Cover
Titel
The Daughters of Henry II and Eleanor of Aquitaine.


Autor(en)
Bowie, Colette
Reihe
Histoires De Famille. La Parenté Au Moyen Âge 16
Erschienen
Turnhout 2014: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clara Harder, Historisches Institut, Universität zu Köln

Das Haus Anjou-Plantagenêt fasziniert nach wie vor nicht nur die englischsprachige Mediävistik. Aus der dritten Generation der Familie sind gleich mehrere Nachkommen immer wieder intensiv Gegenstand historischer Forschung und auch populärer Annäherung gewesen.1 Heinrich der Jüngere sicherte sich aufgrund seines dramatischen Kampfes mit seinem Vater, Heinrich II. Plantagenêt, um die Macht im angevinischen Königreich seinen Platz in der Geschichte. Und seine berühmten Brüder Richard Löwenherz und Johann Ohneland bedürfen auch außerhalb fachwissenschaftlicher Kreise zumeist keiner näheren Vorstellung. Im Schatten ihrer Brüder und ihrer in jeder Hinsicht herausragenden Mutter, Eleonore von Aquitanien, stehen hingegen die Frauen dieser Generation, die Schwestern Mathilde (Matilda), Eleonore (Leonor) und Johanna (Joanna). Bekannt waren sie bislang hauptsächlich wegen ihrer Ehemänner Heinrich dem Löwen, König Alfons VIII. von Kastilien und König Wilhelm II. von Sizilien. Die britische Historikerin Colette Bowie rückt sie nun ins Zentrum ihres Buches, das in der seit 2005 erscheinenden Reihe „Histoires de famille. La parenté au Moyen Âge“ erschienen ist. Die Arbeit basiert auf Bowies Dissertation, mit der sie 2011 an der Universität Glasgow promoviert wurde.

Bowie beschreitet in ihrer Arbeit ungewöhnliche Wege, um sich ihren Protagonistinnen zu nähern. Der relativen Quellenarmut zu ihren Studienobjekten begegnet sie mit einem stärker methodisch orientieren Fokus, indem sie die Beziehung der Schwestern zu ihren Eltern in den Mittelpunkt rückt. Sie bietet keine klassischen chronologisch-biographischen Darstellungen des Lebens und Wirkens der Königstöchter, sondern hat fünf größere Themenblöcke gebildet, in denen sie Schlaglichter auf das Leben der Frauen und ihr Verhältnis zu ihrer Ursprungsfamilie wirft. Sie widmet sich der Kindheit der Prinzessinnen (Part I), den politischen Hintergründen ihrer Eheschließungen (Part II), den Ehen und Besitzverhältnissen, in denen die Frauen lebten (Part 3), ihrer Bedeutung als religiöse Patroninnen (Part 4) und dem Ende ihres Lebens bzw. ihrer Bestattungspraxis (Part 5).

Bowie fasst dabei immer wieder erläuternd komplexe kulturwissenschaftliche Forschungspositionen und Fragestellungen zur Geschichte der Kindheit, der Bedeutung familiärer Bindungen im Mittelalter und der mittelalterlichen Frauengeschichte zusammen. Sie folgt Barbara Rosenwein und Hannah Vollrath, wenn sie argumentiert, dass keineswegs geschlossen werden kann, dass die Beziehungen Heinrichs und Eleonores zu ihren Töchtern nach deren Verheiratung nach Sachsen (Mathilde), Kastilien (Eleonore) und Sizilien (Johanna) abbrachen.2 Das Fehlen von Briefen oder anderen dokumentarischen Quellen, die einen engen Austausch zwischen Eltern und Kindern belegen, lässt sie als Beweis für eine fehlende emotionale Bindung zwischen den Generationen nicht gelten (S. 44). Bowie verteidigt die angevinische Familie gegen die Annahme, die Töchter seien lediglich als politische Verhandlungsmasse von den Eltern genutzt worden und es hätten keine bedeutenden emotionalen Bindungen zwischen den Familienmitgliedern bestanden. Ihre durchaus überzeugende These ist vielmehr, dass sich die emotionale Verbundenheit zwischen den Generationen im Hause Anjou-Plantagenêt gerade im Leben und Wirken der Töchter widerspiegelt.

Bowie bewegt sich zu Beginn ihrer Studie in einem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Anspruch und den Grenzen ihres Materials. Sie betont einerseits die entwicklungspsychologische Bedeutung der ersten Lebensjahre für den weiteren Verlauf des Lebens eines Menschen (S. 55). Andererseits fehlt ihr ausreichendes Quellenmaterial, um zu dieser Thematik detaillierte Einsichten zu gewinnen. Insbesondere ihre Annahmen über die Erziehung und die Bildung der Prinzessinnen können aufgrund des Mangels an konkreten Quellenzeugnissen nur allgemeiner Natur sein und tragen zur Unterstützung ihrer Hauptthese nichts bei (S. 55–64). Doch Bowie trägt gewissenhaft die verfügbaren Zeugnisse aus der und über die Kindheit der Prinzessinnen zusammen und wertet sie aus. Sie kann plausibel machen, dass insbesondere Eleonore von Aquitanien Wert darauf legte, ihre Töchter in ihrer unmittelbaren Umgebung aufwachsen zu sehen. Die Königin ließ es sich nicht nehmen, ihre Töchter schon im Säuglings- und Kleinkindalter auf ihren Reisen mit sich zu führen, so dass z.B. die älteste Tochter Mathilde im zarten Alter von vier Jahren schon mindestens drei Mal den Ärmelkanal überquert hatte (S. 36). Dieses Verhalten deutet Bowie als Zeugnis mütterlicher Zuneigung Eleonores zu ihren Kindern, eine Interpretation, die in Übereinstimmung mit den Ansichten von Ralph Turner und Jean Flori steht, welche die enge emotionale Bindung Eleonores von Aquitanien an ihre Söhne Heinrich, Richard und Johann betont haben.3
Nach einer knappen Darstellung der Heiratspolitik Heinrichs II. im zweiten Teil der Untersuchung widmet sich Bowie anschließend dem Versuch, der politischen Bedeutung der drei Frauen nach ihren Eheschließungen nachzuspüren. Am ausführlichsten beschäftigt sie sich dabei mit Eleonore, die als Ehefrau Alfons VIII. Königin von Kastilien war und in ihrer langen und kinderreichen Ehe politisch bedeutsamer gewesen zu sein scheint als ihre Schwestern.

