Das Militaer gehoerte nicht nur zum Alltag der fruehneuzeitlichen Gesellschaft, sondern zwischen ziviler und militaerischer Gesellschaft fand eine Symbiose statt. Der 14jaehrige Schlossergeselle Karl Friesecke gestattet uns beispielsweise dank seiner Tagebuchaufzeichnungen einen tiefen Einblick in das Ineinanderuebergehen von zivilem und militaerischem Alltag. (1) Die Mitglieder der staedtischen Gesellschaft lebten nicht neben sondern mit den Soldaten und Offizieren. Doch gerade diese Symbiose interessierte die einschlaegige Militaergeschichtsschreibung bislang nicht.
Wie auf vielen anderen Gebieten der deutschen Geschichtswissenschaft bewirkten auch auf dem Felde der Militaergeschichte ueberwiegend juengere Historiker und Historikerinnen einen Paradigmenwechsel. (2) Ralf Proeve, der schon mit seiner Goettinger Arbeit einen Perspektivwechsel in diesem Metier vollzogen hatte (3), macht mit dem hier vorzustellenden Band auf die gegenwaertigen Probleme und Perspektiven der modernen Militaergeschichte aufmerksam. Einleitend resuemiert er den Stand der Forschung, der sich weg von den "Kriege(n), Schlachten und Waffensystemen, Heerfuehrer, Militaerverfassung und Kriegstaktiken" hin zu den "soziale(n) und oekonomische(n) Strukturen, militaerischen Mentalitaeten, Beziehungsgefuege(n) innerhalb des Militaers wie Beziehungen zwischen Militaer und Gesellschaft im Krieg wie im Frieden" (S. 1) bewegt. Diese Trendwende in der deutschen Militaergeschichte ist bekanntlich erst juengeren Datums. Auch auf diesem Gebiet der Geschichtswissenschaft gingen die Franzosen und Englaender schon vor Jahrzehnten beispielgebend voran.
Dieser Band vermittelt dem Leser in fuenf Forschungsberichten, die sich verschiedenen Schwerpunkten widmen, einen Einblick in den gegenwaertigen Forschungsstand und weckt das Interesse an der Bearbeitung neuer Themen.
Erfreulich fuer Frau ist natuerlich, dass zwei Historikerinnen gerade auf diesem Felde den Reigen eroeffnen. Jutta Nowosadtko bedient sich des interdisziplinaeren Ansatzes, um zu klaeren, ob das stehende Heer innerhalb der fruehneuzeitlichen Gesellschaft eher disziplinierend oder eher stoerend wirkte. Dabei hinfragt sie berechtigt die verschiedenen Konzeptionen von Disziplinierung (M. Weber; M. Foucault) bzw. Sozialdisziplinierung (G. Oestreich) und deren Anteil an der Modernisierung. Wie kompliziert diese theoretisch so leicht zu fassenden Prozesse dann in der Praxis verliefen, zeigt sich, als die Autorin ihre Aufmerksamkeit auf jene sich eigentlich von selbst ausschliessende Korrelation von durch Ordnung, Befehl und Gehorsam gepraegten Soldaten und deren spaeteren Banditenleben lenkt. Wie eng lagen einst Ordnung und Kriminalitaet beieinander? Die zwei Erklaerungsmuster, die sie fuer dieses vermeindliche Phaenomen anbietet, werfen ein bezeichnendes Licht auf das alltaegliche Leben dieser fruehneuzeitlichen und somit staendisch geordneten Gesellschaft, in der nicht nur die Lebenszeit, sondern auch die Chancen auf ein mit dem Gesetz konformes Leben hierarchisch determiniert waren. An zahlreichen Einzelschicksalen dokumentiert sie dann, wie weit die durch Fremddisziplinierung (S. 15) angestrebte Formung staatsergebener Soldatenmenschen von der Verinnerlichung jener andressierten Verhaltensweisen und Normen entfernt war. Was der Soldat in seinem speziellen Teilbereich der Gesellschaft erlernte, war demnach auch nur dort oder in Randgruppen von Nutzen. Doch gegen diesen Ansatz fuehrt Nowosadtko die gesellschaftliche Sozialisation der Soldaten ins Feld - Bildung, Erziehung, Umgang, Vorbild, Familie ..., die bei dem einen positive und bei dem anderen negative Fruechte trug. An Hand von weiteren Einzelbeispielen kommt sie dann zu der Erkenntnis, dass die These, "derzufolge das Militaer die soziale Disziplinierung ausloeste" (S. 23), kaum zu halten ist. Resuemierend betont die Autorin mit Recht, wie wenig detailiertes Wissen uns hinsichtlich des komplizierten Beziehungsgefueges zwischen militaerischer und ziviler Gesellschaft zur Verfuegung steht. Doch noch weniger wissen wir diesbezueglich von der Gender History.
