Produktstudien haben sich mittlerweile weltweit als eigenständiges Forschungsgebiet etabliert, bieten sie doch aufgrund ihrer interdisziplinären Perspektiven das Potential, sowohl historischen, soziologischen und anthropologischen als auch ökonomischen und politikwissenschaftlichen Fragen nachzugehen. In jüngster Zeit hat unter anderem das Interesse für die Kulturgeschichte des Kaffees neuen Aufschwung erlebt. Nach dem Erscheinen des bahnbrechenden Sammelbandes zur „Global Coffee Economy“ von William Gervase Clarence-Smith und Steven Topik im Jahr 20031 ist eine Fokussierung auf globale bzw. globalgeschichtliche Aspekte der Kaffeeproduktion und -konsumption auch in der deutschsprachigen Forschung zu beobachten. Als aktuelle Beispiele für diesen Trend sind neben Einführungen, Überblicksdarstellungen und Sammelbänden in diesem Zusammenhang mehrere Monographien hervorzuheben, die mittels „glokaler“ Ansätze und der Verwendung unterschiedlicher Güterketten- oder Netzwerkmodelle die räumlichen Dimensionen der Genussmittelbiographie beleuchten.2 Monika Sigmund knüpft mit ihrer jetzt als Buch vorliegenden Hamburger Dissertation zum Kaffeekonsum in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften hieran an. Neben den innerdeutschen Beziehungen betrachtet sie dabei auch die globalen Verflechtungen der Kaffeeakteure auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs.
Die Autorin gliedert ihre Arbeit in drei Hauptkapitel, die in chronologischer Abfolge und in sich wiederholender Dreiteilung den Konsum von Kaffee in der Bundesrepublik und der DDR sowie die diesbezüglichen Verflechtungen zwischen beiden Staaten thematisieren. Im ersten Kapitel widmet sich Sigmund der Konsumentwicklung der späten 1940er- und der 1950er-Jahre. Sie argumentiert, dass diese Zeit in beiden deutschen Gesellschaften durch die Mangelerfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit und eine vorsichtige Konsumhoffnung hinsichtlich der kommenden Jahre geprägt war. Kaffee war in allen vier Besatzungszonen, in der jungen Bundesrepublik wie auch in der DDR ein teures und seltenes Gut. Während die schlechte Versorgungslage mit Kaffee in der DDR allerdings vorwiegend auf fehlende Devisen für den Import zurückzuführen war, verstimmte die bundesdeutschen Konsumenten besonders der Preis des auf legalem Wege erworbenen Kaffees. Die hohe Besteuerung des Genussmittels war zwischen 1948 und 1953 wiederholt Ziel heftiger Kritik von Seiten der westdeutschen Bevölkerung und führte, wie Sigmund anhand verschiedener Beispiele anschaulich darstellt, in grenznahen Regionen und extraterritorialen Gebieten (etwa Kasernen oder DP-Lagern) zu teils ausufernden Schmuggleraktivitäten. Wie der westdeutsche Kaffee bis 1961 seinen Weg durch Grenzgänger und Reisende auch in den anderen Teil Deutschlands fand, erläutert die Autorin am Ende des ersten Kapitels.
Im zweiten Kapitel, welches die Situation in den 1960er-Jahren behandelt, legt Sigmund den Schwerpunkt auf die Erfolgsgeschichte der westdeutschen Großröster. Diese sollte auch als Vorbild für den ostdeutschen Kaffeesektor dienen. Der Versuch, westdeutsche Entwicklungen zu übernehmen – wie die Einführung von Instant- und Schon- bzw. koffeinfreiem Kaffee –, stellte die Staatsführung der DDR allerdings vor große Herausforderungen, denen sie häufig nicht gewachsen war. Dennoch verbesserte sich die Versorgung mit Kaffee in der DDR in diesem Jahrzehnt. Neben den gewohnten Sorten „Kosta“, „Rondo“ und „Mona“ kam nun auch die erlesene Mischung „First Class“ auf den Markt, die in Delikat-Feinkostgeschäften oder gegen westliche Währung im Intershop erhältlich war. Jene Kaffeetrinker, die sich durch ihren Konsum aufgrund ihres sozialen und / oder ökonomischen Kapitals vom einheitlichen Angebot der DDR-Kaffeebetriebe abheben konnten, begehrten aber vor allem die Markenartikel der bundesdeutschen Marktführer Jacobs und Tchibo. Diese genossen durch geschickte Produktkommunikation auf beiden Seiten der Mauer einen hohen Bekanntheitsgrad und fanden durch den grenzüberschreitenden Paketversand auch ihren Weg in ostdeutsche Haushalte. Dass der Versand auf beiden Seiten der Mauer mit politischen Bedeutungen aufgeladen und von Missverständnissen und Fehlwahrnehmungen geprägt war, ist eine wichtige Feststellung von Sigmunds Untersuchung.
