Die Erforschung der Remigration nach 1945 ist zu einem aktuellen Forschungsthema geworden, das nicht mehr nur in knappen Anhängen in der umfangreichen Emigrations- und Exilforschungsliteratur seine Behandlung findet, sondern zu eigenen z. T. umfangreichen Monographien Anlass bietet, wie der vorliegenden.
Auf Grundlage der Forschungen zum Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, dessen Auswahl-sample nur akademisch etablierte Wissenschaftler betrachtete, betonte man noch Anfang der 90er Jahre das Ende des "Exodus des deutschen Geistes, den die NS-Diktatur verursachte" 1. Spätestens 1997 wird verstärkt nach der Mitwirkung der Remigranten beim Aufbau nach 1945 und dem daraus entstehenden Nachkriegsdiskurs gefragt [2,3]. Zuletzt hat eine Tagung am Einstein-Forum in Potsdam gezeigt, wie - abhängig von den einzelnen akademischen Fächern - die generelle Frage nach der Prägung der deutsche Nachkriegswissenschaft durch die Remigranten zuweilen an die Grenze stößt, dass eine Rückkehr in einer Quantität und Qualität gar nicht gegeben war, die zu einem nachweisbaren Einfluss hätte führen können 4. Die Differenzierung der Rückkehr- und Kontaktarten (als Lehrstuhlinhaber, als Gastprofessor, als Berater etc.) und die Trennung der Rückkehr von Personen und die der Ideen, Theorien und Forschungsthemen steht hingegen noch aus.
Aniko Szabos Studie, die durch eine Mitarbeit an dem Projekt "Rechtswissenschaft(ler) in der Emigration nach 1933" des FB Rechtswissenschaften der Universität Hannover angeregt wurde, legt den Schwerpunkt ihrer Betrachtung auf die Rehabilitierungen und die juristische Wiedergutmachung, denen im Hauptteil des Buches je ca. 200 Seiten gewidmet sind. Zuvor wird auf etwa 50 Seiten die Verfolgung an den Hochschulen seit 1933 beschrieben. Einen Anhang von weiteren ca. 200 Seiten beansprucht die biographische Dokumentation, die Übersichten über Emigranten und graphische Darstellungen der Rückkehrerquoten jeweils für die vier betrachteten Universitäten enthält.
In der Einleitung macht die Autorin die drei Forschungsrichtungen deutlich, zu denen die Studie beitragen möchte: Sie soll nicht nur als Beitrag zu Emigrationsforschung sondern insbesondere auch als Teil einer Wissenschaftsgeschichte und einer Sozialgeschichte der Wiedergutmachung gelesen werden. Die Beschränkung auf niedersächsische Hochschulen und in weiten Teilen der Darstellung auf die Universität Göttingen ermöglicht eine vollständige Erfassung der zu betrachtenden Personen, die im Gegensatz zum Handbuch der deutschsprachigen Emigration alle Universitätsmitglieder von den Assistenten aufwärts zu berücksichtigen versucht. Während eine überregionale Vergleichsperspektive zwangsläufig ausfällt, werden aber alle Fakultäten gleichermaßen berücksichtigt. Zudem verspricht die Studie einen Beitrag zur Frauenforschung, indem durch die Erweiterung des betrachteten Personenkreises vermehrt Frauen in den Blick kommen, deren weitere wissenschaftliche Karriere häufig beim Versuch der Habilitation verhindert wurde, auch nach 1945.
Als Quellenmaterial werden die einschlägigen Bestände der Universitätsarchive, des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs und des Bundesarchivs ebenso benutzt wie die Akten der Kontrollkommission der britischen Militärregierung im Public Record Office (London) und die Dokumentation der Emigrantenschicksale durch die Society of the Protection of Science and Learning (SPSL, Oxford) nebst diverser Nachlässe.
Die Darstellung erfolgt ganz überwiegend durch z. T. ausführliche Behandlung von Einzelpersonen auf zwei bis zu zwanzig Seiten. Dabei folgt die Autorin einer starren Klassifikation in "unvollständig ermittelte Lebensläufe und Todesfälle bis 1947" (II.2), "Rehabilitation der nichtemigrierten Hochschullehrer" (III.3), "Rückberufungen von Emigranten" nach Fakultäten geordnet (IV.2.1-4) und "emigrierten Hochschullehrer in der Wiedergutmachung" nach Fakultäten geordnet (VI.2.1-5).
