Die Liste der für die Wissenschaft nutzbaren Internetadressen ist lang, sich einen Überblick zu verschaffen schwer oder zumindest zeitaufwendig. Wer sich der mittlerweile ebenfalls zahlreichen Adressensammlungen bedient, fühlt sich ebenso schnell an die Hand genommen wie wieder allein gelassen. Gar nicht oder nur unzureichend kommentiert sind hier meist ganz unterschiedliche Formen von Informationsangeboten zusammengefaßt: da finden sich institutionell betreute Datenbanken neben von Privatpersonen oder kommerziellen Anbietern ins Netz gestellten Angeboten. Besonders bei letzteren fällt es schwer, die Seriosität und damit auch die wissenschaftliche Verwertbarkeit der Informationen zu prüfen. Vorausgesetzt werden kann sie nicht und die Anbieter der Adressenlisten geben kaum diesbezügliche Hinweise oder Erläuterungen.
Zudem werden selbst wohlwollende Nutzer bald Hilfestellungen vermissen, wenn sich so wesentliche Fragen stellen wie "Welche Informationen genau liefert die Datenbank?" oder "Welche Möglichkeiten der Recherche gibt es hier?". Von den Problemen bei der Arbeit mit den so unterschiedlich ausgestatteten Dokumenten und Datenbanken ganz zu schweigen.
Hans Hehls jüngst erschienenes Buch "Die elektronische Bibliothek" setzt an diesem Punkt an. Der Autor faßt seine in anderen gedruckten und digitalen Publikationen gesammelten Kenntnisse und Erfahrungen zusammen, um den Leser tatsächlich an die Arbeit mit Datenbanken heranzuführen. Wissenschaftler aller Fachrichtungen und mit ganz unterschiedlichen Vorkenntnissen finden hier nützliche Informationen. Dementsprechend ist Hehls Anleitung weniger für eine fortlaufende Lektüre konzipiert, die einzelnen Kapitel befassen sich mit speziellen und sinnvoll ausgewählten Fragestellungen von Internet- und Datenbanknutzern.
Der erste Teil des Buches beschäftigt sich dem Problemen "Internet" und "World Wide Web" allgemein. Es folgt eine einführende Anleitung für die Arbeit mit den allgemein gebräuchlichen Browsern "Netscape Navigator" und "Netscape Communicator". Dies geschieht auf gut verständliche und klar nachvollziehbare Weise, störend sind allein die gelegentlich einfließenden Fachtermini, die den unbedarften Leser, an den sich eine derartige Einleitung richtet, verschrecken dürften. In klar gegliederten Arbeitsschritten werden außerdem verschiedene Möglichkeiten der direkten Internetrecherche erläutert, so zum Beispiel die Suche nach Online-Datenbanken von Bibliotheken, Verlagen oder auch die allgemeine thematische Suche. Zudem empfiehlt Hehl bestimmte Suchmaschinen und Metacrawler und nimmt den Nutzern so weitere, nur mit Erfahrung und Vorkenntnissen zu treffende Entscheidungen ab.
Für jeweils eines der folgenden Kapitel können sich diejenigen entscheiden, die entweder über den WWW-Zugang recherchieren wollen oder die Zugang über eine Telnet-Verbindung bevorzugen. Hier sind bestimmte Vorkenntnisse in der Nutzung der jeweiligen Software vorausgesetzt, da den generellen Erläuterungen jedoch gut illustrierte Beispiele folgen, dürften sich auch wenig erfahrene Nutzer zurechtfinden. Schon hier werden die ersten wichtigen Internetangebote vorgestellt. Unverständlich bleibt allerdings, warum Hehl beispielsweise nur den Telnet-Zugang zur Library of Congress empfiehlt und erläutert, wenn man doch eine Gewöhnung der meisten Nutzer an die WWW-Zugänge und eine entsprechende Software-Ausstattung vermuten sollte und diese Variante ebenfalls passabel funktioniert. Schon deshalb hätte der durchaus wertvolle Hinweis auf die Vorteile der Telnet-Recherche um Informationen über den WWW-Zugang ergänzt werden sollen.
Die Abschnitte "Bibliographische Datenbanken im Internet", "Elektronische Publikationen" und "Online-Bestellung und elektronische Lieferung" stellen dann eine Vielzahl von Datenbanken, Veröffentlichungen im Netz und die wichtigsten Lieferdienste vor. Speziell bei den ersten beiden Kapiteln wäre sicher eine Sortierung oder Aufschlüsselung der Datenbanken nach Fachrichtungen sinnvoll gewesen: Nun erfährt der Geisteswissenschaftler erst während der Lektüre des Abschnitts über "ICTP", daß es sich hier um eine vom Internationalen Zentrum für Theoretische Physik betreute und damit für ihn irrelevante Datenbank handelt. Bei anderen, so zum Beispiel bei Springer Link, fehlt die inhaltliche Bestimmung und damit auch Eingrenzung der Empfehlung auf naturwissenschaftliche Themen völlig. Ebenso ist unklar, warum Hehl nur eine der drei von Springer angebotenen Recherchemöglichkeiten in den Springer-Link-Daten empfiehlt: neben PowerSearch gibt es auch noch GlobalSearch und LinkSearch, die Hehl weder begründet ausgrenzt noch überhaupt erwähnt.
