N. Spannenberger u.a. (Hrsg.): Ein Raum im Wandel

Cover
Titel
Ein Raum im Wandel. Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert


Herausgeber
Spannenberger, Norbert; Szabolcs Varga
Reihe
Forschungen zur Geschichte und Kultur des Östlichen Mitteleuropa 44
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
308 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kurt Scharr, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Innsbruck

Südosteuropa – oder, wie der Titel des zur Besprechung vorliegenden Bandes vorschlägt – der habsburgisch-osmanische Grenzraum hat aus der Perspektive der Forschung während der vergangenen zwei Jahrzehnte erfreulicher Weise wieder mehr an Interesse erfahren; und das trotz des zu Beginn der 1990er-Jahre einsetzenden Rückganges in der Anzahl universitärer Lehrstühle der historischen Wissenschaften, die sich mit diesen Gebieten hauptsächlich auseinandersetzen. Zwei Dinge erscheinen dabei von zentraler Bedeutung: Da ist zum einen seitens der Geschichtswissenschaften eine neue und innovative Sichtweise auf den Raum und die ihm innewohnenden Imagologien, wie ihn Maria Todorova vorschlägt. Zum anderen existiert eine entscheidend differenziertere Herangehensweise abseits vom Blockdenken der europäischen Nachkriegszeit. Dieser Ansatz wird von einem Grundverständnis geleitet, das die Wirkmächtigkeit von Ideologien als gesellschaftlichem Faktor zwar nicht in Abrede stellt, sich ihnen gegenüber jedoch hinlänglich kritisch und offen verhält. Zudem bemühen sich diese Studien zumeist auch um eine fundierte Innensicht des betreffenden Raumes und begnügen sich in der Regel nicht mit hinlänglich eingefahrenen, von außen herangetragenen Interpretationsansätzen. Dafür sind stellvertretend jüngere Arbeiten von Karl Kaser, Holm Sundhaussen, Arno Strohmeyer und Norbert Spannenberger, Stefan Troebst, Oliver Schmitt und Konrad Clewing zu nennen.

Der vorliegende Sammelband greift diese Tendenz beispielhaft auf. Er beruht auf den Beiträgen einer 2007 in Leipzig im Rahmen des Geisteswissenschaftlichen Zentrums für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) veranstalteten Konferenz. Der diskursiv strukturierte Einleitungsteil von Markus Koller (Grenzwahrnehmung und Grenzmacht) versucht die Einzelstudien des Bandes in einen gemeinsamen räumlichen wie konzeptionellen Kontext zu stellen, was ungeachtet der Methodenbreite, der Detailtiefe und der unterschiedlichen Ansätze des präsentierten Materials auch weithin gelingt. Aufgeteilt auf vier Rahmenthemen (Macht und Herrschaft im Grenzraum; Alteritäten: Die geistig-mentale Grenze; Kirche und Religion: Grenzen und Grenzüberschreitungen; ‚Die Anderen‘ in der Historiographie und Erinnerungskultur) gruppieren sich in der Folge 16 Beiträge. Biographische Angaben zu den Autor/innen und ihrem institutionellen Hintergrund fehlen leider.

Erfolgreich gelingt es den Herausgebern, den Blick auf die Übergangszonen bzw. die Beziehungsgeschichte des fraglichen Raumes während dieser überaus konfliktträchtigen Epoche zu lenken. Damit schlagen sie bewusst einen Weg abseits nationalstaatlicher Historiographie ein, die Grenzen oftmals lediglich als periphere Angelegenheit wahrnimmt und den Grenzraum kaum in den Fokus einer gewissen Eigenständigkeit führt. Der Wandel von Herrschaftsdichte sowie wachsender Kontrolle einer langsam einsetzenden modernen Staatlichkeit bedingt zugleich Charakter und Struktur der Grenze selbst. Sie erscheint in einer Bandbreite vom Saum bis hin zur exakt vermessenen Markierung (S. 9). Auf einer zweiten Ebene wird das Ringen zwischen habsburgischem und osmanischem Reich durch ein über verschiedene Akteure gesteuertes Beziehungsgeflecht von lokaler (das heißt regionaler, ständischer) Macht sowie wachsender Zentralgewalt bzw. zunehmendem Herrschaftsanspruch des Zentrums (S. 15) offen gelegt. Der Kern zentralstaatlicher Modernisierungstendenzen in diesen Gebieten verdinglicht sich ebenso in der Funktion der katholischen Kirche als einer zentralen Institution räumlicher Konsolidierung (in erster Linie und weniger der Katholisierung; S. 210) im unausgesprochenen Auftrag des Staates, wie das die Analyse von Zoltán Gözsy („Konsolidierung der Kircheninstitution“) fein herausarbeitet. Bezeichnender Weise üben denn auch die im Zug der Kriege erbauten Festungswerke ihre Raummacht nicht ausschließlich in Richtung des „Feindes“ aus. Sie beeinflussen damit gleichzeitig das jeweils eigene Hinterland. Geradezu symbolisch für die Konzeption und den gemeinsamen Fokus der Beiträge dieses Bandes. Dergestalt formen diese Festungen einen eigenen Kommunikationsraum zu beiden Seiten der Grenze (S. 16).

