Einbettung des Begriffes ‚authority‘ sucht man vergeblich, es wird auch nicht die byzantinische Terminologie diskutiert.2

I. The Authority of the State – Jonathan Shepard beleuchtet die hervorgehobene Funktion des byzantinischen Kaisers und das Register von autoritätsstiftenden Aktionen, die ihm zur Verfügung standen.3 Die Hauptstadt Konstantinopel bildete über Jahrhunderte das nicht angezweifelte und bewunderte Zentrum, in dem der Souverän wohlgeordnet seinen Hof führen konnte. Die Stadt war die Bühne seines Wirkens, für deren Wohlergehen er sorgen musste (Infrastruktur). Der Kaiser garantierte sowohl Sicherheit in der Stadt als auch im Umgang mit dort tätigen auswärtigen Handelspartnern. Die Stadt galt als geschützte Anlaufstelle beim Güteraustausch, den der Kaiser moderierte. Allerdings enttäuscht die geringe Dichte an erhalten gebliebenen Informationen zur Verwaltung dieser Metropolis.

Ruth Macrides untersucht das längere Zeit kaum behandelte Thema der Feuerprobe in Byzanz.4 Aufgezeichnete Fälle dieses Beweisverfahrens findet man gehäuft im 13. Jahrhundert (in den Dokumentensammlungen des Ioannes Apokaukos, Demetrios Chomatenos und eine lange Beschreibung bei dem Historiographen Georgios Pachymeres). Michael VIII. Palaiologos hatte 1259 einen Erlass herausgegeben, in dem er den Missbrauch der Probe verbot, was einen Anstieg dieses Verifikationsverfahrens vermuten ließe. Es stellte sich auch die Frage, ob es sich dabei um einen westlichen Import handelte, was durch die Fragmentierung des Kaiserreiches erleichtert worden wäre. Zeigte sich dadurch tatsächlich eine Schwächung des römischen Rechtssystems? Die Feuerprobe wurde als barbarisch und nicht-römisch/byzantinisch angesehen. Wenn man die Fälle betrachtet, bei denen sie angewendet wurde, dann kann man in der Tat ähnliche Konstellationen wie im Westen finden (zum Beispiel bei Ehebruch). Ein von Macrides angeführtes Scholion zu einer Handschrift des 10. Jahrhunderts (Sophokles Antigone v. 264, mydros [„heißes Eisen“]) bringt keine wirkliche Lösung, da dort vermerkt wird, dass dies von den Römern irrend in hellenischer Art bis zum ‚heutigen‘ Tag gemacht werde. Da man nicht weiß, wann der Scholiast lebte, endet diese Angabe in der Aporie. Die Autorin meint, dass das Verfahren nicht unbemerkt in das byzantinische Rechtssystem einwanderte, sondern von christlichen Kaisern eingeführt und dann angewendet wurde, wenn es keine andere Art der Wahrheitsfindung gab.

Sergei Ivanov macht darauf aufmerksam, dass man sich bei der Beschäftigung mit byzantinischen Kaiserdarstellungen noch kaum den Inschriften und Selbstbezeichnungen auf Artefakten gewidmet hat.5 In der Anthologia Palatina kommen Epigramme vor, die klar darauf hinwiesen, dass der Kaisername im Nominativ auf Statuen angebracht war. Ein Paradebeispiel stellt die Basis einer Statue des Constantinus Caesar dar (S. 50). Dazu tritt das Phänomen, dass bei imperialen Standbildern auch auf die Nennung verzichtet wurde, da die Personifikation der Macht durch eindeutige ikonographische Konnotationen dargestellt war. Waren in der frühbyzantinischen Zeit Kaiserstatuen üblich, so änderten und verflachten später die Medien imperialer Abbildungen; man könnte in einer Weiterführung der Fragestellung auch Münzen und Mosaiken mit einbeziehen.

