„Wasser“ – der Haupttitel des Sammelbandes ist ebenso klar und facettenreich wie die in ihm enthaltenen Beiträge. Der Band enthält die Beiträge, die auf dem 49. Deutschen Historikertag in Mainz 2012 in der Sektion „Das Wasser: Ressource zwischen Alltagsbedarf, Ingenieurkunst und Repräsentation. Eine Konversation zwischen Antike und Neuzeit“ vorgetragen und diskutiert wurden. Da ein Sektionsbericht hierzu bereits vorliegt1 und sich zudem inzwischen einige Neu- und Weiterentwicklungen auf dem Forschungsfeld ergeben haben, wird im Folgenden darauf verzichtet, die Beiträge im Einzelnen zu diskutieren. Sinnvoller erscheint an dieser Stelle, eine allgemeinere Einordnung der Arbeit in die aktuelle deutsche Umweltgeschichtsforschung vorzunehmen und die diskutierten Fallbeispiele aus den unterschiedlichen Epochen zueinander in Beziehung zu setzen.
Neben einer Einleitung von den beiden Herausgebern Sitta von Retten und Christian Wieland finden sich in dem Band sechs Abhandlungen in chronologischer Reihenfolge, beginnend bei griechischen Wasserleitungen des 6. vorchristlichen Jahrhunderts (Astrid Möller) und endend bei den Abwasserkanälen moderner Industriestädte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Franz-Josef Brüggemeier). Antike und Neuzeit sind mit je drei Beiträgen ausgewogen vertreten. Vorrangig verfolgt der Band das offenkundige Ziel, anhand eines übergeordneten und zudem hochaktuellen Themas die gängigen geschichtswissenschaftlichen Epochengrenzen zu überschreiten und zu entschärfen.2 Kein anderer Untersuchungsgegenstand mag dazu geeigneter erscheinen als der Umgang des Menschen mit der Ressource Wasser – ist Wasser doch selbst ein grenzüberschreitendes, niemals stillstehendes Element.
Gerade in den letzten Jahren ist das öffentliche Interesse an der Verfügbarkeit von Wasser und an seiner Nutzung durch den Menschen auf globaler Ebene enorm angestiegen, was sich nicht zuletzt darin äußert, dass die UNO den Zeitraum von 2005 bis 2015 zur Internationalen Wasserdekade („Water for Life“) ausgerufen hat. Drängende Fragen galt und gilt es auch weiterhin zu bearbeiten, allen voran die Sicherstellung des regelmäßigen Zugangs zu sauberem Trinkwasser auch für die Ärmsten, die hygienische Ableitung und Aufbereitung von Schmutz- und Brauchwasser ebenso wie Schutz vor extremem Hochwasser. Im ersten Moment scheint es sich hierbei um rein technisch-logistisch lösbare Probleme zu handeln, doch erst bei näherer Beschäftigung zeigen sich soziale und kulturelle Aspekte ebenso wie geo- und machtpolitische Überlegungen, die bei der Erarbeitung von Lösungsansätzen eine tragende Rolle spielen.
Ähnlich steht es mit den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes. Die einzelnen Beiträge beschäftigen sich durchweg mit zunächst ganz pragmatisch erscheinenden Fragestellungen, darunter vor allem mit konkreten Wasserbauprojekten, wie etwa der Anlage schiffbarer Kanäle im ptolemäischen Ägypten (Pithom-Kanal; Sitta von Reden) oder im frühneuzeitlichen Frankreich Ludwigs des XIV. (Canal du Midi; Chandra Mukerji). Doch im Verlauf der historischen Analysen treten neben rein technischen Schwierigkeiten immer wieder gesellschaftliche Konstellationen, machtpolitische Interessen oder gar kultische Belange in den Vordergrund, die am Ende für Erfolg und konkrete Durchführung der Bauprojekte mitverantwortlich waren. Bei den beiden Kanalbauprojekten zeigen sich vor allem handfeste Bestrebungen der jeweiligen Zentralmacht, ihre politische Herrschaft auch in weit entfernten Gegenden des Reiches dauerhaft zu festigen. Durch die permanente Präsenz der Infrastrukturbauten wurden neue Abhängigkeiten geschaffen, auf wirtschaftlicher wie administrativer und technischer Ebene. Infrastruktur bedarf regelmäßiger Wartung, sodass Verwaltungspersonal vor Ort den Zustand der Bauten und zugleich die lokalen Gemeinden überwachen konnte. Neben dieser geographischen Ausweitung staatlicher Autorität zeigen sich noch weitere entscheidende Aspekte bei der Durchführung der Bauten. Allein das Meistern solcher technischen Leistungen für das Gemeinwesen hielt die Bauherren dazu an, sich als allen Vorgängern überlegen anzusehen und dadurch ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren. Dieser Herrschaftsanspruch manifestierte sich auch unübersehbar in den unpersönlichen und imposanten Wasserbauten selbst („unpersönliche Herrschaft“ nach Mukerji).
Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Wassers schaffen, je mehr sie ausgeschöpft werden, umso mehr Abhängigkeiten beim Nutzer. Da fließendes Wasser über natürliche Eigendynamik verfügt, ist es zwar bis zu einem gewissen Grad steuerbar, behält aber dennoch eigene „Handlungsmacht“ (agency) bei (Mukerji). So ist es unabdingbar, sich bei der Verfügbarmachung der Ressource auf eben diese Eigendynamik einzustellen. Welche Schwierigkeiten dies birgt, arbeitet Neville Morley in seinem Beitrag zu römischen Wasserregelungen anschaulich heraus. Zwar ist seine These, die römischen Juristen hätten die saisonale Variabilität der Wasserstände und Flussverläufe ignoriert, kaum haltbar. Immerhin widmen sich die Autoren der römischen Feldmesserschriften (Corpus Agrimensorum Romanorum) ausführlich dieser Thematik mit Verweis auf die geltende Gesetzeslage.3 Dennoch bringt gerade sein Beitrag besonders sprechend zum Ausdruck, wie sehr sich die Vermittlung zwischen veränderlicher Umwelt und festen Gesellschaftsregeln als Gratwanderung entpuppen kann. Letztlich scheint die einzige Möglichkeit, dauerhaft mit veränderlichen Naturkräften fertig zu werden, im permanenten Aushandlungsprozess zu liegen. So ist das Wasser mehr als nur ein lebenswichtiges Gut. Es kann solch eine Wirkmacht entfalten, dass sogar ganze Gemeinwesen – ob nun Stadtstaat, König- und Kaiserreich oder moderner Nationalstaat – ihre Autorität über die Verfügbarmachung, die Verwaltung und die Kontrolle des wässrigen Gutes definieren.
Deutlich differenziert wird der letztgenannte Punkt im ersten und letzten Beitrag des Bandes, die das Konvolut gleichsam zusammenhalten. Leicht könnte der Eindruck entstehen, dass die Kontrolle über Wasser starke zentralistische und autoritäre Staatsformen fördert, wenn nicht gar erfordert. Entgegen dieser einst vor allem durch Karl August Wittfogel verbreiteten These stellen Möller und Brüggemeier heraus, welche entscheidenden Impulse für den Ausbau der städtischen Wasserinfrastruktur ausgerechnet von einer erstarkenden, selbstorganisierten Bürgerschaft ausgingen.4 Sowohl in den aufblühenden spätarchaischen Stadtstaaten als auch in den schnellwachsenden modernen Industriestädten schien man geradezu von einer „Wassermanie“ (Brüggemeier, S. 153) besessen gewesen zu sein. Dabei tun sich auch frappierende Parallelen auf zwischen der stolzen Besichtigung der Kloaken durch die Bourgeoisie einerseits und der inszenierten Befahrung der erneuerten Cloaca maxima im kaiserzeitlichen Rom durch den Feldherrn Agrippa andererseits.5 Zivilisatorische „Siege“ wurden nun hauptsächlich über den Ausbau urbaner Infrastrukturen im Inneren errungen.
Der Einsatz von Technologie erfordert technisches Personal mit technischer Expertise, die sich immer aus mehrerlei Quellen speist. Bei baulichen Eingriffen in die Natur ist nicht zuletzt ein profundes Wissen über geographische und hydrologische Charakteristika des betreffenden Ortes von Belang. Durch Rückgriff auf lokale Praktiken und Ausweitung lokaler Wissensbestände konnte deshalb Herrschaft erlangt und konsolidiert werden. Insbesondere im hellenistischen Ägypten verfolgten die Ptolemäer eine Machtpolitik der imitatio und aemulatio bezogen auf die pharaonische Vergangenheit des Landes. Die ursprünglich ägyptische Landvermesserkunst fungierte dabei als Schlüsselwissenschaft für Machterhalt und Herrschaftslegitimation, indem sie nicht nur übernommen, sondern geographisch viel extensiver angewendet wurde (von Reden). Ebenso diente der antike Wasserbau vielen frühneuzeitlichen Wasserbauingenieuren als Vorbild und schuf zugleich Möglichkeiten zur Abgrenzung (Wieland, auch Mukerji). Dieser Widerstreit zwischen Antike als Vorbild und Antike als überholte Vergangenheit zieht sich sogar bis in die jüngere Geschichte, die Zeit der Modernisierung des westlichen Städtebaus im Zeichen der ersten Industrialisierung (Brüggemeier).