Besonders spannend präsentieren sich jene Analysen, die sich neueren geschichtswissenschaftlichen Konzepten widmen, so etwa die Studie von Szabolcs Varga („Die Stellung Kroatiens innerhalb des Königreiches Ungarn in der frühen Neuzeit“). Die prägnant herausgearbeitete diskursive Bedeutung des habsburgischen Herrschertitels in „Kroatien“ in Bezug auf dessen jeweilige Rezeption sowie Akzeptanz durch die Stände und die aktuelle militärische Situation gerät hier geradezu zu einem Paradebeispiel politischer Kommunikation. Norbert Spannenberger geht in seiner Analyse („Transimperiale Migration zwischen Osmanen und Habsburgern“) von den differierenden Sichtweisen traditioneller nationalstaatlicher Historiographie einerseits und einer (allerdings) noch im Ansatz der eigenen Etablierung begriffenen Migrationsgeschichte andererseits aus. Die Serbenwanderung(en) in den Neoacquistica-Gebieten vom 16. bis ins 18. Jahrhundert erklären sich mithin eigentlich erst aus ihrer multipolaren Konfliktsituation, die letztlich eine dauerhafte Integration in den neuen Siedlungsräumen verhinderten (S. 112). Die bislang vielfach dominierende bipolare Geschichtskonstruktion mit dem zentralen Opfermotiv als rotem Faden übersah diese Aspekte geflissentlich. Thematisch daran anschließend wendet sich der Beitrag von Manja Quakatz („Konvertierte und zwangsgetaufte Osmanen“) einem hingegen noch weitestgehend unerschlossenen Arbeitsfeld zu. Die Autorin beleuchtet Handlungsspielräume von konvertierten Zwangsmigranten (S. 223) und ihre daraus erwachsenden Möglichkeiten gesellschaftlicher Integration.

Dass indes die Propaganda mehr über die eigene kulturelle Unsicherheit auszusagen vermag (S. 121) als über den Feind vor den Toren, thematisiert Deltef Haberland („Der Türkenkonflikt im südöstlichen Europa in Hartmann Schädels Weltchronik“). Auch besaß die Feindpropaganda im Vergleich zu ihrer innenpolitischen Rolle einen geringeren Stellenwert für die grundsätzlichen Entscheidungen der Reichsstände zur Finanzierung der Kriege (S. 136) wie das Zoltán Péter Bagi („Argumentative Propaganda in den kaiserlichen Propositionen“) darstellt. So spiegeln etwa die unter der drohenden „Türkengefahr“ einberufenen Reichstage in ihrer komplexen Verhandlungsstruktur zwischen Ständen und Kaiser eine ebenso heterogene wie fragile innenpolitische Realverfassung des Reiches wider. Für ein ausgewogenes Bild müsste hier freilich auch die ständische Gegenseite eingehend analysiert werden, was in diesem Rahmen wohl nicht möglich war. Innerhalb der habsburgischen Territorien zeigt zudem Gábor Nagy („Beiträge zur Modifizierung des ungarischen Feindbildes“) für das 16. Jahrhundert im Verhältnis zu Ungarn ein nahezu transzendentes, wohl auch innenpolitisch motiviertes Feindbild im Übergang von den „Türken“ auf die „Deutschen“, das heißt die Habsburger (S. 160). Diese Tendenz findet im späten 20. Jahrhundert im Rahmen einer historischen Annäherung Ungarns an die moderne Türkei ihre Fortsetzung. Die Reinterpretation von Gedächtnisorten wie Szigetvár kulminiert beispielsweise 1994 in der Errichtung eines türkischen Denkmals (S. 296) wie Zsuzsa Barbarics-Hermanik in ihrer Studie („Türkengedächtnis in Ungarn“) festhält. Ein tiefergreifendes Schürfen nach dem Grund und möglichen Antworten auf diese Entwicklung seit 1989 lässt die Autorin bedauerlicherweise vermissen.

Eine zeitgenössische Innensicht präsentiert der „Reisebericht“ von Matija Mažuranić über Bosnien, als einer osmanischen Provinz, die sich noch weitgehend den im Istanbul bereits eingeleiteten Reformen zu entziehen vermag (S. 274). Nenad Moačanin („Matija Mažuranić’s ‚Tourist‘ Visit“) bettet Mažuranićs Beschreibungen Bosniens in ein Milieu des Illyrismus ein, wo anti-islamische Haltungen abgelöst wurden durch die Forderung nach Aufklärung und Zivilisierung (S. 273). Auf ebendieses kulturelle Element der Ordnung griff drei Jahrzehnte später Wien in der Argumentation seiner militärischen Besetzung und nachfolgenden staatsrechtlichen Eingliederung Bosniens zurück.

Bleibt abschließend anzumerken, dass ein wesentliches Element des behandelten Raumes hier nicht angesprochen wurde, seine bildliche Darstellung. Der einleitende Beitrag spannt zwar einen inhaltlich methodischen Bogen um die einzelnen Studien und setzt sie in einen Bezug zueinander. Eine gerade für den ersten Überblick hilfreiche Darstellung zumindest in Form einer topographischen als auch einer historisch-thematischen Karte mit einem Fokus auf die zentralen politisch räumlichen Veränderungen in diesem Zeitraum fehlt indes. Auch hätte der Tafelteil im Anhang durchaus noch ergänzende Kommentare vertragen, so bleibt er weitgehend illustrativ. Ebenso wäre in arbeitstechnischer Hinsicht ein Namens- sowie geographischer Index, gewissermaßen als ergänzende Klammer zum einleitenden Beitrag, hilfreich für den Zugriff gewesen.

Von Sammelbänden dieser Art kann kaum die Präsentation eines räumlich wie inhaltlich geschlossenen Gesamtbildes erwartet werden. Das umso mehr, als Südosteuropa zudem so überaus heterogen und kleingekammert strukturiert ist – in gesellschaftlicher wie naturräumlicher Hinsicht. Ihre Stärke liegt vielmehr in der Dokumentation, im kritisch differenzierten Aufgreifen und in der ebenso breiten wie offenen Diskussion neuer Strömungen sowie aktueller Fragestellungen. Das erscheint am vorliegenden Beispiel mehr als gelungen.