II. Authority in the Marketplace – Cécile Morrisson stellt in ihrem Beitrag überblicksartig Stellen zur Funktion von Münzen, der kaiserlichen Ikonographie sowie deren Rezeption durch ihre täglichen Benutzer zusammen.6 Man könnte noch auf die Rezipienten eingehen: Wie nahmen sie die Münzbilder auf, was wog mehr – Bild oder Text, wie erkannte man die Münzbilder/Veränderungen, verstand man die Inschriften, was sagen die Münzbezeichnungen in den Quellen aus?7

Johannes Koder wertet eine zentrale Quelle des städtischen Marktwesens aus, das so genannte Eparchenbuch, um die Funktion des ‚Bürgermeisters‘ von Konstantinopel und die Funktionsträger unter ihm in juristischer und fiskalischer Hinsicht zu betrachten.8 Lose werden übersetzte Partien aus normativen Quellen beigegeben, die Liste von Eparchen endet im beginnenden 10. Jahrhundert, wenngleich der Beitrag auch das 12. Jahrhundert miteinschließt (S. 91 – gerade bei Ioannes Tzetzes findet man öfters Reflexe der städtischen Administration). Beide Beiträge lassen den Komplex 'Schwarzmarkt' und 'Falschmünzerei' außer Betracht: Beide Phänomene stehen in Opposition zur Autorität des Marktes und des Münzherren. Es gab neben dem durch den Eparchen geordneten Handelsbetrieb auch unkontrollierten Güteraustausch und auch die Falschmünzerei, die Autorität missachtet.9

III. The Authority of the Church – Jane Baun widmet sich den Lebensphasen des heranwachsenden Menschen in der byzantinischen Gesellschaft, die durch bestimmte Riten begleitet wurden (Namensgebung, Taufe, Beginn der schulischen Unterweisung und Pubertät).10 Günter Prinzing betrachtet die kirchlichen Verhältnisse im epirotischen Teil-Nachfolgereich des Kaisertums von Konstantinopel und fokussiert dabei auf Demetrios Chomatenos, Erzbischof von Ohrid. Von seiner Tätigkeit hat sich eine umfangreiche Dokumentensammlung erhalten, die Rückschlüsse auf das mannigfaltige Wirken in einer ländlich geprägten/hauptstadtfernen Gesellschaft zulässt.11

IV. Authority within the Family – Christine Angelidi untersucht einige Quellen (Hagiographie und Briefe), um Spuren familiärer Beziehungen und Netzwerke aufzufinden.12 Ob man aufgrund der Quellengattungen wirklich große und kleine Familienverbände ausmachen kann, scheint fragwürdig, da die Quellendichte einfach zu gering ist. Besonders die Vita Philareti, die Briefsammlung des Niketas (Helladikos) (Mitte des 10. Jahrhunderts – dass seine Briefe persönlicher Gefühle entbehrten [„lacking direct expression of personal emotions“ (S. 160)], scheint im Zuge der rezenten Emotionsforschung zumindest diskussionswürdig), die Werke des Symeon Neos Theologos und des Michael Psellos werden untersucht, allerdings scheint der Bezug zur Konstitution von Autorität/Einfluss durch „family ties“ nur marginal behandelt zu sein. Anne Alwis beleuchtet auf der Basis von spätantiken Heiligenviten verheiratete Paare, die auf sexuellen Umgang verzichteten und dadurch die Autoritätsvorstellungen im spätantik-christlichen Familienleben auf eine Probe stellten.13

V. The Autority of Knowledge – Paul Magdalino stellt die Vita Basilii, die Lebensbeschreibung Kaiser Basileios I., die nicht vor dem Regierungsantritt Konstantinos VII. (945) verfasst wurde, in den Mittelpunkt seiner Analyse.14 Warum wurde dieses „modest piece of biographical whitewash“ (S. 203) mit so viel Aufwand produziert? Der neue Kaiser musste etwas gegen die antimakedonische Meinung, auf dem der nicht unumstrittene Machtantritt Basileios I. gründete, unternehmen und Gerüchte zurückdrängen, da die Chronik des Symeon Logothetes positiv der Lakapenos-Dynastie gegenüberstand (Romanos Lakapenos hatte Konstantinos, aus der Makedonen-Dynastie, zurückgedrängt und versucht, eine neue Herrscherfamilie zu installieren). Unter Konstantinos VII. wurden nachweislich auch auf anderen Gebieten (teilweise tendenziöse und manipulative) Kompilationstätigkeiten unternommen; anders als sein Vater Leon, der als einziger byzantinischer Kaiser den Beinamen ‚Weiser‘ (sophos) erhielt, tat der Sohn sich weniger durch Eigenkompositionen (wie Homilien, Reden) hervor, verschaffte sich aber durch seine enzyklopädischen Tätigkeiten nachdrücklich Ruhm. Magdalino kommt zu dem Schluss, dass „history writing was for him [Konstantin VII.] an exercise in imperial authority, comparable to legislation and codification“ (S. 208).

