Den "vagabundierenden Blick" zwischen den verschiedenen Teilbereichen der modernen Geschichtswissenschaft will der Sammelband vermitteln. Das Ergebnis präsentiert sich jedoch als ein verwirrendes und wenig kohärentes Nebeneinander von umfassenden methodischen Zugriffen und spezialisierten Teilfeldern.
Im ersten Abschnitt: "Geschichtswissenschaften heute" wird das Fach vorgestellt. Der Herausgeber fordert im Beitrag "Das Studium der Geschichte" eine "Ent-Disziplinierung" (Oexle) anstelle der nicht befriedigenden Spezialisierung, zeigt sich allerdings überzeugt, daß die "Geschichtswissenschaften" (sic!) sich "in Richtung einer integrativen Betrachtungsweise" (12) bewegten. Anschließend skizziert der Autor die Geschichte der Historiographie seit ihrer Verwissenschaftlichung und Professionalisierung bis zur Etablierung der Sozialgeschichte in den sechziger Jahren unseres Jh. und den inhaltlichen Erweiterungen des sozialgeschichtlichen Zugriffs. Die Meinung von C., daß die Geschichte vor dem Prozeß der Verwissenschaftlichung seit der Spätaufklärung im Rahmen des Trivium gelehrt worden sei (12), ist allerdings ein Irrtum: Die mittelalterliche Geschichtsschreibung bediente sich zwar der Grammatik und Rhetorik, galt jedoch selbst als eine Auslegungsmethode, die im Gegensatz zu anderen exegetischen Methoden wie z. B. der Allegorie vergangene Fakten im wörtlichen Sinne wiedergibt.[1] Die Auseinandersetzung mit dem linguistic turn vermeidet C. auf wenig befriedigende Weise, indem er den kritischen Fragen der Postmoderne nach der Wissenschaftlichkeit des Fachs entgegenhält, daß der "Anspruch auf Wahrheit" die Geschichtswissenschaft von allen fiktionalen Genres unterscheide und das entscheidende Argument für die Legitimierung ihrer Wissenschaftlichkeit darstelle. Ob hier Ansprüche ausreichen? Wolfgang J. Mommsen schildert im Beitrag: "Die Geschichtswissenschaft am Ende des 20 Jahrhunderts" neue Fragestellungen und methodische Zugriffe. Nachdem jedes umfassende Erklärungsmodell der geschichtlichen Entwicklung seine Überzeugungskraft verloren habe, konstatiert Mommsen großes Interesse an der lebensweltlichen Dimension der Vergangenheit. Nicht mehr der Staatsmann und das politische Ereignis, sondern bisher wenig beachtete soziale Gruppen und ihre Kultur, Überzeugungen und Gefühle stünden im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Die ständige Erweiterung der Objektbereiche erzeuge allerdings die Gefahr, daß die Einheitlichkeit der Geschichtswissenschaft als Fachdisziplin verlorengehe (37). Während Mommsen von der Geschichtswissenschaft im Singular spricht und um ihre Einheitlichkeit fürchtet, ist der Herausgeber des Bandes vom Gegenteil überzeugt. Von einer zunehmende Absonderung der Teilbereiche (46) spricht dagegen auch Lutz Raphael im dritten Beitrag: "Der Beruf des Historikers", in dem Berufsfeld, Grundlagen und Organisationsformen der Berufspraxis vorgestellt werden. Raphael scheut sich nicht, auf den Konformitätszwang durch die "Zunft" und die vor allem in der Vergangenheit problematische politische Ausrichtung der Historiker hinzuweisen.
