U. Bonter u. a. (Hrsg.): Verlagsmetropole Breslau 1800–1945

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Titel
Verlagsmetropole Breslau 1800–1945.


Herausgeber
Bonter, Urszula; Detlef Haberland, Siegfried Lokatis, Patricia F. Blume
Reihe
Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 62
Erschienen
Anzahl Seiten
500 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Greiling, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Im Jahre 1503 ließ sich in Breslau der Drucker Konrad Baumgarten nieder, bevor er drei Jahre später die Stadt wieder verließ. Ein zweiter Jünger Gutenbergs folgte in Person von Adam Dyon 1518, der sich immerhin zwölf Jahre lang hier aufhielt.1 Die spätere Provinzhauptstadt Schlesiens gehört also nicht zu den ganz frühen Orten des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, auch wenn im vorliegenden Band die buchgeschichtliche Tradition auf das Jahr 1475 datiert und Breslau als einer der frühesten Inkunabeldruckorte des östlichen Mitteleuropa reklamiert wird (S. 17). An der großen Bedeutung der Stadt als einem zentralen Ort des deutschen Buchhandels kann jedoch kein Zweifel bestehen. Die Tatsache, dass sich die Stadt Breslau am Schnittpunkt deutscher, polnischer und jüdischer Kultur befand und den hier ansässigen Verlagen nicht zuletzt eine wichtige Transferfunktion zukam, verleiht der Erforschung ihrer Geschichte eine zusätzliche Relevanz.

In enger Kooperation zwischen polnischen und deutschen Wissenschaftlern, insbesondere aus Breslau und Leipzig, wurden seit 2009 breit angelegte Untersuchungen zu einzelnen Breslauer Verlagen begonnen. So können mit dem Band zehn profunde Beiträge vorgelegt werden, von denen sieben ca. 30 bis 40 Druckseiten umfassen. Die Einleitung von Detlef Haberland fällt mit 15 Seiten recht knapp aus, während die Studien von Patricia F. Blume (114 S.) und Ulrike Geßler (80 S.) quantitativ herausragen. Angeordnet sind die Beiträge in lockerer Chronologie. In der Regel steht jeweils ein Verlag oder eine einzelne Verlegerpersönlichkeit im Fokus. Lediglich den kleineren und mittleren jüdischen Verlagen in Breslau ist ein systematisch angelegter Übersichtsartikel gewidmet. Alle Beiträge stützen sich auf ein breites Fundament archivalischer und gedruckter Quellen und rekurrieren zudem auf die einschlägige, meist ältere Forschungsliteratur. Beigegeben sind zahlreiche farbige Abbildungen.

Die Einleitung von Haberland über „Breslauer Verlage 1800 – 1945“ betont die Nützlichkeit traditioneller Buchhandelsgeschichte, um gleichzeitig ihre sukzessive Verdrängung im universitären Milieu zu beklagen. Geboten werden Basisinformationen zur Geschichte Schlesiens und zur Stadt- und Buchhandelsgeschichte Breslaus sowie Überlegungen zur Relevanz entsprechender Forschungen. Haberlands Vorwurf, dass die Geschichte der Druckereien und Verlage in den einschlägigen Lexika und Monographien zur Breslauer Stadtgeschichte zu wenig berücksichtigt sei (S. 15), verkennt die Tatsache, dass derartige Nachschlagewerke in der Regel nur ein Spiegel der entsprechenden, in diesem Falle eben nicht befriedigenden Spezialliteratur sein können. Die statistischen Angaben in dem wenig stringenten Text Haberlands sind zum Teil missverständlich (so summiert sich etwa die Sozialstatistik in Fußnote 33 auf 108 Prozent!). Gleiches gilt für die Beschreibung des Wandels der Verlagslandschaft um 1800, der mit dem Ende des Alten Reichs und dem „Erstarken der einzelnen Königreiche“ (S. 16) kaum etwas zu tun hatte. Der enorm wachsende Bedarf an Printmedien in der Gesellschaft und die Lockerung der Konzessionspraxis sorgten dafür, dass sich lange vor 1800 Buchdrucker auch in einer ständig wachsenden Zahl einfacher Landstädte niederlassen durften.

