Die politische Emigration aus dem revolutionären Frankreich stellt die „andere Hälfte der Revolutionsgeschichte“ (Middell) dar und gehört, auch wenn sie zahlenmäßig nur eine Minderheit bildet, auch zum „Zeitalter der Revolutionen“. Die verschiedenen Wellen der Flucht aus der französischen Revolution bilden nicht nur das erste große Kapitel der politischen Emigrationsvorgänge der Neuzeit; sie bekommen auch dadurch eine europäische und nicht nur französische Dimension, dass sie notwendigerweise eigene Reaktions- und Handlungsweisen mit dem Rücken nach Frankreich entwickeln. Die Emigranten exportieren ihre Erfahrungen und verwandeln sie in eine europäische Wahrnehmung. Die Erfahrungen der Emigranten verhalten sich komplementär zu der Dynamik und den Etappen der Radikalisierung der Revolution; ihre Handlungen sind Reaktionen auf das revolutionäre Geschehen in ihrer Heimat, das sich kaum beenden ließ. Ihre Deutungen des revolutionären Wandels gehören, auch wenn sie häufig und immer noch in der historischen Erinnerung bzw. Forschung marginalisiert wurden und werden, zu den Perspektiven historisch-politischer Bewusstseinsbildung und der Ausformulierung von Revolutionstheorien.
Die Geschichte der französischen Revolutionsemigration, die vor allem eine Geschichte von alten Eliten zu sein schien, hat in der allgemeinen Revolutionsgeschichte meist nur am Rande Beachtung gefunden. Wenn sie thematisiert wurde, dann meist nur aus ideen- und diplomatiegeschichtlicher Perspektive und nur als Übergangsphänomen, das auf der Bühne der Revolution dem nächsten Radikalisierungsakt weichen musste. Die vorliegende Freiburger Dissertation nimmt die Emigration erstmals als einen eigenständigen Erfahrungsraum, als Ort und Anlass intellektueller und politischer Herausforderungen und theoretischer Lernprozesse, die über das Nationale hinausgingen, in den Blick und stellt die transnationalen Interaktionen der Emigration in den Mittelpunkt. Dies macht sie auf einer breiten empirischen Grundlage. Der Verfasser fragt nach dem Verhalten der Emigranten in den neuen Lebenswelten ihres Exils, nach ihren Reaktionen auf die Verunsicherungen und Infragestellungen, die das Exil mit sich brachte; nach der ungewohnten Konkurrenzsituation unter den Emigranten, die teilweise aus unterschiedlichen politisch-sozialen Erfahrungsräumen und politischen Lagern stammten und sich nun noch zusätzlich mit den Herausforderungen der Aufnahmeländer auseinandersetzen und sich diese neuen Wirklichkeiten aneignen mussten. Schließlich thematisiert die Dissertation auch die neuen politischen Lösungs- und Ordnungsmodelle, die sich aus dieser Konfrontation politisch und theoretisch ergaben. Sie waren ideengeschichtlicher Außenposten Frankreichs und sollten zugleich auch als Angebot an die politische Deutungskultur der Aufnahmegesellschaften tauglich sein. Die nationalgeschichtliche französische Perspektive wird damit zugunsten einer transnationalen Sichtweise überwunden.
Auch die Auswahl des Untersuchungsgegenstands erweist sich als konsequent und weiterführend. Aus der Vielfalt der Emigrantenzirkel wählt Pestel mit den „monarchiens“ die Gruppe aus, die noch mit einem Bein in der Anfangsphase der Revolution stand und die für ein Verfassungsmodell plädierte, das sich am englischen Vorbild orientierte und Frankreich in eine konstitutionelle Monarchie mit einem Zweikammersystem und einem Vetorecht des Königs verwandeln wollte, das heißt im Unterschied zur royalistischen Emigration nicht an der althergebrachten monarchisch-absolutistischen Ordnung festhalten wollte und für eine Reform der Monarchie optierte. Als die politischen Handlungsmöglichkeiten dieser Fünfer-Gruppe, die den Kern einer sich herausbildenden Kommunikationsgemeinschaft bildeten und deren vorrevolutionäre Biographien der Verfasser nicht unerwähnt lässt, bereits im Herbst 1789 immer enger wurden, entschieden sich die später sogenannten „monarchiens“ zur Emigration, teilweise nach Großbritannien, teilweise in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und in die Schweiz. Sie waren aber auch in den karibischen Kolonien und im zaristischen Russland präsent. Dass Emigration trotz unterschiedlicher Biographien verstärkte Kommunikation und Interaktion bedeuten kann, zeigt der Verfasser an der von ihm wiederentdeckten Gruppe, die sich durch ein weitgehend identisches soziales Profil – sie gehörten zu den Eliten des Ancien Régime zwischen Hofadel und gehobenem Dritten Stand – und durch eine intensive Diskussion untereinander und in ihren Aufnahmegesellschaften auszeichnete. Zu der Wiederentdeckung gehört auch die Gewichtsverlagerung weg von einer Konzentration auf den häufiger erwähnten Mounier hin zu dem eher von der Forschung vernachlässigten Malouet, was unser Bild von der Bandbreite der politischen Positionen erweitert.
