G. Garner (Hrsg.): Ökonomie des Privilegs

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Titel
Die Ökonomie des Privilegs, Westeuropa 16.-19. Jahrhundert / L'économie du privilège, Europe occidentale XVIe-XIX siècles.


Herausgeber
Garner, Guillaume
Reihe
Studien zu Policey, Kriminalitätsgeschichte und Konfliktregulierung
Erschienen
Frankfurt am Main 2016: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
523 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mark Häberlein, Universität Bamberg

Der vorliegende Band versammelt 21 Beiträge – davon 13 in französischer, sechs in deutscher und zwei in englischer Sprache –, die auf eine internationale Tagung zu den Funktionen und Praktiken ökonomischer Privilegien zwischen dem 16. und dem frühen 19. Jahrhundert im Jahre 2011 zurückgehen. Unter Privilegien, so der Herausgeber Guillaume Garner in seiner Einleitung, werden im vorliegenden Kontext obrigkeitliche Zuweisungen bestimmter wirtschaftlicher Handlungsräume an individuelle oder kollektive Akteure verstanden; sie stellten in der Regel das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Staat und „privaten“ Akteuren dar (S. 4f.). Ihre primäre Funktion bestand in der Reduktion von Unsicherheit, indem sie ökonomischen Wettbewerb beschränkten, für den oder die Privilegierten Rechtssicherheit herstellten und Investitionen absicherten (S. 11f.). In kritischer Auseinandersetzung mit der wirtschaftshistorischen Literatur argumentiert Garner, dass die Erteilung von Privilegien keineswegs grundsätzlich wettbewerbs- oder gar marktfeindlich sein musste; der Ausschluss externer Konkurrenten etwa konnte durchaus den internen Wettbewerb stimulieren (S. 23). Damit spricht Garner Themen an, die in den Beiträgen dieses Bandes immer wieder aufgegriffen und diskutiert werden.

Die Autorinnen und Autoren befassen sich aus ideen- und diskursgeschichtlichen wie aus historisch-praxeologischen Perspektiven mit unterschiedlichen Wirtschaftssektoren – Handel, Gewerbe, Banken, Transportwesen – in unterschiedlichen geographischen Räumen (Frankreich, England, Deutschland, Österreich, Italien). Mit Beiträgen über die französischen Ostindienkompanien und das brasilianische Diamantenmonopol weitet sich die Perspektive auch auf den Überseehandel. Angesichts der chronologischen, räumlichen und thematischen Bandbreite der Einzelstudien ist es bemerkenswert, dass die Autorinnen und Autoren immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen kommen.

Erstens verweist eine Reihe von Beiträgen auf die wechselseitigen Vorteile, die staatliche und private Akteure aus Privilegien zogen. So betont David Plouviez für die Manufakturen und Zulieferbetriebe, welche die französische Kriegsmarine im 18. Jahrhundert mit Segeltuch, Waffen und anderen Ausrüstungsgütern versorgten, einen reziproken Nutzen von Staat und Investoren: „Pour l’État, c’était l’occasion de bénéficier du crédit de la noblesse d’affaires et pour celle-ci une opportunité de profiter des retombées économiques des marchés militaires“ (S. 266). Ebenso betont Tijl Vanneste die Profite, welche die Produktions- und Handelsmonopole für brasilianische Diamanten sowohl für den portugiesischen Staat als auch für die beteiligten internationalen Händlerkonsortien in Lissabon abwarfen. Vincent Demont zeichnet nach, wie sich eine Gruppe Frankfurter Juwelenhändler um Daniel de Briers anlässlich der Krönung von Kaiser Matthias im Jahre 1612 umfassende Handelsprivilegien sichern konnte, und Julien Villain macht deutlich, wie sich Lothringer Kaufleute auf der Basis der Zollprivilegien des Herzogtums um die Mitte des 18. Jahrhunderts lukrative regionale Märkte erschließen konnten. Bei der Lektüre der Beiträge hat man mitunter allerdings den Eindruck, dass ihr Fokus ein wenig einseitig auf die Gewinner der Privilegierungspolitik gerichtet ist und die Verlierer aus dem Blick geraten. Immerhin macht Gérard Le Bouëdec deutlich, dass die Ostindienkompanien nicht nur von staatlichen Monopolen profitierten, sondern auch „Gefangene“ der französischen Außenpolitik sein konnten (S. 451).

