Titel
Hinter dem Horizont. Von der Erkundung Afrikas bis zur Eroberung des Mount Everest: Die Fotografischen Schaetze der Royal Geographical Society


Herausgeber
Gaede, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
339 S., 100 farbige u. 300 sw. Fotos
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Angela Schwarz, FB 1 Geschichte, Gerhard-Mercator-Universität

Als sich 1830 Mitglieder des 1827 gegruendeten Raleigh Travellers Club entschlossen, eine Geographical Society of London ins Leben zu rufen, ahnten sie trotz des heranbrechenden Zeitalters der Wissenschaften und damit der wissenschaftlichen Vereinigungen wohl kaum, welchen Einfluss ihre Gruendung einmal ausueben wuerde. Denn die ab 1859 mit koeniglichem Patent ausgestattete Royal Geographical Society (RGS) entwickelte sich nicht nur zu einer mitgliederstarken Organisation, die sich heute, nach dem Zusammenschluss mit dem Institute of British Geographers im Jahr 1995, ruehmt, mit rund 13.000 Mitgliedern in aller Welt die groesste geographische Organisation der Welt zu sein. Bedeutsamer noch war vielmehr der Umstand, dass die Gesellschaft bald ihren Auftrag, die Geographie als "unterhaltsamen Zweig des Wissens zu foerdern" (S. 8), in der Form einer Initiierung oder Unterstuetzung von Forschungsreisen in die noch unbekannten Teile des Globus umsetzte. Wenn man sich die Liste der gefoerderten Expeditionen und ihrer Anfuehrer anschaut, kann man der Einschaetzung durchaus zustimmen, die der gegenwaertige Praesident der RGS, John Hemming, in seiner etwas ueberschwenglichen Einfuehrung zum vorliegenden Band formuliert. Die Gesellschaft sei, so schreibt er gleich zu Anfang, beruehmt fuer "die fuehrende Rolle, die sie bei der Erforschung unseres Planeten gespielt hat" (S. 8). Namen wie die folgenden waeren auf einer solchen Liste zu finden: Robert Schomburgk im damaligen British Guiana, David Livingstone, Richard Burton, John H. Speke, Joseph Thomson in Afrika, John Franklin und George Nares in der Arktis, Robert Scott und Ernest Shackleton, spaeter Vivian Fuchs in der Antarktis, Isabella Bird (verheiratete Bishop) - eines der ersten weiblichen Mitglieder der RGS - in Asien und Edmund Hillary im Himalaja.

Getreu ihres Bildungsauftrages hat die RGS frueh damit begonnen, Vortraege und Tagungen zu organisieren, die erarbeiteten Erkenntnisse in wissenschaftlichen Buechern und Zeitschriften zu publizieren und Material zu sammeln, das mit der schrittweisen Ausfuellung der noch weissen Flecken der Weltkarte in Verbindung stand. So kam eine bedeutsame Sammlung von Landkarten, Buechern und, Grundlage dieses Bildbandes, ein grosser Bestand von Fotografien zusammen, die ohne Zweifel wichtige und beredte Zeugnisse der Aneignung der Welt durch den - europaeischen - Menschen seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts darstellen. Rund eine halbe Million Fotografien befinden sich im Besitz der RGS, die meisten davon waren bisher noch unveroeffentlicht, so dass in diesem urspruenglich 1997 von der Royal Geographical Society in Grossbritannien veroeffentlichten Buch viele Bilder erstmals einem breiteren Publikum zugaenglich gemacht sein duerften.

Im Laufe von etwa 140 Jahren europaeischer Entdeckungsgeschichte, auch in der, die durch das Medium der Fotografie zumindest in Momenten fuer die Nachwelt festgehalten worden ist, hat sich natuerlich vieles veraendert. So wird auch hier im Vorwort pflichtschuldig darauf hingewiesen, dass die ausgewaehlten Abbildungen nicht nur die Neugier des forschenden Gelehrten und Abenteurers widerspiegeln, sondern ebenso oft eine - an der britischen Wahrnehmungsweise orientierte - koloniale Weltanschauung, die bis ins 20. Jahrhundert hinein den Blick und die Wertungen der Reisenden lenkte oder zumindest beeinflusste. Fuer den heutigen Betrachter muss das die Aussagekraft der Bilder - die dann allerdings auf einer anderen Ebene angesiedelt ist - nicht einschraenken, verfuegt er doch ueber die Moeglichkeit, das Dargestellte sozusagen mit zwei Augenpaaren zu sehen: mit den Augen der Harry Johnstons, Joseph Thomsons oder W.H.I. Shakespears im 19. und 20. Jahrhundert und dann mit den eigenen, kritische(re)n. Das ist es, was die Beschaeftigung mit diesen rund dreihundert fotografischen Zeugnissen jenseits ihres dokumentarischen bzw. historischen Wertes, der fuer sich genommen schon hoch anzusetzen ist, so interessant, so faszinierend macht.