Patricia F. Blume fragt in ihrer Studie über den Breslauer Verlagsbuchhändler Josef Max (1787–1873) wie es diesem gelang, „im abgelegenen Breslau ein Zentrum der Romantiker zu etablieren“, und wie sich dessen „Unternehmen in die deutsche Buchhandelstradition einordnet“ (S. 25). Max verlegte neben belletristischer Literatur auch naturwissenschaftliche Werke, Schulbücher und theologisches Schrifttum. Der Werdegang der Firma wird bis ins 20. Jahrhundert skizziert, wobei sich der eigentliche Untersuchungszeitraum auf die Jahre von 1809 bis 1872 beläuft. Dabei wird das Verlagsprogramm ebenso beleuchtet wie die Verlegerpersönlichkeit, wenngleich ersteres nicht systematisch erfolgt. Auch in den Ausführungen zum Marketing fehlen systematische Erhebungen, etwa zum Anzeigen- und Rezensionswesen sowie zur Präsenz auf den Messen. Ausgesprochen interessant sind die Kapitel zu einzelnen herausragenden Verlagsautoren. Das Spannungsfeld von kulturellen Ambitionen und ökonomischen Zwängen wird unter anderem in den Ausführungen zum Kontakt mit den Brüdern Grimm in den Blick genommen. Im Resümee ordnet Blume die Eröffnung des Verlages in eine Breslauer Gründungswelle um das Jahr 1800 ein. Josef Max wird als ein Buchhändler gewürdigt, der sich Zeit seines Lebens auf Buchverlag und Sortiment beschränkte, dies aber professionell und sehr erfolgreich tat.

Mit Georg Philipp Aderholz (1803–1864) führt Alexandra Fritzsch eine weitere Persönlichkeit vor, die in Breslau 1827 eine Buch- und Musikalienhandlung gründete, alsbald auch verlegerisch tätig wurde und – ähnlich wie einige der Kollegen – einen Teil seiner Autoren aus dem Personal der 1811 gegründeten Breslauer Universität rekrutierte. Die Entwicklung des Verlags wird bis ins Jahr 1902 verfolgt, und der Verlagsgründer wird in seinem Privatleben ebenso beleuchtet wie in seinen gesellschaftlichen Kontakten und in den Beziehungen zu einzelnen Autoren. Dabei gleitet der insgesamt informative Text gelegentlich ins Anekdotische ab. Die Aussagen zur pekuniären Dimension des Verlegerdaseins bleiben in der Regel vage.

Ferdinand Hirt (1810–1879) wird von Lukasz Bieniasz als ein schlesischer Buchhändler charakterisiert, „der sein Leben und seine Gesundheit hauptsächlich der Wissensvermittlung, dem bestmöglichen Druck von Schulbüchern und wissenschaftlicher Literatur opferte, aber trotz dieser Verdienste gleichwohl bis jetzt keine tiefgreifende Erforschung erlebt hat.“ (S. 185). Dieser pathetischen, vor allem aber unfreiwillig komischen Auftaktsentenz folgen informative Ausführungen über eine knapp fünfzigjährige Verlagsgeschichte. Durch die kulturelle Vermittlung zwischen Deutschland, Frankreich und Polen und durch sein Engagement für die polnische Opposition, sowohl im politischen Untergrund als auch im französischen Exil, füllte Hirt aber auch eine ganz spezifische Rolle als „Grenzgänger“ (S. 185) aus. Diese interessante Facette wird allerdings fast zu ausführlich ausgebreitet und in ihrer Bedeutung wohl auch überinterpretiert. Diverse Selbstverständlichkeiten, die für jede Verlegerpersönlichkeit zutreffen, werden zu Besonderheiten stilisiert. Sprachlich ist der Aufsatz teils verunglückt und dadurch widersprüchlich (besonders S. 201f.). Und schließlich sei angemerkt, dass ein Text in der Regel nicht gedruckt wird, um dessen „intellektuelle oder kulturelle Substanz“ zu verewigen (S. 201), sondern um ihn massenhaft zu verbreiten.

„Kleinere und mittlere jüdische Verlage“ stellt Barbara Breysach in einem Überblicksartikel vor. Sie spielten in einer Stadt mit einer vergleichsweise großen jüdischen Gemeinde schon für deren lokale Bedürfnisse eine wichtige Rolle. Breysach erörtert aber auch diverse grundsätzliche Fragen von Judentum, jüdischer Religion und Kultur, Verbürgerlichung und Assimilation etc. Die Gründung und Entwicklung des Verlags von Eduard Trewendt (1817–1868) schildert und analysiert Leszek Dziemianko als „eine Breslauer Erfolgsgeschichte“. Wie Max und Aderholz entfaltete er eine weit gespannte Verlegertätigkeit, die wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur, Belletristik, Jugendliteratur und Schulbücher sowie diverse Periodika umfasste. Dziemianko leuchtet das gesellschaftliche Umfeld des rastlos tätigen Unternehmers und gesellschaftlich engagierten Bürgers ebenso aus wie die Kontakte zu den Verlagsautoren.

