Nach einigen Jahren der Flaute scheinen nun die Forschungen zur Romanisierung der germanischen Provinzen wieder in Gang zu kommen. Nachdem der Begriff in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts kritisch diskutiert oder sogar vehement abgelehnt wurde, zeichnet sich in jüngster Zeit eine Rückbesinnung auf dieses Konzept der Romanisierung ab.1 So hat auch der zu besprechende Band von Leif Scheuermann in gewisser Weise die Romanisierung einer Grenzprovinz zum Thema. Die Untersuchungsfrage ist dabei so einfach wie einleuchtend: Wie entstand und gestaltete sich eine römisch geprägte Provinzialreligion in einem bis dahin weitgehend menschenleeren Gebiet?
Nach den üblichen Präliminarien werden die Untersuchungsregion in der Germania superior, die Kultplätze, Dedikanten und Gottheiten analysiert. Auf der Grundlage dieser Analyseergebnisse entwirft Scheuermann anschließend ein Gesamtbild der religiösen Verehrung in der Region. Ein Resümee schließt die Untersuchung ab. Statt eines Inschriftenkatalogs werden im Anhang die maßgeblichen Publikationen zu den Inschriften in thematisch geordneten Tabellen dargeboten. Umfangreiche Register beschließen den Band. Die 18 Abbildungen sind von guter Qualität und jeweils sinnvoll in den Text eingebunden.
Besondere Sorgfalt legt Scheuermann auf die Charakterisierung der Untersuchungsregion, die er räumlich, zeitlich und hinsichtlich der Verwaltungs- und Siedlungsstruktur betrachtet. Dadurch werden die Orte ermittelt und eingeordnet, wo Weiheinschriften aufgestellt worden sein könnten. Dies wird im zweiten Kapitel zu den Kultplätzen am Neckar- und äußeren obergermanischen Limes noch genauer untersucht. Die archäologischen Befunde werden in diesem Kapitel referiert, und trotz großer fundbedingter Lücken gelingt Scheuermann ein erster Ansatz zu einer Sakraltopographie der Untersuchungsregion. Dass hierbei die Grenzen zwischen öffentlich und privat sowie militärisch und zivil fließend sind, ist nicht zu bestreiten, unter Einbeziehung und Kategorisierung der Inschriften wären hier aber sicher weiterreichende Schlussfolgerungen bezüglich der Gebäudefunktionen möglich gewesen.
Die Untersuchung der Dedikanten im dritten Kapitel gibt hierzu auch keinen Aufschluss. Dies mag zum einen an der geringen Anzahl von vollständigen Weihungen und den besonderen Fundumständen liegen; so verzerren etwa 18 Benefiziarierweihungen die Gesamtstatistik (S. 74). Zum anderen hätten die Dedikanten aber aufgrund ihrer Namen genauer beschrieben werden können. Man vermisst so insbesondere Erörterungen zur Namensprovenienz. Untersuchungen wie die von Kakoschke haben vorbildlich gezeigt, was die onomastische Methode leisten kann.2 Durch deren Anwendung hätten noch einige Aussagen präzisiert werden können. Zu allgemein ist etwa die Aussage, die Kultmitglieder seien weitgehend gallo-germanischer Herkunft gewesen (S. 76). Waren sie nämlich gallischer Herkunft, dann handelte es sich womöglich um angesiedelte Gallier, wie sie auch in anderen Grenzregionen jenseits des Rheins belegt sind.3 Germanische Namen hingegen könnten auf indigene Bewohner hindeuten. Von der Herkunft wiederum hängt der Grad der Romanisierung ab. Diesen zu klären, gehört aber zu den wichtigen Voraussetzungen für die Beschreibung einer Provinzialreligion.
Die sodann behandelten Gottheiten ergeben eine für die germanischen Provinzen übliche Verteilung. So tauchen im Befund die für diese Regionen typischen Jupitergigantensäulen sowie Weihungen an die römischen Götter Merkur, Apollo, Mars, Fortuna und Diana auf. Außerdem werden noch Weihungen an Mithras angeführt. Neben den einzeln besprochenen Götterkulten untersucht Scheuermann in einem Unterkapitel separat den Kaiserkult. Leider fehlt eine ebenso nötige Differenzierung in römische und gallo-römische Kulte. Auch die Übertragungswege der Kulte ins Untersuchungsgebiet werden nicht ausreichend berücksichtigt. Die Aussagekraft der Inschriftenstatistik Scheuermanns ist zudem angesichts vieler archäologischer Zufälle begrenzt (S. 78f.). Einige der verwendeten Begriffe wie „bodenständig“ und „reichsrömisch“ sollten nochmals genauer diskutiert werden: So verbergen sich hinter der Dea Fortuna einer Jagsthausener Inschrift (CIL XIII 6552) indigen-regionale Glaubensvorstellungen und weniger die „reichsrömische“ Fortuna (S. 88). Auch dem Begriff „bodenständig“ fehlt die Trennschärfe, fallen hierunter doch so verschiedene Gottheiten wie Mater Magna und die reimportierte Epona, welche zumindest bei Militärweihungen als „reichsrömisch“ anzusprechen wäre (S. 86f.).