Dass Pestel seine Akteure über eine präzise Beschreibung ihrer verfassungspolitischen Positionen während der Verfassungsdebatten des Sommers 1789 hinaus vor allem in ihren Verflechtungen und Positionskämpfen innerhalb der Emigration bzw. mit ihren Handlungsmöglichkeiten in ihren Gastländern ausführlich untersucht und darüber hinaus in ihren Selbstdeutungen nach ihrer Rückkehr in das nachrevolutionäre Frankreich weiter verfolgt, unterscheidet seine Untersuchung in zeitlicher und thematischer Hinsicht deutlich und mit großem Erkenntnisgewinn von früheren Emigrationsforschungen. Das gilt besonders für den zweiten Hauptteil seiner umfangreichen Darstellung, der unter dem Titel „Europaerfahrung“ die Konfrontationen und Kooperationen der „monarchiens“ in ihren Aufnahmeländern beschreibt und damit einen bemerkenswerten und im Umgang mit den verschiedenen europäischen Denkkulturen, mit denen sich die „monarchiens“ auseinandersetzen mussten, souveränen Beitrag zu einer transnationalen Wirkungsgeschichte der Revolution leistet. Überdies fügt sich sein gut begründeter Ansatz überzeugend in aktuelle Forschungsentwicklungen der Revolutionsforschung ein, die sich spätestens seit dem Bicentenaire um eine stärkere Historisierung und Differenzierung des revolutionären Prozesses, auch und gerade für die Frühphase der Revolution, bemüht und die Vielfalt der Positionsnahmen herauszuarbeiten versucht, die lange von der Dogmatisierung und Dichotomisierung der Revolutionsdeutung geprägt war und allzu rasch mit dem Gegensatz von Revolution und Gegenrevolution hantierte, dafür aber die Ansätze eines Pluralismus nicht ernst nehmen wollte.
Friedemann Pestel stützt seine sorgfältige und kenntnisreiche Analyse der Positionsnahmen und Deutungen seiner Akteure, deren Denken und Handeln er für den gesamten Zeitraum des „Zeitalters der Revolution“ untersucht, auf eine bewundernswert breite Quellen- und Literaturgrundlage, zu der die Auswertung zahlreicher archivalischer Quellen aus Frankreich, Deutschland, Italien, der Schweiz und Haiti gehört, und die eine riesige Menge von zeitgenössischen Publikationen und Periodika umfasst. Überflüssig zu erwähnen, dass der Verfasser kenntnisreich und sehr sicher mit der Forschungsliteratur zur Französischen Revolution umgeht. Auf dieser Grundlage beschreibt er Denken und Handeln der „monarchiens“ im Prozess der Revolution und Emigration und ordnet die Ereignis- und Entwicklungsgeschichte der Revolution, die er dadurch aus einer ungewöhnlichen bzw. weitgehend unbekannten Perspektive beleuchtet, überzeugend in einen begrifflich und theoretisch hoch reflektierten Interpretationsrahmen ein, der nicht nur die Vertrautheit mit einer breiten Forschungsdebatte signalisiert, sondern vor allem durch seine präzisen Definitionsbemühungen die Einordnung seines reichhaltigen Befundes in eine breite Interpretation des Revolutionszeitalters und der Revolution als einen ambivalenten Prozess erlaubt.
Dieser hohe Anspruch, das sei bei aller Zustimmung zu den Befunden vermerkt, führt mitunter zu einer sprachlich-stilistischen Überfrachtung, die die Lektüre dieses erkenntnisreichen Werkes nicht eben erleichtert. Das schmälert jedoch nicht die große Forschungsleistung Pestels.