Karen Hagemann nimmt sich des Zusammenhangs von Militaer, Krieg und Geschlechterverhaeltnissen in der Fruehen Neuzeit an. Die waffentragenden und kaempfenden Frauen wurden nach ihrem Tod zu Heldinnen stilisiert, waehrend ihre noch zu Lebzeiten im Heer entdeckten Schwestern zumeist ruhmlos nach Hause geschickt wurden. Doch auch hier bedarf es weiterer intensiver Forschungen.
Der Alltag der Frauen und Kinder im Tross der Soeldnertruppen ist noch weitgehend ein Forschungsdesiderat wie die Geschlechterbeziehungen innerhalb des Militaers und der zivilen Gesellschaft und deren Veraenderungen in Kriegszeiten ueberhaupt. Hagemann verweist auf die konservativen Traditionen der bisherigen Militaergeschichtsschreibung. Eine Domaene der Maenner fuer Maenner, die erst kuerzlich aufgebrochen wurde.
Systematisch gruppiert - "Heldenjungfrauen' und 'Amazonen"; "Soeldner, 'Trosserinnen' und 'Huren"; "Civilisten', 'Militaers' und Soldatenfrauen" und "Soldaten, 'Nationalkrieger' und Staatsbuerger" - gelingt es ihr, die ersten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Gender History mit Blick auf das Militaer so darzustellen, dass sich der vorurteilsfreie Leser fragen muss, wie man bislang ohne jenen Blickwinkel auf die beiden Geschlechter ueberhaupt zu realen Erkenntnissen auf diesem Gebiete kommen konnte. Hagemann arbeitet dann die Wandlungen der Geschlechterverhaeltnisse heraus. Am Beispiel der Auswirkungen der Allgemeinen Wehrpflicht auf die Geschlechterbeziehungen dokumentiert sie, wie sehr eine militaerische Massnahme die Beziehungen Mann - Frau und somit das Frauen- und Maennerbild einer ganzen Gesellschaft beeinflusste und veraenderte. Einem Aufruf gleich formuliert sie: "Ueberprueft werden muesste auch die bisher erst ansatzweise bearbeitete These, dass die Einfuehrung der Allgemeinen Wehrpflicht langfristig die sozial und kulturell konstituierte Differenz sowie die Hierarchie und das Machtgefaelle zwischen den Geschlechtern verstaerkte." (S. 88)
Hagemann betont abschliessend, wie wichtig und produktiv eine interdisziplinaere Zusammenarbeit auf den Gebieten Gender History und Militaergeschichte sein koennte, wenn man sich neugierig dem anderen Fache oeffnete.
