A. Slawisch (Hrsg.): Handels- und Finanzgebaren in der Ägäis

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Titel
Handels- und Finanzgebaren in der Ägäis im 5. Jh. v. Chr.. Trade and Finance in the 5th c. BC Aegean World


Herausgeber
Slawisch, Anja
Reihe
Byzas 18
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 228 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Der allgemeine Boom wirtschaftshistorischer Untersuchungen zur Antike zeitigt nicht nur im römischen Bereich, sondern auch – mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung – für die griechischen Ökonomie(n) Ansätze zu einer Neuinterpretation und -bewertung des Quellenmaterials.1 Davon zeugt der zu besprechende Sammelband, der auf einer im Rahmen des Wissenschaftlernetzwerkes „Wirtschaft als Machtbasis: Vormoderne Wirtschaftssysteme in Anatolien“ in Istanbul im Jahre 2010 durchgeführten Tagung beruht und die Ägäis des 5. Jahrhunderts v.Chr. in den Blick nimmt. Das von der Herausgeberin in der Einleitung (S. IX–XI) betonte und in den elf Beiträgen größtenteils eingelöste Ziel ist es dabei, über die interdisziplinäre Einbeziehung der Alten Geschichte, Numismatik, Archäologie sowie der Wirtschaftstheorie und -geschichte ein bislang aufgrund der disparaten Quellenlage rein athenozentristisches Bild aufzubrechen, um die komplexen Interaktionen zwischen Athen und den anderen Poleis wie regionalen Zentren des Ägäisraums im 5. Jahrhundert v.Chr. in wirtschaftlicher Hinsicht zu verdeutlichen und als neues Mosaik unter dem Leitmotto „Handels- und Finanzgebaren“ wieder zusammenzusetzen. Dass dabei insbesondere bislang oft vernachlässigte Quellengruppen wie die numismatischen Zeugnisse oder wirtschaftsarchäologische Beobachtungen verstärkt in den Blick genommen werden, macht den Reiz und letztlich auch Wert des Bandes aus. Die alphabetische Reihung der Beiträge erfordert indes für eine systematische Besprechung ein Springen innerhalb des Bandes; dies hätte sicherlich durch thematische Ordnung besser gelöst werden können.

Den leider einzigen Beitrag zur Nutzung wirtschaftstheoretischer Modelle für die Erfassung der antiken Ökonomiestruktur(en) steuert Betram Schefold bei (S. 155–183). Indem er sich wohltuend von der zur Zeit in aller Munde weilenden „Neuen Institutionen-Ökonomie“ absetzt und andere theoretische Zugänge, insbesondere das „Wirtschaftsstil“-Modell des deutschen Nationalökonomen Arthur Spiethoff, sowie die Anwendbarkeit rein rationaler Kapitalismusgleichungen untersucht, wirft er einen erfrischenden Blick auf die in Frage kommenden antiken Texte, die nur zum Teil den modernen Theoriepostulaten gehorchen.

Das die übrige Überlieferung überragende „Zentrum“ Athen steht mit seinen vielfältigen Beziehungen zum Ägäisraum im Zentrum von gleich fünf Beiträgen, wobei sie den Blick stets auch auf die Auswirkungen außerhalb Athens richten: John Davies verortet den Beginn des Handelsnetzwerks im Ägäisraum im 6. Jahrhundert v.Chr., indem er dem athenischen Tyrannen Peisistratos und dessen Beziehungsgeflecht eine entscheidende Initiatorrolle zuweist (S. 43–66). Die weitere Entwicklung sieht er als eine wirtschaftliche Aufschwungphase ab den 520er-Jahren in Form der Adaptation der Triere durch die ägäischen Poleis und der damit angestoßenen Ausweitung des Münzgeldsystems. Christy Constantakopoulou analysiert anhand der attischen Tributsquotenlisten aus der Zeit des ersten Seebundes das sich in diesem Rahmen ausbildende Finanznetzwerk (S. 25–42). Trotz der Lückenhaftigkeit der inschriftlichen Überlieferung lassen sich dabei sowohl allgemein Prozesse der Monetarisierung in den am Seebund beteiligten Poleis als auch Rückwirkungen auf die Formierung bzw. Zusammenarbeit einzelner Bürgerschaften konstatieren, was am Beispiel von Rhodos gezeigt wird.

Brice Erickson stellt mit Euböa und Kreta zwei Fallstudien vor, die gerade wegen der Lückenhaftigkeit der Überlieferung Spekulationen über das Durchgreifen der athenischen arché im wirtschaftlichen Bereich ermöglichen (S. 67–83). Letztlich ist jedoch kein großer Erkenntnisgewinn aus dem Beitrag zu ziehen, da lediglich Ankündigungen über eine noch zu publizierende Studie getroffen werden und die abschließende Hypothese, dass das „empire“ der Athener „produced more winners thans losers“ (S. 81), zu allgemein und undifferenziert gehalten ist. Andreas Mehl sammelt die leider nur spärlichen Nachrichten über die wirtschaftlichen Beziehungen Zyperns zum Ägäisraum (S. 135–153). Er konstatiert dabei eine herausragende Rolle Athens als Umschlagplatz für zyprische Waren wie Kupfer, macht aber zu Recht auf die Gefahr vorschneller Schlüsse aus den äußerst fragmentarischen Befunden aufmerksam; so wird oft aus einer attischen Inschrift (IG II/III² 1675 von 337/6 v.Chr.) heraus interpretiert, dass dauerhaft ein direkter und massiver Austausch von Kupfer gegen (athenische) Keramik stattgefunden habe, was sich allerdings im übrigen Quellenmaterial, auch im archäologischen, so deutlich nicht widerspiegelt.

