Printing a Mediterranean World beschreibt die Geschichte eines Buches, das als eines der ehrgeizigsten Buchprojekte der italienischen Renaissancegeographie und zugleich als Meilenstein der humanistischen Ptolemäus-Rezeption gilt: die 1482 in Florenz erschienene Septe giornate della geographia des Dichters und Gelehrten Francesco Berlinghieri. Der Text ist, angelehnt an die Göttliche Komödie Dantes, in Versform verfasst und referiert neben antiken Autoritäten eine Fülle mittelalterlicher und zeitgenössischer Quellen. Durch umfangreiche Illustrationen und die Beigabe handkolorierter Karten trug das Buch zugleich zur Bildwerdung der ptolemäischen Überlieferung in der Renaissance bei, die traditionell als Beginn moderner Kartographie identifiziert wird. In der Kombination von Manuskript und Druck überschnitten sich bei der Herstellung des Werkes mittelalterliche und neuzeitliche Buchkultur.
Aufgrund seiner breiten Rezeption eröffnet Berlinghieris Geographia tiefe Einblicke in die komplexen Akteurs- und Wissensnetzwerke der Renaissancegeographie. Nachdem das Werk schnell unter italienischen Humanisten zirkulierte, wurde es im Winter 1483/84 von florentinischen Gesandten dem osmanischen Prinzen Cem, Halbbruder des Sultan Bayezid II, als Geschenk übergeben. Das Buch wurde so Teil eines Wissenstransfers zwischen dem humanistischen Italien und der „islamischen Welt“. Nicht zuletzt, weil das Buch verschiedene Kulturräume durchquerte, ist die Geschichte von Berlinghieris Geographia mit unterschiedlichen Feldern der Geschichtsschreibung konfrontiert. Neben der Buch- und Kunstgeschichte sowie der Wissensgeschichte von Geographie und Kartographie, ist sie Teil einer breiteren Kulturgeschichte der Renaissance, die unter anderem die Geschichte des mediterranen Raums, der visuellen und literarischen Kultur Italiens und des osmanischen Reiches sowie die Diplomatie- und Religionsgeschichte umfasst.
Sean Roberts stellt die materielle Kultur rund um Berlingheris Geographia ins Zentrum seiner Analyse und ihm gelingt es auf beeindruckende Weise, die Spezialforschungen aus den verschiedenen historiographischen Feldern auf produktive Art miteinander zu verbinden. Roberts charakterisiert seinen Ansatz als „materially grounded intellectual history“ (S. 172). Bücher wie die Geographia, die er immer auch als Model für das Genre illustrierter humanistischer Bücher begreift (S. 102–103), seien als „connective tissues“ – verbindende Netze – zu verstehen (S. 14). Sie umspannten über weit entfernte Räume hinweg heterogene soziale Gruppen: von gelehrten Humanisten, über Buchkünstler und das Druckgewerbe, bis hin zu Händlern, Staatsmännern und diplomatischen Zirkeln des gesamten mediterranen Raums. Eine Analyse jener Netze führt Roberts zu der zentralen These des Buches, nach der wir unsere Vorstellung von den Orten und der Reichweite der Renaissancegeographie nachhaltig verändern und geographisch modifizieren müssen. Gerade die osmanischen Leser waren laut Roberts keine passiven Rezipienten des humanistischen Diskurses, sondern aktiver Teil der community der Renaissancegeographie. Ein Werk wie die Geographia sei in einem teils konfliktgeladenen „in-between“ angesiedelt und eine Geschichte dieses Buches ist für Roberts zwangsläufig „cross-cultural“ (S. 7–8).
In insgesamt vier thematischen Kapiteln behandelt Roberts verschiedene Aspekte der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Berlinghieris Geographia. Das erste Kapitel, Ptolemy in Transit, ordnet das Werk in die breitere Auseinandersetzung der ptolemäischen Schriften in Italien und des osmanischen Reichs im 15. Jahrhundert ein. Der Autor zeigt, dass die Wahl von Berlingheris Buch als diplomatisches Geschenk auf eine Tradition des geographischen Wissensaustausches zwischen Florenz und Konstantinopel zurückgreifen konnte. Das folgende Kapitel, The Rebirth of Geography, beschreibt am Beispiel der Biographie Berlingheris die vielschichtige Identität des Renaissancegeographen, in dem sich soziale Rollen des Mathematikers, Poeten, Kartenmachers, aber auch des Politikers und Diplomaten überschnitten. Für Roberts verweist die Biographie des Autors auf die Geschichte des wissenschaftlichen „Selbst“ des neuzeitlichen Gelehrten. Dass Berlinghieris wie viele Renaissancegeographen immer auch an Traditionen der christlichen Heilsgeschichte anschloss, wurde besonders in der Rezeption durch osmanische Leser deutlich.