Dieses Vorgehen hat neben dem Vorteil einer klaren Systematik allerdings auch den entscheidenden Nachteil, ähnliche oder gerade auch kontrastierende Fälle aus anderen Fachbereichen nicht zugleich oder nebeneinander behandeln zu können. Wie hinderlich dies ist, merkt man daran, dass die Autorin ihr Schema an einer Stelle selbst durchbricht, indem sie in dem Teil zur "Rehabilitation der nichtemigrierten Hochschullehrer" einen Abschnitt mit dem Titel "Die Berufung des Emigranten Helmuth Plessner" einordnet. Der Grund hierfür liegt darin, dass zuvor die verhinderte Rehabilitation des Soziologen Alfred von Martin geschildert wurde, dessen Position schließlich der Emigrant Plessner erhalten sollte.
Obwohl lediglich beansprucht wird, "die Vielzahl der Werdegänge typologisch nachzuzeichnen" (S. 21) erfolgt meist eine detaillierte Aufarbeitung der Einzelschicksale. Ihre Aneinanderreihung allerdings macht das Buch als Gesamtdarstellung genommen zu einer etwas anstrengenden Lektüre, als biographisches Nachschlagewerk hingegen wird es insbesondere durch die vorbildliche Verarbeitung des Quellenmaterials dem interessierten Historiker manchen Archivgang ersparen. Der Nachschlagewerkcharakter wird durch die Duplikation oder Triplikation der biographischen Angaben im Anhang (Tabellen nach Fakultäten plus alphabetisch nach Personen) verstärkt. Die aus den einschlägigen biographischen Handbüchern und Archivalien zusammengetragenen Angaben enthalten allerdings im Detail so manchen Fehler, und auch im Buch selber ergeben sich kleinere Widersprüche aufgrund verschiedener herangezogener Quellen an unterschiedlichen Stellen zum gleichen Sachverhalt. Es wäre aber für eine Einzelautorin eine nicht zu bewältigende Aufgabe, alle diese Angaben zu prüfen und abzugleichen. Die knappen Schlüsse, die am Ende der Darstellung eines Personenschicksals gezogen werden, haben häufig, je nach Perspektive, einen gewissen beschämenden oder rehabilitierenden Charakter, und mögen den Eindruck erwecken, dass sie in erster Linie einer Aufarbeitung der Vergangenheit sich verpflichtet fühlen, die jahrzehntelang verhindert worden war (s.u.). Die versprochene Typologisierung wird hingegen nicht explizit eingelöst, eine mögliche Korrelation mit den Disziplinen der betrachteten Hochschullehrer wird nicht sichtbar.
Während von den verfolgten aber nicht emigrierten Professoren die meisten bereits am 9. Mai 1945 wieder vollberechtigte Mitglieder der Universität wurden, dauerte es etwa ein Jahr, bis einige wenige Emigranten zu ihrer möglichen Rückkehr angeschrieben wurden - jedoch nicht von der Universität sondern von der Britischen Militärregierung. Eigentümlicherweise liegt zwar zu den darauffolgenden Schritten eine durchgängige Dokumentation vor, und auch die Zögerlichkeiten, Missverständnisse und (gewollten?) juristischen Unklarheiten, die die Rückkehr unterminierten, werden klar dargestellt. Die Kontaktaufnahme und die Frühphase der Kontakte bleibt jedoch zum Teil im Dunklen. Der Wortlaut des Schreibens der Militärregierung ist nicht bekannt. Allein aus einem Antwortschreiben des Strafrechtlers Richard Honig geht hervor, dass das Angebot der Göttinger Universität nur unter der Voraussetzung bestand, dass er seine deutsche Staatsbürgerschaft "beibehalten" habe, die ihm 1939 aberkannt worden war. So unsinnig diese Regelung auch war, wurde sie von der Universität konsequent zur Ablehnung nichterwünschter Remigranten instrumentalisiert. Ebenso entnimmt die Autorin dieser Quelle, dass "auch Hans Welzel und der Dekan der Universität einen Brief an ihn geschrieben hatten." (S. 263) Doch ist von ihr kein solches Einladungsschreiben eines Mitglieds der Universität Göttingen aufgefunden