U. Bahnsen: Hanseaten unter dem Hakenkreuz

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Titel
Hanseaten unter dem Hakenkreuz. Die Handelskammer Hamburg und die Kaufmannschaft im Dritten Reich


Autor(en)
Bahnsen, Uwe
Herausgeber
Handelskammer Hamburg
Erschienen
Anzahl Seiten
379 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lu Seegers, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Das Buch ist das Resultat einer Initiative der Handelskammer Hamburg, die damit anlässlich ihres 350-jährigen Jubiläums die eigene Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus aufarbeiten wollte. Bei einem solchen Vorhaben ist es in Behörden, namhaften Institutionen oder Unternehmen in der Regel üblich, eine Historikerkommission bzw. ein wissenschaftliches Institut mit der Erstellung einer unabhängigen Studie zu betrauen. Die Handelskammer Hamburg ging einen anderen Weg und verpflichtete den „Welt“-Journalisten Uwe Bahnsen. Er sei, so Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer und Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz im Vorwort, ein „Hamburger Doyen seiner Zunft und akribischer Rechercheur und Kenner der Historie“1.

In 16 Kapiteln beleuchtet Bahnsen die Geschichte der Handelskammer und der Hamburger Wirtschaft, ausgehend von dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1932, als jüngere Großhandelskaufleute dem Kepplerkreis beigetreten waren, der die NSDAP in Wirtschaftsfragen beriet, obgleich die Interessen des Hamburger Außenhandels konträr zur nationalsozialistischen Autarkiepolitik standen. Vor diesem Hintergrund stellt Bahnsen die „Gleichschaltung“ der Handelskammer dar und beschreibt die Beteiligung der Hamburger Wirtschaft an der „Arisierung“ jüdischer Firmen. Für die Zeit des Zweiten Weltkriegs werden die Einbindung Hamburger Firmen in das Zwangsarbeitersystem und ihre ökonomischen Aktivitäten im besetzten Europa behandelt. Längere Ausführungen zur Rolle von Hamburger Kaufleuten bei der Kapitulation der Hansestadt und dem Übergang in die Nachkriegszeit bilden den Abschluss der Darstellung.

Das Buch hat eine klare Aufgabenstellung: Es soll die „Rolle und Funktion der Handelskammer und der von ihr vertretenen Wirtschaft in einer dramatischen Phase der hamburgischen Stadtgeschichte“ nachzeichnen (Klappentext). Bahnsen versucht dabei die konstruktive Rolle der Kaufmannschaft aufzuzeigen, wenn er vorab betont, dass es zwar „bedrückende Beispiele fehlender Zivilcourage“ gegeben habe, genauso aber „erhebende Beweise für Mut und Verantwortungsbewusstsein in schweren Tagen und Stunden, in denen alles auf dem Spiel stand“. Mit solchen Aussagen zeichnet der Autor das Bild einer Ausgeglichenheit von Licht und Dunkel, bei der die Analyse von Verantwortlichkeiten und konkretem wirtschaftlichen Handeln in den Hintergrund rückt. Diese Geschichtssicht zu hinterfragen hält Uwe Bahnsen für nicht opportun: „Heutige Urteile über die damaligen Entscheidungsträger sollten der Überlegung standhalten, wie das eigene Handeln wohl ausgefallen wäre, und zwar in voller Würdigung der damaligen Zeitumstände. Und wer eine solche Institution heute auf den Prüfstand vorgefasster Meinungen stellen möchte, um ihre Handlungsmöglichkeiten zu beschneiden oder gar ihre Existenzberechtigung zu bestreiten, sollte sich Hamburg und die Kaufmannschaft im schicksalhaften Jahr 1945 und in der Nachkriegszeit genau ansehen.“ (S. 11)

