Englunds Buch zum Dreissigjaehrigen Krieg ist - soviel sei vorweg gesagt - trotz einiger Schwaechen ein aeusserst lesenswertes Monumentalwerk, das sicher kuenftig seinen Platz neben denen der ebenfalls literarisch ambitionierten FachkollegInnen Ricarda Huch, Veronica Wedgewood und Golo Mann - wie unterschiedlich man deren historische Leistung auch einschaetzen mag - behaupten wird. Es unterscheidet sich damit in mancherlei Hinsicht wohltuend von anderen anlaesslich der Friedensfeierlichkeiten erschienenen "trockenen" Publikationen, die vermutlich kaum jemand lesen wird. Englunds Stil ist eindruecklich plastisch und dabei fluessig und verstaendlich. Andernfalls waeren die 652 Seiten Text nach heutigen Lesegewohnheiten auch eine Zumutung. Die stilistische und dramaturgische Kompetenz hat sicher wesentlich damit zu tun, dass der Autor nicht nur Historiker sondern auch Journalist und dabei vor allem Kriegsreporter ist und einen ueber das reine Fachpublikum hinausgehenden Kreis von RezipientInnen ansprechen will, weshalb er bewusst auf Fussnoten verzichtete - was allein ihn in den Augen so mancher PuristInnen schon zum minderwertigen "Belletristen" stempeln duerfte. Der vorliegende Band will aber mehr sein als bunter historischer Roman. Der Autor wollte Geschichte erzaehlen und nicht dozieren. Schon allein dieser Anspruch ist im Fach nicht unumstritten, dabei scheint dies die weitaus schwierigere Methode der Wissensvermittlung zu sein, will sie doch nicht nur Erkenntnisse weitergeben sondern auch fesseln.
Das dickleibige und mit vielen Stichen und einigen Farbtafeln reich bebilderte Buch wurde von Englund als erster Teil einer Trilogie konzipiert, die eine Synthese von Politik- und Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts anstrebt und - wie der Untertitel verdeutlicht - "eine" etwas andere und nicht "die" letzte Wahrheiten liefernde Geschichte des Dreissigjaehrigen Krieges sein will. Nach eigener Aussage versuchte der Autor auf diese Weise drei thematische und damit auch methodisch unterschiedliche Straenge miteinander zu verweben; ein hoch komplexer Anspruch, der angesichts der zeitlichen, geographischen, sozialen und kulturellen Vielschichtigkeit und Bandbreite des Themas fast zwangslaeufig zu Ungleichgewichten, strukturellen Bruechen und qualitativen Schwankungen fuehren musste.
Anhand der Rahmenhandlung der Lebensbeschreibung des in seinem Heimatland durchaus bekannten Schwedischen Militaeringenieurs und Zeichners Erik Joensson, spaeter geadelter Dahlbergh, verknuepft mit kulturhistorischen Exkursen in die Lebens- und Vorstellungswelt des "chaotischen 17. Jahrhunderts" (S. 9), soll die "Grossmachtpolitik im Grossen und Kleinen" (ebd.) auf ihre konkrete lebensweltliche Bedeutung fuer die ueberwiegende Bevoelkerungsmehrheit zurueckgeschnitten werden. Das von Kindertagen an bis 1699 gefuehrte Tagebuch (Dahlbergh starb 1703) scheint in den Jahren bis 1643 - wie nicht anders zu erwarten - eher duerftige Reflexionen ueber das Kriegsgeschehen, aber auch ueber den eigenen Alltag zu enthalten (vgl. S. 195 und 264). Doch nicht nur weil der biographische Aufhaenger Joensson erst 1625 geboren wurde, sondern wohl auch, weil aus schwedischer Perspektive der Dreissigjaehrige Krieg erst 1630 mit dem Erscheinen Koenig Gustav Adolfs auf den deutschen Schlachtfeldern so richtig begann, faellt die Beschreibung der Anfaenge sowie der Situation in den immerhin elf ersten Kriegsjahren etwas sehr knapp aus. Dieses Manko wird aber dadurch mehr als aufgewogen, dass Englund einer der wenigen Fruehneuzeithistoriker ist, der sich im Zusammenhang mit dem Dreissigjaehrigen Krieg auch mit der Zeit nach 1648 befasst und die Bedeutung der problematischen Demobilisierung der Soeldnerheere sowie die sozialen Spaetfolgen des Krieges nicht aus den Augen verliert. So laesst er seine Geschichtserzaehlung 1656 mit einer Dienstreise des Schweden auf einen neuen Kriegsschauplatz beginnen, den des Schwedisch-Polnischen Krieges, in den auch wieder deutsche, naemlich brandenburgische Soldaten verwickelt waren. Englunds umfassende biographische Forschungen zu Dahlbergh und seine leider nur auf Schwedisch erschienenen Arbeiten zur Geschichte des schwedischen Adels und dessen fruehneuzeitlicher Kriege bilden dabei den kompetent skizzierten Hintergrund des gesamten Werkes.