worden, und im zitierten Fall sind die genannten Personen wohl identisch (vgl. Fußnote 345 auf S. 156). Die Behauptung, dass die ordentlichen Professoren der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät durch die Militärregierung zurückberufen worden seien, ist nicht unwahrscheinlich, bleibt aber unbelegt. Sie wäre zumindest für Max Born nachweisbar, der bis zur Verkündung der Schuldsprüche der Kriegsverbrecherprozess wartete, ehe er seine ablehnende Antwort an Werner Heisenberg sendet. Zu einer Rückberufung des Nobelpreisträgers James Franck sei "nichts genaues bekannt. Wie in vielen anderen Fällen existiert darüber kein Schriftwechsel." (S. 428, vgl. auch S. 502) Dass letztlich vier von zehn noch lebenden emigrierten Ordinarien zurückgekehrt seien, gerät indessen zu einer problematischen Bilanzierung, da der mitgezählte Max Born nicht nach Göttingen (sondern nach Bad Pyrmont) und vor allem nicht als Lehrperson zurückgekehrt war, sondern hauptsächlich aufgrund des Umstandes, dass die Emigranten bis Anfang der 50er Jahre dazu gezwungen waren, nach Deutschland zurückzukehren, um Wiedergutmachungszahlungen zu erhalten. (In die Kategorie des nichtlehrenden Emeritus, der an die Universität zurückgekehrt ist, d.h. im Vorlesungsverzeichnis geführt wird und Pension erhält, fallen freilich auch die schlimmsten Nazi-Professoren.) Weiter wird auch Richard Honig als Rückkehrer gezählt, der 1946 eine Rückkehr abgelehnt hatte und seit 1954 regelmäßig als Gastprofessor für einige Wochen im Jahr in Göttingen tätig war. Mit der konsequenten Angabe von Gastprofessuren wird aber wichtiges Neuland der Remigrationsforschung betreten, das aufgrund der zahlreichen belegten Fälle noch weiter analysiert werden könnte.
Ein eigenes Kapitel (V) behandelt den Umgang mit der politischen Vergangenheit auf den Hochschul- und Rektorenkonferenzen und die Integration belasteter Hochschullehrer nach Art. 131 GG. Auch hier werden ausführliche Informationen zu den entsprechenden Personen gegeben. Während der Haupttext die Wiedereingliederung schildert, werden in den Fußnoten Vita, und politische Karrieren dargestellt. Die schon von anderen Autoren festgestellten Konfliktgrenzen werden so besonders kontrastreich dargestellt: Das Anliegen der Politik auf Integration, Befriedung und Versorgung der politisch belasteten Professoren musste von der Universität weitgehend berücksichtigt werden; nur in besonders krassen Fällen wie bei Fakultäten mit jüdischen Mitgliedern bzw. Remigranten konnten in der NS-Hierarchie an hohe Stellen gerückte Hochschullehrer nicht wieder als Professoren "zur Wiederverwendung" eingestellt werden. (Dass dem SS-Hauptsturmführer und kommissarischen Leiter des "Ahnenerbes" in der Nachkriegszeit die Leitung des Universitätsarchivs und damit die Entscheidung über Akteneinsicht übertragen wurde, oder es ein in vielen NS-Organisationen engagierter Gerichtsmediziner es 1956 in Göttingen zum Oberbürgermeister brachte, zeigt am Rande die bestimmenden Mechanismen der Restauration.) In der Öffentlichkeit setzte sich die in der Presse gestreute Meinung durch, dass die Amtsenthebungen von 1945 weit einschneidender gewesen wären als die von 1933, und der Begriff der "wissenschaftlichen Liquidierung" aufgrund der "alliierten Militärdiktate" wurde bemüht. Richtigstellungen wie die durch den Göttinger Juristen Hans Thieme von 1953, die zeigten, wie klar die Verhältnisse hätten gesehen werden können, blieben die Ausnahme (S. 228ff.). Nicht unbeachtet bleibt auch der Aspekt, dass den "amtsvertriebenen" 131er Professoren ohnehin Wartegeld zu zahlen war, und es eine schlichte ökonomische Überlegung war, diese Personen auch als Lehrkräfte zu beschäftigen.
