S. Höhler: Spaceship Earth in the Environmental Age, 1960–1990

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Title
Spaceship Earth in the Environmental Age, 1960–1990.


Author(s)
Höhler, Sabine
Series
History and Philosophy of Technoscience 4
Published
Extent
256 S.
Price
€ 94,72
Reviewed for H-Soz-Kult by
David Kuchenbuch, Institut für Geschichte, Universität Gießen

Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang. Für den Philosophen Peter Sloterdijk heißt das aber nicht zwangsläufig, dass die Crew begrenzt, dass die Bordrationen gerechter verteilt oder sogar verkleinert werden müssten.1 In seiner Rede auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 ließ Sloterdijk zwar keinen Zweifel daran: Der „kinetische Expressionismus“ des Kohlezeitalters – verkörpert durch Phileas Fogg aus Jules Vernes Roman „Reise um die Erde in 80 Tagen“, der auf der Zielgeraden seiner Weltumrundung die Deckaufbauten seines Schiffs verheizt – hat ausgedient. Sloterdijk warnte aber davor, dass der „ökologische Calvinismus“ mancher Klimaschützer und der „meteorologische Sozialismus“ des Emissionsrechtehandels Bemühungen diskreditieren könnten, das energetische Potential der Erde auf technischem Wege, mittels „biomimetischer“ Verfahren, zu vergrößern. Unter Berufung auf den amerikanischen Erfinder und Public Intellectual R. Buckminster Fuller (1895–1983), der die Metapher „Spaceship Earth“ mitgeprägt hat, erinnerte Sloterdijk an deren ursprünglichen, schillernden Sinngehalt. Wer die Erde als „Raumschiff“ imaginiert, der sieht zwar den Planeten als begrenzten Raum in einer lebensfeindlichen Umgebung, betrachtet ihn aber zugleich als technisch-natürliches Hybrid, das gesteuert, sogar optimiert werden kann.

Der Geschichte dieses „Mythos des Umweltzeitalters“ widmet sich nun Sabine Höhler in einem äußerst lesenswerten Buch, das aus ihrer Darmstädter Habilitationsschrift hervorgegangen ist. Gegen Ende der 1960er-Jahre, so Höhler, setzte sich eine neue Naturwahrnehmung durch. Auf der UN-Weltumweltkonferenz in Stockholm 1972 beispielsweise, einer Vorgängerin der Kopenhagener Konferenz, wurde die physische Umgebung des Menschen nicht als schützenswertes Anderes, sondern als „Environment“ begriffen. Der Planet selbst, genauer: seine Biosphäre, erschien fortan als ein komplexes „Life-Support-System“. Dieses galt es zu verstehen und zu verwalten, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Auf rund 150 Seiten analysiert Höhler insbesondere die US-amerikanischen Debatten um die Grenzen der „Capacity“, der Tragfähigkeit dieses Systems – Debatten, die oft die Trope des „Raumschiffs Erde“ bemühten. Diese veritable Cyborg-Metapher verfolgt Höhler durch ein heterogenes Quellenkorpus: Es setzt sich in erster Linie aus Publikationen von Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen zusammen – darunter viele Sachbücher, die sich an ein breites Publikum richteten –, umfasst aber auch Quellen aus Politik und Populärkultur der 1960er- bis 1990er-Jahre. Die Autorin bewegt sich somit bewusst in einem Grenzbereich zwischen Umwelt-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Dabei beruft sie sich auf Theoretiker „zweiter Naturen“ wie Donna Haraway und Bruno Latour, die sich für kulturelle Repräsentationen von Natur interessieren, deren Konstruktivismus aber immer auch die materiellen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Repräsentationen im Blick hat. Michel Foucault steht ebenfalls Pate. Höhler begreift ihn als hellsichtigen Zeitdiagnostiker raumbezogener Ängste des späten 20. Jahrhunderts – Ängste, die sich für Höhler in drei Prinzipien und Praktiken der Tragfähigkeitsoptimierung niederschlugen: „Circulation“, „Storage“ und „Classification“. Von Foucault beeinflusst erscheint aber auch die grundlegende Beobachtung, dass der Versuch einer Buchhaltung und Balancierung der Erde zwangsläufig eine biopolitische Dimension hat.