Wer neue Forschungsergebnisse erwartet, duerfte enttaeuscht werden, aber dies war auch nicht des Autors Anliegen. Dennoch ist das Buch keine blosse Kompilation. Allein durch die Moeglichkeiten, welche die ueberlieferten Tagebuecher und Briefwechsel des Erik Joensson als Sonde in das Weltbild eines schon seit der Kindheit vielreisenden Zeitgenossen und Zeitzeugen verschiedener Kriege bieten, eroeffnen sich Innenansichten auf Vorgaenge, die bisher nur aus der diplomatie- und militaergeschichtlichen Perspektive betrachtet wurden. Dazu zaehlt die Beschreibung des Joenssonschen Karriereweges durch das typische Klientelsystem der Empfehlungs-, Geld- und Verwandtschaftsnetze, die gerade in Kriegszeiten auch Nichtadeligen echte Aufstiegschancen ermoeglichten ebenso, wie die verschlungenen Wege und individuellen Motive der Kriegsfinanzierung und Ruestungspolitik. Umrahmt werden die verschiedenen Handlungs- und Ereignisstraenge von den Schilderungen sich in frappierender Aehnlichkeit wiederholender Kriegsgreuel, Belagerungen und Erstuermungen und vor allem der heuschreckenartig ueber Stadt- wie Landbevoelkerung herfallenden Vernichtungsschwaerme riesiger Armeekontingente, die mit Fortschreiten des Krieges immer neue Hungerschneisen hinterlassen und mehrfach wiederkehren konnten. Englund gelingt es den Widersinn des perversen "perpetuum mobile" des Krieges deutlich zu machen und liefert damit eine verschiedene historische Ebenen umfassende Erklaerung fuer die zaehe Endlosigkeit der Verheerungen. Je erfolgreicher eine Armee mit ihren Eroberungen und gewonnenen Schlachten war, desto schneller liess ihr durch die Ohnmacht des Gegners erzwungener Stillstand sie in bis zum letzten Grashalm ausgepressten Landstrichen verhungern.
Englunds erzaehlerische Kraft kommt in solchen minutioesen Beschreibungen von Schlachten, Gewaltexzessen und Kriegsleiden besonders zum Ausdruck. Darin liegt die spezifische Staerke aber gleichzeitig auch eine Schwaeche des Buches. Der direkte Rueckgriff auf Quellen, wie etwa der Abdruck einer Todesliste frisch ausgehobener (Kinder-)Soldaten, die kaum an Pommerns Kueste angelandet, innerhalb weniger Monate an Krankheiten starben, fuehrt etwa knapp aber drastisch vor Augen, wie die gesamte maennliche Jugend einzelner schwedischer Regionen in der uneffektiven aber staendig mahlenden Kriegsmaschinerie sinnlos "verheizt" wurde. Wunderbar bildhafte Beschreibungen heute fremdgewordener Erfahrungs- und Wahrnehmungsweisen, wie z.B. die fruehneuzeitliche Welt der Geraeusche in der Grossstadt im Vergleich zum Land, gehen nahtlos ueber in Reflexionen ueber das Handelsleben und die (fuer nicht wenige) gewinnbringende Kriegswirtschaft. Daran unmittelbar schliesst wiederum jedoch eine in diesem Zusammenhang eher ueberfluessige Beschreibung der Schwedischen Kolonialambitionen an. Solche Informationsflut hat ihre negativen Seiten. All zu vieles wird nur kurz angerissen, an anderer Stelle dann etwas unvermittelt weiter ausgefuehrt, wieder fallengelassen und ein drittes Mal aufgenommen, so dass die Leserin des oefteren in der Menge der Details und "Diversitaeten" die Orientierung zu verlieren drohte. Ausfuehrungen ueber fuer die meisten deutschen LeserInnen vermutlich historischen "weissen Flecken", wie etwa die schwedische Kolonialpolitik oder die Struktur der freien schwedischen Bauernschaft, die zunehmend in Abhaengigkeit vom Adel zu geraten drohte und das spezifische Rekrutierungssystem bedeuten dennoch einen ueber den nationalen Tellerrand hinausgehenden zusaetzlichen Bildungseffekt.