Charalambos Bakirtzis versucht dem Leser anhand von bunt zusammengewürfelten Exempeln zu erschließen, wie man Autorität in archäologischen und kunsthistorischen Forschungen nachweisen kann.15 Wenn ein Kloster innerhalb von alten, frühchristlichen Mauern errichtet wird (Synaxis, Thrakien), dann setzte man sich bewusst in Bezug zu den Vorgängern. Im selben Kloster wurde der Thron des Abtes aus spätantiken Spolien zusammengestellt, was die Autorität des Baues/Abtes untermauert. Beispiele aus der Monumentalmalerei zeigen ähnliches. In Pherrai (Thrakien) etwa kann man bei Heiligendarstellungen wahrscheinlich Mitglieder der Komnenen-Familie entdecken, die Isaakios Komnenos, dem Stifter der Kirche in der Mitte des 12. Jahrhunderts, ein entsprechendes Ambiente schufen. Bei Isaakios ist anzumerken, dass er durch die Deponierung seiner schriftlichen Werke in seiner Stiftung für die Nachwelt auch als Autorität greifbar bleiben wollte. Durch Nachahmung, was auch Anknüpfung an die Tradition bedeutet, schafft man sich in der Gegenwart Anerkennung.

Dionysios Stathakopoulos stellt an den Beginn seines Beitrages den Prozess gegen Konstantinos Chrysomalles, der aufgrund seiner Tätigkeiten als Laienpriester verurteilt wurde.16 Argumentiert wird mit einem Analogieschluss zur medizinischen Ausbildung: Der Kandidat muss einige Stufen zur Approbation und Prüfung durchlaufen. Allerdings lassen sich im Osten seit Kaiser Julian keine Vorschriften zur medizinischen Approbation nachweisen. Ein hervorragendes Dokument stammt vom Hofe Rogers II., der den medizinischen Betrieb auf seinem Territorium zu regeln und die Kontrolle zu zentralisieren versuchte (was auch dem Anwachsen des Bedürfnisses nach ärztlicher Versorgung geschuldet war, denn im 11./12. Jahrhundert nahm die städtische Bevölkerung zu und Standardisierung war notwendig geworden).

VI. The Authority of the Text – Albrecht Berger versucht anhand ausgewählter Passagen aus theologischer Literatur und Hagiographie zu eruieren, ob die Verfasser den normierten Vorstellungen von religiöser Autorität stets folgten oder ob sie ambivalente Einstellungen an den Tag legen konnten (und durften).17 Das bekannte Gedicht des Christophoros Mitylenaios gegen einen Mönch, der Knochen Normalsterblicher als Gebeine von Heiligen verkauft, wird als Beleg für die kritische Einstellung gegenüber der Reliquienverehrung angeführt.

Alicia Simpson analysiert das Geschichtswerk des Niketas Choniates, der gerne seine Vorbilder Plutarch, Flavius Josephus und Diodor von Sizilien, imitierte.18 Die Verwendung dieser Vorbilder war eher ideologischer, denn stilistischer Natur. Trotzdem holte sich Niketas – wie immer bei mimetischem Verhalten – auch Anregung und Inspiration durch die Verarbeitung der Exempla. Marc Lauxtermann entführt den Leser in das 16. Jahrhundert und in die Bibliotheksgeschichte.19 Er versucht Strategien der Auswahl der Handschriftensammler und –schreiber herauszufiltern. Welche Texte galten anerkanntermaßen als Autoritäten?

VII. Exhibiting Authority in Provincial Societies – Als Grundlage zur Bewertung von Autorität und Kompetenzhoheit in byzantinischen Provinzen verwendet Leonora Neville in ihrem Beitrag Urkunden vom Berg Athos, die teilweise detailliert Auskunft über Verhandlungen zwischen lokalen Vertretern und Mönchen geben.20 Spannend ist dabei zu verfolgen, wie die Dokumente die Dynamiken der Interaktionen der Parteien widerspiegeln. Neville versucht aufzuspüren, wer auf lokaler Ebene autoritativ auftreten konnte – nicht die große Rolle spielten dabei die Personen mit Titeln, wie die Unterschriftenlisten belegen.

