Der vorliegende Band dokumentiert die mehr als 400 Jahre umfassende Langzeitstudie über die Frauenbildungslandschaft im Oldenburger Land und deren zugrundeliegende Frauenbilder und Frauenrollen sowie deren konfessionsspezifische Prägungen. Anknüpfend an das 1973 von Vonderach und Janßen nachgewiesene ‚protestantische Bildungsdefizit‘, welches das im 20. Jahrhundert breit diskutierte ‚katholische Bildungsdefizit‘ für Oldenburg widerlegte (S. 21f.), greift Maria Anna Zumholz die Frage nach einem möglichen oldenburgischen Sonderweg im Frauenbildungswesen im konfessionell zweigeteilten Oldenburger Land auf. Mit ihrer regional vergleichenden Erforschung konfessioneller Prägungen und deren möglicher Auswirkungen auf Geschlechterrollen will sie insbesondere die einschlägigen Befunde zur konfessionellen Frauenbildung hinterfragen.
Maria Anna Zumholz geht in Kapitel I auf die Debatte um das ‚katholische Bildungsdefizit‘ im 20. Jahrhundert ein, verweist dabei auf die diesbezüglich relevanten bildungssoziologischen Studien und stellt jenen das für das Oldenburger Land noch in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts festgestellte protestantische Bildungsdefizit gegenüber. In Kapitel II werden die konfessionell geprägten Geschlechteranthropologien und Geschlechterordnungen vorgestellt, wobei die evangelische Version am Beispiel ‚Luther und die Frauen‘ (II.1.1) entfaltet wird. In einem weiteren Unterabschnitt erfolgt die Darstellung des Oldenburger Landes mit seinen zwei „konfessionellen Welten“ (II.2.). Kapitel III thematisiert die nachreformatorische Mädchenbildung und Bildungsreform im Zeitalter der Aufklärung, Kapitel IV Frauenbilder und Frauenbildung im Oldenburger Land im 19. und 20. Jahrhundert. In Kapitel V stehen Details zu den konfessionell geprägten Berufsfeldern und Ausbildungseinrichtungen für Frauen im Fokus, darunter Lehrerinnen für die Mädchenschulen, die Krankenpflege in Kongregationen und Diakonie sowie Orden und Kongregationen als Berufsfelder für katholische Frauen im Oldenburger Münsterland. Ein anschließender Exkurs stellt katholische Frauen in einer Kleinstadt um 1908 im Spannungsfeld von Fotografie und Biografie vor. In Kapitel VI erfolgt ein Resümee und Ausblick, der bis hin zur aktuellen Geschlechterdebatte reicht.
Maria Anna Zumholz verortet ihre Studie „im Schnittpunkt von Konfessionsgeschichte, Geschlechtergeschichte, Bildungsgeschichte und Regionalgeschichte“ und ist methodisch an die ‚longue dureé‘ angelehnt (S. 32). Sie stützt sich dabei neben publizierten Quellen und zeitgenössischer Literatur auf heterogene Quellen aus staatlichen, städtischen und kirchlichen Archiven sowie Archiven von Kongregationen und Verbänden. Sie zieht unter anderem Aufsätze und Ansprachen von Martin Luther, Kirchen- und Schulordnungen, schriftliche Äußerungen pädagogischer Akteurinnen und Akteure bis hin zu Scherenschnitten, Bildern und Fotografien heran.
Die Forschungsergebnisse liefern einen äußerst detaillierten und interessanten Einblick in die Frauenbildungslandschaft der Region Oldenburger Land. Sie zeigen die besondere Entwicklung der Mädchen- und Frauenbildung, die maßgebend vom weitgehenden Ausbleiben eines „öffentlichkeitsrelevanten Kulturkampfes“ (S. 424) geprägt war. Verbunden mit der im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert anhaltenden Attraktivität und Bindungskraft katholischer Frauengemeinschaften führte diese besondere Entwicklung zu einer erstaunlichen Vielzahl schulischer und caritativer Einrichtungen (vgl. S. 379ff.), die letztendlich für den noch in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts nachgewiesenen signifikanten Bildungsvorsprung katholischer Mädchen verantwortlich waren.
