: West Germany and the Global Sixties. The Antiauthoritarian Revolt, 1962–1978. Cambridge 2013 : Cambridge University Press, ISBN 978-1-107-02255-3 X, 397 S., 42 SW-Abb. £ 65.00 / $ 99.00

Brown, Timothy Scott; Lison, Andrew (Hrsg.): The Global Sixties in Sound and Vision. Media, Counterculture, Revolt. Basingstoke 2014 : Palgrave Macmillan, ISBN 978-1-137-37522-3 VIII, 296 S., 17 SW-Abb. £ 60.00 / $ 95.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina von Hodenberg, School of History, Queen Mary University of London

Zunächst zur Monographie, die seit Mai 2015 auch als Paperback-Ausgabe erhältlich ist: Timothy Brown legt eine gut geschriebene und detailliert recherchierte Studie zu den westdeutschen Protestbewegungen der 1960er- und 1970er-Jahre vor, deren Lektüre sich lohnt. Das englischsprachige, schön produzierte und bebilderte Buch wird eine breite Leserschaft vor allem bei Studenten und Wissenschaftlern außerhalb Deutschlands finden. Doch es ist wünschenswert, dass auch deutsche Spezialisten diese Arbeit zur Kenntnis nehmen.

Die besondere Stärke der Studie liegt einerseits in der konsequent globalen und transnationalen Perspektive, andererseits in der Betonung der künstlerisch-kreativen Aspekte der Revolte. Zum einen arbeitet Brown eindrucksvoll internationale Einflüsse und Verbindungen des Lokalen mit dem Globalen heraus. Zum anderen nimmt er Musik, bildende Kunst, Literatur, alternative Presse, Performance, Collage, Reklame, Kurzfilm nicht nur als Quellen und Produkte der Zeit wahr, sondern auch als tragende Elemente des Geschehens, der Bewusstseinsbildung und Gruppenformation. Zu diesen beiden Punkten hat Brown viel Neues zu sagen, das auch Spezialisten interessieren wird. Zugleich lässt sich sein Buch als eine Gesamtdarstellung des westdeutschen „1968“ lesen; als solche richtet es sich an nicht-deutschsprachige Studenten. Dadurch bedingt, findet sich in manchen Kapiteln überwiegend Bekanntes (so zur NS-Vergangenheit, zur Frauen- und Schwulenbewegung oder zur Terrorwelle der 1970er-Jahre).

Das fast 400-seitige Buch ist in acht Kapitel aufgeteilt, die plakativ mit Einzelworten betitelt sind („Space“, „Time“, „Word“, „Sound“, „Vision“, „Power“, „Sex“, „Death“). Dahinter verbergen sich relativ konventionelle Kapitelthemen. „Time“ etwa beschäftigt sich hauptsächlich mit der Art und Weise, in der die „68er“ sich mit historischen Beispielen anderer Revolutionen und mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzten. Der Abschnitt „Word“ dreht sich um die studentische Gegenöffentlichkeit und literarische Ableger der Revolte. In „Sound“ geht es um Bands, Musikfestivals und Konzerte. „Vision“ widmet sich zeitgenössischen Filmen, Happenings, subversiver Bildkunst, revolutionären Ikonen und Karikaturen. „Power“ verfolgt das politische Auseinanderbrechen der Außerparlamentarischen Opposition ab 1968, während „Sex“ sich der geschlechter- und sexualitätsgeschichtlichen Aspekte annimmt. Schließlich untersucht „Death“ die Auseinandersetzung der Akteure mit Gewalt und Terror.

