Warum endete der Kalte Krieg 1989/90 und wieso ging diese massive geopolitische Umwälzung so friedlich über die Bühne? Auf diese Frage will der Sammelband von Kristina Spohr und David Reynolds eine Antwort liefern. Die Betonung struktureller Entwicklungen oder der Generationenwechsel im Ostblock greifen nach Ansicht der Herausgeber zu kurz. Vielmehr sei die Antwort in der Gipfeldiplomatie der 1970er- und 1980er-Jahre zu suchen. Persönlichkeiten, persönliche Beziehungen sowie der Wille von Akteuren zum politischen Handeln spielen dabei die zentrale Rolle in der Argumentation der Autorinnen und Autoren. Auch wenn am Ende vieler Gipfeltreffen keine fassbaren Resultate in Form von Verträgen vorlagen, sehen die Verfasser in der persönlichen Begegnung und dem direkten Austausch von Ansichten einen wichtigen Beitrag zur Beilegung des Konflikts. Somit versucht sich der Sammelband an einer Neuinterpretation, wenn nicht gar einer neuen Würdigung der Gipfeldiplomatie.
Das Werk geht auf einen Workshop und ein „witness seminar“ in Cambridge und London im Jahr 2014 zurück und vereint eine Reihe von Experten zum Kalten Krieg. Die Herausgeberin Kristina Spohr lehrt internationale und deutsche Geschichte an der London School of Economics und hat in ihrem jüngsten Werk die Außenpolitik Helmut Schmidts untersucht.1 Der Herausgeber, David Reynolds, hat sich bereits 2007 mit einer wichtigen Monographie zum Thema Gipfeltreffen hervorgetan.2
Eingebettet zwischen der Einleitung und dem zusammenfassenden Fazit der Herausgeber finden sich insgesamt acht Aufsätze, die chronologisch und in drei große Abschnitte unterteilt sind: “Thawing the Cold War”, “Living with the Cold War” und “Transcending the Cold War”. Die Dreiteilung findet sich aber auch auf der Ebene der Art von Gipfeltreffen. Im Band werden drei Arten von Gipfeltreffen untersucht: sogenannte „superpower summits“, also Treffen zwischen den USA und der UdSSR, deutsch-deutsche Gipfeltreffen sowie Gipfeltreffen die unter dem Einfluss Chinas stattfanden („new international triangularity“).
Im ersten Aufsatz untersuchen Benedikt Schoenborn und Gottfried Niedhart die deutsch-deutschen Treffen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph in Erfurt und Kassel im Jahr 1970. Ein persönliches Verhältnis zwischen den Verhandlungsführern konnte sich nicht entwickeln, dafür wurden aber auf der unteren Ebene wichtige Kontakte geknüpft. Yafeng Xia und Chris Tudda analysieren Nixons Besuch in Peking und James Cameron den Gipfel zwischen Nixon und Breschnew in Moskau im Jahr 1972. Während Peking wichtig war, um überhaupt diplomatische Beziehungen aufzunehmen, machte der Moskauer Gipfel sichtbar, dass die USA und die Sowjetunion in der Lage waren, gemeinsame Abkommen zu verabschieden. Wer das Buch von Jan Schönfelder und Rainer Erices über Willy Brandts Besuch in Erfurt3 und die Kapitel zu Moskau und Peking in Reynolds Buch “Summits” gelesen hat, erfährt in diesem ersten Teil des Bandes insgesamt allerdings nur wenig Neues. Einzig die Einordnung dieser Begegnungen als wichtige “icebreakers”, vor allem auf symbolischer Ebene, vermag zu überzeugen und macht deutlich, warum diese Treffen hier analysiert werden.
Die Herausgeber wollen das Zusammenspiel zwischen historischem Kontext und politischem Handeln herausarbeiten und dabei ausloten, welchen Unterschied individuelle Akteure machten. Auch der zweite Teil des Bands gibt aber noch keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage nach der Bedeutung persönlicher Beziehungen für die Überwindung des Systemkonflikts. Im Abschnitt „Living with the Cold War“ arbeiten Michael Cotey Morgan und Daniel Sargent die Besonderheit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) heraus. Die Gipfeltreffen innerhalb der westlichen Allianz (Bonn und Guadalupe 1978/79) sowie der Wiener Gipfel zwischen den USA und der Sowjetunion im Jahr 1979 werden von den Herausgebern Kristina Spohr und David Reynolds untersucht. Hier wird noch nicht klar, welche Rolle die einzelnen Akteure bei der Beilegung des Ost-West-Konflikts spielten. Die Autoren kommen vielmehr zum Schluss, dass der Gipfel in Wien eher das vorläufige Ende der Entspannungspolitik einläutete, als dass er zum Ende des Konflikts beitrug.