Die Konzentration auf Oldenburg führt zwangsläufig zur Ausblendung abweichender Entwicklungen in anderen deutschen Staaten. So stellt Maria Anna Zumholz zu Recht fest, dass „die Ergebnisse nicht ungeprüft verallgemeinert werden können“ (S. 425). Um regionalgeschichtliche Spezifika als solche zu erkennen, bedarf es jedoch einer vergleichenden überregionalen Perspektive. So waren beispielsweise die Anfeindungen, die Lehrerinnen insbesondere von Seiten der organisierten Lehrerschaft erfuhren sowie die Einschränkung ihres Einsatzbereiches kein spezifisch konfessionelles Problem (S. 315f.), sondern Ausdruck eines Abwehrkampfes beim Einzug von Lehrerinnen in das staatliche Schulwesen.1
Kritisch zu hinterfragen ist auch die bekannte und kontrovers diskutierte These von Maria Anna Zumholz, die von Luther propagierte Geschlechterordnung sei dafür verantwortlich, dass sich die Reformation „in weiten Teilen als eine Verlustgeschichte für Frauen“ erwies (S. 44 sowie S. 421). Karle sieht beispielsweise in der Hinwendung zum weltlichen Leben, dem Zugeständnis sexueller Bedürfnisse auch für Frauen sowie in dem reformatorischen Eheverständnis positive und für die Moderne anschlussfähige Aspekte eines reformatorischen Frauenbildes.2 Zudem kann das in der katholischen Kirche über die Jahrhunderte überdauernde Idealbild der gelehrten und frommen Frau (S. 425), das Maria Anna Zumholz für die positive Bilanz der Mädchen- und Frauenbildung ausmachte, hinsichtlich emanzipatorischer Perspektiven hinterfragt werden. Zwar ermöglichte die katholische Kirche damit alternative Lebensentwürfe zur Ehe, die öffentliche Erwerbstätigkeit von Frauen blieb aber an das Ideal der Frömmigkeit und Ehelosigkeit gekoppelt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass zumindest im 16. Jahrhundert ein alternativer Lebensentwurf als Nonne häufig keine selbstständige Entscheidung der Frauen war, vielmehr wurden sie meist schon in jungen Jahren ins Kloster geschickt, wie dies beispielhaft die Biografie von Boras verdeutlicht.3
Wenig Beachtung finden meines Erachtens auch konfessionelle Gemeinsamkeiten in den inhaltlichen Mädchenbildungskonzepten des Elementarschulwesens des 16. und 17. Jahrhunderts, die Conrad beim Vergleich von Schulordnungen nachwies. Oberstes Ziel der Mädchenbildung war konfessionsübergreifend die Erziehung der Mädchen zu gläubigen Christinnen, die in ihrer Ehefrau- und Mutterrolle „ihren Glauben und die christliche Ethik […] an ihre Familie weitergaben“ und zur Haushaltsführung befähigt wurden.4 Insofern ist die Aussage, „die Reformation [habe] die geistigen Grundlagen für die bürgerliche patriarchalische Familie des 19. Jahrhunderts“ gelegt, in Frage zu stellen (S. 44). Nach Schneider hatte das bürgerliche Modell auch im katholischen Milieu Gültigkeit. So propagierte die religiöse Literatur im deutschen Katholizismus des 19. Jahrhunderts das Ideal einer Frau, deren Wirkungsbereich auf Kinder, Küche und Kirche begrenzt war5. Schmid interpretiert die Konstruktion des bürgerlichen Ideals der Frau als Hausfrau, Mutter und Gattin mit seiner impliziten Annahme von polaren und komplementären Geschlechterverhältnissen sowie der naturrechtlich legitimierten Unterordnung der Frau als Problembewältigung der aufkommenden Moderne.6
Im Abschnitt über Helene Lange fehlen meines Erachtens die Einordnung ihrer Positionen im Kontext der bürgerlichen Frauenbewegung sowie deren Abgrenzung zu anderen wichtigen Akteurinnen. So werden zum einen wegweisende Initiativen, wie beispielsweise die Gründung des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins“, allein als Langes Verdienst dargestellt (S. 172). Zum anderen werden abweichende Positionen von Akteurinnen, die sich für eine konsequente Gleichartigkeit weiblicher Bildung einsetzten und sich entschieden gegen die Argumentationslinien katholischer Diskurse um Mädchen- und Frauenbildung positionierten, nicht berücksichtigt.
Insgesamt handelt es sich jedoch um eine lesenswerte, aufwändige, sehr detailreiche und umfassende Aufarbeitung der Oldenburger Frauenbildungslandschaft. Sie stellt mit ihrer konfessionell vergleichenden Perspektive einen Beitrag zur aktuellen Geschlechterforschung dar, die sich national wie international zunehmend mit der kategorialen Verflechtung von Geschlecht und Religion auseinandersetzt. Mit der Verbindung von Institutionen-, Real-, Sozial- und Ideengeschichte bietet sie Anregungen für weiterführende Studien und Diskussion.
Anmerkungen:
1 Rosemarie Godel-Gaßner, Von der Gehilfin zur gleichberechtigten Kollegin. Der Professionalisierungsprozess des Lehrerinnenberufes in Baden-Württemberg, in: Eckhardt Fuchs / Sylvia Kesper-Biermann / Christian Ritzi (Hrsg.), Regionen in der deutschen Staatenwelt. Bildungsräume und Transferprozesse im 19. Jahrhundert, Bad Heilbrunn 2011, S. 87–108.
2 Isolde Karle, Eine kleine Revolution. Sexualität, Liebe und Ehe aus Sicht der Reformatoren, in: Eva-Maria Bachteler / Petra Ziegler (Hrsg.), Auf zur Reformation. Selbstbewusst, mutig, fromm – Frauengestalten Veränderung, Stuttgart 2016, S. 135–146.
3 Roland H. Bainton, Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 1995.
4 Anne Conrad, „Jungfraw Schule“ und Christenlehre. Lutherische und katholische Elementarbildung für Mädchen, in: Elke Kleinau / Claudia Opitz (Hrsg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Band 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt / New York 1994, S. 175–188.
5 Bernhard Schneider, Männer der Tat und Hüterinnen des Hauses. Geschlechterkonstruktionen in katholischen Männer- und Frauenbüchern um 1900, in: Mann – Frau – Partnerschaft. Genderdebatten des Christentums (Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 2016, Band 35), Bad Langensalza 2016, S. 147–171.
6 Pia Schmid, Weib oder Mensch, Wesen oder Wissen? Bürgerliche Theorien zur weiblichen Bildung um 1800, in: Elke Kleinau / Claudia Opitz (Hrsg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Band 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt / New York 1994, S. 327–345.