Profiteure einer boomenden Wasserwirtschaft waren immer auch die Architekten, Stadtplaner und Wasserbauingenieure. Über ihr technisches Know-how erlangten sie nicht nur wirtschaftliche und politische Bedeutung, sondern gewannen zunehmend selbst an sozialem Kapital. Dies gilt für Antike (von Reden), Frühe Neuzeit (Wieland) und Moderne (Brüggemeier) gleichermaßen. Dennoch treten im historischen Vergleich auch gehörige Unterschiede zwischen Status und Selbstverständnis der Ingenieure zutage. Trotz der Anerkennung, die die Ingenieure ob ihres Könnens erlangt hatten, genossen sie als Praktiker meist nicht dasselbe soziale Ansehen wie Angehörige alteingesessener Führungseliten. Vielmehr lässt sich auf diskursiver Ebene, etwa in frühneuzeitlichen Wassertraktaten, ein ständiges Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung feststellen – ein letztlich unerfülltes Bestreben, sich selbst zu adeln (Wieland). Nur in Kontexten zunehmender Technikgläubigkeit im Industriezeitalter bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Demokratisierung konnte es zur Entstehung neuer technischer Eliten kommen, was schließlich auch zur Folge hatte, dass naturwissenschaftliche Forschungen auf viel breiterer Basis vorangetrieben werden konnten (vgl. Brüggemeier).
Insgesamt erschließen sich dem Leser des vorliegenden Sammelbandes vor allem klare Parallelen und Verbindungslinien zwischen den vorgestellten Fallbeispielen. Aus unterschiedlichen Epochen werden immer wieder ähnliche Phänomene, Handlungslogiken und Denkmuster, aber auch die sie unterscheidenden Elemente offengelegt, sodass das Gesamtkonzept des Bandes gut aufgeht. Allerdings wäre eine abschließende Synthese in Form eines weiteren, resümierenden Aufsatzes durchaus hilfreich gewesen. Teile der sehr ausführlichen Einleitung hätte man darin sicherlich gut unterbringen können und so zugleich eine Klammer um die Einzelbeiträge setzen können.
Außerdem verfolgt der Sammelband einen integrierten Ansatz, erschließt den historischen Umgang mit der Ressource Wasser also über ausgesprochen vielfältige Zugänge, heißt sowohl technik-, wissenschafts-, wirtschafts- und sozialhistorisch als auch kulturhistorisch. Dieser breit gefächerte Ansatz entspricht dem aktuellen Trend in der umwelthistorischen Forschung, der sich seit einigen Jahren zunehmend gegen rein konstruktivistische, rein materialistische und eine Reihe anderer Strömungen durchsetzt.6 Allen Analogieschlüssen, Parallelen und Vergleichen zum Trotz wird schließlich jede Gesellschaft geprägt von ihren historisch gewachsenen Funktionsweisen, Voraussetzungen und Möglichkeiten sowie von historischer Kontingenz. Daher wird es letztlich genau dieser integrierte Ansatz sein, der es erlaubt, komparatistisch und epochenübergreifend zu arbeiten, ohne dabei jedoch die jeweils intrinsischen Eigenheiten und Eigenlogiken zu vernachlässigen. Insofern ist der vorliegende Sammelband richtungsweisend für nachfolgende Arbeiten ähnlicher Ausrichtung und so bleibt ihm auch außerhalb der eigentlichen historischen Umweltforschung viel Aufmerksamkeit zu wünschen. Zu wünschen bliebe außerdem, dass die in Teilen noch immer vorherrschende fortschrittlich-lineare Konzeption von Geschichte dadurch relativiert wird.
Anmerkungen:
1 Tagungsbericht: HT 2012: Das Wasser: Ressource zwischen Alltagsbedarf, Ingenieurkunst und Repräsentation. Eine Konversation zwischen Antike und Neuzeit, 25.09.2012 – 28.09.2012 Mainz, in: H-Soz-Kult, 29.10.2012, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-4428> (30.11.2016).
2 Zur generellen Problematik, Geschichte in Epochen einzuteilen, neuerdings Jacques Le Goff, Geschichte ohne Epochen? Ein Essay, Darmstadt 2016.
3 Vor allem die Alluvionsklagen (controversiae de alluvione), bei denen es um den Umgang mit kurzzeitigen wie dauerhaften Landschaftsveränderungen durch Anschwemmung geht, werden in den Feldmesserschriften unter technischen Gesichtspunkten und in den Rechtskorpora unter juristischen Gesichtspunkten recht ausführlich erörtert. Eine kommentierte englische Übersetzung der wichtigsten römischen Landvermessertraktate bietet Brian Campbell, The Writings of the Roman Landsurveyors. Introduction, Text, Translation and Commentary, London 2000.
4 Karl August Wittfogel, Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power, New Haven 1957.
5 Cass. Dio 49,43,1.
6 Einen ähnlichen Ansatz verfolgte beispielsweise bereits der Sammelband von Martina Heßler / Christian Kehrt (Hrsg.), Die Hamburger Sturmflut von 1962: Risikobewusstsein und Katastrophenschutz aus zeit-, technik- und umweltgeschichtlicher Perspektive (Umwelt und Gesellschaft 11), Göttingen 2014 aus derselben Publikationsreihe.