Eines der besten (und längsten) Kapitel ist „Space“. Hier wird das westdeutsche „1968“ als Produkt von „global imaginings and transnational exchanges“ dargestellt sowie die Topographie der Ereignisse mit dem Ansatz des „mapping“ zu verfolgen gesucht. Detailliert wird beispielsweise die Rolle von ausländischen Studenten bei den Protesten gegen den Staatsbesuch des kongolesischen Politikers Moise Tshombé im Jahr 1964 herausgearbeitet. Die Reisen der Gammler vom Berliner Kurfürstendamm nach Afghanistan und Marrakesch werden erwähnt, ebenso wie ihre Orientierung am Modell der Amsterdamer Provos. Internationale Einflüsse auf die Mitglieder der Gruppe „Subversive Aktion“ werden en détail nachgezeichnet, seien es Guy Debords situationistische Ideen bei Dieter Kunzelmann, Che Guevaras Theorie lokaler Foci bei Rudi Dutschke oder die Begeisterung beider für den französischen Kinofilm „Viva Maria!“ mit Brigitte Bardot (1965). Bei einem Treffen 1966 in Kochel am See wurden Frantz Fanon und Herbert Marcuse gelesen. So fanden amerikanische und antikoloniale Ideen Eingang in die lokalen Entwürfe revolutionärer Praxis.

Zwar beruht die Darstellung der vielfältigen transnationalen Verflechtungen und Importe teilweise auf bekannten Beispielen. Doch in der Zusammenschau entsteht durch die konsequent internationale Perspektive ein neues und spannendes Bild. Brown ruft etwa ins Gedächtnis zurück, wie viele lateinamerikanische Staaten in den 1960er- und 1970er-Jahren von autoritären Militärjuntas regiert wurden und warum die damaligen globalen Aktivitäten der CIA als Beleg faschistisch-kapitalistischer Machenschaften interpretiert wurden. Zudem gewinnen nichtdeutsche Figuren, die in der Forschung häufig nur am Rande erwähnt werden, ihre Zentralität zurück – etwa Bahman Nirumand, Iraner im West-Berliner Exil, oder der niederländische Provo Herman Ysebaert, der seinen Protest gegen Springer kundtat, indem er bei der Frankfurter „Gegenbuchmesse“ 1968 öffentlich mehrfach auf den Teppich pisste. Die nordamerikanischen Einflüsse, von der bisherigen Forschung ungleich besser abgedeckt als andere, werden hier sinnvoll ergänzt durch Ideen und Akteure aus England und Italien, Chile, Palästina und so fort.

Diese internationale und globale Perspektive wird oft mit lokalen westdeutschen Geschehnissen verbunden. Der Bremer Jazz-Club „Lila Eule“ und die Schwabinger Krawalle sind ebenso Teil von Browns Narrativ wie die Essener Songtage, Schülerzeitungen in Baden-Baden, Jugendzentren in Hannover und die Kölner literarische Gegenöffentlichkeit. Stets wird dabei auf ausländische Einflüsse und Vorbilder hingewiesen – etwa auf die amerikanischen und englischen Modelle hinter der Hamburger und Münchener Drogenselbsthilfe „Release“ oder auf die italienischen Konzepte hinter den Frankfurter Betriebsprojektgruppen der frühen 1970er-Jahre. Hier spiegelt sich, dass der Autor nicht nur in den einschlägigen Berliner Archiven der antiautoritären Bewegungen gearbeitet hat, sondern auch in München, Köln, Hamburg und Amsterdam. Weniger überzeugend ist der Versuch, „1968“ räumlich zu begreifen und die „spatial-conceptual maneuver[s] of 1968“ zu rekonstruieren. Hier verspricht der Autor mehr, als er tatsächlich einlöst (S. 26), denn über das offensichtliche Argument der Verknüpfung lokaler Geschehnisse mit globalpolitischen Argumenten hinaus ist der Mehrwert dieses Ansatzes nicht erkennbar.

