Y. Le Bohec u.a. (Hrsg.): The Encyclopedia of the Roman Army

Cover
Titel
The Encyclopedia of the Roman Army. Bd. 1: A–Eas; Bd. 2: Eas–Pol; Bd. 3: Pol–Z


Herausgeber
Le Bohec, Yann; Brizzi, Giovanni; Deschler-Erb, Eckhard; Greatrex, Geoffrey; Rankov, Boris; Reddé, Michel
Erschienen
Chichester 2015: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
LXI, 1153 S.
Preis
£ 350,00; € 514,56
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations, Northeast Normal University Changchun (China)

Das Heer und sein Einfluss auf alle Bereiche des Lebens in römischer Zeit können kaum überschätzt werden. Ob Politik, Recht, Infrastruktur, Wirtschaft, Religion, Sozialleben – ein Bereich ohne wesentliche Prägung durch Militärisches ist kaum vorstellbar, und in vielen Studien ist eindrucksvoll aufgezeigt worden, inwieweit das Römische Heer nicht einen „Staat im Staate“, sondern vielmehr ein, möglicherweise entscheidendes, Kernelement der Staatlichkeit überhaupt – zumindest in der Römischen Kaiserzeit – darstellte. Nun hat sich die Antike Militärgeschichte seit einigen Jahren aus ihrem Schattendasein, das sie insbesondere in Deutschland lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geführt hatte, befreit – teils durch Öffnung gegenüber kulturalistisch-sozialtheoretischen Ansätzen, teils durch ein neu erwachtes Interesse am Militärischen seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes, der eben kein Ende der Konflikte brachte. Jedoch fehlte, neben den zur Zeit sprudelnden Handbooks und Einführungen1, bislang ein zuverlässiges Nachschlagewerk, das der Wichtigkeit des Themas Tribut zollt und neben den oft nach wie vor maßgeblichen Einträgen in Paulys Realencyclopädie2 oder den verstreuten Spezialuntersuchungen zu bestehen vermag.

Mit weit über 500 größeren Einträgen in englischer Sprache sowie zahlreichen Kurzlemmata – zumeist zu lateinischen Fachausdrücken, die kurz erläutert respektive übersetzt werden3 oder an anderer Stelle ausführlicher behandelt sind – macht die vorliegende Enzyklopädie in drei Bänden unter der Ägide des Spezialisten Yann Le Bohec und Autorschaft zahlreicher, gerade nicht nur englischsprachiger Fachgelehrter schon auf den ersten Blick einen guten Eindruck. Dieser hält auch bei näherem Hinsehen für viele der Beiträge stand, die sowohl Realien, also beispielsweise Legionslager, Truppengattungen, Bewaffnung oder Schlachtfelder, als auch strukturgeschichtliche Beiträge etwa zur Militärgeschichte einzelner Provinzen, der Wirtschaft, Verwaltung und ähnliches mehr bieten.4 Größere Überblicksartikel sind in der Regel nach Republik, Prinzipat und Spätantike gegliedert, am Ende stehen benutzte Forschungsarbeiten und weitere Verweisliteratur. Hinzu kommen zahlreiche Illustrationen, im ersten Band finden sich Übersichtslisten zu diesen, den Autoren, (größeren) Lemmata, Abkürzungen und allgemeine Verweisliteratur, im dritten Band ein gemeinsamer Index für Orte, Namen, Sachen.

Monita können natürlich bei der Breite des thematischen Spektrums nicht ausbleiben, wobei zwischen der Ebene der Erstinformation für Fachfremde und derjenigen der Experten auf diesem Forschungsfeld zu unterscheiden ist, denen sicherlich einiges genauer akzentuiert, ausgeführt und mit Spezialliteratur unterfüttert sein könnte. Ab und an wird man sich womöglich an der oft rein deskriptiven Darstellung der Themen stoßen, die kaum Raum für eventuelle Forschungskontroversen lassen oder auf veralteter Literaturlage beruhen. So könnten die Lemmata „Latins and Romans“ (Giambattista Cairo) und „Social War“ (Arthur Keaveney) mehr bieten, etwa die Forschungsfrage nach dem Integrationswillen der Latiner und weiteren Bundesgenossen Roms gerade im Kontext des militärischen Mit- und dann Gegeneinanders aufbereiten.5 Bei ersterem Artikel fällt zudem die vom italienischen Autor bevorzugte rein italienische Literatur (darunter seine nur im Internet publizierte Dissertation6) auf, die jedoch für den gesamten intendierten Leserkreis nicht maßgeblich sein dürfte. Das Bevorzugen von Forschungsliteratur in eigener Sprache fällt auch an anderen Stellen auf. Andere Themen, etwa die stark wachsende Quellengruppe der Militärdiplome, werden an unterschiedlichen Stellen angesprochen, so vor allem in den Artikeln „Discharge, missio“, „Epigraphy: Principate“, „miles: Principate“ und „Veterans: Principate“; ein gemeinsames Lemma mit dort komprimierter Literaturlage hätte hier sicherlich gut getan.

