Jahrestage sind auch für die historische Forschung wichtige Orientierungspunkte. Der Aufmerksamkeitsfokus der wissenschaftlichen Gemeinschaft funktioniert in dieser Hinsicht nicht anders als jener der breiten Öffentlichkeit, die sich besonders zu Jubiläen an vergangene Schlachten, Kriege und anderes Denkwürdiges erinnert. Es ist deshalb kein Zufall, dass sechzig Jahre nach dem Ende des Koreakrieges 1953 vergleichsweise viele Publikationen auf den (Buch-)Markt kommen, die sich mit diesem Konflikt beschäftigen, den der damalige US-Präsident Harry S. Truman eine „police action“ nannte, ehe er sich zu einem „full scale war” auswuchs und später in der Erinnerungsforschung lange Zeit als „The Forgotten War” galt. Und neben zahlreichen englischsprachigen Neuerscheinungen zum Koreakrieg1 gehört auch Bernd Stövers „Geschichte des Koreakriegs“ sicher zu jenen Werken, die ihr Entstehen nicht zuletzt diesem Funktionieren des Aufmerksamkeitsfokus verdanken.
Die Monografie, die Stöver über den Koreakrieg geschrieben hat, ist deshalb aber keine schlechte. Sie ist eine solide Überblicksdarstellung über diesen ersten heißen Krieg des Kalten Krieges – womit durch diese Genrezuordnung schon die zentralen Stärken und Schwächen des Buchs benannt und begründet wären, die sich so zusammenfassen lassen: Es gelingt Stöver einerseits inhaltlich gut und flüssig lesbar, die Geschichte des Koreakrieges nachzuzeichnen. Vom Standpunkt der historischen Forschung aus Neues sucht man andererseits auf den circa 270 Seiten ebenso vergeblich wie umfassend materialgesättigte Passagen; dafür gibt es einen nützlichen Anhang unter anderem mit Hinweisen auf Primärquellen zur Vertiefung des Themas. So ist das eben mit Überblicksdarstellungen.
Allerdings: Womit Stöver punkten kann und was seine Darstellung von manch anderer (zumindest graduell) unterscheidet, ist die umfassende historische Einordnung des Koreakrieges, die er vornimmt. Sie soll und kann seine – nicht unbedingt originelle – These stützen, nach der der Koreakrieg „eine Vielzahl von teils global spürbaren Wirkungen [entfaltete]. Dabei war er allerdings nur Beschleuniger, kaum Auslöser von Veränderungen.“ (S. 17)
Der Potsdamer Historiker, der unzweifelhaft eine deutsche Kapazität für die Geschichte des Kalten Krieges ist, beginnt seine Erzählung vom Koreakrieg nicht mit dem Angriff Nordkoreas auf den Süden am 25. Juni 1950. Stöver beginnt ganz vorne. Nach einer kurzen Einleitung verweist er auf die Geschichte Koreas als japanische Kolonie im frühen 20. Jahrhundert und blickt in diesem Kapitel sogar kurz bis ins 7. Jahrhundert zurück, erinnert an die über Jahrhunderte hinweg engen Beziehungen Koreas zu China. Dann beschreibt er die Teilung Koreas nach dem Zweiten Weltkrieg in einen kapitalistischen Süden und einen kommunistischen Norden.
Ähnliches tut er nach dem Hauptteil des Buches, der sich freilich um die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Nord- und Südkorea 1950 bis 1953 dreht, die auch ein Krieg zwischen China und Sowjetunion auf der einen und den USA und den Vereinten Nationen auf der anderen Seite war. Stöver beendet seine Ausführungen nämlich nicht mit dem Abschluss des Waffenstillstandes zwischen Nord- und Südkorea am 27. Juli 1953, der zwar das Ende großer Gefechte brachte, der aber beide Staaten bis heute de jure im Kriegszustand hält. Stattdessen macht Stöver auf fast 100 Seiten eindringlich klar: Korea ist heute die letzte verbliebene Front des Kalten Krieges; eine, die die große Systemauseinandersetzung überdauert hat. Stöver beschreibt Grenzzusammenstöße zwischen den beiden Staaten in den Jahrzehnten nach dem Waffenstillstand und vergisst dabei nicht auf die Komplexität des Alltages an der Demarkationslinie entlang des 38. Breitengrades hinzuweisen; womit er Schwarz-Weiß-Malereien gerade bei Schuldfragen – „Wer hat zuerst geschossen?“ – vermeidet. Er erinnert an die Familien, die der Koreakrieg zerrissen hat, was auch eine soziale Spaltung des Landes nach sich zog. Und Stöver behandelt die Kriegsgefangenen-Problematik ausführlicher, die auch lange nach dem Ende des Schießens alle beteiligten Nationen beschäftigte, ehe er einen Bogen bis zu den jüngsten nordkoreanischen Atombombentests spannt. Diese historische Einbettung des Krieges gelingt Stöver gut.