Holger Th. Graef fragt nach der Wechselwirkung "Militarisierung der Stadt oder Urbanisierung des Militaers?". Wie sah es aus stadthistorischer und somit interdisziplinaerer Perspektive aus mit der vermeindlichen Kontinuitaetslinie vom stehenden Heer des Grossen Kurfuersten bis zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts? Das Militaer kam nicht wie eine Naturkatastrophe ueber die Staedte. Graef gelingt es, die innere Logik der Wechselwirkung Militaer - Stadt zu verdeutlichen, in dem er dem Agieren der einen Seite das Reagieren der anderen gegenueberstellte. Ob Festungsbau oder Garnison, die Stadtbewohner wussten die Vorteile dieser Einrichtungen sehr wohl zu nutzen. Waehrend andererseits die in den Buergerquartieren liegenden Soldaten und Offiziere am buergerlichen Alltag partizipierten. Mit Blick auf die empirischen sozialgeschichtlichen Forschungen von Ralf Proeve kam es wohl - so Graef - "eher zu einer Verbuergerlichung der Soldaten, statt zu einer Militarisierung der staedtischen Gesellschaft." (S: 93) Die Militarisierungsthese ist ebenso fragwuerdig geworden wie die These der Durchstaatlichung.
Ob die Einbeziehung der Soldaten in das stadtbuergerliche Leben nun mit dem Begriff Verbuergerlichung zu fassen waere, wird in der entsprechenden Forschung durchaus kontrovers diskutiert. Graef resuemiert den Stand der Kontroverse auf der Gruendungstagung des "Arbeitskreises Militaer und Gesellschaft in der fruehen Neuzeit" und schlaegt als begriffliche Alternative das Urbanisierungskonzept vor. Die Argumente, die fuer dieses Konzept sprechen, ueberzeugen durchaus.
Ist die eigentliche deutsche Urbanisierungsforschung auch erst in den letzten Jahrzehnten so richtig in Gang gekommen (J. Reulecke; H. Matzerath, H.-J. Teuteberg), so reichen einige Traditionsstraenge doch ins 19. Jahrhundert zurueck. Graef fuehrt Karl Buecher an, der 1893 Urbanisierung "als eine eine Verstadtlichung der Kulturmenschheit" (S. 96) definierte, und verweist auf die von dem Amerikaner Adna F. Weber als Wesensmerkmale der Urbanisierungsprozesse herausgearbeiteten drei Straenge: der demographisch-statistische Strang, der oekonomische Strang und der qualitative Strang. Mittels dieser drei Straenge kann Graef dann auch die Urbanisierung des Militaers erfolgreich diskutieren. Denn das demographisch-statistische Verhaeltnis von Militaer- und Zivilbevoelkerung ist hinlaenglich erforscht und die Stadtsaessigkeit der stehenden Heere (S: 98) allgemein bekannt. Die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen der stehenden Heere auf die staedtischen Gewerbe stehen ausser Zweifel, wenn man sich hier auch noch mehr Einzelstudien wuenschte. Der steigende Heeresbedarf stimulierte die staedtische Wirtschaft. Die Kaufkraft der Garnison hatte selbst Friedrich Wilhelm I. sehr hoch veranschlagt. Er ging davon aus, dass, wenn die Garnison marschiert, der Warenumsatz in der Stadt um rund ein Viertel zurueckging.
Etwas schwieriger wird die Beweisfuehrung, wenn man den dritten Strang, die mentale und soziokulturellen Entwicklung der Militaerangehoerigen betrachten will. Hier klafft noch eine erhebliche Forschungsluecke. Abgesehen von ersten Ansaetzen, die dem Kulturtransfer Stadt - Land mittels Soldaten, die staedtische Sitten, Gebraeuche, Lebensweisen u.dgl.m. auf das Land brachten, (Proeve, Graef) gibt es kaum Arbeiten, die sich mit dem interkulturellen Austausch von Militaer- und Zivilbevoelkerung beschaeftigten.
Nicht zu vergessen waere hier die semiliterarische Kommunikation, die fuer beide Seiten eine Horizonterweiterung brachte, aber methodisch schwer zu fassen ist. Graef mahnt gerade Forschungen zur Kommunikation von gehobenem Buergertum und Offizierskorps an. Wenn man bedenkt, wie stark sich gerade Stadtkommandanten fuer die Errichtung von Garnison- und Industrieschulen einsetzten oder wieviele Verschoenerungsvereine auf Initiative hoher Militaerangehoeriger gegruendet wurden und dann erfolgreich arbeiteten, kann man nicht verstehen, warum der interkulturelle Austausch zwischen Militaer- und Zivilbevoelkerung in der Stadt bislang kaum thematisiert wurde.