VIII. Exhibiting Authority in Museums [sic] – M. Vassilaki führt durch die 2008/09 in London stattgefundene Byzanz-Ausstellung.21

IX. Authority in Byzantine Studies – Die drei hier versammelten Lebensbilder der Byzantinisten (!) Georg Ostrogorsky (1902–1976) von Ljubomir Maksimović, Hans-Georg Beck (1910–1999) von Vera von Falkenhausen und Robert Browning (1914–1997) von Elizabeth Jeffreys gehen der Frage nach, wie man Autorität innerhalb des Faches und darüber hinaus erlangt – und was bleibt.

Lässt man die Beiträge Revue passieren, so bleibt ein gemischter Eindruck: Da eine vorgegebene Begriffsbestimmung fehlte, suchten die Beitragenden eigene Wege, ‚Autorität‘ in ihren Teilbereichen zu finden. Dementsprechend verschieden und anregend fiel das Ergebnis aus. Trotz dieser Atomisierung werden zukünftige Fragestellungen zum Thema „Autorität in Byzanz“ an diesem Band nicht vorbeiführen können.

Anmerkungen:
1 Judith Herrin, Byzanz. Die erstaunliche Geschichte eines mittelalterlichen Imperiums, Stuttgart 2013; Vgl. auch Rezension auf H-Soz-u-Kult: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-2-131>, Zugriff am 05.05.2014.
2 Erst im Beitrag von Günter Prinzing findet sich auf S. 137 eine Auflistung von griechischen Wörtern, die das Bedeutungsfeld abstecken, authentia könnte noch hinzugefügt werden.
3 Aspects of Moral Leadership: The Imperial City and Lucre from Legality, S. 9–30.
4 Trial by Ordeal in Byzantium: On whose Authority?, S. 31–46.
5 A Case Study: The Use of the Nominative on Imperial Portraits from Antiquity to Byzantium, S. 47–58.
6 Displaying the Emperor’s Authority and Kharaktèr on the Marketplace, S. 65–82.
7 Siehe etwa Frederick Lauritzen, The Miliaresion Poet: The Dactylic Inscription of a Coin of Romanos III Argyros, in: Byzantion 79 (2009), S. 231–240, der argumentiert, dass dieser Kaiser seine Gelehrtheit durch eine besondere Münzinschrift öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck bringen wollte.
8 The Authority of the Eparchos in the Markets of Constantinople (According to the Book of the Eparch), S. 83–108.
9 Siehe dazu die Studie von Eleutheria Papagianne, Monachoi kai maure agora sto 12o aiona. Paratereseis se problemata tu eparchiku bibliu, in: Byzantiaka 8 (1988), S. 59–76.
10 Coming of Age in Byzantium: Agency and Authority in Rites of Passage from Infancy to Adulthood, S. 113–135.
11 The Authority of the Church in Uneasy Times: The Example of Demetrios Chomatenos, Archbishop of Ohrid, in the State of Epiros 1216–1236, S. 137–150.
12 Family Ties, Bonds of Kinship (9th–11th Centuries), S. 155–166.
13 The Limits of Marital Authority: Examining Continence in the Lives of Saints Julian and Basilissa, and Saints Chrysanthus and Daria, S. 167–179.
14 Knowledge in Authority and Authorised History: The Imperial Intellectual Programme of Leo VI and Constantine VII, S. 187–209.
15 The Authority of Knowledge in the Name of the Authority of Mimesis, S. 211–226.
16 On Whose Authority? Regulating Practice in the Twelfth and Early Thirteenth Centuries, S. 227–238.
17 Believe It or Not: Authority in Religious Texts, S. 237–258.
18 From the Workshop of Niketas Choniates: The Authority of Tradition and Literary Mimesis, S. 259–268.
19 „And many, many more“: A Sixteenth-Century Description of Private Libraries in Constantinople, and the Authority of Books, S. 269–282.
20 Organic Local Government and Village Authority, S. 285–295.
21 Exhibiting Authority: Byzantium 330–1453, S. 299–323.