Cover
Titel
Screening the East. Heimat, Memory and Nostalgia in German Film Since 1989


Autor(en)
Hodgin, Nick
Erschienen
Oxford 2013: Berghahn Books
Anzahl Seiten
222 S., 20 Abb.
Preis
£18.50 / € 24,45
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hilde Hoffmann, Department of German, Scandinavian & Dutch, University of Minnesota, Minneapolis

Die Veröffentlichung des britischen Kultur- und Filmwissenschaftlers Nick Hodgin ist hochwillkommen, da bisher nur wenige Publikationen zum Nachleben der DDR im bundesdeutschen Spielfilm vorliegen. Hodgins Studie basiert auf über achtzig Spielfilmen und deckt damit fast zwei Jahrzehnte ab (1989-2008). Der umfangreiche Filmkorpus sowie die lange Zeitspanne machen das gerade als Paperback erschienene Buch zu einem wertvollen Überblickstext.

Im ersten Teil des Buches breitet Nick Hodgin den sozialen und politischen Kontext der Nachwendejahre kenntnisreich und detailliert aus. Als Kulturhistoriker interessiert sich Hodgin vorrangig für die Wechselwirkung zwischen nationalem Kino und nationaler Identität infolge von Wende, Zusammenbruch der DDR und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Hierbei perspektiviert er Film als kulturhistorische Quelle, die „enables us to view a particular society at a particular time“ (S. 4). Hodgins Ausgangsthese ist, dass sich mit dem Verschwinden der DDR eine spezifisch ostdeutsche Identität im Film entwickelt hat. Er untersucht die Darstellung des Ostens im Kinospielfilm und den Anteil des fiktionalen Films an der Debatte rund um ostdeutsche Identität seit 1989. Hierbei leiten ihn folgende Fragen: Wie wird der Osten visuell repräsentiert? Wie wird eine ostdeutsche Identität dargestellt? Was sind die dargestellten Effekte der Vereinigung auf die Bevölkerung der ehemaligen DDR? Werden in den Filmen klare Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen im Film sichtbar? Und verneinen oder erweitern diese Repräsentationen die Vorstellung einer homogenen nationalen Identität?

Die drei Konzepte „Heimat, Memory and Nostalgia“ (S. 7) betrachtet Hodgin als entscheidend für die filmische Beschäftigung mit dem ‚Osten’ nach dem Zusammenbruch der DDR. Mithilfe dieser Konzepte untersucht er den breiten Filmkorpus. Hierbei unterscheidet er fünf Phasen filmischer Produktion zum Thema ‚Ostdeutschland, nach der DDR’. Er organisiert die Filme chronologisch, jedoch auch thematisch sowie konzeptuell. Für jeden Zugang wählt Hodgin eine Gruppe von Filmen, analysiert sie detailliert und nennt weitere Filme, die sich mit dem jeweiligen Modell in Verbindung setzen lassen. So überschneiden sich die drei Herangehensweisen gewinnbringend. Filme sowie ästhetische Formen werden mit öffentlichen Debatten, kulturellen und politischen Diskursen in Beziehung gesetzt, um im Anschluss der leitenden Frage nach einer Post-DDR-Identität nachzugehen.

Im zweiten Kapitel wendet sich Hodgin den direkt nach der Wende produzierten Komödien zu. Hier wird nach seiner Meinung humorvoll eine ostdeutsche Identität artikuliert, um die ostdeutsche Heimat gegen Übernahmeversuche des kapitalistischen Westen zu verteidigen. Unter dem Titel „Heimat Stories: East Meets West“ nutzt der Autor das westdeutsche Genre des Heimatfilms als Folie, um die Filme zu untersuchen. Die in den 1950er-Jahren ausgearbeiteten Konventionen des Heimatfilms durchziehen demnach alle frühen Wende-Filme und werden für gegenwärtige Konflikte und gesellschaftliche Veränderungen aktualisiert. Diese frühen Filme sind laut Hodgin nicht an einer sozialistischen, sondern an einer deutschen Heimat interessiert, die offen für die Erinnerung aller ist (S. 42). Auch wenn das Konzept „Heimat“ sich weiterhin durch die zum Themenkreis produzierten Filme zieht, ändert sich die Funktion von und die Perspektive auf Heimat in den späten 1990er-Jahren radikal. Nun, so beschreibt Hodgin, wird eine spezifisch ostdeutsche Heimat in der verschwundenen DDR thematisiert. Unter dem Titel „Lost Landscapes“ spielen im dritten Kapitel Landschaften, die zu Orten kollektiver Erinnerung werden, eine zentrale Rolle. Oft als Roadmovie erzählt, führen die Filme in die Provinz und an die Ränder der neuen Republik. Es sind Geschichten von verlorenen Lebensräumen und Utopien, in denen die Bewohner nur noch Beobachter der Veränderungen sind.

