J. Zofka: Postsowjetischer Separatismus

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Titel
Postsowjetischer Separatismus. Die pro-russländischen Bewegungen im moldauischen Dnjestr-Tal und auf der Krim 1989–1995


Autor(en)
Zofka, Jan
Reihe
Moderne europäische Geschichte 10
Erschienen
Göttingen 2015: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
437 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan C. Behrends, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Frühjahr 2014 und der anschließenden hybriden Invasion Russlands im Donbas hat das Thema von Jan Zofskas Dissertation an Aktualität und Brisanz gewonnen. Er analysiert die Entstehung russischer separatistischer Bewegungen im post-sowjetischen Raum am Beispiel der Krim und des Dnjestr-Tals. Dabei beschäftigt er sich gewissermaßen mit der „russischen Welt“ („russkij mir“) oder auch „Noworossija“ avant la lettre und beleuchtet jene Fragen, die in der Gegenwart in Osteuropa Grenzen verändern und über Krieg und Frieden entscheiden können. Seine Arbeit zeigt, wie zentral die Gewaltfrage und die Unterstützung des russischen Staates, seiner Dienste und Streitkräfte sowie staatsnaher Medien für separatistische Bewegungen im post-sowjetischen Raum waren und sind. Sie verdeutlicht zudem die Möglichkeiten und vor allem auch die Grenzen ethnischer Mobilisierung außerhalb der Russländischen Föderation. Damit hat der Verfasser zugleich eine historische Forschungsarbeit und ein politisches Buch vorgelegt. Es spricht für ihn und seine Arbeit, dass er systematisch und unaufgeregt die untersuchten Bewegungen seziert und damit einen Beitrag zur Zeitgeschichte und zur politischen Aufklärung leistet.

Der Zerfall des sowjetischen Imperiums ist bisher primär aus der Perspektive Moskaus beschrieben worden. Darüber hinaus lässt sich einiges über die Befreiungsbewegungen im Baltikum sowie die bewaffneten Konflikte an der südlichen Peripherie der UdSSR sagen. Doch erst die von Zofka untersuchten russischsprachigen Regionen in der Ukraine und in der Republik Moldau eröffnen uns einen lokalhistorischen Blick auf ethnische Konflikte und Separatismus in umstrittenen Randlagen des Imperiums zu einer Zeit als der Kampf um Reform oder Zerstörung der Sowjetunion tobte und sich anschließend Nationalstaaten formierten. Die mehr oder weniger überraschende Auflösung der UdSSR nach der gescheiterten Absetzung Michail Gorbatschows im August durch den Gegenputsch Boris Jelzins im Herbst 1991 stellte nicht nur die Eliten in Moskau, Kiew oder Alma-Ata vor immense Probleme. Ihre Bewältigung beschäftigt den post-sowjetischen Raum bis in die Gegenwart. Neben das nation-building in den Hauptstädten trat mit der Auflösung der UdSSR die Suche nach Ordnung auch an den zahllosen Flecken, deren territoriale Zuordnung im imperialen Gefüge funktionierte, aber in der entstehenden Nationalstaatlichkeit zumindest problematisch erschien. Die Titularnationen der nunmehr souveränen früheren Sowjetrepubliken stellten nämlich keineswegs auf ihrem gesamten Territorium die Bevölkerungsmehrheit und die lokalen Identitäten und Machtstrukturen boten Raum für politische, soziale und kulturelle Verteilungskämpfe. Die territoriale Zuordnung der Krim und des Dnjestr-Tales geht auf den Zweiten Weltkrieg und die sowjetische Nachkriegsordnung zurück: Bessarabien wurde 1940 von Rumänien annektiert und 1944 von der UdSSR zurückerobert; die Krim war im Zweiten Weltkrieg schwer umkämpft und wurde 1954 per Dekret Teil der Ukrainischen Sowjetrepublik. Die willkürlichen Grenzen der Republiken und neuen Staaten bargen Konfliktpotential. Nach 1991 blieb die Frage, ob sich sämtliche Akteure mit der neuen Situation abfinden würden.

