M. Junkelmann: Napoleon und Bayern

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Titel
Napoleon und Bayern. Eine Königskrone und ihr Preis


Autor(en)
Junkelmann, Marcus
Erschienen
Anzahl Seiten
221 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Stickler, Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universitaet Wuerzburg

Mit dem vorliegenden Band, der rechtzeitig im Vorfeld der gleichnamigen Bayerischen Landesausstellung 2015 erschien, ist Marcus Junkelmann, der vor allem als Experimentalarchäologe bekannt geworden ist, sozusagen zu seinen wissenschaftlichen Wurzeln zurückgekehrt. Der Autor, der 1976 eine Magisterarbeit über die Schlacht von Waterloo vorlegte und 1979 mit einer Studie über den „blauen Kurfürsten“ Max Emanuel von Bayern (1679–1726) promoviert wurde, erwarb nämlich seine ersten Sporen als Historiker als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der wichtigen Ausstellung „Wittelsbach und Bayern“ (1980) und beim Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt. In diesem Kontext veröffentlichte er 1984 den Band „Napoleon und Bayern. Von den Anfängen eines Königreiches“, welcher damals von der Fachwelt sehr positiv aufgenommen wurde. Junkelmann ist insofern unzweifelhaft ein versierter Kenner der bayerischen Geschichte, der zudem 2009, korrespondierend mit seinen militärgeschichtlichen Interessen, zwei Arbeiten zum Fünften Koalitionskrieg von 1809 herausgebracht hat.1

„Napoleon und Bayern. Eine Königskrone und ihr Preis“ stellt im Grunde eine erweiterte und überarbeitete Neuauflage des Bandes von 1984 dar. Zwar musste hierbei der Bildteil reduziert werden, hinzugekommen ist allerdings ein Anmerkungsapparat. Zudem hat Junkelmann insbesondere die Kapitel über die Reformpolitik des Grafen Montgelas und zum Rheinbund im Lichte des aktuellen Forschungsstands neu geschrieben. Erfreulich ist auch, dass, anders als 1984, mit dem Großherzogtum Würzburg des Habsburgers Ferdinand von Toskana und dem Fürstprimatialstaat bzw. dem Großherzogtum Frankfurt des vormaligen Mainzer Kurfürsten Carl Theodor von Dalberg zwei Rheinbundstaaten einbezogen werden, die zwischen 1806 und 1814 zwar nicht zum Königreich Bayern gehörten, aber als Konsequenz der Wiener Friedensordnung von 1815 bayerisch wurden. Junkelmann trägt damit zum einen der Tatsache Rechnung, dass in den letzten 30 Jahren einiges an Literatur erschienen ist, die unser Bild dieser beiden Territorien bzw. der sie regierenden Fürsten verändert hat, andererseits rundet sich das Bild der Epoche sinnvoll ab, wenn der Raum, der heute Bayern bildet, vollständig in den Blick genommen wird. Konsequenterweise hat Junkelmann denn auch darauf verzichtet, die Territorien, die in der Zeit der Koalitionskriege nur vorübergehend bayerisch waren – im Wesentlichen das vormalige Hochstift Salzburg und Tirol – eingehender zu behandeln. In Bezug auf Tirol bedauert man das insofern ein wenig, als der massive Widerstand, den die dortige Bevölkerung, insbesondere auf dem Land, der bayerischen Herrschaft entgegensetzte, nur dann wirklich verstanden werden kann, wenn man sich klarmacht, dass diese gefürstete Grafschaft vor 1805 von der habsburgischen Herrschaftsbildung nur partiell erfasst worden war, die Eingliederung in einen modernen, zentralistischen Anstaltsstaat deshalb eine geradezu traumatische Erfahrung war, die die Einheimischen nur als massiven Bruch des überkommenen Rechts wahrnehmen konnten.

Junkelmann macht in seinem Buch vor allem deutlich, dass abseits älterer und neuerer Legendenbildung die bayerische Politik in den Jahren 1799 bis 1814/15 nur verstanden werden kann vor dem Hintergrund älterer Erfahrungen. Dazu gehört vor allem das vergebliche Streben nach einer arrondierten Herrschaftsbildung mit dem Ziel des Erwerbs der Königswürde, wie es bereits unter Kurfürst Max Emanuel sichtbar wird. Das Haus Bayern erblickte darin nicht ganz zu Unrecht eine Zurücksetzung im Vergleich zu Dynastien wie dem Haus Hannover, den Wettinern und Brandenburg-Preußen. Dass die damals noch evangelische Seitenlinie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld zwischen 1654 und 1720 die schwedische Königwürde innehatte, vermochte diesen Makel nicht aufzuwiegen. Mit den bayerischen Ambitionen korrespondierte eine immer weiter fortschreitende Entfremdung vom eng verwandten Haus Habsburg, welches seinerseits ein Interesse daran hatte, das altbayerische Territorium der Habsburgermonarchie einzugliedern. In dieser Konstellation war Frankreich ein mehr oder weniger natürlicher Verbündeter des Hauses Bayern.