Allerdings gibt das Buch weder den aktuellen Forschungsstand wieder, noch liefert es kontextualisierende Interpretationen. Über Hamburg hinausgehende Literatur zu Wirtschaft und Unternehmen im „Dritten Reich“ wird nicht genannt und auf eine dezidierte Fragestellung jenseits der Absicht, die „historisch nachweisbaren Fakten“ darzulegen (S. 10), verzichtet. Quellen zitiert der Autor eher assoziativ als systematisch und dezidierte Nachweise sucht der Leser zumeist leider vergeblich. Besonders problematisch ist die inhaltliche Gewichtung der behandelten Themenkomplexe. So geht Bahnsen zu Beginn seiner Darstellung etwa darauf ein, dass vor allem jüngere Kaufleute den Nationalsozialismus unterstützten und der junge Präses Victor Hübbe den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus der Handelskammer mit vorantrieb (S. 35–37). Solche Aussagen werden aber wieder relativiert, wenn Bahnsen betont, dass Hübbe sich der staatlichen Bevormundung gegenüber zugleich als standhaft erwiesen habe, indem er beispielsweise das Ansinnen der Wirtschaftsbehörde ablehnte, einer jüdischen Druckerei den langjährigen Auftrag zur Herstellung der Mitteilungen der Handelskammer zu entziehen. Der Autor interpretiert dies als eigensinniges und nicht herrschaftkonformes Handeln des Präses, ohne andere Interpretationen wie etwa eine betriebswirtschaftliche Ratio Hübbes, aufgrund derer er schlichtweg eine preislich günstige Druckerei nicht aufgeben wollte, in Betracht zu ziehen (S. 44). Bei anderen Themen hingegen verwendet Bahnsen häufiger Formulierungen, die darauf schließen lassen, dass die Handelskammer nur wenig Handlungsspielraum gehabt habe. Zum Beispiel betont er auf Seite 44, dass die NS-Machthaber „um ein konstruktives Verhältnis zur Wirtschaft bemüht“ gewesen seien und sich die Handelskammer „dem Angebot regelmäßiger Gespräche zur Abstimmung der jeweiligen Positionen“ kaum habe entziehen können. Noch deutlicher wird die einseitige Gewichtung im Hinblick auf „Arisierungen“ und die Rolle der Handelskammer dabei. So verweist Bahnsen zwar auf die „Arisierungen“ jüdischer Unternehmen in Hamburg, an denen auch die Handelskammer beteiligt war. Dabei stellt er fest, dass sich die meisten Kaufleute wie „skrupellose Profiteure“ verhielten, was eine „bedrückende Aussage“ rechtfertige (S. 128). Weiter ausgebreitet werden dann aber vor allem Fälle, in denen Kaufleute sich bei der Übernahme jüdischer Unternehmen „fair“ verhalten hätten.

An anderer Stelle betont Bahnsen zu Recht, dass die Solidarisierungen mit dem NS-Regime auf einer klar ökonomischen Interessenlage beruhten. Dies wurde besonders während des Zweiten Weltkriegs deutlich. Reichsstatthalter Karl Kaufmann gelang es, die aus dem Krieg resultierenden Verluste des Außenhandels in Übersee durch den Einsatz Hamburger Unternehmen im besetzten Ausland wettzumachen. So zeigt Bahnsen etwa, wie die Firma Arnold Otto Meyer 1940 ein jüdisches Unternehmen in Holland übernahm und durch die Handelskammer Hamburg aktiv unterstützt wurde. Die expansionistische Außen- und Außenwirtschaftspolitik des NS-Regimes habe, so Bahnsen, die Führung der Hansestadt Hamburg und die Handelskammer voll erfasst. Insbesondere bei der Darstellung der Aktivitäten Hamburger Firmen in Osteuropa bleibt die Handelskammer jedoch im Hintergrund. So stellt Bahnsen zwar auf der Grundlage der einschlägigen Sekundärliteratur etwa die Aktivitäten des Reemtsma-Konzerns auf der Krim dar. Dass die Handelskammer über eine eigene „Arbeitsgemeinschaft der im Generalgouvernement eingesetzten Firmen“ verfügte, erwähnt er aber nicht. Auch wenn die entsprechende im Archiv der Handelskammer liegende Akte offenkundig bereinigt wurde, hätte Bahnsen zumindest darauf hinweisen können, dass der stellvertretende Leiter dieser „Arbeitsgemeinschaft“ Rolf Bretschneider im Plenum der Industrie- und Handelskammer mehrmals über die ökonomische Situation im Generalgouvernement berichtete und sich auch schriftlich dazu äußerte.2 Solche Stellungnahmen zu untersuchen wäre produktiv gewesen, verweisen sie doch darauf, dass die Akteure der Handelskammer traditionelle Hamburger Leitbegriffe wie etwa den des „hanseatischen Unternehmergeistes“ mit ganz neuen Inhalten versahen: Nun stilisierten sich Hamburger Kaufleute selbst zu „Pionieren“ im „Volkstumskampf“ in Mittel- und Osteuropa.3 Dass solche Vorstellungen in der Kaufmannschaft nicht nur verbreitet, sondern in gewissem Maße selbstverständlich waren, zeigt die Abschiedsrede des von 1937 bis 1945 amtierenden Präses der Handelskammer, Joachim de la Camp. Er bezeichnete die „Handelstätigkeit“ Hamburger Kaufleute noch am 20. Juni 1945 als „Ruhmesblatt in der Geschichte der Hamburgischen Wirtschaft“.4

