Die Auflösung der großen Weltanschauungsmilieus stellte eine grundlegende Entwicklung der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte dar. Milieuhaft geprägte Wahrnehmungen und Anschauungen verloren allmählich an Bindungskraft und wurden durch stärker individualisierte Normen und Werte abgelöst. Auf den Trümmern der alten Milieus entstand, so der modernisierungstheoretisch geprägte Forschungsstand, die moderne pluralistische Gesellschaft der Gegenwart. In der Forschung zur Sozialdemokratie wird diese grundlegende Entwicklung als Frage des Übergangs von der "Milieupartei" zur "Volkspartei" diskutiert. In der Regel werden dabei die umfassenden Parteireformen Ende der 1950er Jahre als Wendepunkt in der Geschichte der SPD angesehen. Durch eine Modernisierung ihres Erscheinungsbildes und durch eine moderne, pragmatische Politik habe sich die Partei neuen Wählerschichten geöffnet und den Übergang zur "Konsensdemokratie" vollzogen. Der Wandel sei dabei wesentlich durch eine Gruppe von "Reformern" auf Bundesebene gegen innerparteiliche Widerstände durchgesetzt worden.
Stefan Appelius Biographie des mittlerweile über 90 Jahre alten Fritz Heine (geb. 1904), Presse- und Propagandachef der SPD in der Nachkriegszeit und Ollenhauer-Vertrauter, untersucht den Wandel der Sozialdemokratie anhand des politischen Lebenslaufs eines exponierten Vertreters des "traditionalistischen" Parteiflügels. Heine, dessen Parteikarriere Ende der 1920er Jahre als Volontär beim Parteivorstand begann, gehörte als Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstandes zu den einflußreichsten Politikern der SPD in der unmittelbaren Nachkriegszeit. In den 1950er Jahren geriet er jedoch mehr und mehr als "Apparatschik" (S. 302) in den Mittelpunkt innerparteilicher Kritik, die seine erfolglose Öffentlichkeitsarbeit für die Wahlniederlagen 1953 und 1957 verantwortlich machte und seine Abwahl aus dem Parteivorstand auf dem Stuttgarter Parteitag 1958 durchsetzte. Bis Anfang der 1970er Jahre übte er jedoch als Geschäftsführer der "Konzentration GmbH", der Dachorganisation der parteieigenen Betriebe, weiterhin Einfluß auf die Pressepolitik der Partei aus.
Appelius greift in seiner Untersuchung auf eine Fülle parteiinterner und privater Unterlagen zurück. Als ein besonderer Glücksfall erwies es sich, daß Fritz Heine, mit dem er in engem Kontakt stand, ihm den Zugang zu seinen Privatunterlagen, darunter seine umfangreiche Korrespondenz, gewährte. Dagegen erhielt er trotz des Einsatzes zahlreicher prominenter Sozialdemokraten keine Genehmigung zur Einsicht in die Aktenüberlieferung der sozialdemokratischen Wirtschaftsbetriebe.
Durch die Konzentration auf einen "Verlierer" der Parteireform rücken im Unterschied zu vielen früheren Studien mehr die Beharrungskräfte in der Partei in den Vordergrund. Zwar bestätigt Appelius im wesentlichen die bisherigen Forschungsergebnisse zur Modernisierung der SPD seit Ende der 1950er Jahre, er kann jedoch für den Bereich der Pressepolitik die Kontinuität traditioneller Vorstellungen und Praktiken weit über "Godesberg" hinaus nachweisen. Zumindest für das Verhältnis der Partei zur parteinahen Presse stellten die Parteireformen zunächst kaum mehr als ein Oberflächenphänomen dar: "Der Wandel zur Volkspartei hatte sich nur im Programm, nicht aber in den Köpfen der sozialdemokratischen Verleger (und erst recht nicht bei den Funktionären) vollzogen" (S. 401f.). Der biographische Ansatz stellt zudem besonders den generationellen Aspekt des Parteiwandels in den Mittelpunkt. Heine kann stellvertretend für eine ganze Generation von Parteiaktivisten stehen, die in der Weimarer Republik zur SPD stießen und den Weg der Partei in der Nachkriegszeit entscheidend prägten.
