1911 stellte Otto Hintze schlicht fest: "Das monarchisch-konstitutionelle Regierungssystem kann als "das eigenartige preussisch-deutsche System bezeichnet werden" 1. Hintze bestätigte damit einen Gemeinplatz seiner Zeit. Konstitutionelle Monarchie und Konstitutionalismus wurden synonym gebraucht, als Ausdruck einer Synthese ost-westlicher Gegensätze ideologisch aufgeladen, und von weiten Teilen der Staatsrechtslehre und Geschichtswissenschaft des Kaiserreichs nicht nur wissenschaftlich entschieden unterstützt 2. Die Formel Hintzes erschien allerdings nicht nur im Kaiserreich als ein überzeugender Deutungsversuch vermeintlicher verfassungspolitischer Eigenarten, sondern beeinflußte als Kernbestandteil der Sonderwegthese gerade auch die 'kritische' Forschung bis in die jüngste Zeit, freilich unter umgekehrten Vorzeichen.
Angezweifelt wurde lediglich die eigentliche These Hintzes, nämlich daß es sich bei der konstitutionellen Monarchie um eine selbständige verfassungspolitische Form gehandelt habe. Schon Carl Schmitt sprach 1928 in pejorativer Weise von einem Zwischenzustand 3. Mit entgegengesetzter Stoßrichtung und in Auseinandersetzung mit Ernst-Rudolf Huber übernahm Ernst-Wolfgang Böckenförde diese Wertung und erkannte in der konstitutionellen Monarchie lediglich einen "Übergangszustand" - eine Wertung, die weitgehend akzeptiert wurde 4, wenn auch Michael Stolleis jüngst deutlich skeptischer urteilte. Die Frage ob man die konstitutionelle Monarchie in ihrer deutschen Ausprägung als eigenständigen Typus oder als letztendlich instabile Zwischenform ansehen sollte, argumentiert er, "führt nicht recht weiter"5.
Martin Kirsch ließ sich von dieser vermeintlichen Aporie nicht abschrecken und setzt sich mit dem Normalfall europäischer Verfassungen im 19. Jahrhundert in seiner breit und vergleichend angelegten Dissertation auseinander. Kirsch durchschneidet mit seiner Interpretation 'diagonal' die bisherigen konträren Deutungsmuster. Die konstitutionelle Monarchie begreift er - mit wichtigen Einschränkungen - als eigenständige Spielart der Verfassungsgeschichte, aber durchaus nicht als rein deutsches Phänomen.
Es liegt auf der Hand, daß eine solche Deutung zunächst von der eigenen Begriffsbildung abhängt. Entsprechend verwendet Kirsch auf diese, in einer von Wiederholungen leider nicht freien Einleitung, einigen Raum. Mit guten Gründen führt er hier den Begriff des monarchischen Konstitutionalismus ein. Dieser bietet den Vorteil, einerseits auf den international gebräuchlichen und zudem zeitgenössischen Begriff Konstitutionalismus zu verweisen, andererseits mit dem Hinweis auf dessen monarchische Unterform spezifische Entwicklungen - wie etwa die Ausprägung der Monarchie in Deutschland im 19. Jahrhundert - hinreichend scharf zu beschreiben.
Vom monarchischen Konstitutionalismus ausgehend entwirft der Autor eine Typologie, die erstens auf das Vorliegen einer "Monarchie im erweiterten Sinne" und zweitens auf die Beschränkung der Monarchie durch eine Verfassung, mit struktureller Notwendigkeit für Monarch und Parlament zusammenzuwirken, rekurriert. Das erste Kriterium ist Produkt eines begrifflichen Kunstgriffs. Monarchie wird als "Einherrschaft" verstanden, womit - solange es sich nicht um einen parlamentarischen Konstitutionalismus handelt - auch Präsidenten und Konsuln als Ausübende von durch eine Verfassung beschränkte Herrschaft beschrieben werden können. Im Gegensatz zum republikanischen Präsidialsystem fehlt die Abwahlmöglichkeit, der Unterschied zu den kollegialen Systemen wie der Schweiz, zeitweise Frankreichs und der Niederlande liegt auf der Hand. Erst bei eigenständiger parlamentarischer Regierungsbildung auch gegen den Willen des Monarchen, kann demnach von einem parlamentarischen System gesprochen werden.