Aufgrund der noch begrenzten technischen Moeglichkeiten halten die fruehen Fotografien vor allem Landschaften und Gebaeude im Bild fest. Belichtungszeiten von mehreren Minuten machten bei Aufnahmen von bewegten Motiven, etwa von Menschen, das 'gestellte Bild' unausweichlich, so dass derjenige, der Menschen portraetieren wollte, sie zwangslaeufig posieren lassen musste. Das, was uns heute in den Bildern als Kolonialherrenattituede entgegentritt, erklaert sich so mindestens zu einem Teil aus der bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts verfuegbaren Fototechnik. Die Entwicklung dieser Technik wird uebrigens in einem kurzen Ueberblick nachgezeichnet, der dem Abbildungsteil vorangeht. Darin werden unter anderem angesprochen: die Tuecken des nassen Kollodiumverfahrens, bei der die Platten fuer die Aufnahme vor Ort praepariert, die Bilder sofort nach der Aufnahme entwickelt werden mussten, die Anstrengungen des Transports der erforderlichen Ausruestung, zu der lange Zeit ein Dunkelkammer-Zelt als unverzichtbarer Bestandteil gehoerte, ab Ende der siebziger Jahre dann zumindest noch der nicht einfache Transport der nach wie vor aus Glas hergestellten Fotoplatten, bis zehn Jahre spaeter die Zelluloidfolien aufkamen. Der Aufwand, den die Fotografen in den ersten vierzig Jahren zu betreiben hatten, war gewaltig.

Den einfuehrenden Kapiteln folgen die hier zusammengetragenen Aufnahmen in einer Aufteilung, die sich an den Regionen der Erde ausrichtet: Asien, Afrika, die Pole, der Nahe Osten, Australasien und Amerika lauten die Ueberschriften. Jedem dieser Abschnitte geht ein einleitender Text voran, der jeweils aus der Feder einer bekannten Forscherpersoenlichkeit stammt: von Edmund Hillary, Richard Leakey, Ranulph T-W-Fiennes, Wilfred Thesiger, Christina Dodwell und von John Hemming. Der Band schliesst mit einem Kapitel, in dem unter der Ueberschrift "Pioniere und Phantasten" Biographien von einundzwanzig prominenten Reisenden zusammengestellt sind. Der eine oder andere Leser mag sich umfangreichere Erlaeuterungen wuenschen und die Kuerze des Textteils beklagen. Einige Aussagen darueber, warum gerade diese dreihundert Fotos aus dem Gesamtbestand von einer halben Million ausgewaehlt wurden, waeren ohne Zweifel hilfreich. Wenn man allerdings bedenkt, dass hier die Fotografien im Mittelpunkt stehen, kommt man rasch zu dem Schluss, dass die zwischen drei bis fuenf Seiten langen Einfuehrungstexte nicht nur im Umfang fuer den Zweck der Publikation angemessen sind, sondern dass sie ueberdies mit ihrer Anreicherung mit persoenlichen Eindruecken und Erlebnissen des jeweiligen Autors oder der Autorin mit den Bildern, die ja ihrerseits den Zug des Subjektiven oder Persoenlichen tragen, eine Einheit ergeben. Dazu sind auch noch die teilweise recht ausfuehrlichen Bildunterschriften zu rechnen, mit denen dem Betrachter die Einordnung der dargestellten Situation oder Ansicht leicht gemacht wird.

Damit waere nun alles bis auf das Wesentliche des Bandes, naemlich die Fotografien, angesprochen. Der wichtigste Grund fuer dieses - bisherige - Versaeumnis liegt natuerlich darin, dass sich Bilder nur bis zu einem gewissen Grad mit Worten wiedergeben lassen. Es ist leicht, auf die ausgezeichnete Druckqualitaet des Buches und die Qualitaet der gross- und kleinformatigen farbigen und Schwarz-Weiss-Abbildungen, auf die Bandbreite der abgelichteten Motive zu verweisen, die von Landschaften ueber Gebaeude zu - vereinzelten - Tierfotografien und Aufnahmen von Menschen in gestellten und spontanen Situationen reicht. Schwieriger ist es schon, einen Eindruck von der hohen kuenstlerischen Qualitaet zu vermitteln, die nicht wenige Fotografien aufweisen - etwa die Abbildung des Unteren Remo-Gletschers in Kaschmir aus dem Jahr 1915 (S. 61), die die Landschaftsbilder des gefeierten amerikanischen Fotografen Ansel Adams vorwegzunehmen scheint (von vergleichbarem Standard waeren auch die Fotos etwa auf den S. 64, 65 oder die im Stil anders gearteten Landschaftsaufnahmen auf den S. 155, 177, 182, 262, 264, 292).

Noch schwieriger, wenn nicht sogar unmoeglich ist es schliesslich, die Wirkung der zahlreichen Bilder angemessen zu beschreiben, auf denen Menschen zu sehen sind, etwa die der eindringlichen Einzelportraets (etwa S. 69, 153, 184, 212, 216, 261), der Bilder mit posierenden Gruppen (etwa S. 28, 31, 136, 243) oder der Fotos mit dem ‘ethnographischen’ Blick (etwa S. 40, 120, 142, 230/31), letzteres hier als eine Gruppe gesehen, obwohl an sich keine eigene Kategorie. Man kann eigentlich nur auf die Fotos selbst verweisen, die fuer sich selbst sprechen - sprechen koennen. Am spannendsten sind an der Wende zum 21. Jahrhundert verstaendlicherweise die vom 19. und fruehen 20. Jahrhundert. Im Falle des vorliegenden Bildbandes, der auch - und gerade - Neugierige ausserhalb der wissenschaftlichen Disziplinen ansprechen will, ist die Betrachtung der Fotos nur nachdruecklich zu empfehlen.

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