Forschungen zur regionalen Zeitgeschichte Brandenburgs sind im heutigen Bundesland an keiner Hochschule wissenschaftlich verankert. Eine Ausnahme bildet das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam, aus dem historische Handbücher und Sammelbände zum jüdischen Brandenburg1 und regional orientierte Spezialstudien zur jüdischen Geschichte2 stammen. Darüber hinaus wird die jüdische Zeitgeschichte vereinzelt in regional- und lokalhistorischen Veröffentlichungen sowie einem historischen Reiseführer3 thematisiert. Schließlich ist die Judenverfolgung zwar Thema der von Edda Weiß stammenden Dissertation, aber die Studie ist kaum rezipiert worden.4 Die regionalhistorische Forschung muss also noch große Anstrengungen aufbringen, bevor von einer befriedigenden Situation gesprochen werden kann.5
Einen wichtigen Beitrag zur Schließung der Wissenslücken bezogen auf die Geschichte der Synagogen in Brandenburg hat die am Moses Mendelssohn Zentrum tätige Dozentin Elke-Vera Kotowski mit Potsdamer Studierenden der Geschichte, der Jüdischen Studien und angehenden Lehrerinnen und Lehrern geleistet. Die Gruppe begab sich 2011–2013 auf eine Spurensuche und präsentiert die Ergebnisse ihrer Nachforschungen – in Kooperation mit dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam – ab März 2012 in einer Wanderausstellung. Zum 75. Jahrestag der Novemberpogrome 1938 ist 2013 der Begleitband fertig geworden.
An dem reichhaltig bebilderten Band haben sich neben dem aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie fünf Gastautorinnen und –autoren bestehenden Projektteam 16 studentische Projektmitarbeiterinnen und –mitarbeiter beteiligt. Das Ergebnis der Spurensuche, die Ausstellung und der Begleitband des heterogenen Teams ist viel versprechend: In mehr als 50 Orten des heutigen Bundeslandes Brandenburg hat es Synagogen (oder jüdische Bethäuser) gegeben und in 46 Fällen ließen sich noch konkrete Spuren auffinden.
Im ersten Teil des Buches gibt es im Anschluss an eine Chronologie der Geschichte der Juden in Brandenburg von 1157 bis heute (S. 7–11) Informationen zu Synagogen als Zentren jüdischen Gemeindelebens durch Elke-Vera Kotowski und jüdischem Gemeindeleben im Allgemeinen von dem Historiker Uri Faber. Ein Beitrag zum jüdischem Leben heute und dem „Traum von einer Synagoge“ von Nikolaj Epchteine (Jüdische Gemeinde Potsdam) und Olaf Glöckner (Moses Mendelssohn Zentrum) wird ergänzt durch sachdienliche Hinweise: Monika Nakath (Brandenburgisches Landeshauptarchiv) informiert über die relevanten Archivalien ihrer Institution, Wera Groß (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege) über Denkmale jüdischen Lebens und Lara Dämmig schließlich über den Umgang mit Zeugnissen jüdischen Lebens und die DDR-Gedenkkultur.
Zwischen dem ersten und zweiten Teil eingeschoben sind ein Verzeichnis der heutigen jüdischen Gemeinden im Land Brandenburg und ein vierseitiger Faksimile-Nachdruck aus einem Verzeichnis der jüdischen Gemeinden in der Provinz Brandenburg von 1903 (Regierungsbezirke Potsdam und Frankfurt) mit Daten über Einwohnerzahlen, „jüdische Seelen“ und inhaltlichen Angaben zu den Gemeinden. Leider werden die dort aufgeführten Abkürzungen nicht entschlüsselt. Es folgen Artikel zu den 46 Synagogenstandorten: Alphabetisch von „A“ wie Altlandsberg bis „Z“ wie Zehdenick wird aufgelistet, was an Spuren und Dokumenten gefunden werden konnte. Die Artikel sind dem Informationsstand und der heterogenen Struktur der Gruppe der Autorinnen und Autoren entsprechend unterschiedlich ausführlich.