Im zweiten Abschnitt werden die traditionellen Epochen der Geschichte behandelt. Konrad Vössing präsentiert Gegenstand, Quellenlage und aktuelle Forschungsschwerpunkte der Alten Geschichte. Ulrich Meyer behandelt die Mittelalterliche Geschichte. Nach einigen Worten über mittelalterliche Lebensbedingungen definiert er die aktuelle Mediävistik als Sozialgeschichte, die durch die Mentalitätengeschichte aus der französischen Nouvelle histoire, die Historische Anthropologie und die historische Kulturwissenschaft, die die beiden vorigen Ansätze integriere, erweitert worden sei. Bei der in drei Teilepochen unterteilten Neuzeit (Bernd Roeck: "Frühe Neuzeit", Daniel Mollenhauer: "Auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft: Neuere Geschichte seit 1789", Thomas Sandkühler: "Zeitgeschichte in Deutschland") werden von den Bearbeitern aktuelle Themen und Forschungsfragen, aber keine themenübergreifenden Zugriffe dargestellt. Die Geschichte als historische Kulturwissenschaft wird in diesen Beiträgen nicht thematisiert. Eher verwirrend sind die Ausführungen von Sandkühler, der Zeit- und Sozialgeschichte in einem "gegenseitigen Ergänzungsverhältnis sieht" (120) und meint, daß die Zeitgeschichte "forschungsgeschichtlich [...] zunehmend in der Gesellschaftsgeschichte" aufgehe (125). Weder die Abgrenzung von Zeit- und Sozialgeschichte noch der Begriff "Gesellschaftsgeschichte" werden erklärt.
Nach den Epochen der Geschichtswissenschaften werden die traditionellen "Felder" und die aktuellen "Erweiterungen" des Faches vorgestellt. Zu den Feldern zählen die Politische (Christoph Cornelißen), die Sozial- (Thomas Kroll), die Kultur- (Gangolf Hübinger), die Militär- (Gerd Krumeich), die Wirtschafts- (Toni Pierenkemper), die Osteuropäische (Dittmar Dahlmann) und die Imperialgeschichte (Jürgen Osterhammel). Die "Erweiterungen" umfassen die Mentalitäten- (Martina Kessel) und die Technikgeschichte (Bernd-A. Rusinek), die Geschichte der Erinnerungskulturen (Ute Schneider), die neue Religionsgeschichte (Irmtraud Götz v. Olenhusen), die Geschlechtergeschichte (Gunilla-Friederike Budde) und die Historische Anthropologie (Jakob Vogel). Die kurze Vorstellung dieser Themenbereiche, meist mit umfassender Sicht des Forschungsstandes durchgeführt, bietet dem Leser einen Überblick über verschiedene Forschungsgebiete und schnellen Zugriff auf weiterführende Literatur. Bedauernswert ist allerdings das völlige Unterbleiben einer Gewichtung der Methoden und Fragestellungen. So erscheint es wenig hilfreich, wenn der Kulturgeschichte als umfassendem Zugriff auf die Historie der gleiche Raum eingeräumt wird wie der Militärgeschichte, auch wenn deren Verfasser meint, das Militärische treffe "den Kern des Selbstverständnisses jeder Gesellschaft" (178). Die Unterscheidung von umfassenden Zugriffen, die eine vergangene Gesellschaft mittels einer methodischen Fragestellung zu entschlüsseln suchen - neben der Kultur- z. B. die Sozial-, die Mentalitäten- und die Geschlechtergeschichte - und jenen Feldern, die sich mit einzelnen Aspekten der Vergangenheit beschäftigen, hätte die Kohärenz des Bandes wesentlich gesteigert und die Entscheidungskraft des Herausgebers unterstrichen. Die Auswahl der "Felder" und "Erweiterungen" hätte ebenfalls kurz begründet werden müssen, vor allem da man traditionell wichtige Bereiche wie etwa die "Rechts- und Verfassungsgeschichte" vergeblich sucht. Fehlerhafte oder zumindest problematische Aussagen (H. White wird zur Kulturgeschichte gezählt, die Geschichte der Erinnerungskulturen erwähnt die mittelalterliche memoria-Forschung nicht, Beschränkung der Religionsgeschichte auf die Neuzeit, Beschreibung des Historismus als methodische Verengung auf die Fähigkeit zur Quellenedition) und das Fehlen wichtiger Themen (linguistic turn, Nutzen der wissenschaftlichen Historie) vermindern ebenfalls den Wert des Bandes. Die weiterführende Literatur am Ende des Buches ist derart kurz geraten und dennoch lückenhaft ("Medioevo latino" fehlt, unter der Überschrift "Bibliotheks-, Archiv- und Quellenkunden" findet sich keine Quellenkunde), daß man besser auf sie verzichtet hätte.