Cover
Titel
Go-Betweens for Hitler.


Autor(en)
Urbach, Karina
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 389 S.
Preis
£ 20.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckart Conze, Universität Marburg

Das Buch von Karina Urbach ist auch ein Beitrag zur Geschichte des Nationalsozialismus. Es ist daher nicht verkehrt, wenn Hitler im Titel auftaucht. Doch die Formulierung „Go-betweens for Hitler“ weckt, ohne Untertitel, falsche Erwartungen, und sie reduziert die Studie auf einen ihrer Aspekte. Denn es geht auch um andere Themen: um Adelsgeschichte beispielsweise, um die Geschichte der britischen Monarchie und die Royal Family sowie um die Geschichte internationaler Beziehungen, und dies alles für einen Zeitraum vom späten 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Studie ist also keineswegs auf die Jahre 1933 bis 1945 beschränkt. Aber „Hitler sells“. Das gilt hierzulande genauso wie im Ausland, zumal in Großbritannien, dessen Königshaus in dem Buch eine wichtige Rolle spielt. Über das Verhältnis der englischen Royals zum Nationalsozialismus ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Zuletzt tauchte das Thema auf, als die britische „Sun“ Aufnahmen aus einem Privatfilm des Hauses Windsor veröffentlichte, die die heutige Königin Elizabeth II. im Jahre 1933 oder 1934 mit zum Hitler-Gruß erhobenen Arm zeigen. Mit im Bild, ebenfalls mit deutschem Gruß: Prinz Edward, der Onkel der damals etwa siebenjährigen Elizabeth, der 1936 für kurze Zeit König wurde, aber auch nach seinem Thronverzicht als Duke of Windsor noch eine einflussreiche Figur am Londoner Hof blieb. Was für die junge Prinzessin eine lustige Parodie gewesen sein mag, war es für ihren Onkel mitnichten. Seine Sympathien für den Nationalsozialismus und für Hitler persönlich sind bekannt, und auch andere Angehörige des englischen Königshauses, unter ihnen Edwards Nachfolger George VI., erlagen nach allem, was wir wissen, zumindest punktuell der Faszination der deutschen Diktatur und ihres „Führers“.

Karina Urbach verwebt diese Geschichte, mit der sie sich bestens auskennt, geschickt mit dem eigentlichen Thema ihres Buches: adeligen Mittelsmännern, auch „Mittelsfrauen“, in der internationalen Politik und vor allem den deutsch-britischen Beziehungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Es geht nicht primär um die britischen Royals und den Nationalsozialismus, ja nicht einmal um britische Eliten im weiteren Sinne und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus; darüber ist nicht zuletzt unter der Überschrift Appeasement schon viel geschrieben worden. Es geht in einer Reihe biographischer, personenzentrierter Annäherungen um Angehörige des deutschen Adels, die inoffizielle Kontakte zu ausländischen Regierungen pflegten, die aber auch, gerade im britischen Fall, über ihre zum Teil dynastisch-verwandtschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Monarchen und ihren Familien politischen Einfluss im Sinne ihrer deutschen Auftraggeber auszuüben suchten. Namen wie Max Egon II. zu Fürstenberg, Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha, Max Egon zu Hohenlohe-Langenburg oder Stephanie von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, denen das Buch neben anderen Protagonisten besondere Aufmerksamkeit schenkt, sind nicht völlig unbekannt; sie begegnen uns, meist allerdings nur kurz und am Rande, in Studien zum Kaiserreich, zum Ersten Weltkrieg, aber auch zum Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg. Frau Urbach holt sie nun von der Peripherie ins Zentrum. Sie beleuchtet (auf der Basis intensiver und weitläufiger Archivrecherchen) ihre Rolle als „Go-betweens“. Damit erweitert sie die Geschichte der internationalen Beziehungen um eine wichtige, bislang in der Tat vernachlässigte Akteursgruppe. Diplomatiegeschichte ist nicht nur die Geschichte von Diplomaten. Mit den Angehörigen hochadeliger Familien begegnen uns hier Personen, die, international verwandt, mit allen europäischen Dynastien verbunden und transnational sozialisiert, in besonderer Weise geeignet waren oder zumindest geeignet schienen, in inoffiziellen Missionen tätig zu werden. Wenn die überstrapazierte Metapher des Netzwerks irgendwo eine Berechtigung hat, dann hier. Und die Studie zeigt, wie sich zum einen die adeligen Akteure selbst dieses Kapitals bewusst waren, wie aber zum anderen auch Regierungen und Staatsspitzen den politischen Wert dieser durch und durch internationalisierten Aristokraten erkannten und für ihre Zwecke nutzbar zu machen versuchten.

