Sound History verschafft sich Gehör: Die Historiographie hat in den letzten Jahren vom interdisziplinären methodischen Zugriff wie auch den konkreten empirischen Befunden der Sound History und der Sound Studies erheblich profitiert.1 "Sound and Safe" stellt ebenfalls eindrücklich unter Beweis, welche Potenziale die Analyse vergangener Klangwelten birgt. Sicherlich ist ihr Untersuchungsgegenstand Automobil auf den ersten Blick perspektivisch stark eingeengt. Auf den zweiten – und dies arbeiten die Autoren in ihrer facettenreichen Studie immer wieder heraus – ist das Artefakt Auto mit den Lebenswelten, der Alltagskultur, politischen Entscheidungsprozessen und der Umweltschutzbewegung genauso verflochten wie mit der industriellen Produktion oder dem Marketing.
Das Autorenteam untersucht in seiner schlüssigen und argumentativ auf den Punkt präzisen Monographie, wie sich das Auto in Westeuropa und den USA von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart von einem lärmenden Vehikel zu einer "Schallkapsel" entwickelte, die ihre Insassen von der Außenwelt abschottet und ihnen einen privaten, sicheren und abgeschlossenen Raum bietet. Dieses bedeutsame kulturelle Phänomen des "acoustic cocooning" ermöglicht es dem Autofahrer sich zu entspannen, indem er die Kontrolle über die akustische Umwelt im Wageninnenraum erhält, wohingegen sich andere Bereiche des Autofahrens wie der Verkehr seinem Einfluss entziehen. In vier empirischen Kapiteln wird dieser Wandel der "auditory cultures" chronologisch-thematisch untersucht. Den Rahmen liefern ein einleitendes Kapitel, das das Panorama und Methodenrepertoire aufspannt, und ein resümierendes Schlusskapitel, das die Ergebnisse aufgreift und in einen größeren Kontext einbettet. Insbesondere zwei miteinander verwobene Leiterzählungen prägen dabei die Studie: "the histories of shielding the car’s interior acoustic space from outside noises, and of filling this space with the sound of audio equipment, the auditory signals of seatbelts and blinkers […] and so forth” (S. 7). Beide Prozesse führten dazu, dass im Wageninnenraum ein eigener Klangraum entstand, der dem Fahrer Privatsphäre bot, ihm als Rückzugsort vor externen Einflüssen diente und über dessen akustische Ausgestaltung er frei entscheiden konnte.
Das Kapitel "It Shuts with a Comforting Sound" nimmt in den Blick, wie sich beim Übergang zur geschlossenen Karosserie die Geräuschwahrnehmung der Autofahrer verschob und welche Anstrengungen die Hersteller unternahmen, die Wagengeräusche zu reduzieren. Diesem Prozess kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als Motorenlärm zunächst als Signum von Macht firmierte. Das Laufgeräusch eines Motors symbolisierte Leistungsfähigkeit und beeindruckte Passanten. Das Merkmal verlor jedoch zwischen den 1920er- und 1940er-Jahren an Bedeutung, als sich das Auto vom Sport- zum Transportgerät für Mittelklassefamilien entwickelte. Für diese Käufergruppe war ein ruhig laufender Motor aus verschiedenen Gründen wichtig: Erstens symbolisierte er Zuverlässigkeit und Qualitätstechnik. Zweitens erhöhte er den Komfort, da die Wageninsassen gerade bei längeren Fahrten nicht durch ohrenbetäubenden Lärm gestört wurden. Drittens wandelte sich die kulturelle Bedeutung des Motorengeräuschs: Ein laufruhiger Motor symbolisierte nun einen hohen sozialen Status und damit Macht. Die Veränderung geht auf die Werbeabteilungen der Hersteller zurück, die große Anstrengungen unternommen hatten, die kulturelle Konnotation der Geräuschemissionen neu zu kodieren.
