Title
Hitler’s Furies. German Women in the Nazi Killing Fields


Author(s)
Lower, Wendy
Published
Extent
288 S.
Price
$26.00 / € 18,70
Reviewed for H-Soz-Kult by
Ljiljana Radonic, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien

Als die amerikanische Historikerin Wendy Lower 1992 im ukrainischen Zhytomyr erstmals auf Akten stieß, die von unzähligen jungen deutschen und österreichischen Frauen zeugten, die seit 1941 „im Osten“ tätig waren, hatten sich erst vereinzelte Pionierinnen mit der Rolle von Frauen als Täterinnen im Dritten Reich auseinandergesetzt, so etwa im Sammelband „Töchter Fragen. NS-Frauengeschichte“ oder Claudia Koonz in „Mütter im Vaterland“.1 Doch in den folgenden Jahren erschienen einige Studien zu dieser Frage, wenn sie auch zum Teil noch in der problematischen feministischen Tradition standen, im Sinne einer identitätsstiftenden Geschichtsschreibung die Frauen als Instrumente patriarchaler Zwänge in Schutz zu nehmen. In den 1990er-Jahren wurden nicht nur die wenigen Tausend als KZ-Aufseherinnen exponierten Täterinnen etwa von Freya Klier2 erforscht. Gudrun Schwarz wies nach, dass Ehefrauen von SS-Männern, die an den Einsatzorten ihrer Gatten im Osten lebten oder diese besuchten, Beutezüge durch die Ghettos unternahmen und über Leben und Tod der jüdischen Zwangsarbeiter entschieden.3 Auch Euthanasie-Pflegerinnen, antisemitische Fürsorgerinnen und Denunziantinnen sind seit dem wegweisenden, von Angelika Ebbinghaus 1996 herausgegebenen Band über Opfer und Täterinnen im Nationalsozialismus dokumentiert.4

Insofern betritt Lowers Buch kein wissenschaftliches Neuland. Innovativ und überzeugend ist jedoch der biographische Ansatz. Wurden bisher die Lebensgeschichten prominenter Frauen wie der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink oder der einzigen im Nürnberger NS-Ärzteprozess angeklagten Frau, Herta Oberheuser, untersucht, so zeichnet Lower die Biographien von dreizehn Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten nach, die unter jenen 500.000 Frauen waren, die Deutschland und Österreich Richtung Osten verlassen haben. Zunächst werden ihre vielfältigen Vorkriegs-Lebensgeschichten dargestellt, um dann die Frauen in drei Kategorien einzuteilen: Dabei reicht das Spektrum von Zeuginnen des Massenmords, etwa Lehrerinnen oder Krankenschwestern, denen Posten in Polen und der Ukraine zugeteilt wurden, über Komplizinnen, die die Arbeit als Sekretärinnen in Weißrussland der Arbeit in deutschen Fabriken vorzogen zu den Täterinnen, die aus Überzeugung eigenhändig mordeten.

In den wenigen bereits veröffentlichten Buchbesprechungen überwiegt das Entsetzen darüber, dass auch junge Mütter und gar Schwangere jüdische Kinder zuerst mit Süßigkeiten oder gutem Zureden anlockten und dann brutal ermordeten. Die Aktualität von Lowers für ein breites Publikum verfasstem Buch offenbart sich in dieser besonderen Empörung – weniger über die Tatsache, dass Kinder von dem Balkon eines Krankenhauses geworfen oder ihre Köpfe an Ghettomauern eingeschlagen wurden, als darüber, dass diese Taten von Frauen begangen wurde, die selbst kleine Kinder hatten; für junge Väter gilt diese Empörung offenkundig nicht. Da die Autorin hauptsächlich mit Verhörprotokollen und Prozessakten aus der Nachkriegszeit arbeitete, überrascht es nicht, dass sie auf Fälle ausgesprochener Brutalität stieß, die Frauen im Umfeld der größten Schlächter begingen, etwa des im SS-Einsatzkommando in Drohobych für die „Judenarbeit“ zuständigen Felix Landau, des dortigen Gestapochefs Hans Block oder des SS-Kommandanten des KZ Janowska, Gustav Willhaus. Doch ein weitaus vollständigeres Bild erhält man durch ihre Darstellung etwa der „gewöhnlichen“ Sekretärinnen, die nicht nur die Deportationslisten abtippten, sondern auch Jüdinnen aus Deportationskolonnen ausnahmen, weil es sich um ihre Frisörin handelte oder weil die Frau noch Wolle von ihr hatte und der Pullover noch nicht fertiggestrickt war.