Im vierten Teil untersucht Bowie das Wirken der angevinischen Prinzessinnen als religiöse Stifterinnen und Patroninnen sowie insbesondere ihre Bedeutung für die Verbreitung des Kultes um den 1170 ermordeten Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, in Europa. Hier sieht Bowie einen eindeutigen Hinweis auf die weiterhin enge Bindung der drei Schwestern an ihre Ursprungsfamilie. Heinrich II. Plantagenêt instrumentalisierte den aufkommenden Becket-Kult rasch für seine eigenen politischen Zwecke. Seine Töchter unterstützten ihn dabei, indem sie die aktive Förderung der Verehrung für den Märtyrer in ihren jeweiligen Einflussbereichen betrieben.

Im letzten Teil der Studie rückt Bowie die Beziehung zwischen den drei Töchtern und ihrer Mutter wieder stärker ins Zentrum ihrer Überlegungen, wenn sie die wechselseitige Beeinflussung hinsichtlich der Beisetzung der Familienmitglieder behandelt. Anders als gemeinhin angenommen geht Bowie davon aus, dass Eleonore von Aquitanien die Grabstätte ihrer Familie in der Abtei Fontevraud derjenigen nachempfand, die Alfons VIII. und seine Frau Eleonore in der Abtei Santa Maria de la Real de Las Huelgas errichtet hatten, und nicht umgekehrt die Tochter der Mutter nacheiferte.

Bowie bietet in ihrer thematisch sehr breit aufgestellten Studie zahlreiche Einblicke in das Familien- und Frauenleben der europäischen Eliten des 12. Jahrhunderts. Insbesondere der erste und die letzten beiden Teile der Darstellung stützen die These der Autorin von der lebenslang engen Beziehung der Töchter zu ihren Eltern. Das Buch als Ganzes ist jedoch nicht unproblematisch. Den einzelnen Untersuchungsteilen fehlt es an einer inneren Systematik. Die Reihenfolge, in der Leben und Wirken der Schwestern immer wieder in Hinblick auf die verschiedenen Einzelaspekte behandelt werden, erscheint oft willkürlich. Eine ausführliche Darstellung der jeweiligen politisch-kulturellen Bedingungen der Regionen bzw. Familien, in welche die Schwestern verheiratet wurden, fehlt zumeist, was die historische Kontextualisierung erschwert. Außerdem legt Bowie in der Darstellung insgesamt einen erheblichen Schwerpunkt auf Eleonore, Königin von Kastilien, was auch mit der besseren Quellenlage und der größeren politischen Bedeutung dieser Schwester zu tun haben mag. Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden, dass die oftmals sehr oberflächliche Behandlung insbesondere des Wirkens Mathildes wohl auch darin begründet liegt, dass keinerlei deutschsprachige Forschungsliteratur berücksichtigt wurde. Dennoch sind die vielen Synthesen, die Bowie in den Forschungsfeldern der Mentalitäts-, Familien- und Frauengeschichte bietet, durchaus beachtenswert. Ihr Buch ist jedoch eher für Spezialisten auf diesen Gebieten geeignet, die für eine gewinnbringende Lektüre zudem ein fundiertes Hintergrundwissen über die europäische Geschichte des 12. Jahrhunderts mitbringen sollten.

Anmerkungen:
1 Zuletzt z.B. Stephen D. Church, King John. England, Magna Carta and the Making of a Tyrant, London 2015; Marc Morris, King John. Treachery, Tyranny and the Road to Magna Carta, London 2015; Ralph Turner, The Reign of Richard Lionheart. Ruler of the Angevin Empire, 1189–99, London u.a. 2000; Louis Le Roc’h Morgère (Hrsg.), Richard Coeur de Lion, roi d’Angleterre, duc de Normandie: 1157–1199. Actes du colloque international tenu à Caen, 6–9 avril 1199, Caen 2004.
2 Barbara Rosenwein, Worrying about Emotions, in: American Historical Review, 107 3 (2002), S. 821–845; Hannah Vollrath, Aliénor d’Aquitaine et ses enfants: une relation affective?, in: Martin Aurell / Noël-Yves Tonnerre (Hrsg.), Plantagenêts et Capétiens: Confrontations et Héritages, Turnhout 2006, S. 113–123.
3 Ralph Turner, Eleonor of Aquitanine and her Children: An Enquiry into Medieval Family Attachment, in: Journal of Medieval History 14 4 (1988), S.321–335; Jean Flori, Eleanor of Aquitaine: Queen and Rebel, Edinburgh 2007.

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