Im anschließenden Kapitel, Making Books, Forging Communities, vertieft Roberts seine Charakterisierung von humanistischen Büchern als „connective tissues“. Durch eine detaillierte Beschreibung der Herstellungsbedingungen kann mit Verweis auf die neuere Buchgeschichte und Leseforschung gezeigt werden, dass unser modernes Verständnis von Büchern als stabile Editionen einen wichtigen Aspekt der damaligen Buchkultur ausblendet: Solche Bücher waren „individualized objects“ (S. 113), die aus einem Amalgam der Manuskript- und Druckkultur hervorgingen, und durch vielfältige Text- und Bildpraktiken den Bedürfnissen und Erwartungen der Leser angepasst wurden. Im abschließenden vierten Kapitel, Printing Tolerance and Intolerance, analysiert Roberts das „ideological environment“ (S. 134), in dem Berlingheris Buch zwischen Florenz und Konstantinopel zirkulierte. Der Autor wendet sich deutlich gegen die oftmals in der Forschung fortgeschriebene Idee einer homogen islamischen Rezeption humanistischer Werke, in dem er auf die eigenständige osmanische Auseinandersetzung hinweist. Zudem unterliefen viele Schriften die einfache Charakterisierung als „türkenfeindlich“ oder „türkenfreundlich“. Sie waren in ihren Text- und Bildstrategien doppelbödiger und reagierten auf sich ständig verändernde geopolitische Konstellationen. Der Autor bewegt sich in allen Kapiteln souverän und mit beeindruckendem Detailwissen durch das Dickicht der bisweilen ausufernden Spezialliteratur. Dabei schlägt er eine Fülle von philologischen und historiographischen Korrekturen bezüglich Berlinghieris Geographia vor, die in ihren Einzelheiten hier nicht wiedergegeben werden können.
Wissenschafts- und mediengeschichtlich ist insbesondere Roberts Entscheidung, die Leser und Benutzer als zentralen Bestandteil einer Wissensgeschichte der Geographie und Kartographie zu begreifen, weit über die Renaissanceforschung hinaus von Relevanz. Fragen der materiellen Produktion und besonders der Rezeption sind in der Kartographiegeschichte selbst bei günstigerer Quellenlage stark unterbelichtet 1 und Printing a Mediterranean World zeigt, welch vielfältige kulturgeschichtliche Verbindungen so über die „reine“ Wissenschafts- oder Gelehrtengeschichte hinaus möglich werden. Dies gilt insbesondere für den Brückenschlag zur Diplomatiegeschichte und damit einer breiteren Geschichte des Wissenstransfers zwischen „dem“ Islam und Europa.
So überzeugend Roberts These gerade in Bezug auf die heterogenen Leserschaften in Italien und im Osmanischen Reich ist, so hätte man sich an manchen Stellen eine Ausweitung der Netzperspektive auf historiographisch marginalisierte Schichten innerhalb der florentinischen Gesellschaft gewünscht. Die ideengeschichtliche Ausrichtung der Studie führt dazu, dass die Wissenswelten der an der Herstellung beteiligten Praktiker, etwa die Drucker oder Koloristen, schemenhaft bleiben. Sie tauchen, wenn überhaupt, nur am Rande der intellektuellen Netze auf. Abgesehen von der methodischen Grundausrichtung ist dies sicherlich der dünnen Quellenlage geschuldet; dennoch zeichnen Studien zu anderen Orten der frühneuzeitlichen Kartenproduktion sozialgeschichtlich ein komplexeres Bild.2 Das Gleiche gilt für die Materialität der Karten selbst. Der Leser erfährt wenig über die Herkunft der Technologien und Materialien, etwa des Papiers, der Farben, des Kupfers, aber auch über die Infrastrukturen der Buchzirkulation. Dies ist, vor dem Hintergrund der explizit materialorientierten Grundausrichtung der Studie, erstaunlich. Hier wäre zu fragen, ob dieser Fokus nicht dazu führen müsste, den ideengeschichtlichen Ansatz noch konsequenter über die Kreise der gelehrten und sozial privilegierten Oberschichten hinaus auszuweiten.
Methodisch besonders anregend wird Roberts Fallstudie in der abschließenden Diskussion, die nach den analytischen Grenzen fragt, an die Historiker bei der Beschäftigung mit literarischen und visuellen Kulturen stoßen. An kunstgeschichtliche Diskussionen um Michael Baxandall anschließend plädiert Roberts mit dem Literaturhistoriker Bruce Smith dafür, die Rezeptionsgeschichte von illustrierten Büchern in Richtung einer „historical phenomenology“ (S. 177) auszuweiten. Durch Roberts gesamte Studie zieht sich das Versprechen, Bücher könnten durch ihre Materialität auch für Historiker zu einem „connective tissue“ mit der Vergangenheit werden: „... linking us materially with our objects of study“ (S. 14).
Bei der Rekonstruktion dessen, was der florentinische oder osmanische Leser beim Betrachten einer Illustration oder Karte konkret gesehen oder assoziiert haben könnte, bleibt Roberts, trotz umfangreicher Querreferenzen, meist auf Vermutungen angewiesen. An diesen Stellen finden wir dann Konjunktivformulierungen wie: der zeitgenössische Leser „would have recognized“, „could have compared“ (S. 34), oder schlicht und einfach den Zusatz: „perhaps eventually“ (S. 179). Roberts weist selbstironisch darauf hin, dass hier die Grenze zur „Geisterbeschwörung“ (S. 171) fließend sei. An welche praktischen Grenzen stößt die historische Phänomenologie literarischer und visueller Kulturen? Wo kommt der „materielle“ Ansatz an die Grenzen der Überlieferung? Dies sind nur zwei von vielen weiterführenden Fragen, auf die die Geschichte eines einzelnen Buches keine abschließende Antwort geben kann, die sich aber aus der Lektüre dieser anspruchsvollen und anregenden Buchgeschichte ergeben.
Anmerkungen:
1 Eine der wenigen Ausnahmen bildet: Mary Sponberg Pedley, The Commerce of Cartography. Making and Marketing Maps in Eighteenth-Century France and England, Chicago / London 2005.
2 Etwa: Nils Büttner, Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels, Göttingen 2000.