Das deutet sich schon im Schnelldurchlauf durch die Geschichte der Schiffsmetapher im judäo-christlichen kulturellen Imaginären an, mit der Höhler beginnt. Sie interpretiert diese als eine Geschichte von Entdeckergeist und Eingrenzung („Containment“), von Disziplin und Selektivität mit Blick auf die Angehörigen vorübergehender Frontier-Gemeinschaften. Viele dieser Aspekte sind im Bild des „Raumschiffs Erde“ noch aufgehoben, das Mitte der 1960er-Jahre verstärkt in den Medien auftauchte. Allerdings rekurrierte die neue Metapher auf die Cutting-Edge-Technologie ihrer Zeit, mit ambivalenten Implikationen: Das gemeinsame Boot sauste nun durchs All, und nur ein fortschrittlicher, eben astronautischer Umgang mit dem mitgeführten Proviant schien geeignet zu sein, um insbesondere der zur selben Zeit diagnostizierten globalen Überbevölkerungskrise Herr zu werden. Die Lösung schien in der kybernetischen Regulierung der geschlossenen Stoffkreisläufe in der Biosphäre zu bestehen. Dieses Konzept, das der russische Geochemiker Wladimir Wernadski bereits in der Zwischenkriegszeit entwickelt hatte, wurde um 1970 wiederentdeckt – auch von der aufkommenden Umweltbewegung.

Konkret riefen verschiedene Protagonisten in Politik und Wissenschaft dazu auf, die im Idealfall selbstregenerierenden Lebenserhaltungssysteme der Erde nicht weiter durch kurzsichtige, wachstumsorientierte „Cowboy Economies“ zu gefährden. Sie hielten es vielmehr für überlebensnotwendig, diese durch eine globale „Spaceship Economy“ zu ersetzen, die dem systemischen Charakter ökologischer Prozesse entspreche, so der Ökonom Kenneth Boulding 1966.2 Wissenschaftler wie Boulding und der Biologe Paul R. Ehrlich, das zeigt Höhler in ihrem Kernkapitel „Storage“, entwarfen nun regelrechte Gebrauchsanweisungen des „Environmental Stewardship“. Sie regten damit nicht nur ressourcenökonomische Inventuren des Planeten an, sondern zielten auf teils neo-malthusianische „moralische Ökonomien“ ab. Insbesondere gilt das für die „Lifeboat Ethics“ des Allmende-Theoretikers Garret Hardin. Er kritisierte die Hilfe für die Hungernden der „Dritten Welt“ als bevölkerungspolitisch kontraproduktiv. Höhler kann allerdings zeigen, dass das biostatistische Wissen um exponentielle Wachstumsdynamiken, das solchen Überlegungen zu Grunde lag, alles andere als unanfechtbar war. Es bezog seine Plausibilität in erheblichem Maße aus suggestiven Kurvendiagrammen, wie sie sich 1972 auch im Bericht des „Club of Rome“ zu den globalen „Grenzen des Wachstums“ wiederfanden, auf dessen Bedeutung Zeithistoriker in den letzten Jahren immer wieder hingewiesen haben.

Im Kapitel „Classification“ widmet sich Höhler schließlich Bemühungen, Ersatzplaneten im Sinne Sloterdijks zu konstruieren. Sie befasst sich darin mit den Archen des Raumfahrtzeitalters, etwa den NASA-Forschungen zu extraterrestrischen Kolonien. Insbesondere das Projekt „Biosphäre 2“ (1991) gerät hier in den Blick. Es handelt sich dabei um den utopisch anmutenden Versuch, unter Glaskuppeln in der Wüste Arizonas eine autarke Miniaturversion des Ökosystems der Erde zu schaffen. Das spektakuläre – und unter anderem am Lagerkoller der eingeschlossenen Forscher spektakulär gescheiterte – Experiment erscheint vor dem Hintergrund von Höhlers Analyse letztlich nur als Konsequenz des Gedankens, der Mensch könne und müsse sich zur totalen Kontrolle der ihn am Leben erhaltenden Umwelt aufschwingen.