Die Studie beleuchtet die Dynamik der post-imperialen Konstellation in diesen beiden Regionen. Sie gibt damit Aufschluss über das Mobilisierungspotential des russischen Diasporanationalismus, über seine Trägerschichten, seine Verbindungen zur kommunistischen Ideologie und zu sowjetischen Strukturen sowie über die Abhängigkeit von den politischen Konjunkturen im Kreml. Die erste Fallstudie widmet sich dem Dnjestr-Tal, einer Region in der Republik Moldau im Südwesten der früheren UdSSR, die heute in der Regel als Transnistrien bezeichnet wird. Dort kam es zu politischen Konflikten mit der Regierung in Chisinau, wobei es einerseits um lokale Machtansprüche, andererseits um die Sprachpolitik ging. Der Verfasser kann dabei überzeugend zeigen, wie die territoriale Dimension der Auseinandersetzung immer stärker in den Vordergrund trat. Durch einen akteurszentrierten Blick entschlüsselt er die Dynamik, die den postsowjetischen Separatismus im Dnjestr-Tal antrieb. Es waren die spätsowjetischen Eliten, insbesondere aus der Wirtschaft, die den Konflikt unterstützten und die ihre Arbeiter für ihre Anliegen mobilisierten. Ihre außerordentliche Machtposition, die durch die Reformen der Perestroika noch einmal gestärkt worden war, instrumentalisierten sie geschickt. Ideologisch arbeiteten sie mit sowjetischen Parolen wie „Internationalismus“, „Patriotismus“ und „Arbeiterklasse“, um ihre Ziele zu legitimieren. Seine Stärke zog der pro-russische Block nicht primär aus der Empörung oder nationalen Mobilisierung an der Basis, sondern aus den korporatistischen Strukturen, die noch aus der sowjetischen Epoche stammten und das Rückgrat im politischen Kampf und der anschließenden Mobilisierung für den Krieg bildeten. Die Fabrik war der Ort, an dem rekrutiert wurde. Neben den Großbetrieben und ihrem Umfeld spielte auch die Anwesenheit der 14. Armee auf dem Gebiet Transnistriens eine entscheidende Rolle. Sie sicherte als Waffenträger die Forderungen der lokalen Wirtschaftsgrößen ab und gewährte Moskau Einfluss. Nach dem kurzen Krieg und der Konsolidierung des separatistischen Gebiets entstand auf dem Boden der Republik Moldau ein „eingefrorener Konflikt“.