Das Streben der deutschen Territorien und insbesondere Bayerns nach staatlicher Souveränität bedarf heute eigentlich keiner geschichtspolitischen Rechtfertigung mehr; insofern laufen die immer wieder aufblitzenden Polemiken Junkelmanns gegen die ältere kleindeutsch-preußische Geschichtsschreibung ein wenig ins Leere. Hier hätte es sich eher angeboten, die moderne Sozialgeschichte Bielefelder Provenienz etwas in den Blick zu nehmen, deren recht teleologisches Geschichtsbild ebenfalls mit einer spürbaren Geringschätzung des Dritten Deutschlands einhergeht. Zu Recht verweist Junkelmann darauf, dass die entscheidende Rolle Napoleons beim Aufstieg Bayerns zum mächtigsten deutschen Mittelstaat in der älteren bayerischen Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur gerne schamhaft verschwiegen oder beschönigt wurde. Das von König Ludwig I. gestiftete Denkmal für die in Napoleons Krieg gegen Russland gefallenen bayerischen Soldaten auf dem Münchener Karolinenplatz mit der Widmungsinschrift „Auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung“ ist dafür ein gutes Beispiel; ebenso die Kehlheimer Befreiungshalle, die Bayerns wichtige Rolle als Teil des napoleonischen Bündnissystems vergessen zu machen suchte. Die von Junkelmann zustimmend zitierte Aussage von Egon Johannes Greipl, bis 2013 Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, das von Napoleon dominierte, von Reformen geprägte Bündnissystem vor 1813 habe mehr in die Zukunft gewiesen als der „nationalistische, antifranzösische Befreiungsrausch“ (S. 12) nach 1813, muss dennoch bezweifelt werden. Eine solche Sichtweise, die in Junkelmanns Buch immer wieder aufscheint, verkennt zum einen, dass die Reformpolitik verknüpft war mit der Errichtung eines rigiden französischen Hegemonialsystems, das die Verbündeten für französische machtpolitische Ziele in die Pflicht nahm und diesen ungeheure finanzielle Lasten aufbürdete. Zweitens wird das Erbe der Befreiungskriege – hinsichtlich der Angemessenheit dieses überkommenen Begriffs kann man zweifellos geteilter Meinung sein – unzulässig verkürzt im Sinne überholter, teleologisch argumentierender Sonderwegvorstellungen zur deutschen Geschichte. Hinzu kommt, dass das Ergebnis des Sechsten Koalitionskriegs gerade nicht die Schaffung einer nationalstaatlichen Ordnung in Mitteleuropa, sondern die Wiederherstellung des europäischen Mächtegleichgewichts war; dies ermöglichte denn auch dem besiegten Frankreich den Wiedereintritt in das Großmächtekonzert.

Junkelmanns Darstellung der bayerischen Politik im napoleonischen System, deren Schwerpunkt auf der Außen- und Innenpolitik, Dynastiegeschichte und militärgeschichtlichen Fragen liegt, macht eindrucksvoll deutlich, warum es Bayern trotz seines bedeutenden militärischen Potentials, seiner Reformpolitik im Innern nach letztlich französischen Vorbildern und seiner außenpolitischen Wendigkeit nicht gelang, zu einer europäischen Macht aufzusteigen, die zu wirklich souveräner Außenpolitik fähig gewesen wäre: Bayerns territorialem Expansionsstreben waren aufgrund der anders gelagerten Interessen der europäischen Großmächte objektiv Grenzen gesetzt. Dies zeigte sich in aller Deutlichkeit im Frieden von Schönbrunn 1809, als es Bayern trotz der schweren Niederlage Österreichs nicht gelang, größere Teile der habsburgischen Länder zu erwerben, aber auch auf dem Wiener Kongress, als Münchener Ambitionen scheiterten, als Ausgleich für die an Österreich verlorenen Länder im Süden und Südosten zusätzlich zur Rheinpfalz weitere Gebiete im Westen und Nordwesten des Königreichs zu erwerben, die es ermöglicht hätten, ein völlig geschlossenes Staatsgebiet zu schaffen und so eine Hegemonialstellung in Süddeutschland aufzubauen. Bayern blieb deshalb das, was es dank seiner Bündnispolitik mit Napoleon geworden war: Der größte und bedeutendste unter den Staaten des Dritten Deutschlands, der zwar zu vollständiger Eigenstaatlichkeit in der Lage gewesen wäre, sich aber nun eingebunden fand in das System des Deutschen Bundes. Letztlich vertauschte Bayern die Hegemonie Frankreichs im Rheinbund mit der der deutschen Großmächte Preußen und Österreich im Deutschen Bund, fand sich aber insofern in einer vorteilhafteren Situation wieder, als dieser kein offensivfähiges politisches Gebilde war, Bayern deshalb nicht gezwungen war, wie in den Jahren des Bündnisses mit Frankreich, eine teure Hochrüstungspolitik zu betreiben. Diese positiven Aspekte der Wiener Ordnung werden von Junkelmann leider etwas unterschätzt.

Der Band enthält als letztes Kapitel ein ausführliches Itinerar Napoleons in Bayern, wobei diesem die heutigen Grenzen zugrunde gelegt sind. Positiv zu vermerken ist auch das Personen- und Ortsregister. Auf einen kleinen sachlichen Fehler sei noch hingewiesen: Das Herzogtum Preußen war nicht mehr polnisch, als es 1701 zum Königreich erhoben wurde (S. 56). Das Lehensverhältnis zur Krone Polens wurde vielmehr bereits 1657 im Vertrag von Wehlau, den der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm mit König Johann II. Kasimir von Polen abschloss, beendet. Bedauerlich ist auch, dass Junkelmann die wichtige Dalberg-Biographie von Herbert Hömig2 nicht verwendet hat. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Marcus Junkelmann ein auch für eine breitere historisch interessierte Öffentlichkeit ausgezeichnet lesbares, sehr gut recherchiertes Sachbuch vorgelegt hat, dem weite Verbreitung zu wünschen ist.

Anmerkungen:
1 Marcus Junkelmann, Rundweg – Schlacht bei Eggmühl, 22. April 1809. Hg. vom Markt Scherling, Schierling 2009; Ders., „Der kühnste Feldzug.“ Napoleon gegen Erzherzog Carl, 19.–24. April 1809. Teugn und Hausen – Abensberg – Landshut – Eggmühl – Regensburg, Scherling, 2. Aufl., 2014.
2 Herbert Hömig, Carl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons, Paderborn 2011.

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