Höhlers Buch kann auch als Beitrag zu These vom Zäsurcharakter der Jahre um 1970 gelesen werden. Es verdeutlicht, wie weit sich die „Capacity“-Trope des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts von älteren, etwa imperialen Raumdiskursen entfernt hatte. Als Strang einer bruchlosen Genealogie der Gegenwart betrachtet Höhler den Tragfähigkeitsdiskurs aber nicht. Denn seit den 1990er-Jahren sei dieser Diskurs nun Einkapselungspraktiken gewichen, die den Abschied von der Erde sozusagen auf der Erde vollziehen. Auf die sich ankündigenden Folgen der anthropogenen Veränderung des Planeten reagieren diejenigen, die es sich leisten können, indem sie private, ökologisch intakte Refugien schaffen. Zugleich, so deutet Höhler an, erscheint eine globale Reaktion auf diese Veränderungen unter den Bedingungen der Globalisierung immer unrealistischer.

Aber rührt diese Steuerungsabstinenz nicht vielleicht auch daher, dass die Bedienungsanleitungen des „Raumschiffs Erde“ kaum thematisierten, dass es keine supranationale politische Repräsentation gab (und gibt), die ihre Anwendung hätte legitimieren können? Höhler macht immer wieder Abstecher zu Filmen wie „Silent Running“ (1972) „Soylent Green“ (1973) oder „Logan’s Run“ (1976), die sie als Ausdruck der Popularisierung des Tragfähigkeitsdiskurses sprechen lässt.3 Dabei fällt auf, dass viele derartige Filme die technokratische Tendenz, die diesem Diskurs innewohnte, ins Diktatorische überspitzten. Implodierte er also auch deshalb, weil er – paradoxerweise, wie Höhler selbst anmerkt – den Experten den Platz auf der Kommandobrücke des im Prinzip doch sich selbst regulierenden Raumfahrzeugs vorbehielt? Man könnte auf der Suche nach den langfristigen politischen Implikationen des „Raumschiffs Erde“ vielleicht noch genauer einem Ausspruch Marshall McLuhans aus dem Jahr 1964 nachgehen (zitiert auf S. 69): „There are no passengers on Spacehip Earth. We are all Crew.“ Es könnte ein nächster, rezeptionsgeschichtlicher Schritt sein, mit Sabine Höhlers hochinstruktivem Buch im Gepäck gerade die individualethischen Aktionsformen weiter zu erforschen, für die sich die Leser von Ehrlich, Boulding und Co. angesichts der Legitimationsdefizite des planetaren Managements entschieden.

Anmerkungen:
1 Peter Sloterdijk, Wie groß ist „groß“?, in: Paul Crutzen / Mike Davis / Michael D. Mastrandrea (Hrsg.), Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang, Frankfurt am Main 2011, S. 93–111.
2 Zu Bouldings Tragfähigkeitsanalysen siehe auch Sabine Höhler / Fred Luks (Hrsg.), Beam us up, Boulding! 40 Jahre „Raumschiff Erde“, Vereinigung für Ökologische Ökonomie, Beiträge & Berichte, Heft 7, 2006, <http://www.voeoe.de/wp-content/uploads/2014/06/voeoe-7-2006-beam-us-up-boulding.pdf> (02.04.2015).
3 Als dessen jüngste Manifestation könnte man den Film „Interstellar“ (USA 2014) betrachten, der aber erst nach Abschluss von Höhlers Manuskript in die Kinos kam.

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