Mit diesem Instrumentarium unterscheidet Kirsch drei Erscheinungsformen des monarchischen Konstitutionalismus, die - dies ist die wichtigste These der Arbeit - nicht entwicklungsgeschichtlich aufeinander folgen und zudem in verschiedenen europäischen Staaten auftauchen. Dabei dient das stilbildende und breit rezipierte französische Beispiel als Ausgangspunkt. Mit der Anerkennung des neuen Rechtsanspruchs der Nationalversammlung durch den König am 27. Juni 1789 wurde Frankreich eine rechtlich eingeschränkte und damit konstitutionelle Monarchie - die erste auf dem Kontinent. Eine bloße Verbesserung der alten absolutistischen Zustände war damit unmöglich geworden, wenn auch das polnische Beispiel von 1791 zeigt, daß der Bruch zwischen Absolutismus und Konstitutionalismus nicht scharf sein mußte. In Frankreich wurden nach 1789 fast alle Typen europäischer Verfassungen durchgespielt, die anschließend in den Nachbarstaaten übernommen oder bewußt verworfen wurden.
Als ersten seiner drei Typen behandelt Kirsch die konstitutionelle Monarchie mit dominierendem Parlament, wie sie sich in Frankreich nach 1791 und 1830 und ebenfalls in Belgien und Piemont-Italien herausbildete. Erscheint die französische Verfassung von 1791 noch als konsequente Umsetzung des Prinzips der Gewaltenteilung, so bedurften auch hier schon de facto die Minister des "doppelten Vertrauens" von Monarch und Parlament. Beide Institutionen mußten zudem bei der Gesetzgebung zusammenwirken. Nur so läßt sich die konstitutionelle Monarchie von autokratischen Herrschaftsformen abgrenzen. Zwei Faktoren erscheinen dabei als entscheidend für das Funktionieren dieser Verfassungsspielart; zum einen ein grundsätzlicher Konsens zwischen Monarch und Parlament, zum zweiten die ausreichende Einbeziehung breiter Bevölkerungskreise.
Als zweiten Typus identifiziert Kirsch die napoleonische Variante. Diese ist charakterisiert durch die Verbindung von Staatsstreich und Plebiszit. Allerdings möchte Kirsch die beiden Phasen napoleonischen Kaisertums nicht als Diktatur verstanden wissen. Diese und auch viele abhängige Napoleoniden-Herrschaften wurden mit Hilfe - aber eben auch unter der Einschränkung - einer Verfassung regiert. Zudem blieb es in Frankreich bei einem erheblichen Einfluß des Parlaments, in dem bei weitem nicht nur Bonapartisten saßen, während andererseits Wahlmanipulationen kein Monopol der Napoleone waren.
Die Rückkehr zu pseudomonarchischen und schließlich offensichtlich monarchischen Verfassungsformen in der späten Französischen Revolution zeigt deutlich die fortdauernde Prägekraft der Idee Monarchie. Auch in den Satellitenstaaten Frankreichs fungierten Machthaber mit Präsidententitel als de facto Monarchen (Italien), eine tatsächliche, nominelle Monarchie wurde sogar im republikanischen Holland installiert. Napoleon demonstrierte, daß der Erlaß einer Verfassung nicht notwendigerweise mit Machteinbußen des Herrschers verbunden sein mußte. Geschickt inszenierte Volksabstimmungen dienten - im ersten wie im zweiten Kaiserreich - der Legitimitätserzeugung, die Institution der Monarchie verwies sinnfällig auf nationale Traditionen. Stilbildend wurde die napoleonische Variante des monarchischen Konstitutionalismus allerdings lediglich in Rumänien (1864).