Abschließend wird in diesem Kapitel dezidiert analysiert, wie sich mit dem Übergang zur geschlossenen Fahrzeugkarosserie Geräuschwahrnehmungen im Auto wandelten und warum dadurch das "acoustic cocooning" an Bedeutung gewann. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Interpretation des Autorenteams, dass die Karosserie den Blick der Wageninsassen einengte, wodurch das Autofahren an Spektakularität einbüßte. Diese Lücke kompensierte schon in den 1920er-Jahren das Sound Design des Wageninnenraums. Im anschließend eingeschobenen sogenannten "Illustration Essay" untermauern die Autoren, dass sich ihre Thesen zu den Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit auch auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts übertragen lassen.
Im Kapitel "Humming Engines and Moving Radio" wird untersucht, wie sich von den 1920er- bis zu den 1970er-Jahren das Hören der Autofahrer veränderte. Zunächst war es die Pflicht des Autofahrers gewesen, durch überwachendes und diagnostisches Lauschen eventuelle Motorendefekte frühzeitig zu identifizieren. Allmählich setzte jedoch ein "delistening to the engine" (S. 73) ein, da im Zuge der Massenmotorisierung immer weniger Autofahrer die notwendige Expertise besaßen. Während Mechaniker diese Kompetenzen übernahmen, konnten sich Autofahrer nun anderen Geräuschquellen wie dem Autoradio zuwenden. Die präferierten Nutzungsgewohnheiten des Autoradios wandelten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts erheblich. Anfangs konnten Fahrer – und Passanten – den Radiosendern aufgrund technischer Beschränkungen lediglich im geparkten Auto lauschen. Innerhalb weniger Jahre lösten die Hersteller aber das Empfangsproblem und das Radio entwickelte sich zu einem "sound and safe companion on the road" (S. 99). Als Autofahrer mit dem steigenden Verkehrsaufkommen zusehends von Staus gestresst wurden, übernahm das Autoradio insbesondere ab der Jahrhundertmitte die Funktion eines "personal mood regulator" (S. 101) und mit der Einführung des Verkehrsfunks auch die eines akustischen Assistenten.
Im vierten Kapitel wenden sich die Autoren der Eindämmung der Geräuschemmissionen durch Lärmbarrieren wie den entlang von Straßen errichteten Schallschutzwänden zu. Diese reduzierten seit den 1970er-Jahren einerseits den von der Umwelt wahrgenommenen Wagenlärm. Andererseits veränderten sie die Wahrnehmung der Autofahrer, da sie wie Korridore deren Perspektive einengten und den Schall der Autos reflektierten. Die Verschiebungen wurden von Autofahrern anhand unterschiedlicher Themen diskursiv verhandelt. Sie schilderten das klaustrophobische Gefühl eingeschlossen zu sein, monierten den versperrten Blick auf die natürliche Landschaft und sprachen von einer Unter-der-Erde-Erfahrung, die stark den Schilderungen von U-Bahnfahrten aus dem 19. Jahrhundert ähnelt. Parallel mit dieser voranschreitenden Einengung der Perspektive durch externe Einflüsse wuchs die soziale Bedeutung des Autoradios und der Musikanlage. Sie transformierten das Auto zu einem Zufluchtsort, der Privatheit und Entlastung von Umwelteinflüssen garantierte.
