Die Burgenforschung hat den strukturellen Nachteil, keine homogene Wissenschaft, geschweige denn ein eigenes Fach zu sein. Fabian Link ist es mit seiner Baseler Dissertation gelungen, verschiedene Segmente der Entwicklung der Burgenforschung in der Zeit des Nationalsozialismus neu zu beleuchten.
Der Arbeit ist ein Exposé vorangestellt (S. 9–18), auf das nach einer umfassenden Einführung (S. 19–46) eine ausführliche und differenzierende Betrachtung von „Nationalsozialismus, Burgen, Burgenforschung“ folgt (S. 47–152). Burgen waren Orte der Inszenierung von NS-Herrschaft (S. 36), und so konnte jemand, der Burgen erforschte, suggerieren, einen ehrenhaften Charakter zu haben, da er die Behausungen der „glorreichen deutschen Ritter“ untersuchte (S. 134). Der Band setzt sich mit den verschiedenen Ausdeutungen zum Verhältnis von (Geistes-)Wissenschaft und NS-Herrschaft auseinander und versucht anhand seiner fünf gewählten Beispiele, das Bild weiter zu differenzieren. Da die Burgenforschung methodisch, inhaltlich und sozial sehr heterogen ist, vergleicht der Autor sie mit den Entwicklungen der Soziologie und der Vor- und Frühgeschichte. Zusammenfassend habe die von früheren Forschern rückblickende Abkoppelung der „NS-Wissenschaft“ von der „Wissenschaft“ zu einer Dämonisierung der Forschungen der SS geführt. Anhand der Forschungen zu Haithabu von Herbert Jankuhn, neben anderem SS-Sturmbannführer, versucht Link zu zeigen, dass es auch andere NS-Forschung gegeben hat. Die Rolle der Geldvergabepraxis der DFG in den 1920er- und 1930er- Jahren betrachtet er im Detail, jene des SS-Ahnenerbes und des Amtes Rosenberg zurückhaltend wenig.
Einerseits entsprachen Burgen „den Forderungen der NS-Kulturpolitiker nach Traditionalismus, Volkskunst und Monumentalität“ (S. 142), anderseits sollen Beispiele, in denen Hitler und andere NS-Führer zwar mehrfach, aber immer nur Einzelbeträge für die Forschung und Erhaltung von Burgen spendeten, zeigen, dass hier keine klare Planungsbasis für umfangreiche Forschungen finanziert wurde: „Die NS-Führer entschieden nach Tagesstimmung, persönlichen Vorlieben oder politischer Lage, ob sie ein Unternehmen unterstützten oder nicht.“ (S. 145) Dies mag für einzelne Burgprojekte Hitlers stimmen. Dass Burgenforschung im SS-Ahnenerbe Heinrich Himmlers jedoch nicht vorgesehen gewesen sei (S. 147), dem widersprechen die vielen langfristigen Forschungs- und Umbaumaßnahmen des SS-Ahnenerbes an solchen prominenten Projekten wie Braunschweig 1, der Wewelsburg 2 oder Quedlinburg. 3
Auf der Grundlage unpublizierten Quellenmaterials (Nachlässe, Tagebücher, private und fachbezogene Korrespondenz) untersucht der Autor mit Hilfe von Pierre Bourdieus Habitus- und Feldtheorie exemplarisch drei wissenschaftliche „Laufbahnen“ (S. 154–296). Als erstes wird Bodo Ebhardt (1865–1945) beschrieben, ein außerakademischer Burgenforscher, welcher der „wilhelminischen Generation“ angehörte (S. 154–197). Dass Ebhardt auch Initiator der 1899 gegründeten Vereinigung zur Erhaltung deutscher Burgen ist, des Vorgängervereins der bis heute bestehenden Deutschen Burgenvereinigung e.V., macht ihn als Untersuchungsgegenstand überregional relevant. Eberhardts Wissenschaftskonstruktion ist Link zufolge eine Mischung aus politischen Haltungen, ästhetischen Vorstellungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen gewesen (S. 197f.).
Als Nächster wird Gotthard Neumann (1902–1972) vorgestellt, ein Vor- und Frühgeschichtler, der für eine archäologische Herangehensweise steht und ein Vertreter der sogenannten „Kriegsjugendgeneration“ war (S. 198–241). Der Trend zur Professionalisierung der Vor- und Frühgeschichte habe bei Neumann dazu geführt, das Forschungsobjekt „Burg“ den Laien entreißen zu wollen (S. 241). Als drittes Beispiel wird der Kunsthistoriker Walter Hotz (1912–1996) untersucht, der auch Ansätze der neueren Landesgeschichte vertrat und zur „Nachkriegsgeneration“ gehörte (S. 242–296). Methodisch originell sei das Raumkonzept von Hotz gewesen, anders als seine Vorstellung vom Reich, die „mehr Ausdruck einer irrational-eschatologischen Erwartungshaltung denn ein rational-wissenschaftliches Konzept“ war (S. 291). Diesen personengeschichtlichen Teil zusammenfassend stellt Link heraus, dass „Burgenforschung als Thema (Hotz), Praxis (Neumann) und als eigenständiger Forschungsbereich (Eberhardt) […] während des NS-Regimes nur im außerakademischen Bereich als spezifische Wissenschaftskultur gefestigt werden“ konnte (S. 294).
