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Titel
Wissenssoziologie.


Autor(en)
Knoblauch, Hubert
Reihe
UTB 2719
Erschienen
Konstanz 2014: UVK Verlag
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marie-Kristin Döbler, Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Mit der dritten Auflage der „Wissenssoziologie“ legt Hubert Knoblauch eine überarbeitete und vor allem erweiterte Version seines erstmals 2005 erschienenen Buchs vor. Dabei wird insbesondere „jüngeren Entwicklungen der Wissenssoziologie“ Rechnung getragen. Diese liefern gleichsam die Begründung sowohl für die Neuauflage als auch für die Erweiterung. So sei die Wissenssoziologie nicht nur in den vergangenen 10 Jahren „aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht“ (S. 9), sondern auch die assoziierte Forschung habe sich sprunghaft erweitert, ausdifferenziert, neue Themen(bereiche) erschlossen und neue Ansätze entwickelt. All dies schlägt sich in dem ausgebauten dritten Kapitel „Gegenwärtige Themen der Wissenssoziologie und der Wissensforschung“ nieder, dem eine Betrachtung „jüngere[r] Entwicklungen der Wissenssoziologie“ hinzugefügt wurde.

Sonstige Neuerungen beschränken sich dem Autor zufolge auf eine Neukonzeption der Einleitung und Verbesserungen im Text. Demgegenüber wurde am Ziel, mit dem Buch einen „einführenden Überblick über die Wissenssoziologie“ zu geben, sowie der ursprünglichen Aufteilung und den Inhalten des Buchs festgehalten. So geht es im ersten Kapitel „Ausbildung der Wissenssoziologie“ auch in der Auflage von 2014 teils entlang historischer Bahnen, teils entlang regionaler Unterteilungen von der Aufklärung bis zu Vertretern der deutschen bzw. amerikanischen Wissenssoziologie „der Moderne“, das heißt jenen Wissenschaftlern, deren Arbeiten wissenssoziologisch interpretiert werden (können) und die bis ca. in die 1930er-Jahre lebten bzw. wirkten.

Auf diese Abhandlung der „Vorläufer“ und der „modernen Wissenssoziologie“ baut das zweite Kapitel „Gegenwärtige Ansätze der Wissenssoziologie“ auf. Diesem dienen Perspektivendifferenzen der referierten Theorien und Ansätze als Gliederungsmerkmal, so dass Knoblauch drei Themenblöcke herausarbeitet: „Die phänomenologisch orientierte Wissenssoziologie“, „Die kommunikative Wende“ sowie „Der Strukturalismus und danach: Foucault, Bourdieu und die Cultural Studies“.

Wie schon im ersten Kapitel, sind es auch hier vor allem die zahlreichen Verweise auf die wechselseitige Beeinflussung zwischen Theorien und Ansätzen sowie der Einfluss der jeweiligen biographisch-historischen Kontexte der Theoretiker, die den Zugang zu den dargestellten Konzepten und Theorien eröffnen. Wer wo und wie an wen anknüpft, die Ideen von ‚Kollegen‘ oder Vorgängern weiterträgt und -entwickelt stellt den roten Faden in Knoblauchs Abhandlungen dar. Gleichzeitig macht es das Lesen damit aber auch voraussetzungsreich: Vor allem der Nicht-Fachkundige sollte das Buch konsequent von vorne nach hinten und nicht selektiv lesen, oder der Leser muss sich den Ausführungen mit Vorwissen bzw. der Bereitschaft nähern, etwaige Leerstellen im Verständnis selbst durch zusätzliche Lektüre anderer Quellen zu schließen.

Allerdings ist es – wie einem unter anderem durch die von Knoblauch in „Wissenssoziologie“ dargestellten Inhalte klar wird – unvermeidlich, Vorwissen vorauszusetzen: So bildet z.B. implizites Wissen in Form von Sprache, der automatischen Beherrschung von Grammatik etc. die Grundlage, die jedem Wissen vorausgeht (vgl. z.B. S. 355). Derartiges implizites Wissen reicht für das Verständnis von Knoblauchs’ Ausführungen jedoch nicht immer aus. Vielmehr muss das Vorwissen hier auch in Form von „Spezial-“ und „Fachwissen“ vorliegen.

Somit kann man es durchaus als geschickten Zug verstehen, wenn man in einem Überblickswerk über Wissenssoziologie, nicht nur die Einsichten von Wissenssoziologen oder die wissenssoziologischen Aspekte bestimmter Theorien darstellt, sondern auch eine wissenssoziologische Interpretation der Geschichte der Wissenssoziologie vornimmt, indem man unter anderem Korrelationen zwischen sozio-kulturellem Kontext und den daraus resultierenden, sich in Theorien und Konzeptionen niederschlagenden Erkenntnissen aufzeigt. Exemplarisch zu erwähnen ist hierfür die von Knoblauch ausführlich bzw. mehrfach betonte Interdependenz zwischen Alfred Schütz’ Erfahrungen als Migrant und seinen Ausführungen zum „Fremden“, zum Problem des Fremdverstehens oder der Intersubjektivität sowie die durch Schütz angestoßene Einführung der „phänomenologischen Betrachtungsweise“ in die „pragmatische amerikanische Wissenssoziologie“ (z.B. S. 141ff.).

