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Title
Television's Moment. Sitcom Audiences and the Sixties Cultural Revolution


Author(s)
Hodenberg, Christina von
Published
Oxford 2015: Berghahn Books
Extent
X, 331 S.
Price
£ 68.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Jörg Requate, Fachbereich 05 Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel

Christina von Hodenbergs Studie basiert auf einem Setting, das für eine historische Untersuchung kaum idealer sein könnte: Die Sitcom, die in Deutschland unter dem Titel „Ein Herz und eine Seele“ zwischen 1973 und 1976 mit großem Erfolg im deutschen Fernsehen lief, war eine Adaptation der BBC-Produktion „Till Death Us Do Part“ (1966–75), die wiederum unter dem Titel „All in the Family“ zwischen 1971 und 1979 in der amerikanischen Version großen Erfolg gehabt hatte. Die Konstellation ist in allen drei Serien gleich: Im Zentrum steht jeweils eine „working-class-family“, in der die gesellschaftlichen Konflikte auf der Alltagsebene permanent aufeinanderprallen. Alfred/Alf/Archie und seine Frau Else/Edith verkörpern all das, wogegen sich die Kulturrevolution der 1960er-Jahre aufgelehnt hat: Er als autoritäres, reaktionäres, rassistisches, gleichzeitig prüdes und vulgäres „Familienoberhaupt“ und seine dümmlich-naive Frau Else/Edith, die herzensgut, aber unterwürfig ihren Mann sowie seine Marotten und Demütigungen erträgt. Auf der anderen Seite steht die Tochter Rita mit ihrem Mann Michael für die jüngere Generation, die in einer Mischung aus linken Ideen und einer tendenziell hedonistischen Orientierung an Mode und Konsum permanent im Streit mit dem Vater bzw. dem Schwiegervater liegt. In den drei Sitcoms werden, wie Christina von Hodenberg zu Recht schreibt, die 1960er-Jahre mit ihrem massiven kulturellen Umbruch behandelt, wobei die Handlung im Einzelnen in die jeweiligen nationalen Kontexte eingepasst wurde.

Der besondere methodische Reiz der Untersuchung besteht darin, dass von Hodenberg auf der Basis ihres dichten Quellenmaterials nicht nur den Inhalt der Serien vergleichen kann, sondern auch die Hintergründe der Produktion, die Transferprozesse und die jeweiligen Anpassungen an die nationalen Kontexte sehr genau nachzeichnet. Den inhaltlichen Reiz der Studie macht – neben dem interessanten und amüsanten Untersuchungsobjekt – die Tatsache aus, dass sich die Autorin nicht auf rein mediengeschichtliche Fragen beschränkt, sondern die Serien nutzt, um sie in weitergehende gesellschafts- und kulturgeschichtliche Kontexte einzubinden. Insbesondere geht es darum, den oft behaupteten, aber nie tatsächlich untersuchten Einfluss der Medien auf kulturelle Veränderungen und den Prozess des Wertewandels exemplarisch zu analysieren. Dazu eignet sich diese Sitcom besonders gut, weil hier die tiefgreifenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um unterschiedliche Wertvorstellungen sowie gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen sowohl in den persönlichen als auch familiären Alltag hineingetragen und dabei vielfach ironisch gebrochen wurden. Durch den enormen Erfolg der Serien lösten sie in allen Ländern nicht nur eine Vielzahl von medialen Begleitkommentaren, sondern auch eine Flut von Zuschauerreaktionen aus, über die sich die Bedeutung und der Einfluss der Serie sehr gut rekonstruieren lassen.

Dank des klaren Aufbaus der Studie gelingt es von Hodenberg hervorragend, die jeweiligen Einzeluntersuchungen der Serien mit der vergleichenden Perspektive zu verbinden. Zunächst werden die drei Sitcoms inhaltlich vorgestellt und die jeweiligen Besonderheiten werden herausgearbeitet – die Bedeutung des Antikommunismus im deutschen Fall, die Bedeutung der Kritik an Monarchie und Religion im englischen und die Auseinandersetzung mit der Bürgerrechtsbewegung im amerikanischen Kontext. Was die anschließend untersuchten medialen Settings angeht, betont von Hodenberg die Bedeutung der unterschiedlichen Mediensysteme – öffentlich-rechtlich in der Bundesrepublik, privatwirtschaftlich in den USA und dual in England – für die Produktion der Serien. Für die USA sieht sie hier insgesamt eine deutlich größere Professionalität, im deutschen Fall dagegen mehr „Dilettantismus“ mit einer größeren Tendenz zur Ideologisierung des Inhalts. Ein wichtiger Faktor für die enorme Reichweite und Aufmerksamkeit, die die Serien in den drei Ländern erreichten, war ohne Zweifel, dass die Programmauswahl des Fernsehens seinerzeit noch sehr gering war – eine „era of limited choice“. Jeder, der sich nicht völlig aus der Alltagskommunikation ausschließen wollte, musste die Serie kennen und zumindest halbwegs wissen, was dort passierte. Dies zeigte sich auch in dem außerordentlichen „standing“, das die Serie in den verschiedenen Ländern in öffentlichen Debatten besaß: Von Politikern und in den Medien wurde die Figur des Hauptdarstellers immer wieder als Bezugspunkt und als Marker für bestimmte Positionen aufgegriffen.