Trotz des reißerisch anmutenden Titels handelt es sich bei „Hitlers Furien“ um ein differenziertes Buch: Lower ist bewusst, dass in den Nachkriegsmedien jene wenigen Frauen, die vor Gericht gestellt wurden, als Bestien und Sadistinnen dargestellt wurden, während Verallgemeinerungen über weibliche Unschuld nicht zuletzt in der Gerichtsbarkeit dominierten. In dem Kapitel über die Nachkriegsschicksale der Frauen zeigt sie nicht nur erneut, dass jüdische Überlebende als ZeugInnen vor deutschen Gerichten weniger galten als Beweise in Dokumentenform, sondern auch, wie gut es den wenigen angeklagten Frauen insbesondere in Österreich, aber auch in der BRD gelang, durch Verweise auf ihre Rolle als Mutter oder ihre Schwangerschaft das Gericht von der Unmöglichkeit der Behauptungen der ZeugInnen zu überzeugen, für deren Aussagen zum Teil antisemitische Erklärungen gegeben wurden. Als einzige der dreizehn wurde Erna Petri in der DDR schuldig gesprochen und zwar aufgrund der Beweise, die die Stasi auf der Suche nach staatsfeindlicher Tätigkeit ihre Mannes bei der Hausdurchsuchung fand, als sie also eher zufällig darauf stieß, dass das Ehepaar Petri auf ihrem landwirtschaftlichen Gut im ukrainischen Grzenda Zwangsarbeiter und entflohene Jüdinnen und Juden folterte, missbrauchte und ermordete – darunter sechs von Erna eigenhändig erschossene jüdische Kinder.

Schließlich geht Lower auch der Frage nach, warum diese Frauen töteten und ob es einen spezifisch weiblichen Antisemitismus gebe. Dabei greift sie auf die von einem Team rund um Theodor W. Adorno durchgeführten „Studien zum autoritären Charakter“ zurück und führt aus, dass Disziplinierung, die nicht durch Sachautorität, sondern durch autoritäres elterliches Auftreten und den Einsatz von Strafen erfolgt, zu stereotypem Denken, Autoritätshörigkeit und Aggressionen gegen Out-Groups führen kann. Autoritäre Väter, Ehemänner und der Führer hätten das Leben der Frauen geformt. Doch das geht am Kern der Theorie über die autoritäre Persönlichkeit vorbei, bei der es nicht um Entschuldung geht, sondern um die Frage, welche psychischen Bedürfnisse durch Antisemitismus oder Rechtsextremismus befriedigt werden. Auch stimmt es nicht, dass es keine psychologischen Untersuchungen von Frauen gab, wie Lower zwei Absätze später in Zusammenhang mit Befragungen von SS-Männern meint. Für beide Punkte muss auf den von Else Frenkel-Brunswik und R. Nevitt Sanford veröffentlichten Forschungsbericht mit dem Titel „Die antisemitische Persönlichkeit“, eine Voruntersuchung zu den „Studien zum autoritären Charakter“ verwiesen werden. 1944 untersuchten sie kriegsbedingt hauptsächlich Frauen an einer staatlichen US-Universität und kamen zu dem Ergebnis, dass zwar im Wesentlichen „der antisemitische Mann die gleiche Persönlichkeitsstruktur aufweist wie die antisemitische Frau“, doch der Unterschied bestehe darin, welche Regungen als der eigenen Geschlechterrolle nicht entsprechend empfunden und auf Jüdinnen und Juden projiziert werden. Frauen würden Aggressionen im Allgemeinen kaum zugestanden, umso befreiender sei es dann, sie an gesellschaftlich als solchen anerkannten Out-Groups auszulassen. Auch werden Frauen noch heute dazu erzogen, der eigenen Sexualität „höhere“ Gefühle vorzuschieben. Die „pure Lust“ scheint in weitaus größerem Ausmaße als bei Männern immer noch gesellschaftlich sanktioniert zu sein, was die zahlreichen Projektionen der eigenen sexuellen Regungen auf Fremde und die überspitzte moralische Entrüstung darüber erklärt.5

Am Schluss stellt Lower fest, dass keine der Frauen zu töten gezwungen war. Jenen aus der Kategorie der Zeuginnen der Shoa hatte sie zuvor an mehreren Stellen im Buch vorgeworfen, dass sie sich von der Frage „Was hätte ich denn schon tun können?“ durch Picknicks und Konzerte ablenkten. Doch in den allerletzten Absätzen behauptet sie zu verallgemeinernd, dass sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten, wenn sie Juden geholfen hätten. Nicht nur mit dem Beispiel von der von der Deportation ausgenommenen Frisörin widerlegt sie sich hier selbst. Diese Passage erweckt den Eindruck einer verzweifelten Suche nach Erklärungen für die zuvor so minutiös ausgearbeiteten Geschichten, die von fehlender Empathie bis zu brachialstem Vernichtungsantisemitismus reichen. Spätestens wenn das Buch Anfang 2014 auf Deutsch erscheint, sei die erschütternde Lektüre empfohlen.

Anmerkungen:
1 Lerke Gravenhorst / Carmen Tatschmurat (Hrsg.), Töchter Fragen. NS-Frauengeschichte, Freiburg 1990; Claudia Koonz, Mütter im Vaterland, Freiburg im Breisgau 1991.
2 Freya Klier, Die Kaninchen von Ravensbrück. Medizinische Versuche an Frauen in der NS-Zeit, München 1994.
3 Gudrun Schwarz, Eine Frau an seiner Seite. Ehefrauen in der „SS-Sippengemeinschaft“, Hamburg 1997.
4 Angelika Ebbinghaus (Hrsg.), Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1996.
5 Vgl. Ljiljana Radonic, Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus, Frankfurt am Main 1994, S. 152–159.

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