Titel
Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953


Autor(en)
Malycha, Andreas
Erschienen
Paderborn 2000: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
541 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Schäfer, HAIT, TU Dresden

Andreas Malycha, bis 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter des an das Zentralkomitee der SED angebundenen Instituts für Marxismus-Leninismus in Berlin, hat mit seinem Werk über die Frühgeschichte der SED, das aus einem von der VW-Stiftung zwischen 1996 und 1998 geförderten Projekt an der FU Berlin hervorgegangen ist, seine Absichten vorzüglich verwirklicht: Es ist ihm die erste "eigentliche Organisationsgeschichte" dieser Partei gelungen, die sowohl die "innerparteilichen Strukturveränderungen als auch den Prozeß der Gleichschaltung" (43) umfassend beschreibt.

Zu Recht verweist er auf die Tatsache, daß das Innenleben der SED auch die Muster für die Durchsetzung autoritärer Herrschaft in der SBZ/DDR bzw. deren Sowjetisierung produzierte. Zwischen den Zäsuren der SED-Bildung 1945/46 und des formalen Abschlusses der Stalinisierung 1952/53 schildert Malycha konzise und quellengesättigt die innerparteilichen Strukturen und Prozesse, die Konflikte zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten und die von einer "schleichenden" bis hin zur "forcierten Stalinisierung" angewandten Methoden der Gleichschaltung und "Säuberung". Verdienstvollerweise werden erstmals auch regionale Quellen aus den fünf Ländern der SBZ systematisch ausgewertet und ergänzen damit das bisher vor allem von zentralen Unterlagen bestimmte Bild von den Anfängen der SED. Das Buch schließt mit einer Darstellung zur Situation in der Partei im Umfeld des 17. Juni 1953 und ihrer internen Bewältigung dieser dramatischen Vorgänge. Mit der Auflösung der Landesverbände 1952 und der Ausschaltung kritischer Funktionäre und Mitglieder nach der Niederschlagung des Aufstands vom Sommer 1953 war "der Prozeß der Umwandlung der SED in eine Staatspartei sowjetischen Typs strukturell und personell zu einem gewissen Abschluß gekommen", so Malycha (514). Besonders hilfreich sind in der vorliegenden Publikation die im Anhang aus diversen Archiven zusammengestellten und ausgewerteten Statistiken und Angaben zu den Mitgliederbewegungen in der SED zwischen 1946 und 1953.

Andreas Malycha ist ein Historiker, dem man aufgrund seiner Biographie und seiner unbestrittenen Aktenexpertise schwerlich "westdeutsche Siegergeschichtsschreibung" vorwerfen kann. Auf profunder Quellenbasis belegt er, was aus der DDR verleumdete Forscher wie Hermann Weber schon vor 1989 gegen die offizielle Ostberliner Geschichtsschreibung konstatierten und seit 1990 selbst vielfältig beweisen konnten 1: Die These von einem ursprünglich gemeinsamen "antifaschistisch-demokratischen" Weg von Sozialdemokraten und Kommunisten in der SBZ zu einem System mit parlamentarischen Zügen, der ab 1948 bedauerlicherweise durch die weltweite Konfrontation zwischen den Westmächten und der UdSSR quasi von außen zunichte gemacht wurde, ist "nicht mehr haltbar" (509). Die Stalinisierung der SED war keine Reaktion auf den Kalten Krieg, sondern wurde schon unmittelbar nach deren Gründung 1946 von deutschen Kommunisten durchgeführt, wobei zum Teil auf regionaler SBZ-Ebene außerhalb Berlins gezielt vorgeprescht wurde. In den fünf Ländern wurden Kontroversen innerhalb der KPD bzw. SED bis 1947 wesentlich intensiver ausgetragen als in Berlin. Die öffentlichen Bekundungen vom Aufbau einer "antifaschistisch-demokratischen Ordnung" waren für die "Stalinisten" in der SED nur "taktische Geplänkel" (509) auf dem Weg zu einem angestrebten Sozialismus sowjetischer Prägung in vorzugsweise ganz Deutschland. Voraussetzung dafür war die Ausschaltung der Sozialdemokratie in der SBZ, die nur über die von sowjetischer Besatzungsmacht und "stalinistisch sozialisierten Altkommunisten" (510) betriebene Gründung der vorgeblichen Einheitspartei SED gelingen konnte. Malycha zeigt an vielen Beispielen gerade aus Regionen und Kommunen auf, daß durchaus vorhandene Bemühungen zur Integration von Sozialdemokraten und Kommunisten an sowjetischer Besatzungsmacht und deutschen "Stalinisten" gleichermaßen scheiterten. Daraufhin einsetzende Zerfallserscheinungen beschleunigten die innerparteiliche Gleichschaltung und Disziplinierung weiter und ließen taktische Rücksichtnahmen auf die Gefühle der deutschen Bevölkerung in den Hintergrund treten: Nicht mehr ein "deutscher Weg zum Sozialismus", sondern die Übernahme des sowjetischen Partei- und Gesellschaftsmodells wurde zur neuen "Generallinie" der SED.