Die zunehmende gesellschaftliche und politische Nationalisierung und der überall in Europa wachsende Nationalismus einerseits und die transnationale dynastische Verflechtung der europäischen Hocharistokratie konstituierten allerdings ein Spannungsfeld, das zwar durchaus politische Handlungsräume für einzelne Adelige brachte, das aber auch nationale Identifizierungen erforderte, wollte man in nationalstaatlichen politischen Kontexten einflussreich bleiben. Das zeigt das Buch insbesondere am Beispiel des bis 1918 regierenden Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha. Seine Biographie bildet das Zentrum des Buches, und in ihren den Coburger Herzog betreffenden Kapiteln reicht die Studie weit über das Thema der „Go-betweens“ hinaus. Sie zeigt nicht eine wie auch immer geartete Annäherung Carl Eduards an den Nationalsozialismus, nicht lediglich Sympathien und Affinitäten, sondern sie präsentiert den Aristokraten mit englischen Wurzeln, einen Enkel von Queen Victoria, als genuinen Nationalsozialisten, als Vertreter, lange vor 1933, eines völkischen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Das ist in der wichtigen, wissenschaftlich leider unzureichenden (weil ohne Nachweise arbeitenden) Untersuchung von Harald Sandner bereits dargestellt worden.1 Hier interessiert es, weil es die Nähe des entthronten Herzogs, der Anfang der 1920er Jahre der rechtsterroristischen „Organisation Consul“ angehörte und dem rechtsradikalen Freikorpsführer Hermann Ehrhardt in Coburg Zuflucht gewährte, zu Hitler (seit 1922) erklärt. Nicht nur der niedrige deutsche Adel bewegte sich, wie Stephan Malinowski gezeigt hat,2 auf den Nationalsozialismus zu, sondern auch zahlreiche Angehörige hochadeliger Häuser – anders als der junkerliche Adel vermögend, gebildet und international – schlossen sich, ob mit oder ohne Parteibeitritt, der Hitler-Bewegung an. Sie waren vor und nach 1933 wichtige Stützen des Nationalsozialismus – in Deutschland wie im Ausland. Hitler selbst schmückte sich gern mit seinen adeligen Trabanten, die zum Hofstaat des Führers gehörten, der nach wie vor einer gründlichen Untersuchung harrt.

Und Hitler, aber auch andere Spitzenrepräsentanten des Regimes, bedienten sich dieser Adeligen. Sie betrieben inoffizielle Diplomatie, das zeigt die Studie vor allem im deutsch-britischen Kontext und insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, an Carl Eduard von Coburg. Ansatzpunkt war dabei immer wieder, wenig überraschend, ein auf die Erfahrungen der Jahre seit 1917 zurückgehender Antibolschewismus, der den Nationalsozialismus gerade auch in England in einem positiven Licht erscheinen ließ. Dass die Verfasserin diese Argumentation unter Verweis auf Ernst Nolte als in der deutschen Historiographie für „tabuisiert“ erklärt, verwundert. Wie sehr ein weit verbreiteter Antibolschewismus zu den wesentlichen Aufstiegsbedingungen des Nationalsozialismus gehörte, ist seit Jahrzehnten wieder und wieder dargestellt worden, nicht nur in adelshistorischer Perspektive. Ernst Nolte hat im „Historikerstreit“ bekanntlich ganz anders argumentiert, und Frau Urbach bricht hier sicher kein Tabu.