Die einzelnen Datenbankbeschreibungen sind gut nachvollziehbar, der allgemeinen Arbeitsanleitung folgt jeweils ein Recherchebeispiel. Beide werden durch viele screenshots illustriert und dadurch noch besser verständlich. Außerdem werden die hier ausgewählten Datenbanken durch Listen am Ende der einzelnen Kapitel ergänzt, deren Hilfeleistung dann allerdings nicht über die anderer Adressensammlungen hinausgeht: Es fehlt jeglicher Hinweis zu Datenbestand und Bedienung.
Am Ende des Buches stehen folgerichtig und auch für erfahrenere Nutzer aufschlußreich Hinweise zur digitalen Weiterverwertung der recherchierten Daten. Auch hier beschränkt sich Hehl auf Wesentliches, um die Übersichtlichkeit zu erhalten: er stellt die wichtigsten Dateienformate vor, nennt die bekanntesten Entpackungsprogramme, und beschreibt Entpackung und Download am Beispiel.
Die dem Buch beigelegte Diskette liefert wesentliche Teile des Buches im HTML-Format und bietet eine weitere Arbeitshilfe: öffnet man sie im eigenen Internet-Browser, erscheinen die von Hehl behandelten Adressen als links, so daß der Nutzer, geleitet von den Erläuterungen direkt auf die einzelnen Datenbanken zugreifen kann.
Entstanden ist eine sehr umfassende und übersichtliche Hilfestellung, wozu auch die Gestaltung des Buches, wie zum Beispiel die farbliche Hervorhebung wichtiger Hinweise, beiträgt. Das größte Problem ist sicher der fachübergreifende Anspruch. Schon durch die Gewichtung der Angebote wird die Unterschiedlichkeit der Standards in den verschiedenen Fächern anschaulich dokumentiert, ohne wie gesagt einen unkomplizierten fachspezifischen Zugriff zu erlauben. Denn auch das Register hilft eher dem 'eingearbeiteten' Nutzer, andere dürften sich unter unkommentierten Kürzeln wie GPN, JADE oder WTO wenig vorstellen können.
Wünschenswert wäre eine stärkere Präsenz des Problems "Nichtautorisiertes Wissen" gewesen: Hehl weist zwar eingangs darauf hin, liefert jedoch keine Anleitung für den Umgang mit Informationen aus dem Internet. Hinzu kommen Fälle wie der Abschnitt "Auffinden von WWW-Seiten", in denen er aus einer Liste von Internetangeboten eines auswählt, ohne diese Entscheidung für den Leser transparent zu machen, so daß er unfreiwillig Beliebigkeit suggeriert. Aber auch die kommentarlose Empfehlung von Volltextdatenbanken wie "Projekt Gutenberg" hätte zumindest eines Hinweises auf die Nicht-Zitierfähigkeit der dort verfügbaren Texte bedurft, die die Datenbank für wissenschaftliche Zwecke selten brauchbar macht.
Ein mit dem Gegenstand notwendig einhergehendes Problem hebt Hehl gleich in seiner Einleitung hervor: "Da das Internet ein schnellebiges Medium ist, kann diese Schrift in vielen Einzelheiten nur einen vorläufigen Charakter haben: Adressen von Webseiten ändern sich, freie Zugänge verwandeln sich in zugangsbeschränkte, manche Webserver stellen ihren Dienst ein, Umfang und Darstellungweise von Datenbanken variieren usw. Der Leser muß also damit rechnen, daß manche der hier besprochenen Datenbanken nach einiger Zeit sich anders darstellen und z.B. auch andere Suchergebnisse bei einzelnen Suchbeispielen liefern, von wichtigen Neuerungen ganz zu schweigen." - Dem Leser und Nutzer der beiliegenden Software wird bald klar, wie schnellebig das Medium ist: Hehls Buch ist Anfang 1999 erschienen und schon jetzt stößt man auf die ersten Veränderungen: Die Datenbank LIBRIS kündigt ihre Überarbeitung für den Herbst 1999 an. Gibt man die Adresse des empfohlenen "Verzeichnisses der deutschsprachigen abfragbaren Kataloge und Institutionen" der Universität Hannover ein, wird man derzeit noch weitergeleitet und gleichzeitig auf die neue Adresse hingewiesen: www.grass-giss.de/bibliotheken/ .
Schon bald kommt der Gedanke auf, ob eine so engmaschig aktualisierungsbedürftige Anleitung im Medium Buch optimal aufgehoben ist. Denn so bleibt die beständige Veränderbarkeit ein entscheidender Vorteil der eingangs erwähnten Adressensammlungen, auch wenn diese ihn nur in wenigen Fällen durch anhaltende Pflege ihrer link-Sammlungen nutzen.