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Titel
Rom 1312. Die Kaiserkrönung Heinrichs VII. und die Folgen. Die Luxemburger als Herrschaftsdynastie von gesamteuropäischer Bedeutung


Herausgeber
Penth, Sabine; Peter Thorau
Reihe
Regesta Imperii - Beihefte. Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 40
Erschienen
Köln 2016: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
XVI, 489 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Hoffarth, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Als Heinrich VII. am 29. Juni 1312 in der römischen Lateranbasilika zum Kaiser gekrönt wurde, war damit auch dem rasanten Aufstieg des ehedem wenig bedeutenden Luxemburger Grafengeschlechts die metaphorische Krone aufgesetzt. Nur vier Jahre zuvor war Heinrich gegen starke französische und habsburgische Mitbewerber überraschend zum römisch-deutschen König gewählt worden, 1310 gelang es ihm, für seinen Sohn Johann das Königreich Böhmen zu erwerben, das mit dessen Sohn Karl IV. schließlich zum Zentrum eines erneuerten hegemonialen Kaisertums werden sollte.

Anlässlich des 700-jährigen Jubiläums der Kaiserkrönung des ersten Luxemburgers auf dem Königsthron veranstalteten die Deutsche Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii e. V., die Universität Luxemburg und das Istituto Nazionale di Studi Romani im Oktober 2012 in Rom ein internationales Kolloquium, auf dem die bislang kaum systematisch und geschlossen untersuchte europäische Dimension der Luxemburger-Herrschaft in zahlreichen Einzelaspekten thematisiert wurde.1 Im vorliegenden Band sind 22 daraus hervorgegangene Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen versammelt, die aus unterschiedlichsten Blickrichtungen Annäherungen an die Spezifika der Dynastie von ihrem Aufstieg über die Herrschaftsausübung bis zur Memoria unternehmen.

Der Mitherausgeber Peter Thorau verbindet in seiner Einführung einen schwungvollen Abriss historisch und kulturell zentraler Punkte der Reichsgeschichte unter den Luxemburgern – von der gezielten Verlagerung des Herrschaftsschwerpunkts nach Ostmitteleuropa bis zur Schlacht von Nikopolis und dem Konstanzer Konzil – mit einfühlsamen Kurzporträts der im Mittelpunkt des Bandes stehenden Protagonisten, insbesondere Heinrichs VII., Karls IV. und Sigismunds. Dabei unterstreicht er die weitgespannten diplomatischen und kulturellen Beziehungen und Verknüpfungen und findet in ihnen „einen europäischen Gedanken, der das Zeitalter der Luxemburger insgesamt prägte“ (S. 7).

Ein erster von zwei quantitativ sehr unterschiedlichen Teilen des Bandes ist sodann in sechs Beiträgen dem Wirken Heinrichs VII., zumal den Vorbereitungen, der Durchführung und der zeitgenössischen Wahrnehmung seiner Kaiserkrönung gewidmet. Zunächst unternimmt jedoch Robert Antonín eine Revaluation des Prozesses der luxemburgischen Übernahme Böhmens – des wohl historisch bedeutsamsten Erfolges Heinrichs –, für die nicht, wie die gängige, vor allem auf die Königsaaler Chronik zurückgehende Vorstellung besagt, das Betreiben der Zisterzienser, sondern die Verhandlungen zwischen den Luxemburgern und dem böhmischen Adel entscheidend gewesen seien. Im Anschluss beschreibt Michel Pauly die Vorbereitungen des Romzugs Heinrichs VII. und kann dabei ebenfalls Korrekturen an geläufigen Forschungsmeinungen anbringen, die zu Unrecht davon ausgingen, dass das Unternehmen von Beginn an auf drastischen Fehlkalkulationen beruht habe. Peter Herde stellt die politische Situation in den italienischen Kommunen und insbesondere das Gegenüber der Faktionen von Guelfen und Ghibellinen dar, mit denen sich Heinrich bei seiner Ankunft in Italien konfrontiert sah, während Susanna Passigli Topographie und Besiedlung der italienischen Gebiete rekonstruiert, die Heinrich zwischen Pisa und Rom durchmaß. Die schwierige Terminfindung für die Kaiserkrönung, die konfliktreiche politische Situation in Rom, die zur Verlegung in die Laterankirche führte, Heinrichs Einzug in die Stadt und sein dortiges Wirken sowie das Krönungszeremoniell selbst zwischen Tradition und Improvisation unterzieht Knut Görich einer eindringlichen Untersuchung. Den ersten Teil beschließend, analysiert Michel Margue die spätmittelalterlichen Darstellungen von Italienzug und Kaiserkrönung in den Stammlanden der Luxemburger, die das Bild einer „ritterlichen Erfolgsgeschichte“ (S. 128) und die Idee vom „Kaisertum als Universalherrschaft“ (S. 129) kolportierten.