Zu kurz greift die Argumentation, dass „Go-betweens“ wie Carl Eduard v. Coburg und die Nutzung inoffizieller Kanäle die „offizielle“ Diplomatie marginalisiert hätten. Diplomaten betrieben, auch in der Zeit des Nationalsozialismus, offizielle Diplomatie, das war ihre Aufgabe; daneben gab es andere Verbindungen. Das fügt sich gut in das Bild der polykratischen Strukturen des Dritten Reiches, wie es Ian Kershaw mit der Argumentation des „dem Führer entgegenarbeiten“ noch einmal präzisiert hat. Wer offizielle und inoffizielle Diplomatie als sich wechselseitig ausschließend und gegensätzlich betrachtet, wird der Komplexität der Entwicklungen nicht gerecht. Auch hier wurden Akteursgruppen gegeneinander ausgespielt. Je häufiger Hitler die Unzuverlässigkeit „seiner“ Diplomaten betonte, desto mehr bemühten diese sich, ihre Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen. Mit ihrer – tatsächlichen oder vermeintlichen – Marginalisierung kämpfen Diplomaten bis heute.

Auch die Methode der „inoffiziellen“ Diplomatie, der „Back channel“-Kontakte oder der „Substitutionsdiplomatie“, wie man das Agieren der „Go-betweens“ bezeichnen könnte, hat bis heute nicht an Bedeutung verloren. Allerdings spielen Adelige seit 1945 keine besondere Rolle mehr auf diesem Gebiet. Warum das so ist, deutet Frau Urbach am Ende ihres Buches nur noch an. Sie verweist auf innergesellschaftliche Veränderungen und das von den USA und der Sowjetunion beherrschte internationale System. Nicht alle Adeligen wollten verstehen, dass ihre Zeit endgültig vorüber war. Nicht einmal Carl Eduard von Coburg, sah sich am Ende. Seine schwere NS-Belastung, seine verbrecherische Verstrickung in das Regime redete er klein: „Ich bin nur ein kleiner Mann.“ Von amerikanischen Offizieren, unter ihnen dem Emigranten Stefan Heym, gefragt, ob er sich vorstellen könne, für eine neue deutsche Regierung zur Verfügung zu stehen, antwortete er: „Ja, natürlich“, und bat um 24 Stunden Zeit, um ein Kabinett zusammenzustellen – aus Mitgliedern der NSDAP.

So zeigt das Buch, wie auch für viele Angehörige des Hochadels nach 1945 die „Zeit des Lügens“ begann. Eine Zeit auch des Verschweigens, die noch nicht an ihr Ende gelangt ist. Namhafte Adelsfamilien gewähren bis heute keinen freien Archivzugang; das Archiv des Hauses Windsor in England macht da keine Ausnahme. Das hat auch Karina Urbach erfahren müssen. Was sie trotz dieser Behinderungen, die dem Geist liberaler Demokratien zutiefst widersprechen, an Material zusammengetragen hat, ist dennoch bemerkenswert. Und mehr noch: Frau Urbach hat aus diesen Informationen ein Buch gemacht, das nicht nur unsere Kenntnisse in einer Reihe von Forschungsfeldern erweitert, sondern das seine Geschichte – und die vielen kleinen Geschichten in der großen – auch gekonnt zu erzählen versteht.

Anmerkungen:
1 Harald Sandner, Hitlers Herzog. Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha. Eine Biographie, Aachen 2011.
2 Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003. Siehe dazu auch meine Rezension in: sehepunkte 4,2 (2004), <http://www.sehepunkte.de/2004/02/5205.html> (15.01.2016).

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