Obwohl keines der früher als Synagoge genutzten Gebäude mehr als jüdisches Gotteshaus benutzt wird, sind noch Spuren im Stadtbild zu finden. Dies ist nicht zuletzt den „Orts- und Landeshistorikern“ zu danken, „die seit Kriegsende auch die jüdische Geschichte in ihren Forschungsfokus gesetzt und damit wichtige Quellen zur jüdischen Regionalgeschichte zugänglich gemacht haben“ (S. 5). Viele Brandenburger Synagogen sind bei den Pogromen im November 1938 geschändet und zerstört bzw. in Brand gesetzt worden. Die Informationen über die Ereignisse sind unterschiedlich überliefert bzw. recherchiert worden. Die Artikel laden zu vergleichenden Betrachtungen gerade zu ein: Am genauesten rekonstruieren ließ sich offenbar das Geschehen in Rathenow, Wriezen, Prenzlau und Angermünde: In Rathenow z.B. wurde die Synagoge „am Morgen des 10. November 1938 geschändet“ (S. 199). In Wriezen ist sie „am Morgen des 10. November 1938 in Brand gesetzt […]“ (S. 227) worden. In Prenzlau wurde sie „am Vormittag des 10. November 1938 angezündet und vollkommen zerstört“ (S. 196). In Angermünde ist am „10. November 1938 […] die Synagoge trotz angrenzender Häuser niedergebrannt“ (S. 73). In vielen anderen Orten ist über die Pogrome offenbar weniger bekannt, so z.B. in Bad Freienwalde: „Die Nazis […] setzten 1938 die Synagoge in Brand.“ (S. 75) Oder in Luckenwalde: Die Synagoge „wurde 1938 zwar verwüstet, jedoch nicht zerstört, […]“ (S. 161). In Oranienburg erfolgte die „Zerstörung der Synagoge Ende 1938“ (S. 181). Über die Ereignisse in Eberswalde heißt es, sie „wurde im Zuge der Pogromnacht völlig zerstört“ (S. 101) und im Fall von Strausberg: „In der Pogromnacht wurde die Synagoge komplett zerstört.“ (S. 213) Bemerkenswert ist der unterschiedliche Wissenstand sowohl über die Ereignisse wie die daran Beteiligten. Hier ist zu fragen, ob die Informationen aus dem erwähnten historischen Reiseführer stimmen, wonach SA-Angehörige die Gotteshäuser in Eberswalde bzw. Strausberg angezündet haben.6
Der Band enthält häufig eingestreute Erläuterungen religiöser Gepflogenheiten, zum Beispiel zur Bedeutung von Büchern im Judentum (S. 92) und jüdische Wohltätigkeit sowie Exkurse unter anderem zum preußischen Emanzipationsedikt und Synagogen-Reglement. Zu dem ist im Anhang ein umfangreiches Glossar angefügt, das hebräische und jiddische Begriffe erklärt sowie auf weiterführende Literatur verweist.
Nicht nur für die Suche nach den früheren Standorten der Synagogen und weiteren Spuren jüdischen Lebens in Brandenburg gibt der rundum sehr gut gelungene Begleitband zu der Wanderausstellung „Synagogen in Brandenburg“ reichhaltige Anregungen, sondern fordert auch zu weiteren Forschungen zur jüdischen Regionalgeschichte heraus. Die noch vorhandenen großen Lücken sind nicht zu übersehen. Dies belegt dieser Band am Beispiel der Brandenburger Synagogen sehr eindrücklich.
Anmerkungen:
1 Irene Diekmann/Julius H. Schoeps (Hrsg.), Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, Berlin 1995; Irene A. Diekmann (Hrsg.), Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart, Berlin 2008.
2 Brigitte Heidenhain, Juden in Wriezen. Ihr Leben in der Stadt von 1677 bis 1940 und ihr Friedhof, Potsdam 2007; dies., Juden in Schwedt. Ihr Leben in der Stadt von 1672 bis 1942 und ihr Friedhof, Potsdam 2010.
3 Exemplarisch: Rainer Ernst (Redaktion), „Gestern sind wir hier gut angekommen.“ Beiträge zur jüdischen Geschichte in der Niederlausitz, Finsterwalde 2005; Ellen Behring u.a., Eberswalder Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Eberswalde 2008; Siegfried Ransch, Jüdisches Arbeitsheim Radinkendorf (1940 bis 1943). Dokumentarischer Bericht über ein Lager an der märkischen Spree, Berlin 2010; Anke Godon u.a. (Redaktion), Gestern: Jüdische Bürger in Schwedt. Rückblick und Spurensicherung, Schwedt 2012; Martin Kaule, Brandenburg 1933–1945. Der historische Reiseführer, Berlin 2012.
4 Edda Weiß, Die nationalsozialistische Judenverfolgung in der Provinz Brandenburg 1933–1945, Berlin 2003.
5 Vgl. den Tagungsbericht über die im Oktober 2013 vom Museumsverband des Landes Brandenburg veranstaltete Tagung „Entnazifizierte Zone? Zum Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus in ostdeutschen Stadt- und Regionalmuseum“, in: H-Soz-u-Kult, 03.01.2014, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5157> (07.01.2014).
6 Vgl. Kaule (Anm. 3), S. 33. Die Brandstiftung in Eberswalde wird auch in Behring u.a. (Anm. 3), S. 185 erwähnt. Zu Strausberg vgl. Kaulen (Anm. 3), S. 45.