Auf der ukrainischen Halbinsel Krim lagen die Dinge deutlich anders. Sie stach in vieler Hinsicht aus dem Territorium der Ukrainischen Sowjetrepublik heraus. Die Deportation der Tartaren, die anschließende Neubesiedlung, der Transfer der Krim zur Ukraine 1954 und die starke Präsenz des sowjetischen Militärs, insbesondere der Schwarzmeerflotte in ihrem Heimathafen Sewastopol, bestimmten das soziale und politische Gefüge. Imperiale Eliten waren hier besonders präsent; sie begannen bereits während der Perestroika sich politisch zu engagieren und entdeckten gegen Ende der 1980er-Jahre den Status der Krim als politisches Thema. Im Kontrast zum Dnjestr-Tal waren sie wesentlich selbst organisiert und verteilten sich über die gesamte Region. Der kleinste gemeinsame Nenner der Separatisten auf der Krim war ihre anti-ukrainische Einstellung. Ihr politisches Denken war dabei durchaus nicht einheitlich. Es handelte sich vielmehr um eine Melange aus nationalistischen, völkischen, sowjetischen sowie russisch-imperialen Ideologemen. Gerade der russische Nationalismus lehnte den ukrainischen Staat und die Zugehörigkeit der Krim zu Kiew mit Emphase ab. Trotz ihrer Heterogenität, gelang es der Krim-Bewegung zu Beginn der 1990er-Jahre sich zu institutionalisieren. Doch selbst ihr Sieg in den Wahlen auf der Krim brachte keine Veränderung des Status quo. Im Gegenteil: er markierte den Beginn des Niedergangs der Separatisten. So existierten zwar soziale Gruppen, die den Separatismus unterstützten, doch ihnen gelang es nicht, eine stabile politische Organisation aufzubauen. Überzeugend gelingt es dem Verfasser, die lokalen Unterschiede auf der Halbinsel herauszuarbeiten. So entstand zwar in der Hauptstadt Simferopol eine einflussreiche pro-russische Lobby, doch im industriell geprägten Norden sprachen sich die Eliten eher für enge Beziehungen zur Ukraine aus. Einen Sonderfall stellte die Marinestadt Sewastopol dar, die wie kaum ein anderer Ort vom sowjetischen Militär geprägt war. Insgesamt zeichnet die Studie ein interessantes Bild der heterogenen politischen Landschaft auf der Krim und ihrer vielfältigen Akteure. Hier wäre es jedoch angebracht gewesen, die politische Gemengelage noch stärker an die Nachkriegsgeschichte der Krim zurückzubinden. Schließlich war die Krim nach der Deportation der Tartaren eine genuin sowjetische Provinz und unterschied sich deshalb von anderen Regionen in der Ukraine. Diese wurden zwar auch im 20. Jahrhundert von Krieg und Genozid geprägt, aber dennoch nicht zu einer imperial geprägten Region wie die Krim.

Die vorliegende Arbeit bildet einen interessanten Baustein im Mosaik des unübersichtlichen postimperialen Panoramas. Gerade solche lokalen Studien mit Fokus auf die Peripherie bringen die zeithistorische Forschung voran und lassen uns die Gegenwart besser verstehen. Die Stärke des Zugriffs liegt im Blick auf die regionalen Akteure und in den zahlreichen Details, die so greifbar werden. Die Biographien einzelner Aktivisten geraten in den Blick, die Art und Weise wie vor Ort Politik gemacht wurde, die Stärken und Schwächen separatistischer Bewegungen im postsowjetischen Kontext. Wir lernen etwas über das Milieu, aus dem eine neue politische Klasse entstand, über die spätsozialistischen Eliten, die Anhänger und Gegner der Perestroika, über desillusionierte, aber gehärtete Afghanistanveteranen oder die einflussreiche Schicht lokaler Betriebsleiter. Nur wenig erfahren wir allerdings über die Kontinuität sowjetischer Machtapparate und über die Rückkopplung lokaler Bewegungen an Moskau, das schon bald versuchte, die Vorgänge von 1991 zumindest teilweise zu relativieren. Die separatistische Politik der frühen 1990er-Jahre war nicht von Moskau gesteuert; dennoch hatte der Einfluss aus Russland seine eigenen Konjunkturen und Akteurskonstellationen. Die Revision der imperialen Auflösung wurde noch unter Boris Jelzin zu einem Machtprojekt, das zwar noch nicht mit der gleichen Verve wie in der Gegenwart vorangetrieben wurde, aber in seinen Auswirkungen auf die schwache Staatlichkeit an den fragilen Grenzen der früheren UdSSR nicht zu unterschätzen ist.

Die Studie von Jan Zofka ist weit mehr als eine Vorgeschichte des russisch-ukrainischen Krieges. Sie bietet Einblick in die unsteten Jahre, die dem Ende der UdSSR folgten und den postsowjetischen Raum prägten. Zugleich zeigt sie die Schwäche des lokalen Separatismus, der ohne Moskauer Intervention oder russische Truppen kaum zu einem erfolgreichen politischen Faktor werden konnte.

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