Im Hauptteil zeichnet Stöver vorwiegend ereignisgeschichtlich und chronologisch den Verlauf des Krieges nach, geht auf Frontverläufe ein, nennt eingesetzte Waffensysteme, erläutert politische Entscheidungsprozesse in Washington, Moskau, Peking und vergisst dabei doch nicht, immer wieder verschiedene thematische Exkurse in seine Erzählung einzuflechten, die auch der Versuch sind, den Krieg aus einer koreanischen Perspektive zu sehen und zu verstehen. Im Unterkapitel „Der verdrängte Bürgerkrieg“ beschreibt Stöver beispielsweise, wie sehr der Konflikt tatsächlich nicht nur ein globales Ereignis war, mit Auswirkungen auf die Politik der Supermächte. Er zeigt, dass der Krieg – weil er auf dem Heimatboden der Koreaner ausgetragen wurde – diese Menschen ganz unmittelbar betraf und so nicht nur ein heißer Krieg im Kalten Krieg war, sondern auch ein Gewaltausbruch, in dem sich innerkoreanische Spannungen entluden, was zu immer neuen Eskalationen bis hin zu Massakern führte. Gewalt produzierte Gegengewalt. Dass der Blick Stövers auf Korea und den Koreakrieg trotz solcher Exkurse im Großen und Ganzen ein westlicher bleibt, ist nicht überraschend. Eine Geschichte des Koreakrieges aus einer nord- oder südkoreanischen Perspektive sähe anders aus.
Trotz (oder in diesem Fall wirklich: wegen?) seiner Expertise für den Kalten Krieg rutschen Stöver vor allem in den Hauptteil des Buches – bisweilen aber auch in die davor und die danach liegenden Seiten – allerdings immer wieder Formulierungen, die komplexe Sachverhalte selbst für eine Überblicksdarstellung zu stark verkürzen; und das regelmäßig auch noch ohne dass Stöver Belege für seine so aufgestellten Thesen liefert. Wenn er zum Beispiel davon schreibt, Korea sei nach dem Ende des Krieges ein „im Inneren tief zerrissene[r] Doppelstaat [gewesen], dessen Bevölkerung sich kaum etwas so sehr ersehnte wie ein wiedervereinigtes Land“ (S. 17), hätte man schon gerne gewusst, auf welche Quelle(n) sich diese psychologisierende Feststellung stützt. Eines solchen Verlangens kann man sich ebenfalls nicht verschließen, als Stöver eine direkte Linie von den amerikanischen Atombombenabwürfe zur Kapitulation der Japaner im Zweiten Weltkrieg zieht (vgl. S. 33), obwohl bis heute höchst umstrittensten ist, ob die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki tatsächlich den entscheidenden Ausschlag für den Entschluss des Kaiserreichs zur Kapitulation gab, wenngleich niemand ernsthaft bestreitet, dass der Einsatz der Bomben einer von mehreren Gründen im japanischen Kalkül war. Und nicht zuletzt zu unkritisch geht Stöver auch mit der Aussage aus Trumans Memorieren um, nach welcher der US-Präsident Korea schon seit dem Frühjahr 1948 als potenziellen Krisenherd gesehen haben will (vgl. S. 41). Bei dieser Behauptung gilt es immer zu fragen, ob sie nicht eine in der Rückschau gebrauchte Schutzbehauptung Trumans ist, was Stöver aber überhaupt nicht tut – obwohl er kurz zuvor anreißt, wie unwichtig Korea bis zum 25. Juni 1950 in weiten Teilen des amerikanischen Establishments galt (vgl. S. 40). Übermäßige Vereinfachungen dieser Art ziehen sich durch das ganze Buch.
In der Gesamtbetrachtung ändert diese Kritik aber nur wenig daran, dass Stöver mit seiner „Geschichte des Koreakriegs“ eine solide Überblicksdarstellung vorgelegt hat. Wer sechs Dekaden nach Kriegsende in das Thema einsteigen möchte, ist mit dem Buch gut bedient.
Anmerkung:
1 Für englischsprachige Neuerscheinungen zum Koreakrieg aus dem Jahr 2013 vgl. beispielhaft: Wada Haruki, The Korean War: An International History, Lanham 2013; Arthur H. Mitchell, Understanding the Korean War: the Participants, the Tactics and the Course of Conflict, Jefferson (North Carolina) 2013; James N. Butcher, Korea: Traces of a Forgotten War, Ashland (Oregon) 2013.