Den speziellen religiösen Charakter der Untersuchungsregion arbeitet Scheuermann im stärksten fünften Kapitel heraus. Während die Einzelanalysen von Kultstätten, Dedikanten und Gottheiten noch wenig Ertrag brachten, werden die Ergebnisse hier zu einer Sakraltopographie subsumiert (S. 100–124). Aufgegliedert in Zentren mit Heiligtümern und Benefiziarierstationen (Rottenburg, Stuttgart Bad Cannstatt, Bad Wimpfen und Neuenstadt a. K.) und in ländliche Regionen (im Neckarbecken und am äußeren Limes) gelingt es Scheuermann, die religiöse Charakteristik des jeweiligen Ortes zu beschreiben. Die Sakraltopographie des Untersuchungsgebiets wird daraufhin exemplarisch mit anderen Grenzregionen verglichen (S. 125–130). Bei den römischen Kulten ergeben sich am Hadrianswall, im Batavergebiet und in der Untersuchungsregion ähnliche Verehrungsmuster. Unterschiede gibt es hingegen bei den sogenannten „bodenständigen“ Kulten, da am Neckar stärker individuell ausgestaltete lokale Panthea anzutreffen sind.
Abschließend sei noch eine kritische Bemerkung zum Titel der Untersuchung erlaubt: Der Titel „Religion an der Grenze“ ist zumindest gewöhnungsbedürftig, könnte er doch in einem theologischen Sinne missverstanden werden. Ebenso irritiert der Begriff der „provinzialischen Götterverehrung“ im Untertitel, da offen bleibt, ob es sich um die Verehrung römischer Götter durch die Provinzbevölkerung oder die Verehrung von Provinzgottheiten durch Römer bzw. um beides handelt. Die klar und übersichtlich strukturierte Untersuchung hätte jedenfalls eindeutigere Titel verdient gehabt.
Der besondere Wert der Studie liegt sicher in der klar beantworteten Untersuchungsfrage nach der Entstehung und Entwicklung einer Sakrallandschaft in einer bis dahin strukturschwachen Region. Zu begrüßen ist ferner der Verzicht auf einen Katalog, der den Band nur unhandlich gemacht hätte und angesichts zahlreicher einschlägiger Quelleneditionen verzichtbar ist. Die angehängten Tabellen enthalten alle nötigen Verweise auf Abbildungen und Publikationsorte der untersuchten Inschriften. Die Sakrallandschaft des Neckargebiets und des äußeren obergermanischen Limes wurde zuverlässig beschrieben, der vorliegende Band kann daher unter Berücksichtigung der Monita als Arbeitsgrundlage und Vergleichswerk bei künftigen Untersuchungen zur Provinzreligion in der Germania superior, aber auch in anderen Grenzregionen des Römischen Reiches herangezogen werden.
Anmerkungen:
1 Grundlegend zur Romanisierung sind jetzt Géza Alföldy, Romanisation – Grundbegriff oder Fehlgriff? Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Erforschung von Intergrationsprozessen im römischen Weltreich, in: Visy Zsolt (Hrsg.), Limes XIX. Proceedings of the XIXth International Congress of Roman Frontier Studies, Pécs 2005, S. 25–56 und Günther Schörner, Romanisierung – Romanisation. Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele, Oxford 2005.
2 Andreas Kakoschke, Ortsfremde in den römischen Provinzen Germania inferior und Germania superior. Eine Untersuchung zur Mobilität in den germanischen Provinzen anhand der Inschriften des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr., Möhnesee 2002.
3 Tac. Germ. 29, 3. Vgl. hierzu mit Belegen Markus Scholz / Lisa Klaffki, Aspekte der Romanisierung im Bereich der civitates Mattiacorum, Taunensium et Auderiensium, in: Frank M. Ausbüttel / Ulrich Krebs / Gregor Maier (Hrsg.), Die Römer im Rhein-Main-Gebiet, Darmstadt 2012, S. 111–138, bes. S. 126.