Wesentlich erfolgreicher in dieser Hinsicht war der dritte von Kirsch identifizierten Typus, der monarchischen Konstitutionalismus mit Vorrang des Königs. Als Muster dient Kirsch die französische Chartre von 1814. Nach 1814 stand das Prinzip der "Legitimität" des Fürsten im Vordergrund. Die Idee der Beteiligung einer gewählten Versammlung an der Verfassungsausarbeitung besaß wenig Gewicht, während die Verquickung von nationaler Geschichte und Monarchie noch stärker als unter Napoleon betont wurde - bzw. werden konnte.
Kirsch vergleicht das einflußreiche französische Beispiel mit dem deutscher Staaten zwischen 1815 und 1871. Das vielbeschworene monarchische Prinzip läßt sich - avant la lettre - schon 1814 finden und nicht zu Unrecht weist Kirsch darauf hin, daß während dessen massiver Ideologisierung in der zweiten Jahrhunderthälfte die Bedeutung des Prinzips auf der Verfassungsebene kontinuierlich abnahm. Große Aufmerksamkeit wird in diesem Abschnitt der konfliktreichen Verfassungswirklichkeit zuteil. Der machtpolitische Vorrang des Monarchen wurde zwar im Exekutivbereich des Verfassungstextes festgelegt. In der Legislative allerdings war ein dualistisches Zusammenspiel von Parlament und monarchischer Regierung notwendig. Einschlägige Probleme bildeten das Wahlrecht und Presseregelungen. Misstrauensvota gegen Minister stellten die Probe aufs Exempel dar. Nur wenn es der Kammermehrheit gelang, auch die Neuberufung des Nachfolgers zu beeinflussen, wenn also das Vertrauen des Parlaments notwendige Voraussetzung wurde, kam es zu einer einschneidenden Machtverschiebung innerhalb des Verfassungssystems. Die beiderseitige Gesetzesinitiative von König und Kammern kann ab 1848 als generelle Verfassungsregel in den verschiedenen konstitutionellen Monarchien Europas gelten. In dieser Hinsicht glich die preußische Verfassung von 1848/50 dem französisch-belgischen Modell von 1830/31. Der Einfluß des Königs auf die Gesetzgebung unterschied sich - formell gesehen - in Preußen und Belgien nicht.
Der Vergleich der drei beschriebenen Verfassungstypen zeigt deutlich, daß es ein generelles Entwicklungsmuster des monarchischen Konstitutionalismus nicht gab, das heißt eine bestimmte Abfolge der drei Erscheinungsformen im Verlaufe des 19. Jahrhunderts nur in Ansätzen erkennbar ist. Eine monarchische Struktur blieb in Frankreich und auch andernorts dominant, allerdings war die Monarchie zunehmend eine funktionalisierte und konnte sich als solche auch mit charismatischer Legitimität vermischen, insbesondere dann, wenn die Hoffnung auf einen erfolgreichen Führer zur Krisenbewältigung und der Wunsch nach nationaler Größe den Aufstieg eines Einzelnen ermöglichte, dessen monarchischer Charakter durch Plebiszite 'demokratisch' legitimiert wurde (Napoleon I., Napoleon III.).
Kirsch kann nachweisen, daß die vermeintlichen Spezifika des deutschen Konstitutionalismus - vor allem die antidemokratische Stoßrichtung charismatischer Herrschaft - ebenso in Frankreich zu finden sind. Auch die herausgehobene Stellung des Militärs in der Verfassung - mit dem Monarchen als Oberbefehlshaber - stellt Kirsch zufolge keine preußisch-deutsche Besonderheit dar. Als wirkliche Eigenart der deutschen Verfassung könne lediglich die föderale Struktur der Reichsverfassung gelten.