Die Biographie zerfällt in zwei Teile: 1) Heines Wirken im exilierten Parteivorstandes 1933-1945, 2) Die Entwicklung der sozialdemokratischen Presse in der Nachkriegszeit. Der erste Teil beschreibt die Tätigkeit der sich als einzig legitime Führungsgruppe der SPD verstehenden Emigranten um Hans Vogel und Erich Ollenhauer im Exil. Nach einer ersten Phase aufopferungsvoller Widerstandstätigkeit, sah sich der Parteivorstand zunehmend in die Defensive gedrängt angesichts der weitgehenden Zerschlagung des sozialdemokratischen Widerstands im Reich, schwindender finanzieller Mittel, den lähmenden Konflikten mit konkurrierenden sozialistischen Gruppen und der reservierten Haltung der einzelnen Gaststaaten gegenüber den deutschen Sozialisten. Die letzten Jahre des Exils bedeuteten für das personell stark geschrumpfte Führungsgremium, dessen Führungsanspruch innerhalb des sozialdemokratischen Lagers immer wieder in Frage gestellt wurde, "vor allem das - mehr oder weniger geduldige - Warten auf die Rückkehr nach Deutschland" (S. 264).
Heine stand, nachdem er in der Endphase der Weimarer Republik zum Parteisekretär und Mitarbeiter des Parteivorstandes aufgestiegen war, während der ganzen Jahre des Exils loyal zu den älteren und führenden Mitgliedern des Parteivorstandes. Anders als diese scheint er sich jedoch leichter an die Lebensumstände im Exil gewöhnt zu haben und entwickelte eine erstaunliche Aktivität als Organisator und Kurier im Widerstand. Besonderen persönlichen Einsatz und Mut zeigte er bei der Rettung mehrerer hundert Flüchtlinge aus Südfrankreich 1940/41, an der er als Vertreter des Parteivorstandes in Marseille beteiligt war.
Appelius schildert eindrücklich und kenntnisreich die bedrückende und isolierte Situation des sozialdemokratischen Parteivorstandes zwischen 1933 und 1945. Eine ausführlichere Beschreibung der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Exils hätte jedoch das Verständnis der dargestellten Vorgänge erleichtert. Zudem wäre eine stärkere historische Einordnung der Binnenperspektive des Parteivorstandes und Heines wünschenswert gewesen, deren Sichtweise der Vorgänge vielfach unkommentiert bleibt.
Im zweiten Teil des Buches unternimmt Appelius anhand der Diskussion seiner pressepolitischen Tätigkeit nach 1945 eine gewisse Differenzierung des Bildes von Heine als rückwärtsgewandtem "Vorstandsbeamten" (S. 300). Hauptsächlich in Bezug auf die Formen der Öffentlichkeitsarbeit erkennt er von Heine ausgehende Modernisierungsimpulse. Der Propagandachef versuchte insbesondere, das Erscheinungsbild der sozialdemokratischen Zeitungen zu modernisieren und demjenigen der bürgerlichen Konkurrenzpresse anzupassen. Insgesamt, so das Fazit von Appelius, blieb Heine jedoch in den pressepolitischen Vorstellungen der Parteitradition verhaftet.
Angesichts der Krise, in der sich die SPD nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten befand, blieben die politischen Grundüberzeugungen Heines während des Exils erstaunlich konstant. Zwar befürwortete er einige taktische Neuerungen, eine grundlegende Veränderung der Politikziele und -formen der SPD hielt er jedoch nicht für nötig. Seiner Tätigkeit lag weiterhin ein statisches Lagerdenken zugrunde. Er stand den "bürgerlichen Parteien" nach 1945 mit äußerstem Mißtrauen gegenüber und befürwortete ihnen gegenüber eine aggressiv-kämpferische Politik.
Für Heine wie für breite Funktionärskreise blieb die parteinahe Presse vor diesem Hintergrund ein integraler Teil und "Kampfmittel" (S. 338) der Partei und dieser vollständig untergeordnet. Ausgehend von einem tiefen Mißtrauen gegenüber der demokratischen Reife der westdeutschen Bevölkerung, sah er die vordringlichste Aufgabe der sozialdemokratischen Zeitungen in einem gegen die diagnostizierte Übermacht der bürgerlichen Presse gerichteten "erzieherischen Journalismus" (S. 462). Dieses von Heine mitformulierte sozialdemokratische Pressemodell änderte sich erst in den 1970er Jahren, als aufgrund der zunehmenden Verluste der Parteizeitungen eine grundlegende Reform nicht mehr vertagt werden konnte.