Erst im dritten Teil wird deutlich, welch gewichtige Rolle Persönlichkeiten und deren Beziehungen zueinander spielen konnte. Hier werden in drei Kapiteln die wichtigen Gipfeltreffen zwischen Reagan, Bush, Kohl und Gorbatschow sowie Deng Xiaoping in den Jahren 1985–1990 untersucht. Jonathan Hunt und David Reynolds fassen die vier Treffen zwischen Reagan und Gorbatschow in Genf, Reykjavik, Washington und Moskau zusammen und argumentieren, dass sich zwischen den Verhandlungspartnern ein Vertrauensverhältnis entwickeln konnte. Eine wichtige Rolle spielte hierbei auch, so die Autoren, dass es eine ganze Serie von Treffen war, die ein gegenseitiges Kennen- und Schätzenlernen erst ermöglichte. Die Herausgeber verweisen dabei auch auf die Rolle technischer Innovationen. Durch die Einführung der Simultanübersetzung in den 1980er-Jahren kamen die Unterredungen einer echten Konversation wesentlich näher. Jeffrey A. Engel und Sergey Radchenko analysieren die Gipfel in Peking und Malta, als Bush überraschenderweise zunächst zu Deng Xiaoping reiste, sich spätestens nach dem Tian’anmen-Massaker doch Moskau zuwandte und in Malta Gorbatschow auf einem sowjetischen Kreuzfahrtschiff traf. Auch in diesem Kapitel wird die Rolle persönlicher Beziehungen in der Außenpolitik hervorgehoben. Während Bush sich selbst als China-Kenner sah, gelang es ihm stattdessen, so die Autoren, mit dem Kremlführer Gorbatschow gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Der letzte Aufsatz im Band, von Kristina Spohr, nimmt wieder das Thema der deutschen Frage auf und zeigt, wie es Kohl gelang Gorbatschow weitreichende Zusagen zur Wiedervereinigung Deutschlands abzuringen.
Obwohl in den einzelnen Aufsätzen also ganz verschiedene Arten von Gipfeltreffen untersucht werden, sind die Beiträge für einen Sammelband homogen verfasst. Dies liegt daran, dass bei den meisten Aufsätzen die Rolle der Akteure, deren Biografien und nicht zuletzt deren persönliche Beziehungen im Zentrum stehen. Es wird argumentiert, das Gipfeltreffen dazu beigetragen haben – im besten Falle – auf persönlicher Ebene Vertrauen zu schaffen und damit Handlungsspielräume zu eröffnen. Dies war nicht immer der Fall und nicht immer auf der höchsten Ebene. Nicht jedes Gesprächspaar war in der Lage, persönliches Vertrauen aufzubauen, wie das bei Gorbatschow und Reagan der Fall war. Nicht jeder Staatsmann konnte wie George H. W. Bush auf eine über Jahrzehnte geknüpfte Beziehung zu China zurückgreifen. Die Staatsmänner konnten aber auch auf einer anderen Ebene und aufgrund ihrer persönlichen oder politischen Biografie zur Annäherung von Ost und West beitragen. Im Englischen ist Nixons Besuch in China zu einem Sprichwort geworden: “Only Nixon could go to China.” Will heißen, nur ein konservativer Präsident mit den entsprechenden antikommunistischen credentials konnte zum ideologischen Gegner reisen, ohne Schwäche zu zeigen. Ebenso war erst Willy Brandt bereit, in die DDR zu reisen, wo er als ehemaliger Widerstandskämpfer gemeinsam mit Stoph einen Kranz für die Opfer des Faschismus niederlegen konnte. Auch wenn Stoph und Brandt keinen Draht zueinander fanden, so gelang dies ihren Mitarbeitern.
Durch die Fokussierung auf Staatsmänner – und es sind tatsächlich ausnahmslos Männer, um die es hier geht – umweht den Band durchaus auch der Hauch der klassischen Diplomatiegeschichte. Die transnationale Ausrichtung sowie die Anerkennung struktureller Entwicklungen werden allerdings deutlich gemacht. Die Herausgeber erkennen an, dass es strukturelle Entwicklungen waren, die den Erfolg der Gipfeldiplomatie in den 1970er- und 1980er-Jahren erst möglich machten und den Akteuren Handlungsspielräume eröffneten. Der Band will aber aufzeigen, dass es auch Akteure brauchte, die jene Spielräume nutzten. Und ferner scheint immer wieder durch, wie wichtig neben den persönlichen Beziehungen auch Aspekte wie die gewählten Gipfelorte, Sprachregelungen und die zeremonielle Gestaltung für den Erfolg solcher Begegnungen war.
Einleitung und Schluss geben den einzelnen Aufsätzen einen wichtigen Rahmen, der viel zum Gesamteindruck des Bandes beiträgt. Dies ist auch deshalb wichtig, weil einige Beiträge keine eigene Forschungsfrage oder These aufwerfen. Ebenfalls positiv zu erwähnen ist, dass es neben den Quellen- und Literaturangaben der einzelnen Aufsätze noch eine zusammengefasste Bibliographie und einen Index gibt. Der Band bietet dem Leser relativ kurze, auf Quellenarbeit basierende, gut recherchierte und flüssig geschriebene Zusammenfassungen der wichtigsten Gipfeltreffen der 1970er- und 1980er-Jahre. Damit richtet sich der Band von Spohr und Reynolds nicht nur an jene, die sich für Gipfeldiplomatie interessieren, sondern ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Ost-West-Konflikts bzw. dessen Beilegung.
Anmerkungen:
1 Kristina Spohr, The Global Chancellor. Helmut Schmidt and the Reshaping of the International Order, Oxford 2016.
2 David Reynolds, Summits. Six Meetings That Shaped the Twentieth Century, London 2007.
3 Jan Schönfelder / Rainer Erices, Willy Brandt in Erfurt. Das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen 1970, Berlin 2010.