Erste Forschungsergebnisse dokumentiert Graef hinsichtlich der Aufklaerung des Militaers. Die Beteiligung von hoeheren Militaerangehoerigen in den zahlreichen buergerlichen Aufklaerungsgesellschaften ist statistisch nachgewiesen wurden. Aufklaererische Aktivitaeten einzelner Offiziere rueckten ebenfalls vereinzelt in das Forschungsinteresse. Insgesamt bedarf es hier jedoch noch systematischer Forschungen. Dennoch gelingt es Graef argumentativ, die qualitative Urbanisierung des Militaers nachzuweisen. Der verstellte Blick der bisherigen Militaergeschichtsforschung liess eigentlich Bekanntes ausser Acht und auch die anderen Disziplinen der Geschichtswissenschaft schauten nur selten ueber ihren Tellerrand. Warum sollten nun aber gerade die Militaerangehoerigen von den vielfaeltigen Proezessen der Aufklaerung unberuehrt geblieben sein? Auch hier wirkten die Pfarrer als Mittler aufklaererischen Gedankenguts und die Ritterakademien als Hort von Bildung. In den Bildungsbemuehungen einzelner Offiziere dokumentiert sich dann u.a. das philanthropische Gedankengut jener zweiten Generation der Philanthropen (Stuve, Basedow, Sextro, Wagemann und Trapp).(4) Zeitgleich mit mentalen Veraenderungen im zivilen Bereich verliefen auch mentale Entwicklungen innerhalb des Militaers. Ebenfalls aenderten sich, und dies arbeitete Graef dizidiert heraus, in der Fruehen Neuzeit und speziell im Verlaufe des 18. Jahrhunderts die Einstellungen und Haltungen der Zivilgesellschaft gegenueber dem Militaer und umgekehrt. Sicherlich gab es hier regionale Unterschiede, doch tendentiell vollzogen sich diese mentalen Veraenderungen waehrend der Sattelzeit nicht nur in deutschen Territorien.(5)
Das von Graef ueberzeugend vorgestellte Urbanisierungskonzept duerfte zu weiteren Forschungen anregen und sein Appell - "die Rolle des Militaers bei der Herausbildung der modernen Gesellschaft neu" (S. 108) zu ueberdenken - sollte unbedingt Gehoer finden. Die Habilitationsschrift von Ralf Proeve duerfte hier schon mal einen Meilenstein setzen.
Der vierte Forschungsschwerpunkt dieses Bandes widmet sich der Verknuepfung von Adelforschung und Militaergeschichte am Beispiel Brandenburg-Preussens. Frank Goese versucht, der allgemein bekannten Tatsache der engen Verzahnung von preussischem Adel und preussischen Militaer mit einem methodischen Neuansatz konkrete Gestalt zu geben. Eine Verbindung des qualitativen, in diesem Fall des kollektivbiographischen Ansatzes mit dem quantitativen Ansatz, der Massenquelle, ermoeglicht nicht nur nummerische Aussagen ueber den Anteil des Adels an den Offizieren, sondern auch ueber die Entwicklungswege jener Adligen, die nicht die traditionelle Laufbahn einschlugen. Die Vasallentabellen, seit 1713 von den Landraeten jahrlich angefertigt wurden, gestatten uns diesen Einblick. Die Rekrutierung des Offiziersstandes aus der Ritterschaft weist, so Goese, grosse regionale Unterschiede auf. Waehrend der Anteil an den Offizieren aus den Kreisen Ruppin, Teltow und Neumark relativ hoch war, schienen die Vasallen der Prignitz, der Altmark oder der Uckermark weniger Interesse an einer preussischen Offizierslaufbahn gehalbt zu haben. Auf der Suche nach Erklaerungen fuer dieses regional differenzierte Verhalten des Adels hinterfragt Goese auch die von Otto Buesch festgeschriebene Identitaet zwischen Gutsbesitzer und adligem Offizier (S. 121). Die quantitative Analyse erlaubt ihm den Nachweis, "dass die uebergrosse Mehrheit der Offiziere der jeweiligen Garnison nicht aus dem Territorium kam, das als Kanton fuer die zu rekrutierenden Untertanen zur Verfuegung stand." (S: 123/24) Auch die bislang faelschlicherweise vorausgesetzten militaerischen Verhaltensweisen einstiger Offiziere gegenueber ihren laendlichen Untertanen sind quellenmaessig nicht zu belegen. Goese weist auch auf den Trugschluss hin, dass sich die Adligen mit dem Eintritt in die Armee in eine exklusivere Stellung waehnten. (S. 128) Vielmehr war es fuer jene jungen Adligen auch nur ein neuer Lebensabschnitt, mit dem sie sich erst anfreunden mussten.