Weitere Beiträge des Bandes sind dem „Presse- und Buchverlag S. Schottlaender“ (Urszula Bonter), dem „M. & H. Marcus Verlag. Zwischen Idealismus und Geschäft“ (Krzystof Zarski) sowie dem „Gauverlag NS-Schlesien (1930–1945) – Presse-Krake und Buchmarkt-Amateure“ (Berthold Perzinne) gewidmet und können nicht allesamt im Detail paraphrasiert werden. Fast durchgängig werden neben der Buchhandelsgeschichte im engeren Sinne auch die gesellschaftlichen, politischen und vor allem die kulturellen Verflechtungen ausgeleuchtet, in denen sich die Verlage und ihre Protagonisten befanden. Das gilt in markanter Weise für den Marcus-Verlag und seine Prägungen durch den Jenaer Intellektuellen und „Kulturverleger“ Eugen Diederichs, in dessen Umfeld sich Theodor Marcus über einen längeren Zeitraum hinweg bewegte (S. 347–357)

Ein knapper Blick soll aber noch auf den stilistisch besonders ansprechenden und inhaltlich überaus anregenden Beitrag von Ulrike Geißler geworfen werden. Sie widmet sich mit Wilhelm Gottlieb Korn dem wichtigsten Breslauer Verlag. Ihre Studie im Umfang einer kleineren Monographie konzentriert sich nicht auf die gut erforschten Entwicklungen im 18. und 19. Jahrhundert, sondern auf die Programmschwerpunkte in der Zeit von 1929 bis 1945, die Verlagsstrategien nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten sowie die personellen Veränderungen im Verlag. Zudem analysiert sie dessen politische Neuorientierung in den 1930er-Jahren. Dabei wird auch die Gründung und (Erfolgs-)Geschichte des Tochterunternehmens „Bergstadtverlag W. G. Korn“ skizziert, deren Initiator der erfolgreiche Schriftsteller Paul Keller war. Wirtschaftliche Gesichtspunkte des Unternehmens, das bis zu 450 Mitarbeiter beschäftigte, werden mehrfach angesprochen, aber nicht systematisch vertieft.

Dem Rezensenten hat sich nicht erschlossen, ob die Beiträge der polnischen Wissenschaftler in deutscher Sprache verfasst oder ins Deutsche übersetzt worden sind. So oder so hätten sie einem gründlichen Lektorat und einer redaktionellen Bearbeitung unterzogen werden müssen; Stil und Lesbarkeit entsprechen über weite Passagen hinweg nicht ihrer wissenschaftlichen Substanz. Die Einleitung Haberlands und der Aufsatz von Patricia F. Blume haben ebenfalls darstellerische Schwächen. Bei Letzterer sind vor allem sprachliche „Flapsigkeiten“ ärgerlich (zum Beispiel, dass Kunden nicht abgeworben, sondern „abgegriffen“ werden (S. 35), oder dass ein Projekt finanziell nicht zu „stemmen“ sei (S. 138). Dagegen kann die Studie von Ulrike Geßler sowohl hinsichtlich des wissenschaftlichen Ertrags als auch sprachlich geradezu als musterhaft gelten.

Dass sich in grundsätzlichen Fragen Redundanzen nicht vermeiden ließen, ist verständlich. Bedauerlich hingegen ist der Umstand, dass sich die Autoren nicht auf einen einheitlichen, gar systematischen Zugriff verständigt haben. Der Ertrag des Bandes ist dennoch beträchtlich. Deshalb ist zu wünschen, dass er nicht Abschluss, sondern Auftakt bzw. Zwischenetappe auf dem Weg zu einer regionalen Verlags- oder – noch besser – komplexen Mediengeschichte Schlesiens ist, zumal einige der porträtierten Verlage auch im Pressewesen Schlesiens eine bedeutende Rolle spielten. Neben den grundsätzlichen Erörterungen über die Bedeutung des Buchhandels für Literatur und Bildung müsste künftig noch mehr Wert auf die Erstellung möglichst kompletter Verlagsbibliographien sowie auf die ökonomische Dimension der Branche gelegt werden. Denn auch die Breslauer Verleger wurden, wie dies von Lukasz Bieniasz für Ferdinand Hirt betont wird, von ihren Zeitgenossen und der Nachwelt zwar vor allem „als Förderer der Wissenschaft, der Kultur, der Pädagogik wahrgenommen“ (S. 196), waren aber auch Unternehmer, deren Produkte einen Doppelcharakter als Ware und als Kulturgut besaßen.

Anmerkung:
1 Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, 2. überarb. und erw. Aufl., Wiesbaden 2015, S. 135.

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