Zeithistorische Museen und ihre Ausstellungen sind nicht selten politisch umkämpfte Brennpunkte gesellschaftlicher Selbstverständigung. Dies gilt in besonderem Maße für Polen, wo seit der Transformationszeit immer wieder erhitzt über Geschichte debattiert wird und eine Reihe musealer Großprojekte einen regelrechten Boom historischer Museen ausgelöst hat. Seit die national-populistische Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ mit allen Mitteln versucht, ihre „patriotische“ Lesart der Nationalgeschichte durchzusetzen, stehen diese Museen noch mehr als zuvor im Kreuzfeuer der Politik. So wurde der missliebige Direktor des Danziger Museums des Zweiten Weltkriegs Paweł Machcewicz nur wenige Tage nach der Eröffnung der Dauerausstellung im März 2017 entlassen1, und auch das ambitionierte Museum der Geschichte der polnischen Juden „Polin“ in Warschau gerät zunehmend unter politischen Druck. Den wesentlichen Stein des Anstoßes bildet immer wieder die Interpretation des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, vor allem das Verhältnis der Polen zu den beiden Aggressoren Deutschland und Sowjetunion sowie ihr Verhalten gegenüber ihren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Eben diesen heiklen Problemfeldern widmet sich Monika Heinemann in ihrem vorliegenden Buch, das auf einer 2015 an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität eingereichten Dissertation basiert. Heinemann betrachtet museale Ausstellungen in Anlehnung an Gottfried Korff als zentrale Indikatoren wie auch Generatoren gesellschaftlich virulenter Geschichtsbilder und untersucht, wie der Zweite Weltkrieg in Dauerausstellungen polnischer historischer Museen seit den 1980er-Jahren präsentiert wird. Auf die gegenwärtig umkämpften musealen Flaggschiffe in Danzig und Warschau geht sie dabei leider nur in einem Ausblick ein. Nichtsdestoweniger liefert ihre fundierte Analyse aber auch für das Verständnis der aktuellen geschichtspolitischen Kontroversen wichtige Hintergründe und Einsichten.
Methodisch betritt Heinemann mit ihrer Studie Neuland, unternimmt sie doch eine vergleichende diachrone und synchrone Analyse der Darstellung des Zweiten Weltkriegs in zehn historischen Museen in fünf polnischen Großstädten. Während die Ausstellungen aus spätsozialistischer Zeit in der Regel nur noch mit Hilfe von Ausstellungskonzeptionen und sonstigem Schriftgut aus den jeweiligen Museumsarchiven rekonstruierbar sind, nähert sie sich den jüngeren Ausstellungen mit dem ethnologischen Rüstzeug der „dichten Beschreibung“. Auf diese Weise möchte sie Bedeutungsstrukturen herausarbeiten, die neben der Textebene auch visuelle, akustische und räumliche Aspekte der musealen Inszenierung einschließen (S. 57–59). Auch Interviews mit Kuratorinnen und Museumsmitarbeitern bezieht Heinemann in ihre Untersuchung ein, wohingegen sie die Rezeption der Ausstellungen durch die Besucherinnen und Besucher aus arbeitsökonomischen Gründen ausklammert. Dieser Methodenmix ermöglicht es ihr gleichwohl, über die bislang greifbare, recht disparate Forschungsliteratur substanziell hinauszukommen, in der die spezifischen Qualitäten historischer Ausstellungen oft nur am Rande gewürdigt wurden. Mit dem komparativen Zuschnitt ihrer Studie gelingt es Heinemann zudem, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der untersuchten Museumslandschaft konsistenter herauszuarbeiten, als dies die bisher dominierenden Einzelfallstudien vermochten.2
Für ihre Untersuchung hat Heinemann zehn Museen in Krakau, Lublin, Łódź, Warschau und Wrocław ausgewählt. Dabei handelt es sich zum einen um stadtgeschichtliche Museen, zum anderen um „martyrologische Museen“, eine für die polnische Geschichtskultur typische Kombination aus Museum und Gedenkstätte. Hingegen bleiben Gedenkstätten an Standorten nationalsozialistischer Konzentrations- und Vernichtungslager wie Auschwitz oder Majdanek ausgeklammert, deren musealer Charakter hinter ihrer kommemorativen Funktion zurücktritt. Die untersuchten Museen werden im Einleitungskapitel jeweils kurz vorgestellt, in den folgenden drei Hauptteilen der Studie jedoch mit Blick auf die Inhalte ihrer Ausstellungen gemeinsam untersucht. Im Mittelpunkt stehen zunächst die in den Museen vermittelten Feindbilder, die sich auf die Deutschen und zunehmend auch auf die Sowjetunion beziehen, sodann die museale Darstellung der Verfolgung und Ermordung der polnischen Juden, die Heinemann zufolge zumeist als inneres Fremdbild präsentiert werden, und schließlich die Konstruktion des polnischen Selbstbildes in den analysierten Ausstellungen.