Es folgt eine Betrachtung der Wissenschaftspraktiken (S. 297–352). Hierfür wählt Link zwei prestigeträchtige Projekte, die bereits zur Zeit ihrer Ausgrabung / Rekonstruktion europaweites Interesse versprachen und auch mit sich brachten. Die Arbeiten auf der Burg Trifels fasst er dabei als „Gemeinschaftsforschung ohne Gemeinschaft“ zusammen (S. 302–322), die Arbeiten an der „Reichsburg“ Kyffhausen als „erzwungene Forschungsgemeinschaft“ (S. 323–345). Link resümiert, dass die 1933 und 1934 initiierten Großkampagnen zur Sanierung und Konservierung je einer bedeutenden Burg ohne wissenschaftliche Untersuchungen geplant waren und dass erst aufgrund des thüringischen Bodendenkmalschutzgesetzes und der bayerischen Richtlinie für Denkmalschutz die betreffenden wissenschaftlichen Akteure zur Mitarbeit an den Unternehmungen veranlasst wurden (S. 301). Je autonomer die Archäologen arbeiten konnten, desto bessere wissenschaftliche Ergebnisse erzielten sie (S. 345). Der Streit um Zuständigkeiten und Deutungshoheit und die fordernde Beeinflussung verhinderte oft die zeitnahe Publikation der Grabungsergebnisse: „der direkte Zugriff auf wissenschaftliches Arbeiten durch NS-Politiker verhinderte, dass die Ziele der NS-Ideologen durch die Wissenschaft zufriedenstellend erfüllt wurden“ (S. 15).
Auf den aus 49 zum Teil farbigen Abbildungen bestehenden Abbildungsteil, der zwischen den Seiten 353 und 404 separat eingebunden ist, folgen die Schlussfolgerungen der Untersuchung (S. 405–436). Im Anhang (S. 437–493) finden sich eine 40-seitige Bibliografie und ein Sach- sowie ein Personenregister, die einen schnellen Zugriff auf die gewünschten Informationen ermöglichen.
Fazit: Auch wenn einige Kürzungen von Redundanzen der Arbeit gut getan hätten, erschließt das Opus vorbildlich eine ganze Reihe neuer Quellen zur Burgenforschung während des Nationalsozialismus. Die Zugänge über die Laufbahnanalyse dreier Wissenschaftler (Ebhardt, Neumann, Hotz) und über zwei Großprojekte (Trifels, Kyffhäuser) zeigen bemerkenswerte Befunde. In der Tendenz werden die Ergebnisse vor allem der drei vergleichsweise positiven Forscherbiographien jedoch zu stark verallgemeinert. Die Zahl wissenschaftlich korrekt arbeitender Forscher, die SS-Uniform trugen, ist deutlich kleiner, als die Gruppe der Forscher, die von NS-Wunschdenken erfüllt waren und diesem gegenüber dem archäologischen oder historischen Befund im Zweifel den Vorrang einräumten. Für die genannten Biographien und Großprojekte ist hier ein neuer Forschungsstand vorbildlich erarbeitet. Ob deren Ergebnisse verallgemeinert werden können oder eine Ausnahme bilden, können nur künftige Forschungen durch Gegenüberstellung mit anderen Befunden erweisen.
Anmerkungen:
1 Jan-Holger Kirsch, „Wir leben im Zeitalter der endgültigen Auseinandersetzung mit dem Christentum“. Nationalsozialistische Projekte für Kirchenumbauten in Enger, Quedlinburg und Braunschweig, in: Stefan Brakensiek (Hrsg.), Widukind. Forschungen zu einem Mythos, Bielefeld 1997, S. 33–95.
2 Jan Erik Schulte (Hrsg.), Die SS, Himmler und die Wewelsburg, Paderborn 2009.
3 Andreas Stahl, Königshof und Stiftsberg in Quedlinburg. Stätten des Heinrichskults der SS, in: Joachim Zeune (Hrsg.), Burg und Kirche. Herrschaftsbau im Spannungsfeld zwischen Politik und Religion, Braubach 2013, S. 278–292.