Ungeachtet dessen, dass Aufbau und Struktur des Buchs, Ziel und Vorhaben des Autors mit dieser Veröffentlichung gut nachvollziehbar, weite Teile des Buchs schlüssig und überzeugend sind, stutzt der Leser jedoch hin und wieder. Während man zu Beginn Redundanzen und tautologische Bestimmungen noch als eigenwillige rhetorische Figuren interpretiert, sind manche dieser zusätzlichen Erläuterungen jedoch eher verwirrend, als dass sie zur Klarheit des Arguments, der Erklärung oder Definition beitrügen. Beispielhaft kann hier auf die Präsentation der Goffmanschen Definition von Rahmen verwiesen werden. Dazu heißt es: „Der Rahmen nimmt bei Goffman eine wissenssoziologische Bedeutung an, betrachtet er ihn doch als Organisationsprinzip menschlicher Erfahrungen und Interaktion. Rahmen bilden das Prinzip dieser Organisation.“ (S. 197)

Darüber hinaus stolpert der Leser über Formulierungen wie „Diesem Umstand der sozialen Vermitteltheit soll der Begriff des Wissens – im Unterschied zum Wissen – Rechnung tragen.“ (S. 353), die man größtenteils dann aber doch auf Basis von Hintergrundwissen, Interpretation der Textstelle im Kontext oder unter Zuhilfenahme anderer Quellen verstehen kann. Doch scheint es berechtigt zu fragen, ob so etwas – insbesondere in wichtigen Definitionen und an zentralen, für die Argumentation oder gar das ganze Buch wichtigen Stellen – (in einer überarbeiteten Version!) passieren darf oder nicht vielmehr durch redaktionelle Durchsicht und sorgfältiges Lektorat vermeidbar gewesen wäre.

Des Weiteren bleibt der Leser an verschiedenen Stellen des Buchs im Unklaren, was mit bestimmten Konzepten gemeint ist und es könnte – insbesondere Nicht-Fachkundigen – schwerfallen, die damit verbundene Argumentation nachzuvollziehen. Das heißt verschiedentlich vermisst man als Leser präzise Definitionen der Konzepte, die unter anderem durch die doppeldeutige Verwendung von Begriffen nicht ganz gelingt: So wird „Semantik“ im Anschluss an Luhmann als „Bezeichnung für die eine Gesellschaft leitenden Bedeutungen“, bestehend aus „Regeln zur Verarbeitung von Sinn“ definiert. Kurz darauf heißt es dann jedoch: „Semantik in einem umfassenden Sinn umfasst alles, was in der eher vertrauten Kommunikation thematisiert werden kann.“ Dieser im „umfassenden Sinn“ verstandenen Semantik wird dann jedoch kein ‚enger gefasster‘ oder ‚konkreter‘ gegenübergestellt, sondern eine „gepflegte Semantik“, in der seriöse und abstrakte Kommunikationsabsichten vorherrschten (S. 193f.). Ohne an dieser Stelle in eine vertiefende Auseinandersetzung mit Luhmann einzusteigen, für den Semantik sowohl die Menge an Formen bezeichnet, die Selektionen ermöglichen, als auch den Themenvorrat, der für Kommunikation verfügbar gehalten ist 1, soll dieses Beispiel demonstrieren, dass der Leser nicht immer, allein auf Knoblauchs Ausführungen gestützt, dessen Gedanken- oder Argumentationsgang folgen und verstehen kann.

Zusammenfassend bleibt jedoch festzuhalten: Knoblauchs „Wissenssoziologie“ ist eine gute und ansprechende Einführung in die Thematik bzw. Fachrichtung – wenn sie auch nicht unbedingt direkt für die im Vorwort zur dritten Auflage benannte Zielgruppe (die, die noch nicht wissen, „worum es sich bei der Wissenssoziologie handelt“, S. 9) geschrieben wurde, sofern diese nicht bereits ‚Vorwissen‘ in beiden oben benannten Formen mitbringen und/oder bereit sind, weitere Quellen hinzuzuziehen.

Indem die jeweiligen charakteristischen Eigenschaften und Besonderheiten verschiedener Perspektiven und Ansätze dargestellt werden, ihre jeweilige wissenssoziologische Relevanz benannt und ihr jeweiliger Beitrag zur Wissenssoziologie geprüft wird, wird dem Leser ein Überblick über die Komplexität und die Vielfalt der Fachrichtung vermittelt und darauf verwiesen, wo Anknüpfungspunkte und Anleihen, Überschneidungen und Übereinstimmungen mit anderen Bindestrichsoziologien und Disziplinen vorhanden und fruchtbar sind. Liest man diese Einführung also nicht mit der Erwartung, dass man „hinterher weiß was die Wissenssoziologie ist“ (S. 9), ist man mit Knoblauchs Buch gut beraten; denn es gibt – auch wenn es der Autor selbst nicht so expliziert, aber implizit darstellt – nicht die Wissenssoziologie, und so kann auch dieses Buch kein in sich geschlossenes System darstellen und keine eindeutige Antwort geben. Knoblauchs „Wissenssoziologie“ ist vielmehr als Ausgangspunkt zu verstehen, der zahlreiche Anlässe und Anstöße für eine vertiefende Auseinandersetzung mit ‚Wissen‘ liefert, nahelegt seine eigene Position und das, was man selbst für gesetztes, unhinterfragtes Wissen hält, zu reflektieren sowie dazu aufruft, einen neuen Blick auf ‚Altbekannte(s)‘ zu werfen.

Anmerkung:
1 Claudio Baraldi / Giancarlo Corsi / Elena Esposito, GLU – Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt am Main 1997.

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