Insgesamt nähert sich das Buch den Geschehnissen erfrischend nüchtern. Browns Zugang ist anti-moralisch, und so kritisiert er die politisch aufgeladenen Beiträge jener Zeitzeugen, die zu Historikern der Revolte wurden, als „stilted and fruitless debates about whether 1968 was good or bad (Was the French Revolution good or bad?)“ (S. 2). Der Autor hält auch Abstand von Zugängen, die die „68er“ unkritisch als einheitliche politische Generation voraussetzen. Hier wird stattdessen die retrospektive Selbsterschaffung einer „68er“-Generation lange nach den Ereignissen betont (S. 83). Der in der deutschen Forschung oft dominante Ansatz der politischen Generationen spielt eine wohltuend untergeordnete Rolle.

Mit Browns Monographie setzt sich die Tendenz der neueren Forschung fort, „1968“ breiter zu definieren als ehedem. Nicht die politische Rebellion der Studenten, nicht der Generationenkonflikt, sondern der sozial weitreichende kulturelle Aufbruch zu neuen Lebensstilen steht im Mittelpunkt. „1968“ greift so über die Ebene traditioneller Politik hinaus und ins Private, in die Kunst, in den Alltag, in Selbstbilder und Konsumgewohnheiten ein. Wie andere vor ihm, subsumiert Brown diese Auffassung unter dem Begriff des „Antiautoritären“. Die „langen 1960er-Jahre“ sind für ihn vor allem ein Prozess einer „radical democratic self-invention from below using the raw material of globalized popular culture“ (S. 12) und eine „explosion of creativity across a range of artistic and political media“ (S. 6). Dementsprechend wird „1968“ als „kulturelle Revolution“ und Sieg der Popkultur über die Eliten verstanden. Diese kulturhistorische Perspektive überzeugt vor allem dort, wo sie das Augenmerk auf den Wandel individueller Subjektivität und Lebensstile lenkt und sich mit intellektuellen Avantgarden beschäftigt (seien sie Studenten oder Rockmusiker, Schriftsteller oder Kommunarden). Die Gammler vom Kurfürstendamm und die Raubdrucker der Kommune 1 erhalten mehr Aufmerksamkeit als die Theoretiker des SDS, Axel Springer oder die Bundeskanzler. Fast zwangsläufig werden andere Aspekte dieser Zeit an den Rand gedrängt: die politischen Gegner und innerdeutschen Allianzen, die Rolle der älteren Generationen und der nicht-bürgerlichen Akteure, die Reformpolitik von oben, die wirtschaftlichen Grundlagen des Protests. Auch die geschlechtergeschichtlichen Aspekte werden zwar behandelt (im siebten Kapitel, „Sex“), stehen aber recht unverbunden zum Rest des Buchs. Der große Wert dieser Studie liegt vor allem in der konsequent durchgeführten Betonung globaler Einflüsse auf die lokale wie nationale westdeutsche „68er“-Bewegung.

Beim zweiten hier anzuzeigenden Titel handelt es sich um einen von Brown gemeinsam mit Andrew Lison herausgegebenen Sammelband, der erneut die populärkulturellen Aspekte der „langen 1960er-Jahre“ in den Mittelpunkt stellt. 14 Beiträge umkreisen die antiautoritäre Bohème und Populärkultur an verschiedenen nationalen Schauplätzen. Wieder werden die Sechziger als langer Prozess globaler Verflechtungen verstanden, in denen die Sub- und Gegenkulturen zu einer Politisierung und Demokratisierung der Kultur beigetragen hätten, die im Endeffekt wichtiger gewesen sei als „the ‚big‘ political events – riots, massacres, assassinations, strikes“ (Einleitung, S. 2). Das besondere Augenmerk dieses Bandes liegt auf den audiovisuellen Medien und ihrer politisierenden Funktion. Dabei geht es um experimentelle Praktiken in Musikstudios und Kinofilmen, um neue Effekte auf der Konzertbühne und in der bildenden Kunst.