Die Herausgeberin des Bandes, Anja Slawisch, stellt ihr Habilitationsprojekt „Kunst, Macht und Wirtschaft: Ionien im 5. Jahrhundert v.Chr.“ mit Überlegungen zum Absatzmarkt attischer Keramik in den Städten der ionischen Küste vor (S. 185–206). Sie kann dabei den Zusammenhang zwischen den politischen Rahmenbedingungen – zunächst der ionische Aufstand und die nach den Perserkriegen erfolgte Installation des delisch-attischen Seebundes – mit dem Rückgang bzw. der Zunahme des Absatzes attischer Keramik im Überseehandel glaubhaft machen, womit sie eine rein ökonomische, von den Ordnungsrahmen losgelöste Handlungsweise der Händler ausschließt.

Weitere archäologische Beobachtungen, teilweise fernab athenischer „Waren“ leisten zwei weitere Artikel: Der noch relativ junge Forschungszweig der „Schiffswrack-Archäologie“ und dessen Möglichkeiten sind Gegenstand der Betrachtungen von Deborah Carlson (S. 1–23). Die verschiedenen Schiffsfunde samt deren Ladung legen dabei nahe, nicht, wie bisher, von einem Niedergang der ionischen Handelsplätze im Zuge der Perserkriege und des hegemonialen Status Athens in dieser Region hernach auszugehen, sondern weiter anhaltende Handelsbeziehungen, auch fernab athenischen Einflusses, etwa nach Ägypten, anzunehmen. Mark Lawall erweist anhand seiner Studien zu den Transportamphoren (S. 103–120), dass die im Laufe des 5. Jahrhunderts zunehmenden Markierungen auf den Amphoren einerseits athenischen Kontrollmechanismen über die Waren geschuldet waren, andererseits die Herkunftsangabe auch als „Werbe“- wie Qualitätsmerkmal diente.2

Der bislang oft vernachlässigten numismatischen Befundlage widmen sich drei Beiträge: Sonja Ziesmann stellt anhand metrologischer Analyse der Silbermünzen ägäischer Poleis im 5. Jahrhundert v.Chr. dar, wie wenig „universal“ der attische Münzfuß innerhalb der Teilnehmer am delisch-attischen Seebund gewesen ist (S. 207–228). Die von ihr vorgestellten Inselpoleis prägten so zumeist unter Beibehaltung ihres genuinen, manchmal auch unter Wechsel des Gewichtsstandards weiterhin eigenständig in Silber und Bronze; in einigen Fällen kann man nach der Niederschlagung eines „Aufstandes“ durch den athenischen Hegemon einen Wechsel hin zum attischen Standard beobachten. Jakob Hanke stellt der weitverbreiteten These des Numismatikers Percy Gardner von einer mehrere Poleis umfassenden Münzprägung im Geiste des Ionischen Aufstandes in Form hochwertiger Elektronmünzen die aufgrund stilistischer Beobachtungen einsichtigere Funktion als außerhalb eines reglementierten Geldsystems ausgegebenes Donativum einer Polis zu Besoldungszwecken entgegen (S. 85–101). Dorothea Mauermann zeigt anhand des Wechsels von imperialer Sigloi-Prägung im Perserreich hin zur regionalen Prägung durch Satrapen, angesiedelte griechische Exilanten sowie Poleis die auch in der antiken Literatur fassbare Strukturveränderung in der persischen Administration im Laufe des 5. Jahrhunderts v.Chr. auf (S. 121–133).

Insgesamt präsentieren die einzelnen Untersuchungen das facettenreiche Mosaik eines Wirtschafts- und Kulturraumes, das bei weitem noch nicht vollständig ausgewertet und bewertet ist. Es steht dabei zu hoffen, dass diese und weitere Spezialergebnisse eines Tages den Boden für eine größere Synthese bereiten, die auf einer adäquaten theoretischen Grundlage unter Einbezug der gesamten Überlieferungsbreite die griechische(n) Wirtschaft(en) noch besser als bisher zu begreifen vermag.

Anmerkungen:
1 Bereits Paul Cartledge, The Economy (Economies) of Ancient Greece, in: Dialogos 5 (1998), S. 4–24, hatte ein die Möglichkeiten wie Grenzen moderner Wirtschaftstheorien kritisch abwägendes Plädoyer für eine „neue“ Betrachtung der griechischen Wirtschaftswelt unter Einbezug aller verfügbaren Quellengattungen gehalten. Vgl. dann auch den folgenden Sammelband Paul Cartledge / Edward E. Cohen / Lin Foxhall (Hrsg.), Money, Labour and Land. Approaches to the Economies of Ancient Greece, London 2002. Weitere wichtige Sammelwerke und Arbeiten in Auswahl: Walter Scheidel / Sitta von Reden (Hrsg.), The Ancient Economy, Edinburgh 2002; Armin Eich, Die politische Ökonomie des antiken Griechenland (6.–3. Jahrhundert v.Chr.), Köln 2006; Walter Scheidel / Ian M. Morris / Richard P. Saller, The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge 2007; Léopold Migeotte, The Economy of the Greek Cities. From the Archaic Period to the Early Roman Empire, Berkeley 2009. Weitere Spezialliteratur, auch die älteren Forschungsarbeiten, in den neueren Einführungen von: Kai Ruffing, Wirtschaft in der griechisch-römischen Antike, Darmstadt 2012; Michael Sommer, Wirtschaftsgeschichte der Antike, München 2013.
2 Vgl. dazu auch den instruktiven Artikel von Nicholas Rauh / Caroline Autret / John Lund, Amphora Design and Marketing in Antiquity, in: Monika Frass (Hrsg.), Kauf, Konsum und Märkte. Wirtschaftswelten im Fokus – Von der römischen Antike bis zur Gegenwart, Wiesbaden 2013, S. 145–181.

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