G. Eckert: Zeitgeist auf Ordnungssuche

Cover
Titel
Zeitgeist auf Ordnungssuche. Die Begründung des Königreiches Württemberg 1797–1819


Autor(en)
Eckert, Georg
Reihe
Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 96
Erschienen
Göttingen 2016: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
€ 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Stickler, Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Baden-Württemberg wird manchmal etwas abschätzig als „Bindestrichland“ apostrophiert. Eine solche Sichtweise verkennt indes, dass, trotz der Tatsache, dass der Südweststaat in seiner heutigen Form erst 1952 entstand, dieser eine wesentliche ältere Tradition hat, die eng verknüpft ist mit der Reformpolitik in Baden und Württemberg im Kontext der Hegemonie des napoleonischen Frankreich über Europa. Georg Eckerts am Lehrstuhl von Gerrit Walther entstandene Wuppertaler Habilitationsschrift ruft dies eindrucksvoll in Erinnerung. Er behandelt in der auf souveräner Beherrschung der einschlägigen gedruckten und ungedruckten Quellen sowie der vorhandenen Fachliteratur fußenden Studie, den Umbau des sich territorial zwischen 1803 und 1815 erheblich vergrößernden württembergischen Staates im Kreuzungspunkt von politischer, Sozial-, Verwaltungs- und Ideengeschichte.

Der „Fall Württemberg“ war von jeher für verfassungs- und verwaltungsgeschichtlich arbeitende Historiker von besonderem Interesse, als wir hier das seltene Beispiel eines deutschen Territoriums mit starker Stellung des altständischen, stark bürgerlich dominierten Landtags vor uns haben, der politischen Initiativen der Krone enge Grenzen zu setzen im Stande war. Diese überkommene Besonderheit der württembergischen Verfassungsverhältnisse war im 18. Jahrhundert noch verstärkt worden durch die Ära der sogenannten „katholischen Herzöge“ (1733–1797), in der sich die ohnehin vorhandene Frontstellung zwischen Herrscher und Ständen noch durch ein konfessionelles Element verstärkte. Mit der Thronbesteigung Herzog Friedrichs II. – als Kurfürst und König dann Friedrich I. (Regierungszeit 1797–1816) – trat schließlich ein neuer Akteur auf den Plan, der zwar wieder der evangelischen Staatskirche angehörte, aber entschlossen war, aus dem Geist des aufgeklärten Absolutismus heraus, die Macht der alten Stände zu brechen. Die außenpolitisch unruhigen Zeitumstände im Gefolge der Koalitionskriege, die der neue Herrscher für sich machtpolitisch zu nutzen wusste und durch die der Exekutive zwangsläufig eine immer größere Bedeutung zuwuchs, sowie der immer weiter voranschreitende Zerfall des Alten Reiches, dessen Institutionen die altwürttembergische Verfassung schützten, begünstigten die staatsabsolutistischen Zielsetzungen Friedrichs.

Eckert arbeitet insgesamt vier Zäsuren heraus, die seine Arbeit gliedern: Erstens der gescheiterte Reformlandtag von 1797 bis 1799, zweitens eine Phase steter, oft tastender Improvisation zwischen 1800 und 1805, drittens die Phase des königlichen Absolutismus nach der einseitigen Aufhebung des Landtags durch Friedrich I. zwischen 1806 und 1814 und viertens der Kampf zwischen der Krone (seit 1816 König Wilhelm I.) und neu errichteten Ständen um eine neue Verfassung zwischen 1815 und 1819. Zu Recht weist Eckert darauf hin, dass es in Württemberg, anders als Bayern oder Baden, keine ausgearbeiteten Reformpläne wie etwa das Ansbacher Memoire Maximilian von Montgelas' (1796) gegeben habe. Dass Friedrich II. (I.), dieser machtbewusste, schon zeitgenössisch als „schwäbischer Zar“ bezeichnete Monarch, der binnen weniger Jahre vom Herzog eines Kleinstaates zum König eines Mittelstaates mit enormen machtpolitischen Ambitionen aufstieg, eine Schlüsselfigur für die württembergische Reformära darstellt, daran lässt Eckert, der hier im Wesentlichen der älteren Forschung folgt, keinen Zweifel. Dennoch schreibt er durchaus an gegen allzu teleologische, landespatriotisch grundierte Meistererzählungen, die in der Retrospektive einen gleichsam idealen bzw. idealisierten Reformweg konstruieren, den es in der historischen Realität so nicht gab. „Am Ende der Reformen stand die Suche nach einer konzeptionellen Ordnung, nicht an deren Anfang“ (S. 22), so bringt es Eckert zugespitzt auf den Punkt.