Diese Bedeutung von Klängen und Geräuschen griff die Automobilindustrie ab den 1990er-Jahren verstärkt mit ihrem Sound Design auf, das "target sound" für bestimmte Konsumentengruppen entwickelte. Die Veränderungen führen die Autoren im Kapitel "Selling Sound" am Beispiel der Automobilwerbung plastisch vor Augen. Zum Beispiel modifizierten die Hersteller ihre Werbebotschaften. Sie ergänzten das Leitmotiv "Stille im Wageninnenraum" durch spezifische Geräuschmuster, die typisch für bestimmte Hersteller und deren Produkte waren. Konsumenten konnten damit über Geräusche wie zum Beispiel beim Schließen der Tür die Automobilproduzenten identifizieren. Geräusche sollten bei ihnen überdies bestimmte Erlebnisgefühle evozieren. Die Akustik der Autos war somit – so die Maßgabe der Hersteller – auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten, deren Bestimmung in der Praxis freilich schwieriger verlief, da Experten und Laien die Geräusche unterschiedlich wahrnahmen. An dieser Stelle wird zum Beispiel eingehend das methodische Problem erörtert, wie bei verwissenschaftlichten Alltagsgütern Laienwissen in Expertenwissen und umgekehrt übersetzt werden kann.
Das abschließende Kapitel "Auditory Privacy and Sonic Relief in the Car" greift bereits im Titel zwei Kernthesen der Studie auf, bündelt die zentralen Aussagen, diskutiert den methodischen Zugriff und erweitert die Perspektive um gegenwärtige akustische Phänomene wie das Boom Car – Autos mit extrem leistungsstarken Musikanlagen, deren Schallemissionen noch über große Distanz zu hören sind. Sicherlich hätte an dieser Stelle eine ausführlichere Kontextualisierung der Befunde in die historischen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen erfolgen können. Dieser Einwand soll die Leistung der hier vorgelegten Arbeit aber nicht mindern, zumal der enge Fokus auf den Untersuchungsgenstand Auto klare und präzise Schlussfolgerungen und pointierte Thesen ermöglicht. Darüber hinaus liefert das insbesondere in den beiden Rahmenkapiteln vorgestellte Methodenrepertoire Historikerinnen und Historikern Werkzeuge, die auch jenseits der Sound History nutzbar scheinen. Das Autorenteam um Karin Bijsterveld hat eine gut lesbare und durchweg überzeugende Studie vorgelegt, die insbesondere jedem ans Herz gelegt sei, der sich mit Sound History, Kulturgeschichte der Technik, Medienwissenschaften und theoretisch-methodischen Fragestellungen beschäftigt.
Anmerkungen:
1 Vgl. den Bericht zur Sektion "Sound History" beim 49. Historikertag in Mainz: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4457> (25.09.2014); Jan-Friedrich Missfelder: Rezension zu: Bijsterveld, Karin (Hrsg.): Soundscapes of the Urban Past. Staged Sound as Mediated Cultural Heritage. Bielefeld 2013, in: H-Soz-u-Kult, 24.09.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-3-182> (25.09.2014); Daniel Morat: Rezension zu: Pinch, Trevor; Bijsterveld, Karin (Hrsg.): The Oxford Handbook of Sound Studies. Oxford 2012, in: H-Soz-u-Kult, 09.11.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-4-121> (25.09.2014); Christoph Hilgert: Rezension zu: Paul, Gerhard; Schock, Ralph (Hrsg.): Sound des Jahrhunderts. Geräusche, Töne, Stimmen 1889 bis heute. Bonn 2013, in: H-Soz-u-Kult, 18.07.2014, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2014-3-046 (25.09.2014). Für einen Forschungsüberblick vgl. u.a. Daniel Morat, Zur Historizität des Hörens. Ansätze für eine Geschichte auditiver Kulturen, in: Jens Schröter / Axel Volmar (Hrsg.), Auditive Medienkulturen. Techniken des Hörens und Praktiken der Klanggestaltung, Bielefeld 2013, S. 131–144; Jan-Friedrich Mißfelder, Period Ear. Perspektiven einer Klanggeschichte der Neuzeit, in: Geschichte & Gesellschaft 38 (2012), S. 21–47; Jürgen Müller, "The Sound of Silence". Von der Unhörbarkeit der Vergangenheit zur Geschichte des Hörens, in: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 1–29; Sophia Rosenfeld, On Being Heard. A Case for Paying Attention to the Historical Ear, in: American Historical Review 116 (2011), S. 316–334.