Gegen eine pauschale Sicht, die den Niedergang des sozialdemokratischen Zeitungsimperiums als quasi naturwüchsigen Prozeß in der Folge der Milieuauflösung sieht, argumentiert Appelius überzeugend, daß die SPD den Untergang ihrer Zeitungen "im wesentlichen selbst herbeigeführt" habe (S. 463). Zum einen wollten Heine und seine Mitstreiter nicht sehen, daß eine "parteiliche", der SPD gegenüber stets unkritische Berichterstattung auf immer weniger Resonanz auch in der mit der Partei sympathisierenden Öffentlichkeit stieß. Plädoyers für einen größere redaktionelle Freiheit und politische Öffnung wies Heine stets zurück. Im Gegenteil wollte er die Presse sogar wieder mehr an der ehemaligen Hauptzielgruppe, dem Arbeiter- und Kleinbürgerpublikum, orientieren. Zum anderen führte die weitgehende Mißachtung wirtschaftlicher Gesichtspunkte zum Niedergang der Parteipresse. Die SPD verminderte kontinuierlich die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Zeitungen am Markt, indem sie Gewinne nicht in die Zeitungsbetriebe reinvestierte, sondern zur Finanzierung von Parteiausgaben und Wahlkämpfen abschöpfte. Allein zwischen 1958 und 1972 flossen 51,4 Millionen aus den Eigenbetrieben in die Parteikassen der SPD. Darüber hinaus wurden ökonomisch unrentable Bezirksausgaben aufrecht erhalten, um den unteren Parteigliederungen ein Sprachrohr zu belassen. Erst die ständig wachsenden Verluste der Zeitungen in den 1960er und 1970er Jahren zwangen die Verantwortlichen in der SPD allmählich zu einem Umdenken, das in eine größere inhaltliche wie finanzielle Selbständigkeit der Eigenbetriebe mündete. Heine selber beharrte bis zum Schluß auf der Dienstleistungsfunktion der Presse gegenüber der Partei.
Es gelingt Appelius in seiner gut lesbaren Biographie, die bisherigen Forschungsergebnisse zur Sozialdemokratie der Nachkriegszeit in vielen Punkten zu differenzieren und erhellende Einblicke in bisher weniger erforschte Bereiche der sozialdemokratischen Welt zwischen den 1920er und 1970er Jahren zu geben. Die Leistung der Studie liegt darin, daß sie anhand der Biographie Heines die Entwicklung einer wirkungsmächtigen politisch-generationellen Elite über die politischen Systembrüche hinweg zeichnet und auf den inneren Wandel der SPD und der Bundesrepublik bezieht.
Leider tritt jedoch das zentrale Thema, die Verknüpfung von generationellem Wandel und politisch-programmatischer Entwicklung der SPD, in der Studie häufig zu sehr in den Hintergrund. Besonders der erste Teil liest sich über weite Strecken wie eine eigenständige Fallstudie zum sozialdemokratischen Exil und ist nur lose durch die Person Heines mit dem Rest der Arbeit verbunden. Hier hätte eine systematischere Erläuterung der Auswirkungen der NS- und Exilerfahrungen auf die politischen Konzeptionen und den politischen Habitus Heines einen größeren Zusammenhalt zwischen den beiden Buchteilen schaffen können.
Darüber hinaus hätte sich der Rezensent eine stärkere Diskussion des Verhältnisses von individuell besonderen und generationell verallgemeinerbaren Aspekten der Biographie Heines gewünscht. Im Besonderen bleibt der Bereich des Nicht-Politischen ebenso weitgehend ausgeklammert wie Brüche und Widersprüche in seiner Biographie. Eine Erörterung solcher Gesichtspunkte ist im Fall Heines zugegebenermaßen schwierig, definierte sich dieser doch ganz wesentlich durch seine selbstlose, unermüdliche Arbeit für die SPD und die, zumindest rhetorische, Unterordnung der eigenen Person unter die größeren Zwecke der Partei. Indessen sind die Schwierigkeiten, die Person jenseits der Politik zu beschreiben, selbst schon ein wichtiger Befund. Heine sah sich an erster Stelle als "Parteiarbeiter" (S. 467). Ihn zeichnete eine asketische, ganz der Politik gewidmete Lebensführung aus, die, so scheint es, kennzeichnend für viele Politiker seiner Generation war. Eine stärkere Thematisierung und Historisierung des hier in Ansätzen erkennbaren "politischen" Lebensstils mit seinen spezifischen Konturen hätte der Biographie Heines eine weitere wichtige Dimension hinzugefügt.