Abgesehen von diesen bekannten Klischees, die leicht zu wiederlegen sind, bleiben gerade in der Verknuepfung von Adel und Offiziersstand noch viele Fragen offen. Zu wuenschen waere hinsichtlich zukuenftiger Forschungen eine sich staerker der Mentalitaets- und Sozialgeschichte oeffnende Fragestellung und Methodik. Denn die Anziehungskraft einer Offizierslaufbahn wird doch erst dann sichtbar, wenn man nachweisen kann und das moeglichst zeitlich und regional differenziert, von so vielen Rittergutskindern bevorzugten aus diesen und jenen Gruenden so viele Jungen diesen Weg. Warum wurden begonnende Offizierslaufbahnen angebrochen? Gab es hier familiaere oder/und regional bedingte Ursachen? Waren wirklich, wie bisher zumeist angenommen wurde, wirtschaftliche Schwierigkeiten einzelner Rittergueter die Hauptursache fuer den Abbruch der Offizierslauf? Goese erweitert in seinen Ausfuehrungen das Ursachenspektrum um eine Vielzahl von Beispielen.
Hinsichtlich des Heiratsalters und der Konnubiumsmobilitaet der Offiziere stellt Goese erste Ergebnisse eines groesseren Forschungsprojektes vor. Es bleibt zu hoffen, dass die erfassten sozialbiographischen Daten in Korrelationstabellen dargestellt werden, um so einen ueberzeugenden Einblick in das historisch-demographische Verhalten einer Stichprobe zu geben. Das Gleiche waere, fuer die Korrelation von hoeherem Offizierskorps und Amtstraegerschaft zu wuenschen.
Als eine weitere aussagekraeftige Massenquelle stellt Goese die Grundbuecher der ritterschaftlichen Hypothekendirektion vor. Diese Quelle analysierend kommt er zu bemerkenswerten Ergebnissen, die die hoeheren Offiziere als Glaeubiger von Verwandten und Bekannten sowie als Kapitalanleger ins Blickfeld ruecken.