Auf der inhaltlichen Ebene untersucht Christina von Hodenberg die drei Serien insbesondere im Hinblick auf die Frage, in welcher Weise die „Livestyle Revolution“ durch den jeweiligen Protagonisten Alf/Archie/Alfred aufs Korn genommen wurde. Mit dem Konzept des „agenda setting“ beschränkt sich die Verfasserin aber nicht auf eine Inhaltsanalyse, sondern zeigt, was von den Inhalten in den Anschlussdebatten aufgegriffen wurde und was für besonderes Aufsehen sorgte. So war es bei „Till Death Us Do Part“ keineswegs Alfs Rassismus als viel mehr seine Vulgarität, die zu Beginn am meisten Aufmerksamkeit erregte und entsprechend kontrovers war. Doch während anfangs auch innerhalb der BBC noch darüber diskutiert wurde, ob die Vulgarität nicht vielleicht doch etwas zurückzunehmen sei, war dies ein paar Jahre später kein Thema mehr: Die Sprache würde sich eben wandeln, antwortete die BBC 1972 trocken auf entsprechende Zuschauerbeschwerden. Insgesamt argumentiert die Autorin überzeugend, dass die Serien in der spezifischen Situation der 1960er- und 1970er-Jahre – medial durch die begrenzten Auswahlmöglichkeiten im Fernsehbereich und gesellschaftlich durch einen beschleunigten kulturellen Wandel geprägt – eine große Bedeutung als Katalysator für all die Themen hatten, die im Kontext des kulturellen Wandels eine zentrale Rolle spielten. Gleichfalls überzeugt die These, dass sich eine Minderheit von konservativ-reaktionären Gegnern der Veränderungen bestärkt sah, während die Serie bei der „transitional majority“ – also jener großen Mehrheit, die den Veränderungen ambivalent gegenüberstand – zu einer weiteren Erosion traditioneller Werthaltungen beitrug.

Die Arbeit zeigt auf der methodischen Ebene auch noch einmal sehr deutlich, welche Herausforderungen mit dem internationalen Vergleich verbunden sind. Diese bestehen insbesondere darin, Ähnlichkeiten und Unterschiede nicht nur herauszuarbeiten, sondern auch zu begründen und sich damit argumentativ zu exponieren. So misst von Hodenberg den unterschiedlichen Produktionsbedingungen und den medialen Settings gewiss zu Recht eine relativ hohe Bedeutung zu. Die Schlüsse, die sie daraus zieht, scheinen aber zum Teil zumindest diskutabel: Während sie für den deutschen Fall den Autoren im Kontext des öffentlich-rechtlichen Rundfunks relativ deutliche ideologische und erzieherische Zielsetzungen unterstellt, sieht sie auf der anderen Seite für die USA keinerlei Einfluss durch die Kommerzialität des Senders und der Werbeträger. Für die deutsche Seite wäre hier zu fragen, ob die spezifische politische und gesellschaftliche Situation mit der enormen Polarisierung um die Person Willy Brandt und die Ostverträge nicht stärker mit zu berücksichtigen gewesen wäre. Das, was bei „Ein Herz und eine Seele“ als besonders ideologisch erscheint, reflektierte vielleicht auch die ideologisch besonders aufgeladene Zeit. Für die amerikanische Serie hebt von Hodenberg auf der anderen Seite hervor, dass sie offener für konservativ-reaktionäre Zuschauer war als das deutsche Pendant. Nun ließe sich hier aber auch argumentieren, dass das Zielen auf ein möglichst breites Publikum bereits beim Schreiben des Drehbuchs eine fundamentale Rolle spielte. Bemerkenswert ist allerdings in der Tat, dass die amerikanische Serie – anders als die deutsche und englische Version – auch Fragen von Vergewaltigung, der Befreiung des weiblichen Körpers und weibliche Sexualität anspricht. Ob dies allerdings tatsächlich an der größeren Freiheit durch die Kommerzialität der Serie lag oder vielleicht auch daran, dass die Serie in den USA deutlich länger lief, ließe sich sicher auch diskutieren. Etwas problematisch ist bis zu einem gewissen Grade insgesamt, dass sich manche Urteile über die Serien oder einzelne Folgen und Szenen für den Leser nicht immer überprüfen lassen, solange er die Serien nicht selber sieht. So ist etwa das Urteil, dass die deutsche Serie deutlich weniger witzig gewesen sei als ihre beiden Pendants kaum nachprüfbar.

Diese wenigen Einwände ändern aber nichts daran, dass Christina von Hodenberg eine inhaltlich und methodisch ebenso überzeugende wie interessante und gut zu lesende Studie gelungen ist, die gerade auch deshalb, weil sie zu klaren Urteilen kommt und damit im Einzelnen auch Widerspruch oder Einwände hervorruft, so lesenswert ist. Der besondere Wert vergleichender Arbeiten wird hier noch einmal sehr deutlich. Schließlich zeigt die Arbeit, wie sehr es möglich und nötig ist, die Mediengeschichte mit übergreifenden gesellschafts- und kulturgeschichtlichen Fragen zu verbinden und die Frage nach den Medienwirkungen klug und gut belegt zu beantworten.