Die Probleme resultierten nicht zuletzt aus dem Umstand, dass es, auch unter den Bedingungen der damaligen Kommunikationsmöglichkeiten, eben keine allmächtige Bürokratie gab, die gleichsam hätte durchregieren können. Pragmatische Aushandlungsmodelle waren deshalb eher die Regel als die Ausnahme. Hinzu kam, dass ein im Sinne der Reformer durchsetzungsfähiges und fachlich kompetentes Beamtentum erst herangebildet werden musste, man also im Regelfall gar keine andere Wahl hatte als auf personelle Kontinuität zu setzen. Konkret bedeutete dies, dass der Versuch, die ständestaatliche „Unordnung“ (S. 12) – ein zeitgenössischer, selbstverständlich pejorativ gemeinter Begriff – zu ersetzen durch eine moderne zentralistische Verwaltung, besetzt mit aufgeklärten, wissenschaftlich gebildeten Fachleuten, anders, als es Intention und Selbstbild der Reformer entsprach, dazu führte, dass das Streben nach Effizienz und Effektivität zunächst einmal ein Mehr an Ineffizienz und Ineffektivität zur Folge hatte. Überaus deutlich wurde dieser Zielkonflikt außer in Alt-Württemberg, wo der Widerstand der alten Kräfte immens war, ausgerechnet im 1803 als Folge es Reichsdeputationshauptschlusses erworbenen „Neu-Württemberg“, wo Friedrich I. eine eigenständige Verwaltung hatte errichten lassen, die bewusst getrennt war von der des alten Herzogtums. Das expertokratische Ideal drohte dort zu scheitern und damit das gesamte Reformmodell in Frage zu stellen, weshalb immer wieder mit hohem Verwaltungsaufwand nachgesteuert werden musste. Diese Versuche zogen sich hin bis in die Anfangsjahre der Herrschaft König Wilhelms I., der 1817 an der Landesuniversität Tübingen eine Staatswirtschaftliche Fakultät gründete. Diese sollte aufgrund wissenschaftlicher Expertise einen Beitrag dazu leisten, die Probleme zu lösen, an denen zuvor die Beamten vor Ort in der Praxis gescheitert waren.

Kernthese Eckerts ist, dass die Transformation des württembergischen Staates auch eine Transformation im Wesen der Politik bedeutete in dem Sinne, dass der politische Wandel eng verknüpft war mit einer Veränderung hinsichtlich der Begründung von Politik. Wissenschaftliche Qualifikation war gleichzeitig Mittel und Ziel der württembergischen Reformpolitik. Auf eine paradoxe Weise wurde sie damit auch zum Träger von Partizipationsansprüchen der neu entstehenden bürokratischen Eliten. Die Akademisierung der Beamtenschaft ermöglichte neue Karrieren und erzeugte so weiterwirkende Loyalitäten. Die Beamten neuen Typs fungierten wegen ihres wissenschaftlich fundierten Expertentums in gewisser Weise als Mittler zwischen Fürst und Volk, traten damit an die Stelle der alten Stände und delegitimierten gleichzeitig die alten ständischen Eliten. Damit wuchs ihnen aber auch eine nicht unerhebliche neue starke Stellung zu, die wiederum das Misstrauen der Krone hervorrief. Die Konflikte zwischen Friedrich List und Robert von Mohl mit König Wilhelm I. resultierten letztlich aus dieser Verschiebung des Kräfteverhältnisses. Eckert resümiert zutreffend, dass die neue Expertokratie in der Reformära zu einem regulativen Ideal von politischer Bedeutung mit gemeinsamer politischer Sprache wurde und sieht hierin ein verbindendes Element aller deutscher Reformstaaten im frühen 19. Jahrhundert. Dem sehr gelungenen, gelehrten und zudem ausgezeichnet lesbaren Buch von Georg Eckert ist weite Verbreitung, nicht nur unter württembergischen Landeshistorikern zu wünschen. Gerade künftige vergleichende Arbeiten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte im langen 19. Jahrhundert werden an dieser wichtigen Studie nicht vorbeigehen können.

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