Gleich sechs Beiträge widmen sich den verschiedenen Formen populärer Musik in den 1960er- und 1970er-Jahren. Christopher Dunn arbeitet die politischen, antiautoritären Bezüge der brasilianischen „Tropicália“-Musikbewegung der späten 1960er-Jahre heraus. Wolfgang Kraushaar analysiert, warum „The Who“ und Jimmy Hendrix ihre Gitarren bei Auftritten zerstörten, und verbindet dies mit den Ideen des deutsch-jüdischen Aktionskünstlers Gustav Metzger. Der französische „progressive rock“ der frühen 1970er-Jahre wird von Jonathyne Briggs als politische Intervention eingeordnet. Jeff Hayton beleuchtet die widersprüchliche Beziehung der westdeutschen Punkmusik zu den politischen und ästhetischen Ideen der 1960er-Jahre. Die US-amerikanische Band „The Fourth Way“ und ihr letztlich gescheiterter Versuch, Rock mit Jazz und schwarze mit weißen Musikern zu fusionieren, wird von Kevin Fellezs untersucht. Francesca D’Amico konzentriert sich auf schwarze Soul- und Funkmusiker in den USA, die politische Botschaften in die Debatte über Bürgerrechte und Black Power einbrachten.

Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes, mit fünf Beiträgen, liegt auf dem (zumeist amerikanischen) Kinofilm. Joshua Guilford betrachtet die Politisierung des Privaten im avantgardistischen „New American Cinema“ der 1960er-Jahre. Dem kalifornischen Filmemacher Wallace Berman und seinem einzigen, stummen Film „Aleph“ (1956–1966) widmet sich Chelsea Behle Fralick. Die Auseinandersetzung der Regisseure Jean-Luc Godard und Michelangelo Antonioni mit der nordamerikanischen Kultur und Politik der späten 1960er-Jahre wird von David Fresko beschrieben. Katrin Fahlenbrach analysiert Science-Fiction-Filme aus den Jahren um 1968 (unter anderem „Star Trek“, Stanley Kubricks „2001“ und Roger Vadims „Barbarella“) insbesondere im Hinblick auf Mensch-Maschine-Metaphern. Andrew Lison verbindet den Hollywood-Film „The President’s Analyst“ (1967) mit dem experimentellen Komponisten Joseph Byrd und den Debatten um Computerüberwachung und Kybernetik.

Fotografie und Mixed-Media-Malerei werden in zwei Aufsätzen von Joshua Shannon und Melissa L. Mednicov behandelt. Schließlich untersucht Samir Meghelli das Pan-African Cultural Festival des Jahres 1969 in Algerien mit seiner antikolonialen Stoßrichtung.

Die Einzelbeiträge sind von wechselnder Qualität und stehen kaum im Zusammenhang miteinander. Sie sind nur durch die lose Klammer „künstlerisches Experiment als Politik“ sowie den Bezug auf die späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre verbunden. Der globalisierende Impuls von Browns Monographie, etwa die Verbindung des Lokalen mit dem Globalen, ist nur selten wiederzufinden. Die meisten Beiträge bleiben deutlich dem jeweiligen nationalen Zusammenhang verhaftet. Letzterer ist meist nordamerikanisch, manchmal westdeutsch, englisch oder französisch (Dunn und Meghelli bilden die Ausnahmen). Da die Autoren aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen kommen – Geschichte, Sprachwissenschaften, Film- und Medienwissenschaften, Musikwissenschaften, Kunstgeschichte, African American Studies – findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher methodischer und theoretischer Zugänge: von Jaques Lacan bis zu den kognitiven Metaphern von George Lakoff und Mark Johnson, von hermeneutischer Interpretation bis Intellectual History. So lässt sich der Band am ehesten mit Gewinn lesen, wenn man ihn als eine interdisziplinäre und multimethodische Zusammenschau neuerer Forschungen zur politischen Kunst und populären Kultur der späten 1960er-Jahre begreift und sich vom breiten Spektrum der Zugänge und Untersuchungsobjekte anregen lässt.