Viele der im wesentlich umfangreicheren zweiten Teil präsentierten Studien greifen alsdann weit über die engere Geschichte der Luxemburger hinaus. Mit den ökonomischen Entwicklungen und Neuerungen des 14. Jahrhunderts (Bernd Fuhrmann), dem Einfluss der kaiserlichen Kanzleisprachen auf die Volkssprachen (Wolfgang Haubrichs, Pavel Boháč), dem Elitenwandel im 14. und frühen 15. Jahrhundert (Christian Hesse), der Frage nach der einigenden Wirkung der Türkenkriege im Umfeld der Schlacht von Nikopolis (Martin Clauss) – die Antwort steht in gewissem Widerspruch zu Thoraus oben zitiertem Postulat einer Europaidee – und der politischen Lage der Balkanhalbinsel zwischen 1402 und 1427 (Mihailo Popović) bearbeiten sie Felder von größerer historischer Signifikanz. Damit löst der Band zumindest ein Stück weit das in Titel und Vorwort gegebene Versprechen ein, die Herrscherdynastie in ihrer gesamteuropäischen Bedeutung vorzustellen, und verweist zugleich äußerst sinnfällig darauf, dass die Handlungsmöglichkeiten der Potentaten stets von den sie umgebenden Strukturen abhängig waren, weshalb Details politischer Geschichte eben immer nur durch breite historische Kontextualisierung nachvollziehbar werden.

Daneben stehen detailreiche Spezialstudien wie Johannes Tripps kunstgeschichtlich-vergleichende Einordnung der Memoria Heinrichs VII. in den europäischen Kontext sowie Mark Mersiowskys sorgfältige Analyse des Finanz- und Rechnungswesens der Luxemburger unter Heranziehung der Originaldokumente, die es ihm erlauben, „große Modernisierungstheorien“ (S. 185) der älteren Forschung in Zweifel zu ziehen. Im Weiteren untersucht Ellen Widder das Verhältnis von Königtum und Kommunen unter den Luxemburgern, Petr Elbel geht in einer skrupulösen Studie der Frage nach, ob die neuen Luxemburger Residenzen im Osten tatsächlich auch als „Verlagerung des Reichsschwerpunkts“ (S. 259) bewertet werden müssen (mit umfangreichem Tabellen- und Kartenanhang zu den königlichen Itineraren), Eva Schlotheuber befasst sich mit den Sprachkenntnissen und der gelehrten Bildung bei den Luxemburgerherrschern, Martin Kintzinger betrachtet die Luxemburger Diplomatie, die er aufs Engste mit den Personen der Herrscher selbst verbunden sieht, Pierre Monnet behandelt die Frage, „ob Karl IV. einer Großpolitik dynastischer, überregionaler und europäischer Dimension gefolgt ist“ (S. 412), und Amalie Fößel interpretiert die umfangreiche Luxemburger Heiratspolitik.

Die mannigfaltigen neuen Erkenntnisse, einschlägigen Korrekturen althergebrachter Ansichten und die vielfältigen Anregungen zu wichtigen weiteren Forschungen, die die Beiträge des Bandes leisten, können an dieser Stelle nicht einmal andeutungsweise wiedergegeben werden. Wie jeder Tagungsband muss sich allerdings auch dieser die kritische Nachfrage nach Kohärenz und konzeptioneller Klarheit gefallen lassen. So bleibt letzthin nämlich offen, ob das Werk nun eigentlich als Geschichte der Luxemburger Dynastie oder doch eher als Geschichte eines luxemburgisch geprägten 14. Jahrhunderts in Europa verstanden werden soll. Im ersten Fall wäre freilich kritisch anzumerken, dass schon die starke Konzentration auf Heinrich VII., Karl IV. und Sigismund unter weitgehender Aussparung Wenzels und Jobsts von Mähren einem solchen Anspruch entgegenstünden.2 Im zweiten Fall indes hätte man das beinahe völlige Fehlen solch eminenter Themenkomplexe wie der Subsistenzkrisen und Pestepidemien zu monieren. Ungeachtet der Frage nach dem thematischen Fokus erschließt es sich aber jedenfalls nicht, warum bei einem Band, der sich der Erforschung der europäischen Dimension eines Herrschergeschlechts verschreibt, sowohl auf ein Orts- als auch auf ein Personenverzeichnis gänzlich verzichtet wurde. Auch deshalb sind die hier versammelten Aufsätze wohl doch eher als profunde, vielfach wegweisende Einzelstudien unter einem weit aufgespannten gemeinsamen Betrachtungsschirm zu lesen denn als zusammenhängende Erkundungen eines klar definierten Forschungsproblems. Gleichwohl ist der Gedanke einer Europäisierung der Historiographie des spätmittelalterlichen Königs- und Kaisertums von immenser Anziehungskraft und verdient es allemal, weiter verfolgt zu werden.

Anmerkungen:
1 Ein ähnliches Programm verfolgte bislang einzig Jörk K. Hoensch, Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308–1437, Stuttgart 2000.
2 Diese Lücke ist auch nicht mit deren Nachrangigkeit oder, im Falle Wenzels, seiner vermeintlichen Unfähigkeit zu entschuldigen. Letztere wird im Übrigen aktuell einer umfassenden Neubewertung unterzogen. Vgl. dazu Beate Umann, Tagungsbericht: Wenzel IV. (1361–1419). Neue Wege zu einem verschütteten König/New Approaches to a Superimposed King, 26.03.2017 – 01.04.2017, in: H-Soz-Kult, 30.10.2017, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7378 (19.06.2018).

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