Der monarchische Konstitutionalismus kann also kaum als spezifisch deutsche aber durchaus als spezifische Verfassungsform des 19. Jahrhunderts gelten. Die Legitimität der konstitutionellen Monarchie speiste sich nicht allein aus der Quelle der Verfassung, sondern gerade auch aus der vor dem Verfassungserlaß vorhandenen Staatsgewalt des Herrschers. Nicht unwesentlich war der Integrationseffekt, den der Konstitutionalismus in neu gegründeten und vergrößerten Staaten, aber auch in Zeiten scharfer politischer Umbrüche entwickelte. Ein stärker werdendes Verlangen nach politischer Teilhabe diente als Motor des Konstitutionalismus. Zudem entwickelte das Verfassungsrecht eine gewisse Eigendynamik mit einer Tendenz zur Verrechtlichung - mithin einer Säkularisierung der politischen Verhältnisse. Der König, so Kirsch, wurde ein "schlichtes aber mächtiges Staatsorgan".
Hiermit ist schon angedeutet, daß die Frage nach dem monarchischen Konstitutionalismus als Übergangsphänomen oder eigenständiger Form mit den Ergebnissen von Kirsch nur mit einem 'sowohl als auch' beantwortet werden kann. Keinesfalls trug dieses Verfassungssystem den Kern seiner Überwindung in sich, nur weil es auf dem Konsens zweier Gewalten beruhte. Es existierte zwar eine "dualistische Struktur für die Handhabung der Verfassung", aber nicht ein "Dualismus antagonistischer legitimer Herrschaftsansprüche von Monarch und Parlament". Erst wenn die Kompromißstruktur aufgekündigt wurde, mußte der monarchische Konstitutionalismus scheitern. Aber auch wenn dieser im 20. Jahrhundert praktisch bedeutungslos wurde, so war doch keineswegs ausgemacht, ob die Entwicklung in Richtung eines autoritären Regimes oder des Parlamentarismus ging. Böckenfördes These von der notwendigen Parlamentarisierung jedenfalls entlarvt Kirsch als zu optimistisch.
Insbesondere die ebenso konzise wie thesenreiche Schlußdarstellung des Bandes von Kirsch überzeugt. Die eingangs klar aufgeworfenen Fragen werden hier stringent zusammengeführt. Schwächen resultieren lediglich - fast notwendigerweise - aus der starken Typenbildung. Die Verfassungswirklichkeit wird zwar immer wieder in den Blick genommen, aber nicht systematisch hervorgehoben und beschrieben. Beispielsweise werden die symbolischen Möglichkeiten des Herrschers - die sich in der Verfassung naturgemäß nicht wiederfinden - deutlich unterschätzt. Andererseits stellt Kirsch, bei richtiger Betonung monarchischer Einflußmöglichkeiten, zu sehr auf vermeintliche personale Charakteristika - etwa den "herrschaftsgierigen Willen" Louis-Napoleons (91) - und deren Wirkungsmächtigkeit ab (154). Auch die Konfrontation des Herrschers mit neuen Leistungserwartungen läßt sich nicht nur - wie von Kirsch im Fall von Carlo Alberto von Savoyen suggeriert - auf dessen persönliches Engagement und Mißgeschick zurückführen. Einige eigenwillige Wertungen, wie etwa der Hinweis auf die "übertriebenen Liebe der Franzosen zur Gewaltenteilung" (90), befremden.
Nur bedingt vermeidbare Probleme ergeben sich aus dem breit durchgeführten Vergleich. Mitunter wird Handbuchwissen rekapituliert, andererseits werden immer wieder Begriffe aus nationalen Debatten ohne Erläuterung eingeführt ("Questione meridionale", "trasformismo"). Hier hätte man sich etwas mehr Tiefe gewünscht, während die Zwischenbilanzen durchaus straffer hätten organisiert werden können, ohne an Klarheit zu verlieren. Die beeindruckende Leistung des Bandes von Kirsch wird durch diese formalen Mängel freilich kaum geschmälert.
Anmerkungen:
1 Otto Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, in: Ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1962, S. 359-389, S. 359.
2 Vgl. Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871-1918) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, 102), Frankfurt a.M. 1997, S. 70 ff.
3 Carl Schmitt, Verfassungslehre, München/Leipzig 1928, S. 288 ff.
4 Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit, Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1992, S. 273-305.
5 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland III. München 1999, S. 43.