Für die meisten Artikel treffen diese Kritikpunkte jedoch nicht zu, hier sind eine ausgewogene Darstellung zwischen Erstinformation und Spezialistentum, quellenbasierte Darstellung und aktuelle Literaturverweise zu konstatieren. So wird man etwa mit Gewinn den Artikel zur Verzahnung des Militärs mit der Ökonomie lesen (Mauro de Nardis und Warren Treadgold, „Economy and the Army“), der einerseits die Bedürfnisse innerhalb des Lagers, andererseits den Impact auf direkte Umgebung, Gesellschaft, Staatsfinanzen und Politik beschreibt, oder mit den Beiträgen „Face of Battle for Soldiers“ (Yann Le Bohec) und „Face of Battle for Civilians“ (Jean-Baptiste Picard) in die Problematik der Quellen zur Frage nach den Auswirkungen des Kampfes nicht nur auf die Psychologie von Soldaten und Zivilisten einsteigen.

Alles in allem stellt die „Encyclopedia of the Roman Army“ ein unverzichtbares Hilfsmittel für die Beschäftigung mit der Antiken Militärgeschichte dar, das trotz des stolzen Preises in keiner altertumswissenschaftlichen Bibliothek fehlen sollte.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu neuerdings nur Brian Campbell / Lawrence A. Tritle (Hrsg.), The Oxford Handbook of Warfare in the Classical World, Oxford 2013; Christian Mann, Militär und Kriegführung in der Antike, München 2013. Siehe dazu die Rezension mit weiterer neuerer und einführender Literatur von Sven Günther, in: H-Soz-Kult, 23.09.2013 <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-20210>. Weitere Literatur und Forschungsberichte bei Raimund Schulz, Eine Welt voller Schlachten? Neue englischsprachige Bücher zum Krieg in der Antike, in: Historische Zeitschrift 297 (2013), S. 727–733; Sven Günther, Kulturgeschichtliche Dimensionen antiker Schlachten. Eine Bestandsaufnahme, in: Marian Füssel / Michael Sikora (Hrsg.), Kulturgeschichte der Schlacht, Paderborn 2014, S. 27–52, bes. S. 27–38.
2 Man denke hier nur an das Lemma „legio“ von Emil Ritterling in: RE XII.1–2 (1924/1925), Sp. 1211–1829, der sich intensiv und quellenbasiert mit den Truppenstandorten, der Dislokation und militärischen Aktionen auseinandersetzt. Vgl. auch die Würdigung von Rainer Wiegels, Legio. Emil Ritterling und sein Beitrag zur Truppengeschichte der römischen Kaiserzeit, in: Yann Le Bohec / Catherine Wolff (Hrsg.), Les légions de Rome sous le Haut-Empire, Paris 2000, S. 9–20. Eine Neubearbeitung unter Einbezug der neueren Quellenfunde und Forschungserkenntnisse stellt nach wie vor ein dringendes Desiderat dar; überblicksartig, aber keinesfalls quellenerschöpfend vgl. nun Stephen Dando-Collins, Legions of Rome. The Definitive History of Every Imperial Roman Legion, New York 2010; Nigel Pollard / Joanne Berry, Die Legionen Roms, Stuttgart 2012; zu letzterem Werk vgl. die Rezension von Josef Löffl in: H-Soz-Kult, 04.02.2013 <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-19510>.
3 Hierzu ist Manfred Clauss, Lexikon lateinischer militärischer Fachausdrücke, Stuttgart 1999, äußerst nützlich und empfehlenswert.
4 Die Lemmata-Liste und weitere Überblickslisten können auch kostenlos beim ansonsten kostenpflichtigen Online-Zugang zum Werk eingesehen werden: <http://onlinelibrary.wiley.com/book/10.1002/9781118318140> (Stand: 31.08.2015).
5 Henrik Mouritsen, Italian Unification. A Study in Ancient and Modern Historiography, London 1998. Zur damit ausgelösten Debatte vgl. den Sammelband Martin Jehne / Rene Pfeilschifter (Hrsg.), Herrschaft ohne Integration? Rom und Italien in republikanischer Zeit, Frankfurt am Main 2006; ferner die Arbeiten von Altay Coşkun, so bes.: Bürgerrechtsentzug oder Fremdenausweisung? Studien zu den Rechten von Latinern und weiteren Fremden sowie zum Bürgerrechtswechsel in der Römischen Republik (5. bis frühes 1. Jh. v. Chr.), Stuttgart 2009.
6 Giambattista Cairo, Roma, tra storia ed archeologia: religione, istituzioni, territorio nell’epoca delle origini, Bologna 2009, abrufbar unter: <http://amsdottorato.unibo.it/2173/> (Stand: 31.08.2015).

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