Ein eigenes Kapitel ist den weniger beachteten, skurrilen Filmen der 1990er-Jahre gewidmet. Hodgin stellt unter dem Titel „At the back of Beyond: Heimat East“ Arbeiten einer jüngeren Filmemachergenration vor, die sich mit oft bitterem Humor über die eingeschliffenen filmischen Konventionen hinwegsetzen und die Stereotypen von Ost- und Westdeutschen bis ins Groteske überspitzen oder zerstören. Hier werden die problematische gesamtgesellschaftliche Situation und die immer noch schlechte sozioökonomische Situation des Ostens nach der Wende thematisiert. Erst die Filme des fünften Kapitels, „Berlin: Disorientation/Reorientation“, lassen die entfernten Landschaften und die Provinz hinter sich. Seit den 1990er-Jahren geht es in diesen Großstadtfilmen – meist wird Berlin als Metropole thematisiert, in der die Bewohner und die Geschichte der beiden deutschen Staaten aufeinander treffen – um Individuen, die sich zwischen Zukunft und Vergangenheit einen eigenen Weg suchen müssen.

Zum Ende des Buches geht es unter dem Titel „Good bye, Ostalgie?“ um die nostalgische Wende der 2000er-Jahre. Hodgin beschreibt, wie eine ganze Reihe ökonomisch erfolgreicher Filme zu spezifischen Osterfahrungen einladen. Bilder und Geschichten lassen eine idealisierte sozialistische DDR gegen die kulturelle Übermacht des Westens auferstehen. Hodgin deutet das Phänomen der ‚Ostalgie’ als eine Strategie, die vor vollständiger kultureller Assimilierung an den Westen bewahrt und zu einem spezifisch ostdeutschen Gedächtnis und zu einer eigenen ostdeutschen Identität ermutigt.

Wie genau ‚ostdeutsches Gedächtnis‘ und ‚ostdeutsche Identität‘ zu verstehen ist, bleibt allerdings unklar. Weder der Begriff des Gedächtnisses noch der Terminus der Identität werden theoretisch reflektiert. Identität erklärt Hodgin zwar in der Einleitung mit Rückgriff auf Benedict Anderson als Resultat von Aushandlungsprozessen – Identität wird also nicht als ‚natürliche’ Größe, sondern als gesellschaftlich erzeugte Imagination verstanden. Wie schnell das Konzept Identität jedoch problematisch werden kann, zeigt sich, wenn die hier beschworene ‚ostdeutsche Identität’ ganz ungewollt erneut zum ‚Anderen’ des Normalfalls – der westdeutschen Mehrheit – wird.

Auch wenn die Frage der „Identität“ nicht alle Leserinnen und Leser überzeugen wird, ist Screening the East von Nick Hodgin empfehlenswert. Durch den kenntnisreichen Überblick zu Anfang des Buches können Einsteiger sowie Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen einen gewinnbringenden Zugang zum Thema finden. Der Autor beweist mit dem vorliegenden Buch eine profunde Kenntnis des zeitgenössischen deutschen Spielfilms, der sich mit dem Nachleben der DDR beschäftigt. Die umfassende Filmografie wird auf hohem Niveau gesellschaftspolitisch und ästhetisch kontextualisiert. Ein besonderes Verdienst von Hodgin ist dabei die Erfassung wenig bekannter Filme.

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