Abschliessend resuemiert er, dass die adligen Offiziere auf Grund ihrer grossen lokalen Mobilitaet, der zur Folge es zu einer geistig-kulturellen Flexibilaet jener Adelsschicht kam, die der landesherrlichen Amtstraegerschaft haeufig fehlte, das Hauptverdienst an den politisch-mentalen Wandlungsprozessen des Adels zukam.(S. 142)
Was waere ein Heer ohne Soldaten? Michael Busch stellt das schwedische Konzept der Heeresaufbringung vor. Ausgehend von den mittelalterlichen Verhaeltnissen der europaeischen Soeldnerheere und den Reformschriften der Oranier beschreibt er den langwierigen Prozess der Entstehung der stehenden Heere. Der bewaffnete Untertan war anfaenglich nicht nur fuer Johann VII. ein Problem des Vertrauens, dennoch basiert seine Defensionsordnung auf der Grundthese, "der Landesbewohner sei der beste Verteidiger seines Landes." (S. 148) Mitte des 17. Jahrhunderts erfolgte in den meisten Territorien des Deutschen Reich der Uebergang vom Soeldnerheer zum stehenden Heer, da dieses eine wichtige Machtstuetze der ihre Alleinherrschaft ausbauenden Landesherrn darstellte. Nach der Etabilierung der stehenden Heere erfolgte deren systematischer Ausbau und damit einher gingen die Probleme der Werbung und der Finanzierung. Die gewaltsamen Werbungsmethoden sind hinlaenglich bekannt. 1733 versuchte Friedrich Wilhelm I., mit der Einfuehrung des Kantonreglements dieses Problem fuer Preussen zu entschaerfen. In Schweden etablierte man, in dem man Ideen der Oranischen Heeresreform rezipierte, das Einteilungswerk (indelningsverk). "Dieses Bestreben nach einer Armee, die sich auf Aushebungen einheimischer Bauern, eingeteilt nach Landschaften, und die Zuteilung von Hoefen und Abgabenlasten der Krone an die militaerischen Einheiten stuetzte, fand seinen vorlaeufigen Abschluss unter Gustav II. Adolf (1611-1632)..." (S. 156/57) Busch diskutiert dann die Vor- und Nachteile dieses schwedischen Einteilungswerks und kommt zu dem Schluss, dass es in Schweden auf Grund dieses Systems zu keiner "Militarisierung der Gesellschaft (kam), sondern umgekehrt zu einer Verbuergerlichung der Armee." (S. 166) Der eurpaeische Vergleich wuerde insgesamt Ergebnisse der militaerhistorischen Forschungen relativieren.
Dieser Band ist nicht nur fuer militaerhistorisch interessierte Leser ein Muss, sondern auch fuer jeden der den Prozessen der Modernisierung der Gesellschaft nachgeht. Wieder einmal werden Axiome der Geistes- und Strukturgeschichte jener viel diskutierten Sattelzeit erschuettert und neue Fragen aufgeworfen, die eher einen Einblick in die Vielfalt der fruehneuzeitlichen Gesellschaft ermoeglichen.
Leider brachten es verlegerische Vorgaben mit sich, dass der Band nicht durch ein Literaturverzeichnis zur neuesten Literatur auf diesem Gebiet und durch Register besser handhabbar wurde.
Anmerkungen:
(1) Karl Heinrich Friesicke, Tagebuch des Carl Heinrich Friesicke aus den Jahren 1807/1808/1809, abgeschrieben von Frl. Kaethe Friesicke, Neuruppin 1928.
(2) Einen ersten Ueberblick diebezueglich bieten Thomas Mergel und Thomas Weiskopp (Hrsg.), Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beitraege zur Theoriedebatte, Muenchen 1997.
(3) Ralf Proeve, Stehendes Heer und staedtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Goettingen und seine Militaerbevoelkerung (1713-1756), Muenchen 1995.
(4) Siehe R. W. Keck, Die Armeleutebildung in den Bildungsvorstellungen und Schulplaenen der Philantropen, in: P. Albrecht und E. Hinrichs (Hrsg.), Das niedere Schulwesen im Uebergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, Tuebingen 1995, S. 49-74, bes. S. 51 ff. (=Wolfenbuetteler Studien zur Aufklaerung, Bd. 20).
(5) Wie bedeutsam diese mentalen Veraenderungen fuer das Gelingen von Reformen waren, zeigt Franz Quarthal am Beispiel der Josefinischen Reformen. Siehe F. Quarthal, Verfassung und Verwaltung in suedwestdeutschen Staedten der Fruehen Neuzeit, in: M. Stolleis (Hrsg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der fruehneuzeitlichen Stadt, Koeln Wien 1991, S. 217-239 (=Veroeffentlichungen des Instituts fuer vergleichende Staedtegeschichte in Muenster, Reihe A: Darstellungen, Bd. 31).