Zweitens werden Flexibilität, Kontextgebundenheit und Aushandlungscharakter ökonomischer Privilegien betont. So stellt Mathieu Marraud in seiner Untersuchung zu den Six Corps des Marchands, den privilegierten Pariser Handlungskorporationen, heraus, wie diese die Argumente des Gemeinen Nutzens und der Legalität instrumentalisierten, um Konkurrenten zu bekämpfen und die eigene Position zu stärken. Aurélien Ruellet zufolge bedienten englische Erfinder in ihren Gesuchen um Patente im 17. Jahrhundert rhetorisch die Topoi der Neuheit, der Innovation und des Gemeinnutzes. Christof Jeggle führt vor, dass die Entstehung des Bozener Merkantilgerichts in den 1630er-Jahren einer sehr spezifischen Kombination aus kaufmännischer Initiative, obrigkeitlichem Geldbedarf und einer italienischen Rechtsformen gegenüber aufgeschlossenen Fürstin geschuldet war. Ralf Banken betrachtet Hüttenbestandsverträge im Saar-Hunsrück-Raum des 18. Jahrhunderts als „sehr flexibles und jederzeit anpassungsfähiges Rechtsinstrument der Wirtschaftsförderung“ auf dem Montansektor (S. 253). In ähnlicher Weise konstatiert Stefan Gorißen, der anhand der Privilegierung der Textilgewerbe im Wuppertal und in Mülheim den Mythos einer wirtschaftsliberalen Politik im Herzogtum Berg demontiert, „flexible Anpassungen der Gewerbeordnung an sich wandelnde Anforderungen und Bedürfnisse“ (S. 292). Robert Brandt beobachtet für die Frankfurter Nahrungsmittelgewerbe eine pragmatische Ratspolitik, die gleichermaßen auf eine Stimulierung des Marktgeschehens wie auf den Schutz der Handwerke vor irregulärer Konkurrenz abzielte. Auch Andrea Caracausi, Giovanni Favero und Paola Lanaro, die Ergebnisse eines größeren Forschungsprojekts zur Handels-, Markt- und Gewerbepolitik Venedigs skizzieren, sehen in der Privilegienpraxis des venezianischen Staates eher Pragmatismus und situatives Handeln am Werk als eine kohärente „merkantilistische“ Politik.

Drittens relativieren mehrere Beiträge den Zäsurcharakter der Zeit um 1800 und akzentuieren Kontinuitäten zwischen der vermeintlich protektionistischen Frühen Neuzeit und dem „liberalen“ 19. Jahrhundert. So führt Heinz Mohnhaupt vor, dass in Brandenburg-Preußen bereits in den 1730er-Jahren „die traditionellen differenzierenden Einzelprivilegien aller Handwerksgilden aufgehoben“ und durch „ein geschlossenes privilegiales Rechte-Corpus“ ersetzt wurden (S. 42). In den juristischen und ökonomischen Debatten in Deutschland gewann der Gleichheitsgedanke Peter Collin zufolge zwar seit Ende des 18. Jahrhunderts an Bedeutung, doch implizierte dies „noch nicht die Anerkennung einer sich selbst regulierenden, von Staatsinterventionen […] freien Privatrechtsgesellschaft“ (S. 112). Auf dem französischen Bankensektor konstatiert Patrice Baubeau eine „très forte continuité“ (S. 124) zwischen der in der Spätphase des Ancien Régime gegründeten Caisse d’Escompte und der im Jahre 1800 inkorporierten Banque de France und spricht gar von einer „renaissance du privilège“ nach 1789 (S. 136). Wie Frédéric Moret ausführt, waren selbst in England, dem Vorreiterland der Industriellen Revolution, die Privilegien der Städte am Vorabend der Munizipalreform der 1830er-Jahre noch weitgehend intakt.

Insgesamt bietet der Sammelband vielfältige und differenzierte Perspektiven auf das Phänomen wirtschaftlicher Privilegien in der Vor- und Frühmoderne. Den naheliegenden nächsten Schritt, die hier dominierende Perspektive auf einzelne Staaten und Territorien durch systematische Vergleiche weiterzuentwickeln, hat ein Forscherteam um Guillaume Garner bereits eingeschlagen. Eine Skizze des einschlägigen, von der französischen Agence Nationale de la Recherche geförderten Projekts bildet den Abschluss des lesenswerten Bandes.