Erfreulicherweise wurden dem Buch sowohl ein ausfuehrliches Personen- als auch ein Ortsregister mitgegeben. Gerade fuer NichtwissenschaftlerInnen, die das Buch ganz bewusst anspricht, und die es vielleicht als Einfuehrung in die Kultur- und Sozialgeschichte des 17. Jahrhunderts nutzen wollen, haette sich allerdings ein zusaetzlicher Sachindex, der die diversen Kultur-Exkurse leichter wiederauffindbar machte, als sehr nuetzlich erwiesen. Anstelle von Fussnoten verzeichnet der Anhang einerseits ein schwedisch dominiertes und mangels genuegender Uebersetzungen ins Deutsche oder Englische leider fuer die nicht skandinavistisch spezialisierte Leserschaft eher unergiebiges Literaturverzeichnis, darueber hinaus zu den einzelnen Kapiteln Kurztitelangaben, die sich auf die dort abgehandelten Themenschwerpunkte beziehen und die verwendeten Hauptquellen (Primaer- wie Sekundaer-) nennen. Trotzdem bedauerte die Fachhistorikerin "in" der geneigten Leserin an einigen Stellen den Verzicht auf Belege. Selbst wenn man stilistische Ausschmueckungen mit in Betracht zieht, wuerde doch interessieren aus welchen Quellen sich pauschalierende Saetze wie etwa die folgenden speisen und ob sie zeitgenoessischen oder heutigen Moralstandards entlehnt sind: "Er [Tilly] war ja im Gegensatz zu Wallenstein kein zynischer Opportunist, der sich in den Krieg geworfen hatte, um Geld zu machen." (S. 112) oder: "Waehrend Baner ein zum Genie sublimierter Haudegen war, kampferprobt und grob, mit einem abstossenden Wesen, hemmungslosem Sexualtrieb und schweren Alkoholproblemen, verfuegte sein Nachfolger zumindest ueber einen Anflug von Bildung und Lebensart." (S. 271)
Derartige Kurzportraits, die oft eher knappen Polemiken aehneln, fallen an zu vielen Stellen unangenehm auf. Die vermutlich anhand zeitgenoessischer Oelgemaelde gewonnenen Kenntnisse ueber das Aussehen diverser Feldherren, Adeligen, Diplomaten und anderer Kriegsprominenz liessen oft Assoziationen einer Lavaterschen Physiognomik anklingen, wenn etwa anhand von Kinnform und Augenabstand Persoenlichkeitszuege suggeriert werden, die intendierten biographischen Beschreibungen dabei jedoch inhaltlich eher blass bleiben.
Etwas befremdlich und auch widerspruechlich zum Tenor des gesamten Buches erscheint zusaetzlich, dass den ohnehin opulenten Schlachtbeschreibungen jeweils eine geo-strategische Zeichnung mit graphisch verschieden gestalteten Pfeilen zur Illustration von Stossrichtungen und Schanzen der verfeindeten Verbaende beigegeben wurde, wie sie der Rezensentin etwa aus Kriegstagebuechern des Ersten Weltkrieges vertraut sind. Zeitgenoessische Stiche zu Schlachtformationen ergaenzen diesen militaerbegeisterten Focus. An diesen Stellen geschieht (unfreiwillig?) gerade jene aus der traditionellen Militaergeschichte bekannte Aesthetisierung des Krieges und etwaiger strategischer Finessen, die Englund sonst selbst ablehnt.1 Die in der Einleitung genannte Absicht des Autors, naemlich die Schilderung der grossen Machtpolitik mit ihren Auswirkungen auf das Leben und Sterben der Bevoelkerung zu verweben, haette es sicher nicht erforderlich gemacht, die Lesenden mit detaillierten taktischen Rekonstruktionen zu konfrontieren.
Auch wenn ob des ueppigen und mutig angegangenen Themenspektrums die komplexen politischen Zusammenhaenge manchmal etwas ins Hintertreffen geraten sein moegen und einige Straffungen mehr Klarheit gebracht haetten, darf man angesichts von Englunds historischer Gesamtschau trotzdem gespannt den zweiten Band der Trilogie erwarten, der sich den Jahrzehnten nach 1650 und damit einem bisherigen Stiefkind der deutschsprachigen Geschichtswissenschaften widmen wird. Sollte er mit seinem, in anderen Wissenschaftskulturen voellig etablierten, narrativen Vorgehen auch nur eine Handvoll geschichtsfrustrierter LeserInnen zur Rezeption des Faches zurueckgefuehrt haben, ist ihm damit mehr gelungen, als viele jener FachkollegInnen wahrhaben moegen, deren fehler- und lueckenlos belegte Arbeiten ausserhalb kleinster SpezialistInnenkreise niemand zur Kenntnis nimmt. Der bereits innerhalb weniger Monate notwendig gewordene Nachdruck der ersten Auflage, scheint diese Interpretation jedenfalls zu stuetzen.
Anmerkungen:
1 Vgl. seinen Artikel in der FAZ vom 22.04.1998, Nr. 93, S. 43: "Der Krieg ernaehrt seinen Mann. Und gelegentlich frisst er ihn: Die Wiederkehr des Dreissigjaehrigen Krieges in Bosnien, Afghanistan, Liberia".