D. Zetti: Das Programm der elektronischen Vielfalt

Cover
Titel
Das Programm der elektronischen Vielfalt. Fernsehen als Gemeinplatz in der BRD, 1950–1980


Autor(en)
Zetti, Daniela
Reihe
Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik 20
Erschienen
Zürich 2014: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
247 S., 34 Abb.
Preis
€ 31,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Fickers, Historisches Institut, Universität Luxemburg

Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die Fernsehprogrammproduktion der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD und ZDF) zwischen 1950 und 1980 aus einer vorwiegend technikhistorisch motivierten Fragestellung zu analysieren. Dabei interessiert die Autorin Daniela Zetti vor allen Dingen das Verhältnis zwischen neuen und alten Aufzeichnungs- und Schnitttechniken im Bereich der elektronischen Programmproduktion, in dessen Mittelpunkt die komplexe Beziehung von Film- und Videotechnik steht. Die Arbeit, entstanden an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter Begleitung von David Gugerli und Jakob Tanner, reiht sich in die Forschungstradition der „production studies“ ein, die in den letzten Jahren eine deutliche Aufwertung innerhalb des breiten Feldes fernsehwissenschaftlicher und medienhistorischer Forschung erfahren hat.

Letzteres provoziert sogleich eine kritische Anmerkung: nämlich die der fehlenden Einbettung in den internationalen Forschungsstand. In knappen zweieinhalb Seiten referiert die Autorin den Forschungsstand, der kaum über eine rudimentäre Pauschalisierung weniger deutschsprachiger Arbeiten im Bereich der Fernsehgeschichtsschreibung hinauskommt. Weder wird auf die reichhaltige technikhistorische Literatur im Bereich der Fernsehtechnik rekurriert, noch werden grundlegende Arbeiten zur institutionellen oder programmgeschichtlichen Dimension des Fernsehrundfunks in der Bundesrepublik reflektiert. Noch problematischer erscheint diese Reduktion des (deutschsprachigen) Forschungsstandes, wenn man um die reichhaltige anglo-amerikanische Literatur weiß, die sich in den vergangenen Jahren mit Fragen der Produktionstechnik und -planung aus ökonomischen, ästhetischen und organisationstechnischen Perspektiven detailliert auseinander gesetzt hat.1

Diese weitgehende Ignoranz des Forschungsstandes macht sich in den ersten beiden Kapiteln zur technischen und institutionellen Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik schmerzhaft bemerkbar. Bekanntes wird hier in teilweise journalistischer Manier eher skizziert denn thematisch oder chronologisch strukturiert. Das innovative Potential der Arbeit entfaltet sich erst in der zweiten Hälfte des dritten Kapitels (3.4: Die „magnetische Perforation“, S. 137), wo die LeserInnen einen detaillierten Einblick in die komplexen technischen Abläufe der Fernsehproduktion Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre erhalten. Eingebettet in die Frage, wie sich die Sendeplanung und -produktion im Zuge des wachsenden Programmangebots (vor allem durch die Etablierung der „Dritten Programme“) rationalisieren lässt, bespricht Zetti ausführlich die Ideen und Pläne des damaligen Leiters der Abteilung Film- und Magnetbandtechnik des Instituts für Rundfunktechnik, Karl-Erik Gondesen. Seine Überlegungen zur Reformierung der Pilottontechnik machen die Komplexität magnetbandbasierter Schnitttechnik im Fernsehen anschaulich und erlauben so einen interessanten technikhistorischen Blick auf einen konservativen Innovationsprozess, der sich innerhalb des fernsehtechnischen Produktionssystems vollzieht. Die in diesem Kapitel geschilderten Problemlagen sind aus technikhistorischer Perspektive durchaus interessant (vor allem das Problem der Synchronisierung von Bild- und Tonsignalen bei der Magnetaufzeichnung), doch werden die gewonnenen Erkenntnisse weder theoretisch reflektiert noch konzeptualisiert. Der die gesamte Arbeit charakterisierende assoziativ-essayistische Argumentationsstil Zettis erzeugt bei der Lektüre eher Befremden denn das Gefühl, an originellen Einsichten teilhaben zu können.

Auch im letzten Kapitel, in dem das Fernsehprogramm stärker aus dramaturgischer und fernsehästhetischer Perspektive als „Gesamtkunstwerk“ analysiert wird, kommt die Autorin meist nicht über eine medienarchäologisch inspirierte Diskursanalyse einiger weniger „Fundstücke“ hinaus. Stand in Kapitel 3.4 Gondesens Aufsatz über „Möglichkeiten und Tendenzen einer Weiterentwicklung der Pilottontechnik“ Pate für die Diskussion des komplexen Feldes fernsehtechnischer Produktions- und Schnitttechnik, werden in Kapitel 4.1 die vielfältigen Dimensionen des Fernsehspiels anhand eines einzigen Vortrages des damaligen Fernsehdirektors des WDR, Hans Joachim Lange, durchexerziert. Macht die dichte Beschreibung und Interpretation ausgewählter Quellen aus erzähltechnischer Perspektive Sinn, so fehlt auch hier eine breitere Kontextualisierung und Einbettung in den Forschungsstand. Gleiches gilt für die programmplanerischen Überlegungen des ehemaligen NDR-Programmdirektors Dietrich Schwarzkopf, die in Kapitel 4.3 („Das Studio als Glashaus“, S. 172) diskutiert werden.

Insgesamt hinterlässt die Arbeit von Daniela Zetti einen zwiespältigen Eindruck: Angetreten mit dem Anspruch, neue Perspektiven und Einsichten auf das gut erforschte Feld der bundesrepublikanischen Fernsehgeschichte zu eröffnen, wird die Arbeit diesem nur sehr bedingt gerecht. Interessante Aspekte werden eher angedeutet denn expliziert und historisch gedeutet. Hinzu kommt, dass relevante Forschungsliteratur lediglich sporadisch zitiert, geschweige denn reflektiert wird. Konzeptionell bleibt die Arbeit vage – eine Anbindung an aktuelle Debatten, etwa im Bereich der „production studies“, findet nicht statt. Dabei hätte die Ausgangsüberlegung, das Optimierungsversprechen elektronischer, videotechnischer Verfahren mit dem Evidenzversprechen filmischen Schnitts in Beziehung zu setzen, durchaus das Potential gehabt, diese bundesrepublikanische Fallstudie als interessanten historischen Kasus in die internationale Forschungsdebatte einzubringen. Die für eine historische Qualifikationsarbeit recht bescheidene Quellenbasis sowie der eher kulturwissenschaftlich und medienarchäologisch inspirierte Schreibstil lassen den historischen Erkenntnisgewinn der vorliegenden Arbeit jedoch recht bescheiden ausfallen.

Anmerkung:
1 Siehe stellvertretend: John Thornton Caldwell, Production Culture. Industrial Reflexivity and Critical Practice in Film and Television, Durham 2008; Vicki Mayer, Below the Line. Producers and Production Studies in the New Television Economy, Durham 2011; Vicki Mayer / Miranda J. Banks / John T. Caldwell (Hrsg.), Production Studies. Cultural Studies of Media Industries, New York 2009.

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