Der Tatsache, dass spätestens Ende de 50er Jahre bis auf wenige Ausnahmen politisch belastete Hochschullehrer wieder inkorporiert waren, steht gegenüber, dass die ehemals verfolgten und emigrierten Akademiker erst 1956 überhaupt anspruchsberechtigt für Wiedergutmachung wurden, die entsprechenden Verfahren aber oft erst nach Jahren abgeschlossen werden konnten. Z. T. war das auch in der juristischen Form der Gesetzgebung angelegt, die im Falle der Wiedergutmachung, überflüssig kompliziert und verklausuliert war, während das BWGöD auch dem juristischen Laien nachvollziehbar war. Letztlich war es auch die Solidarisierung derer, die die Nazi-Zeit gleichsam gemeinsam erlebt hatten und die die Entnazifizierung und die alliierten Kriegsverbrecherprozesse zunehmend negativ beurteilten. Sie vergrößerte die Kluft zu den Emigranten weiter und weiter.
Durch die ausführliche Darstellung der juristischen Wiedergutmachung anhand des Schriftverkehrs gelingt es Aniko Szabo zweierlei klar herauszuarbeiten: Zum einen war es eine reines Einzelfallverfahren. Jeder Berechtigter wurde gezwungen, seinen eigenen Kampf mit den Behörden zu führen, monatelang, z.T. jahrelang auf Antwort und Entscheidungen zu warten, und den uneinheitlichen Entscheidungen von Sachbearbeitern unterworfen zu sein. Darüber hinaus waren es vielfach nationalsozialistische Begründungsmuster, die weiter wirkten. So wurde etwa dem Mathematiker Kurt Friedrichs mitgeteilt, dass er nicht verfolgt worden sei, da die Ehe mit seiner jüdischen Verlobten aus rassischen Gründen sowieso nicht möglich gewesen wäre und kein Grund zur illegalen Ausreise bestanden hätte (S. 321). Die ausführlichen Zitate aus dem Schriftverkehr ermöglichen es, einen wichtigen Teil der Rhetorik der deutschen Nachkriegsgesellschaft aufzudecken. Zur Wiedergutmachung etwa wurde die "fiktive Karriere" bemüht, ohne dass bemerkt wurde, dass diese innerhalb der durch den NS geprägten Hochschulentwicklung konstruiert wurde.
Die von Aniko Szabo vorgelegte überarbeitet Version ihrer Dissertation ist ein fruchtbarer Anstoß für eine breiter angelegte Remigrationsforschung, die den betrachteten Personenkreis erweitert, Rückkehrformen (etwa als Gastprofessor) genauer studiert und den Beitrag der vollständigen oder vorübergehenden Rückkehrer innerhalb ihrer Wissenschaften zu bestimmen sucht, und sie ist damit ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der frühen Bundesrepublik.
Der eindrucksvollen Studie ist (trotz des Preises) eine große Leserschaft zu wünschen.
Anmerkungen:
1 Horst Möller: Die Remigration von Wissenschaftlern nach 1945, in: Edith Böhne / Wolfgang Motzkau-Valeton (Hgg.): Die Künste und die Wissenschaften im Exil, 1933-1945, Gerlingen 1992, S. 600-614, hier S. 614. - Es muss aber betont werden, dass auch in den ersten Nachkriegsjahren eine Reihe deutscher Akademiker - auch jüdische, die in Deutschland haben überleben können - emigriert sind, da sie entweder bessere berufliche Chancen sahen oder die (politischen) Verhältnisse nicht ertragen konnten.
[2] Klaus-Dieter Krohn / Patrik von zur Mühlen: Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Marburg 1997.
[3] Marita Krauss: Die Rückkehr der "Hitlerfrischler". Die Rezeption von Exil und Remigration in Deutschland als Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung nach 1945, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 48 (1997) 151-160.
4 Tagung am Einstein-Forum, Potsdam: Remigranten an deutschen Universitäten nach 1945. Ihr Beitrag zum Wiederaufbau und zur Umgestaltung der Wissenschaften, 24.-26. Feb. 2000. Vgl. Bericht in der FAZ vom 1. 3. 2000.