Auf die aus schwankender Weltmarktentwicklung bei gleichzeitig wachsender Konsumentensouveränität resultierenden Krisenmomente der Kaffeewirtschaft in beiden deutschen Staaten während der 1970er- und 1980er-Jahren geht die Autorin im dritten Kapitel ein. Der Imagewechsel des westdeutschen Kaffees, die Anfänge der Fair-Trade-Bewegung in der Bundesrepublik und die so genannte Kaffeekrise in der DDR 1977 stehen hierbei im Zentrum. Besonders zu den beiden letztgenannten Themen ist in den vergangenen Jahren bereits umfangreich geforscht und publiziert worden. Dennoch gelingt es Sigmund, durch die Präsentation eines vielfältigen Quellen- und Bildmaterials das Interesse des Lesers aufrechtzuerhalten. Abschließend analysiert sie die Bedeutung des Kaffees im deutschen Wiedervereinigungsprozess. Der Siegeszug des Westkaffees mit „Jacobs Krönung“ als symbolträchtigem Vorreiter markierte den Weg in eine gemeinsame Konsumgesellschaft, bedeutete aber auch das Ende der ostdeutschen Kaffeeindustrie. Selbst wenn die ursprünglichen DDR-Markennamen „Rondo“, „Mona“, „Kosta“ und „Mocca-Fix-Gold“ mittlerweile wieder verwendet werden, so argumentiert Sigmund, entsprechen die dazugehörigen Produkte nicht den ostdeutschen Originalen. Die Verfasserin beschließt ihre Studie mit dem Fazit, dass Kaffee in beiden deutschen Gesellschaften als Wohlstandsindikator diente, an dessen wechselhafter Geschichte nicht nur ein Wandel der gemeinschaftlichen Werte ablesbar war, sondern auch der jeweilige Stand der innerdeutschen Beziehungen.
Sigmunds Entscheidung, anstelle eines Transferansatzes eine „Kombination von historischem Vergleich und historischer Beziehungsgeschichte“ (S. 11) zu verwenden, erklärt sich aus den für ihr Anliegen eindeutigen Vorzügen der konsumgeschichtlichen Vergleichs- und Verflechtungsperspektive. Es ist sehr innovativ, die Entwicklung zweier Konsumgesellschaften mit einer gemeinsamen Tradition am Beispiel des Kaffees, also einer mit zahlreichen Bedeutungen aufgeladenen Ware, zueinander in Beziehung zu setzen. Des Weiteren ist die schiere Materialfülle beachtlich, die die Autorin für ihre Arbeit zusammengetragen hat. Das Quellenkorpus umfasst nicht nur eine Vielzahl von Behördendokumenten, Marktstudien und Presseartikeln sowie unveröffentlichtes Material aus staatlichen und Unternehmensarchiven, sondern auch Egodokumente, Interviews und Bilder, was zu einer größeren Dichte der Studie beiträgt. Vereinzelt tritt die Autorin allerdings zu sehr in den Hintergrund und lässt ihre Quellen für sich selbst sprechen, ohne deren Inhalt kritisch zu hinterfragen. Mehr Reflexion bei der Auswertung von Quellen und Sekundärliteratur wäre an manchen Stellen wünschenswert gewesen. Was Sigmunds eigene Argumentation betrifft, so ist diese überwiegend plausibel. Lediglich einige wenige Generalisierungen führen zu simplifizierten Schlussfolgerungen oder Urteilen. Wenn Sigmund zum Beispiel behauptet, der gesamte Kaffeeimport der DDR sei in den 1970er- und 1980er-Jahren auf Warentausch-Abkommen umgestellt worden (S. 294), so lässt sie außer Acht, dass nicht alle dieser Abkommen bis zum Ende der DDR beibehalten werden konnten und deswegen sehr wohl weiterhin Rohkaffee gegen Devisen eingekauft werden musste. Dass die Qualität des Kaffees aus ostdeutscher Produktion unter den eingetauschten, oft minderwertigen Bohnen aus Afrika und Asien litt, ist zwar folgerichtig, führte aber letztlich auch zu einer stärkeren Einfuhr von Röstkaffee aus westlicher Produktion und somit gewissermaßen zu einer Verbreiterung des Angebots.
Die hier angeführten Kritikpunkte sind jedoch marginal und beeinträchtigen die Gesamtqualität der Studie in keiner Weise. Mit ihrer gut lesbaren und facettenreichen Arbeit reiht sich Monika Sigmund in die Riege jener Kulturhistoriker/innen und Sozialwissenschaftler/innen ein, die zu einem neuen Verständnis der Konsumgeschichte beitragen – sei es auf den Kaffee oder auf andere Produkte bezogen –, welches transnationale und globale Zusammenhänge der Produktion und der Konsumtion stärker in den Fokus rückt. Dass sie darüber hinaus aufgrund ihres auch für Laien faszinierenden Themas eine breite Leserschaft finden wird, ist zu hoffen.
Anmerkungen:
1 William Gervase Clarence-Smith / Steven Topik (Hrsg.), The Global Coffee Economy in Africa, Asia, and Latin America 1500–1989, New York 2003. Steven Topik (University of California, Irvine) arbeitet derzeit an einer Weltgeschichte des Kaffees seit 1500.
2 Überblicksdarstellungen und Sammelbände: Martin Krieger, Kaffee. Geschichte eines Genussmittels, Köln 2011 (rezensiert von Katja Nicklaus, in: H-Soz-Kult, 12.04.2013, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-18117> [01.04.2015]); Christiane Berth / Dorothee Wierling / Volker Wünderich (Hrsg.), Kaffeewelten. Historische Perspektiven auf eine globale Ware im 20. Jahrhundert, Göttingen 2015. Monographien: Julia Laura Rischbieter, Mikro-Ökonomie der Globalisierung. Kaffee, Kaufleute und Konsumenten im Kaiserreich 1870–1914, Köln 2011 (rezensiert von Boris Barth, in: H-Soz-Kult, 20.09.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-171> [01.04.2015]; siehe auch meine Rezension in: Comparativ 22 [2012], Heft 6, S. 100–104); Christiane Berth, Biografien und Netzwerke im Kaffeehandel zwischen Deutschland und Zentralamerika 1920–1959, Hamburg 2014. Das ebenfalls an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg angesiedelte Projekt von Dorothee Wierling zum „Rohkaffeehandel in Hamburg 1914 bis 1970“ befindet sich derzeit in der Niederschrift. In Kürze wird erscheinen: Ruben Quaas, Fair Trade. Eine global-lokale Geschichte am Beispiel des Kaffees, Köln 2015.