Diese an kulturwissenschaftlichen Topoi orientierte Darstellungsweise lässt die eingangs formulierte Leitfrage nach Kontinuität und Wandel der in den Ausstellungen repräsentierten Geschichtsbilder (S. 17f.) ein wenig in den Hintergrund treten. Tatsächlich kommt Heinemann zu dem Ergebnis, dass die während des Staatssozialismus geprägten Deutungsmuster des Zweiten Weltkriegs in ihren Grundzügen eine überraschend große Beharrungskraft aufwiesen. Zwar wurde das ursprünglich auf Deutschland fokussierte Feindbild sukzessive um die Sowjetunion ergänzt, deren Rolle als zeitweiliger Verbündeter Hitler-Deutschlands vor 1989 aus naheliegenden Gründen ausgeblendet worden war, und der zuvor über Gebühr exponierte kommunistische Widerstand trat – seiner historischen Bedeutung entsprechend – hinter den nichtkommunistischen polnischen Untergrundstaat zurück. Diese politische Neubewertung setzte sich aber nur zögerlich durch; überdies stellte sie die hergebrachte Darstellung der polnischen Nation als widerständiger Gemeinschaft von Helden und Märtyrern keineswegs in Frage. Vielmehr wurde dieses Selbstbild durch die verstärkte Akzentuierung christlich-religiöser Aspekte in den Ausstellungen noch weiter untermauert.
Auch die museale Darstellung der jüdischen Opfer von Krieg und Massenmord sieht Heinemann überwiegend durch Kontinuität geprägt: Zwar werden die jüdischen Opfer nicht mehr durch stillschweigende Vereinnahmung in das polnische Opferkollektiv marginalisiert, wie es während der Volksrepublik üblich war. Ihre Marginalisierung erfolgte nach 1989 vielmehr mittels Externalisierung, indem sie also aus dem auf die ethnisch-polnische Wir-Gemeinschaft konzentrierten Ausstellungsnarrativ ausgegrenzt wurden. So präsentierten einige Stadtmuseen noch bis in die jüngste Vergangenheit das Schicksal der jüdischen Einwohner, die bis zu einem Drittel der jeweiligen Stadtbevölkerung ausmachten, nur als „Nebenschauplatz der Besatzungsgeschichte“ (S. 198). Ambivalente oder moralisch zweifelhafte polnisch-jüdische Interaktionen, etwa Erpressung oder Verrat versteckter Juden, blieben bis zur Jahrtausendwende ohnehin tabuisiert.