Das mit rund 56 Seiten von insgesamt 341 Seiten umfassendste Kapitel beschäftigt sich mit den letzten Kriegsmonaten und der Kapitulation Hamburgs. Besonders ausführlich widmet sich der Autor den Bemühungen des Reichsstatthalters Karl Kaufmann, des Kampfkommandanten Alwin Wolz und des Direktors der Phoenix Gummiwerke AG, Albert Schäfer, um die kampflose Übergabe Hamburgs an die Briten. In der Tat unterliefen diese Verhandlungen den Befehl Hitlers, die Stadt bis zuletzt zu verteidigen. Insbesondere Schäfer wird von Bahnsen als besonnener Unternehmer dargestellt, der sein Leben riskierte, um Hamburg und seine Bevölkerung vor dem Schlimmsten zu bewahren. Die handfesten Eigeninteressen der Unternehmer spielen hier jedoch keine Rolle. Die Zerstörung der Stadt und ihrer wirtschaftlichen Infrastruktur wäre auch und vor allem für die Unternehmer von großem Nachteil gewesen.

Am Ende des Buches werden die Bedeutung der Handelskammer und der Hamburger Kaufmannschaft als „Motor der Exportwirtschaft“ der Nachkriegszeit betont. Für eine umfassende Geschichte der Handelskammer im „Dritten Reich“ wäre es nun naheliegend gewesen, nach der Entnazifizierung ihrer Mitglieder zu fragen. Dies umgeht der Autor allerdings weiträumig. Auch Hinweise auf einschlägige Initiativen prominenter hanseatischer Wirtschaftsführer, die darauf abzielten, einen langlebigen Hamburg-Mythos zu schaffen, sucht man in Bahnsens Buch vergeblich: etwa die eidesstattliche Erklärung von Albert Schäfer, in der dieser betonte, es sei dem früheren Präses de la Camp zu verdanken, dass „Hamburg eine verhältnismäßig ruhige Insel im Nazi-Treiben während der ganzen Zeit des Hitler-Regimes gewesen ist“.5 Wichtiger ist es Bahnsen, die „Ära Schäfer“ – Albert Schäfer war ab 1946 Präses der Handelskammer – gleichberechtigt neben die „Ära Brauer“, also die durch den 1946 aus dem US-amerikanischen Exil zurückgekehrten ersten Hamburger Nachkriegsbürgermeisters Max Brauer geprägte Periode, zu stellen (S. 333–335).

Bahnsens Narrativ der Geschichte der Hamburger Handelskammer im Nationalsozialismus lässt sich wie folgt zusammenfassen: Handelskammer und Kaufmannschaft haben sich, nachdem sie weithin gegen ihren Willen „gleichgeschaltet“ wurden, durch die Beteiligung an „Arisierungen“, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten im besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs und die Beschäftigung von Zwangsarbeitern kompromittiert. Dies wird aber dadurch aufgewogen, dass es auch Akte der Zivilcourage in der Kaufmannschaft gegeben habe, vor allem aber, weil die Kaufleute an der unblutigen Übergabe der Stadt im Mai 1945 entscheidend beteiligt gewesen seien. Deutlich unterbelichtet bleiben hingegen die engen Beziehungen zwischen Unternehmern und Staat in Hamburg, die sich trotz oder gerade wegen strukturell unterschiedlicher Interessen ergaben und zu einer extensiven Kompensation durch das NS-Regime und Einbindung der Hamburger Wirtschaft in dessen Verbrechen führten. Inwieweit die Vorstellungen Hamburger Wirtschaftskreise mit dem NS-Regime als kompatibel zu werten sind, wie eng die personellen und strukturellen Verflechtungen zwischen der Handelskammer und den NS-Wirtschaftsorganisationen waren und wie die Zusammenarbeit konkret aussah, bleibt offen.

Eine wissenschaftlichen Maßstäben angemessene Darstellung der Geschichte der Handelskammer Hamburg in der NS-Zeit ist Uwe Bahnsen leider nicht gelungen. Eine umfassende und unabhängige Studie zur Geschichte der Kammer steht nach wie vor aus.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu das Vorwort zu Bahnsen, Hanseaten, S. 7–9, S. 7.
2 Siehe Rolf Bretschneider, Die handelsmäßige Erschließung des Generalgouvernements, in: Hamburg und die Nordmark 23 (1941), Nr. 17, S. 1–2.
3 Vgl. Frank Bajohr, Hamburg im „Dritten Reich“, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), Zeitgeschichte in Hamburg 2013, Hamburg 2014, S. 15–33, S. 30.
4 Archiv der Handelskammer Hamburg, Niederschrift über die Beiratssitzung der Handelskammer Hamburg, 20.6.1945, S. 2. Diese Passage wird von Bahnsen nicht zitiert.
5 FZH-Archiv, 12-1 Biografische Splitter,
Eidesstattliche Erklärung von Albert Schäfer für Joachim de la Camp,
6.12.46, S. 1 [Auszug aus der Entnazifizierungsakte von Joachim de la Camp].

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