Die innerparteiliche Repression nahm seit 1948 laut Malycha "nicht selten die Form strafrechtlicher Verfolgung" an (514). Besonders der KPD/SED nach aktiver Mitgliederwerbung beigetretene ehemalige NSDAP- und HJ-Mitglieder hätten sich als loyal gegenüber den "Stalinschen Normen" erwiesen und als Funktionäre die Marschrichtung der kommunistischen Moskauer Exilanten unterstützt. Die daraus resultierende, wenn auch nicht vollständige durchführbare gesellschaftliche Umformung der SBZ/DDR nach sowjetischem Modell sei korrekt mit "Stalinisierung" zu beschreiben, weil wie in der UdSSR ein System entstanden sei, "das durch unkontrollierte Herrschaft einer zentralistischen Partei und uneingeschränkte Macht einer kleinen Führungsgruppe gekennzeichnet war". Was Malycha an der SED selbst beweist, gilt jedoch pars pro toto für die gesamte historische Phase der SBZ/DDR bis einschließlich 1953: "Physischer sowie psychischer Terror und die Abwesenheit von Demokratie und Rechtssicherheit waren konstitutiv und nicht dem Kalten Krieg geschuldet oder gar systemwidrig" (517). "Stalinismus" war eben keine zeitgenössische Entartung oder ein oktroyierter Import aus dem Osten, sondern Wesenselement der SED und befördert wie getragen durch die große Mehrheit ihrer Funktionsträger.

Nicht nur aufgrund seiner klaren Urteile, die durch die vorhergehende Darstellung auf der Basis detaillierter Archivstudien wieder und wieder gestützt und belegt werden, wirkt Malycha einer nostalgischen Verklärung der vermeintlich "guten Anfänge" in der SBZ und der SED entgegen, wie sie noch heute nicht nur innerhalb der PDS anzutreffen ist. Der kalte Krieg kann nicht als Exkulpierung des autochthonen deutschen "Stalinismus" in KPD und SED herangezogen werden, der gegen "Sozialdemokratismus" und "Agenten" in den eigenen Reihen wie gegen deklarierte "Feinde" im "bürgerlichen Lager" so brutal vorgehen konnte wie es in Stalins Ära auch in der UdSSR üblich war. Leider fehlt in Moskau der erforderliche Zugang zur gesamten Breite der sowjetischen Quellen von SMAD und SKK, die weitere Aufschlüsse über die paternalistische Rolle der russischen Besatzungsmacht und ihre Aktivitäten gegenüber der SED erbringen könnten.

Eine eher lapidare Feststellung Malychas, bezogen auf den gesamten Zeitraum der DDR bis Ende 1989, wonach "Einheit und Geschlossenheit der Partei zum quasi religiösen Prinzip kultiviert" (516) worden seien, mag zur Reflektion überleiten, ob die kommunistischen Staatsparteien in Europa nach 1917 bzw. 1945 mit Begrifflichkeiten wie "Stalinismus", "demokratischer Zentralismus" oder "Partei neuen Typs" wirklich adäquat zu erfassen sind. Lassen sich hier nicht vielmehr immanente Strukturen und Mechanismen feststellen, die nicht an Parteien, sondern an straff geführte und machtambitionierte Sekten erinnern? Ohne Aussicht auf demokratische Legitimation ihrer angestrebten Herrschaft, wollen sie als verschworene Minderheit über die Usurpation der Staatsmacht ihre auf "Säuberungen" basierenden sektiererischen Strukturen und Vorstellungen einer ganzen Gesellschaft oktroyieren. Nicht nur die SED, auch die gesamte SBZ/DDR wurde zwischen 1945 und 1989 mehr oder weniger erfolgreich bzw. erfolglos zu "stalinisieren" versucht. Geblieben ist bis heute in den ostdeutschen Bundesländern mit dem Vorwurf der "stalinistischen Methoden" ein durchaus beliebter Topos in aktuellen politischen und gesellschaftlichen Kontroversen, nunmehr gedacht als das ultimative Totschlagargument zur Diskreditierung des "Gegners".

Anmerkung:
1 Vgl. pars pro toto: Hermann Weber/Ulrich Mählert (Hgg.), Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936-1953, Paderborn u.a. 1998.

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