Erst ab 2004 macht Heinemann Symptome einer beginnenden Ausdifferenzierung der in den Museen vermittelten Geschichtsbilder aus. Allerdings löst sich das bis dahin recht einheitliche Bild in zwei entgegengesetzte Richtungen auf: Einerseits steht das 2004 eröffnete Museum des Warschauer Aufstands paradigmatisch für eine Tendenz zur Remythologisierung der Nationalgeschichte mit modernsten technischen Mitteln, andererseits hat das Historische Museum der Stadt Krakau mit seiner 2010 eröffneten neuen Dauerausstellung in der ehemaligen Emaillewarenfabrik Oskar Schindlers eine Vorreiterrolle für die Öffnung zu einer verflochtenen, inklusiven Besatzungsgeschichte „von unten“ übernommen. Die 2014 beziehungsweise 2017 eröffneten (und von Heinemann nur noch kursorisch betrachteten) Museen zur Geschichte der polnischen Juden in Warschau und zum Zweiten Weltkrieg in Danzig führen die in der Krakauer Schindler-Fabrik erstmals umgesetzte alltagsgeschichtliche Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg im nationalen Maßstab fort. Damit ist der Trend zur opferorientierten, auf Individuen und ihr passives Leiden fokussierten Kriegserinnerung endgültig auch in Polen angekommen. Dass diese Geschichtsauffassung in der polnischen Gesellschaft jedoch alles andere als konsensual ist, führt die gegenwärtige geschichtspolitische Polarisierung unübersehbar vor Augen.
Dank Heinemanns akribischem Vorgehen und ihrer Schritt für Schritt belegten fundierten Argumentation stehen ihre Befunde auf festem Grund. Ihre Studie überzeugt zudem mit durchgängig präziser Kontextualisierung der musealen Geschichtsdarstellungen mit dem aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand. Erkauft wird diese Präzision freilich mit einer stellenweise etwas fußnotenlastigen und kleinschrittigen Darstellung, die auch von vereinzelten Redundanzen und Wiederholungen nicht frei ist. Der gewählte Aufbau der Studie bringt es mit sich, dass ein und dieselben Ausstellungselemente und Darstellungstechniken bisweilen in weit auseinanderliegenden Teilen der Studie analysiert werden (siehe etwa S. 193–195, 324–326).
Die Konzentration auf die in den Ausstellungen präsentierten Narrative und Topoi lässt zudem die interessante Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen der untersuchten historischen Museen weitgehend unbeantwortet. Schließlich stehen alle betrachteten Häuser im mehrdimensionalen Spannungsfeld zwischen historischer Bildung, Kommemoration sowie zunehmend auch Stadtmarketing und Tourismusförderung. Den daraus resultierenden Ansprüchen tragen sie mit der Gestaltung ihrer Ausstellungen mehr oder weniger offensiv Rechnung. Wie Heinemann überzeugend herausarbeitet, ist die Verbindung von vermittelnden und kommemorativen Funktionen gerade auch für einige neuere historische Ausstellungshäuser wie das Museum des Warschauer Aufstands charakteristisch. Angesichts dessen hätte man sich eine systematischere Analyse dieses Aspekts gewünscht, dessen Bedeutung für die Verortung der untersuchten Museen im breiteren geschichtskulturellen Feld nicht zu unterschätzen ist.
Dies schmälert Heinemanns beachtliche Forschungsleistung aber nicht. Nach der Lektüre dieser Studie wird man kaum mehr unbefangen durch historische Ausstellungen gehen können. Gerade im ostmitteleuropäischen Kontext, in dem Zeitgeschichte weiterhin in hohem Maße Streitgeschichte ist, ist die von Heinemann geleistete Sensibilisierung für die Spezifika des Mediums Ausstellung und seine mal subtilen, mal suggestiven Mittel zur Konstruktion historischer Narrative unverzichtbar.
Anmerkungen:
1 Machcewiczs Bericht über die Entstehung des Museums und seine Absetzung als Direktor ist soeben auch in deutscher Übersetzung erschienen: Paweł Machcewicz, Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit, Wiesbaden 2018.
2 Zu Vorzügen und Schwächen bisheriger Ansätze zu komparativen Museumsanalysen im ost(mittel)europäischen Kontext vgl. exemplarisch die Rezension von Juliane Tomann zu Zuzanna Bogumił u.a., The Enemy on Display. The Second World War in Eastern European Museums, New York 2015, in: H-Soz-Kult, 17.02.2016, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-24000 (17.05.2018).